Eine junge Frau fährt auf einer Straße Fahrrad.
Nachhaltigkeitsbericht

Co-Benefits: Wie wir zugleich uns und das Klima schützen

Lesedauer unter 12 Minuten

Redaktion

  • Jessica Braun

Qualitätssicherung

  • Annika Hestermann (Fachreferentin Prävention, Barmer)

Sich selbst etwas Gutes tun und dabei auch dem Klima? Wie nachhaltige Entscheidungen uns glücklicher und gesünder machen, zeigt eine von der Barmer beauftragte Untersuchung.

Wo ein Wille ist, ist auch eine Tonne. Deswegen treffen sich jedes Jahr am 20. September Menschen auf der ganzen Welt zum World Cleanup Day. In Wohnvierteln, Parks oder Waldstücken sammeln sie herumliegenden Müll ein. Für Freiwillige wie Yasmin Bemmerl ist Müllsammeltag jedoch mindestens einmal im Monat. Bemmerl ist Teil der Düsseldorfer Organisation Blockblocks Cleanup. Seit 2018 ruft diese alle zwei bis drei Wochen zwischen 30 und 60 Ehrenamtliche zusammen, um entlang des Rheinufers aufzuräumen.

Yasmin Bemmerl

Yasmin Bemmerl ist Teil der Düsseldorfer Organisation Blockblocks Cleanup.

„Ich habe zum ersten Mal vor drei Jahren mitgemacht“, sagt Yasmin Bemmerl. „Da war ich gerade nach Düsseldorf gezogen.“ Obwohl sie die anderen in der Gruppe nicht kannte, war sie schnell integriert. „Es gab eine motivierende Begrüßung und eine Einweisung. Dann nahm sich jeder Handschuhe und einen Greifer oder einen Müllsack und wir zogen los.“ Innerhalb von zwei Stunden landen pro Ausflug bis zu 500 Kilogramm Abfälle in den Säcken: Dosen, Scherben, Pizzakartons und jede Menge Zigarettenkippen. Was erstmal anstrengend, vielleicht auch eklig klingt, ist eigentlich ein fröhliches Treffen von Gleichgesinnten. „Ich mag es, an der frischen Luft und im Grünen zu sein. Und wenn wir Farbfässer oder Netze aus dem Fluss ziehen, kann man sich dabei richtig auspowern“, sagt Bemmerl. In rund 250 Einzelaktionen hat die Organisation bereits über 65 Tonnen Müll geborgen. Manchmal sammelt sie auch auswärts, während einer solidarischen Aufräumaktion für das Flutgebiet an der Ahr oder bei Rock am Ring. Für dieses Engagement wurde Blockblocks Cleanup schon mehrmals ausgezeichnet.

Co-Benefits: gut für Gesundheit und Klima

Wenn sich Freiwillige wie Yasmin Bemmerl zu Aktionen zusammenfinden, tun sie etwas für Natur und Gesellschaft, aber auch für sich selbst: Sie bewegen sich draußen, tauschen sich untereinander aus und engagieren sich für eine gute Sache. Solche Aktivitäten fördern erwiesenermaßen die körperliche und mentale Gesundheit. Früher sagte man dazu: schöner Nebeneffekt. Betrifft dieser speziell den Klimaschutz, hat die Wissenschaft dafür einen neuen Begriff: Co-Benefit. „Dieser umfasst alle Maßnahmen, die sowohl einen Mehrwert für das Klima als auch für die individuelle Gesundheit haben“, sagt Annika Hestermann, bei der Barmer Fachreferentin für Prävention.

Einfach veranschaulichen lässt sich dies an der Entscheidung Fahrrad statt Auto: „Wer das Auto stehen lässt, um mit dem Fahrrad zur Arbeit zu fahren, tut durch die Bewegung der eigenen Gesundheit etwas Gutes, tankt vielleicht ein wenig Sonne und hat dadurch bessere Laune“, sagt Hestermann. „Dass die Person dadurch weniger CO2-Emissionen und Feinstaub verursacht und so aktiv einen Beitrag zum Klimaschutz leistet, sind die Co-Benefits.“

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Gesunde Menschen auf einem gesunden Planeten

Hervorgegangen ist der Begriff aus der Planetary Health-Wissenschaft, also der Forschung zur Planetaren Gesundheit. Diese erfasst, wie sich Veränderungen auf unserem Planeten auf die Gesundheit der Menschen, aber auch aller anderen Lebewesen auswirken. Das ist komplex und manchmal schwer zu verstehen. Ereignisse wie schmelzendes Packeis in der Arktis oder australische Koalas mit Hitzschlag können sich zudem sehr weit weg anfühlen. Dennoch empfinden wohl viele diese Entwicklungen als bedrohlich. So gaben 36 Prozent der bei der Barmer Jugendstudie befragten Jugendlichen an, große Angst vor dem Klimawandel zu haben.

Umso wichtiger ist das Gefühl, dagegen etwas tun zu können. Hier kommen die Co-Benefits zum Tragen. Ursache und Wirkung liegen bei diesen nah beieinander, nämlich im eigenen Handlungsbereich. Manchmal spürt man das sofort: Nach dem gemeinsamen Müllsammeln fühlt man sich selbst auch aufgeräumter. Zudem funktionieren Co-Benefits in beide Richtungen: Wer das Rad nimmt, um fitter zu werden, hilft dem Klima. Wer hingegen dem Klima zuliebe radelt, tut damit auch etwas für die eigene Kondition. Bei manchen Co-Benefits können so sogar zusätzliche Lebensjahre herausspringen.

Co-Benefits aus wissenschaftlicher Sicht

Klingt einleuchtend. Aus wissenschaftlicher Sicht genügt das jedoch nicht. Die Zusammenhänge müssen wirklich messbar sein.

Annika Hestermann

Annika Hestermann, Fachreferentin für Prävention bei der Barmer

„Als Krankenkasse sind wir gesetzlich verpflichtet, die Gesundheit unserer Versicherten zu fördern“, sagt Annika Hestermann. „Seit 2022 sollen präventive Leistungen zudem so ausgerichtet sein, dass sie möglichst auch klimasensibel sind.“

Die Barmer ließ deshalb analysieren, ob Co-Benefits in der Prävention zum Tragen kommen können. „Wir brauchen eine solide wissenschaftliche Basis, damit wir Handlungsempfehlungen ableiten können.“ Die Krankenkasse kooperierte dafür mit zwei Institutionen: Das Center for Planetary Health Policy (CPHP) ist ein unabhängiger Berliner Think Tank. In der Deutschen Allianz für Klimawandel und Gesundheit e.V. (KLUG), einem gemeinnützigen Verein, haben sich Organisationen aber auch Einzelpersonen aus dem Gesundheitsbereich zusammengeschlossen. Die Ende 2024 gemeinsam veröffentlichte Analyse versammelt die derzeit vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse zu Maßnahmen, die doppelte positive Effekte für Gesundheit und Planeten haben. Drei, die vielen Menschen in ihrem Alltag offen stehen, hebt die Analyse besonders hervor:

Die Planetary Health Diet – für eine gesunde Zukunft

Wer sich ausgewogen ernährt, tut etwas für die eigene Gesundheit. Das haben sicher die meisten schon einmal gehört. Laut einer Studie aus dem Jahr 2019, die im Fachblatt The Lancet erschienen ist, starben in Deutschland 2017 dennoch ca. 130.000 Menschen aufgrund von unausgewogener Ernährung. Denn diese begünstigt unter anderem Herzinfarkte, Schlaganfälle und Diabetes. Das ist die schlechte Nachricht. Die gute: Es tut sich etwas. Der Konsum von Gemüse nimmt seit 2010 tendenziell zu, während Fleisch nicht mehr so oft auf den Teller kommt. Besonders die Jüngeren essen es seltener. Damit tun sie etwas für ihre Gesundheit aber auch die der Erde. Bereits im Jahr 2019 stellte die EAT-Lancet-Kommission, eine Gruppe von 37 Forschenden aus 16 Ländern, einen Ernährungsansatz vor, der genau das unterstützt: die Planetary Health Diet. Sie ist überwiegend pflanzlich. Manche nennen sie den Speiseplan der Zukunft. Auf den Teller kommen hier vor allem Gemüse, Hülsenfrüchte, Obst, Vollkorngetreide, Nüsse und hochwertige Pflanzenöle.

Fleisch, Fisch, Milchprodukte und Eier hingegen nur in geringer Menge. Denn um tierische Lebensmittel zu produzieren, sind wesentlich mehr Wasser, Energie und Land nötig. Auch der CO2-Ausstoß ist höher. Ebenfalls stark reduziert: Zucker und Weißmehlprodukte. Sie sind der Gesundheit nicht zuträglich. Die Forschenden der Kommission gehen davon aus, dass sich – würden alle Menschen sich an diesen Richtlinien orientieren – pro Jahr ca. 11 Millionen ernährungsbedingte vorzeitige Todesfälle verhindern ließen. Gleichzeitig wäre es einfacher, die Erderwärmung zu begrenzen. Win-win also, ein Plus für die Menschen und den Planeten, auf dem sie leben.

Im Schnitt braucht eine Verhaltensänderung 66 Tage

Das in der Theorie zu verstehen, heißt aber nicht, es einfach umsetzen zu können. Wer zeitlich unter Druck steht, greift vielleicht eher zu Fertigprodukten und Fastfood. Anderen fehlt für eine ausgewogene Ernährung das Geld oder das Wissen. Dazu kommt, dass sich gewohntes Verhalten nur schwer ändern lässt. „Es braucht Willenskraft, um nachhaltige Entscheidungen zu treffen“, sagt die Barmer-Referentin Annika Hestermann. Nicht gesund zu leben, ist dagegen bedeutend einfacher – das wissen alle, die schon mal an ihren Neujahrsvorsätzen gescheitert sind. Im Schnitt dauert es 66 Tage, bis eine dauerhafte Veränderung greift. Vor allem Unterstützung durch Freunde oder Apps hilft laut Forschenden dabei, durchzuhalten.

Aber auch Co-Benefits können der Ansporn sein, den es zum inneren Wandel braucht. Vielleicht schwinden durch die überwiegend pflanzenbasierte Ernährung ehemals störrische Kilos – plötzlich fällt das Joggen leichter. Oder es ist mehr Energie da, um mit den Enkelkindern draußen Ball zu spielen. Möglicherweise motiviert aber einfach die Aussicht auf mehr gesunde Lebensjahre. Norwegische Forschende haben einen Online-Rechner programmiert, der kalkuliert, wie sich eine veränderte Ernährung potentiell auf die Lebenserwartung auswirkt. Wer schon mit 20 Jahren auf Fleisch und Milchprodukte verzichtet, hat demnach Aussicht auf 10 zusätzliche gesunde Jahre. Aber selbst mit 60 Jahren ist noch ein nennenswertes Lebensplus drin.

Aktive Mobilität: zu Fuß oder mit dem Rad unterwegs

Eine Chance auf mehr Lebenszeit hat auch, wer das Auto stehen lässt und stattdessen die Öffis nutzt oder – noch besser – zu Fuß geht oder radelt. Regelmäßig mit dem Fahrrad zur Arbeit oder zum Einkaufen zu fahren, ist wahrscheinlich der einfachste Weg, das tägliche Workout in den Alltag einzubauen. Es stärkt das Herz, reduziert Blutfettwerte und führt zu einem niedrigeren Ruhepuls. Untersuchungen zeigen zudem, dass Menschen, die mit dem Fahrrad pendeln, zwei- bis dreimal weniger Schadstoffen ausgesetzt sind als Autofahrer. Das verbessert ihre Lungenfunktion. Umwelt und Nachbarschaft freuen sich ebenfalls über Fahrrad- und Schuhsohlennutzung: Es kommt seltener zu Staus und die Luft ist weniger durch Abgase belastet. Mit dem Lärm sinkt obendrein der Stresspegel. Sind weniger Autos auf den Straßen, ereignen sich zudem weniger Unfälle.

Anschaulich zeigte dies ein Versuch in zwei Kommunen in Neuseeland. New Plymouth und Hastings wollten die aktive Mobilität in der Bevölkerung fördern – also Radfahren und zu Fuß gehen. Die Gemeinden erneuerten dafür die Wege, sorgten für bessere Beleuchtung, stellten mehr Fahrradständer auf und hielten Sicherheitsschulungen ab. All diese Maßnahmen wurden wissenschaftlich begleitet. Das Ergebnis: die aktive Mobilität stieg um 30 Prozent. Dadurch sparte die Bevölkerung 1149 Tonnen CO2 ein. Ebenfalls ein Co-Benefit: Gerechnet auf die jeweilige Einwohnerzahl kam es zu zwei Verkehrstoten weniger pro Jahr. Die Investitionen der Kommunen waren also gerechtfertigt. Das zeigt: Deutsche Städte wie Wettringen, Nordhorn, Erlangen oder Bremen, die laut dem Allgemeinem Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) beste Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Menschen gerne aufs Rad steigen, sind auf dem richtigen Kurs.

Rein ins Grün, raus aus der depressiven Stimmung

Wir Menschen sind ein Teil der Natur. Wir leben in ihr und so ist es eigentlich nicht verwunderlich, dass wir eine Verbindung zu ihr haben. Einige kleinere Studien zeigen, wie Natur – und sei es nur Stadt-Natur – auf uns einwirkt. Wenn wir über Wiesen oder am Strand spazieren gehen, kommen Körper und Geist zur Ruhe: So sinken beispielsweise der Blutdruck und die Herzfrequenz. Im Blut zirkulieren weniger Stresshormone. Umgeben von Grün hebt sich unsere Stimmung. Allein der Blick auf Bäume vor dem Fenster kann helfen, sich besser zu fühlen. Die Natur belebt uns aber auch akustisch: Wenn Vögel zwitschern, Wasser rauscht oder Blätter rascheln, stärkt uns das psychisch. Vögel haben einen so starken messbaren Effekt auf das Wohlbefinden, dass dieser sich sogar in Geld aufwiegen lässt. Einer Untersuchung des Frankfurter Senckenberg-Forschungszentrum für Biodiversität und Klima zufolge sind die glücklichsten Menschen in Europa jene, die in ihrem Umfeld die meisten verschiedenen Vogelarten haben. Zehn Prozent mehr Vogelarten haben demnach den gleichen Effekt wie 10 Prozent mehr Einkommen. Wenn das nicht ein Grund ist, eine Vogeltränke im Garten oder Hof aufzustellen!

Klima- und Umweltkrisen dagegen belasten. Sich gegen sie zu engagieren, komme deshalb der mentalen Gesundheit zugute, so die Analyse von CPHP und KLUG. Das kann bedeuten, mit der Clique ein Essen aus geretteten Lebensmitteln zu kochen, anstatt allein auf der Couch sitzend Filme zu streamen. Oder Kleidung mit anderen zu tauschen, statt neue zu kaufen. Vielleicht gibt es in der Nachbarschaft auch eine Urban Gardening Gruppe, die sich über Unterstützung freut. Engagement ist auf viele Arten möglich – und jede stiftet Sinn. Ansporn könnte dabei ein Leitsatz des buddhistischen Mönchs Thich Nhat Hanh sein: The way out is in. Übersetzt etwa: Der Ausweg liegt in dir selbst.

Für Yasmin Bemmerl ist es deswegen keine Frage, weiter zu Cleanups zu gehen. „Es ist für mich auch ein Weg, um ein Zeichen zu setzen. Wenn wir sammeln, begegnen uns oft Leute, die gerade spazieren gehen. Die meisten freuen sich darüber, dass wir etwas tun. Ich glaube, dass wir ihnen damit ein bisschen Mut machen, sie vielleicht sogar motivieren, selbst aktiv zu werden.“ Sie könne das nur empfehlen, sagt sie: „Es braucht mehr Menschen, die mitmachen. Wenn ich am Ende eines Cleanups unsere vollen Müllsäcke sehe, weiß ich, was wir gemeinsam geschafft haben. Das lässt mich mit einem unbeschreiblich guten Gefühl nach Hause gehen.“

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