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CDR-Bericht

Fake News und Gesundheitsmythen: Hilft Zitronenöl gegen Mikroplastik im Körper?

Lesedauer unter 11 Minuten

Redaktion

  • Redaktion Custom Content der Deutschen Presse-Agentur (dpa-CC)

Qualitätssicherung

  • Dr. Herbert Flath

Himbeeren, Zitronenöl und Koriander als angebliche Wunderheilmittel, in der Nahrung „versteckte“ Insekten, gesundheitsschädliche Beschichtungen und heilsame Schläge in die Ellenbeuge: Online und insbesondere in sozialen Netzwerken verbreiten sich immer wieder skurrile und teils auch gefährliche Falschinformationen rund um Gesundheit und Ernährung. Zahlreiche Faktenchecker-Plattformen spüren im deutschsprachigen Raum solche Fake News auf, untersuchen den Wahrheitsgehalt der Behauptungen und recherchieren Hintergründe.

Welche Falschbehauptungen mit Gesundheitsbezug gingen 2023 in den sozialen Medien viral? Welche Gesundheitsthemen wurden im Netz am eifrigsten diskutiert? Die Barmer und die Redaktion Custom Content der Deutschen Presse-Agentur (dpa-CC) haben die Verbreitung von Health Fake News – also Falschinformationen mit Gesundheitsbezug – analysiert.

Trendanalyse 2023: Health Fake News unter der Lupe

Ausgewertet wurden dazu insgesamt 312 Faktenchecks der Online-Plattformen AFP, ARD, BR, Correctiv, Deutsche Welle, dpa, Keystone SDA, Mimikama und SWR3. Der hier veröffentlichte Text ist ein Auszug aus dem Gesamtbericht für 2023 und deckt das Themenfeld Ernährung und Heilmittel ab. Der Report enthält vier weitere Themenfelder: Covid-19, Verschwörungstheorien und Gesundheitssystem, Impfungen sowie Hitze und Sonnenschutz.

Zum kostenfreien Download des Gesamtberichts für 2023: www.barmer.de/a008379

Insekten im Essen

Ende Januar traten zwei Verordnungen in Kraft, mit denen die EU das teilweise entfettete Pulver der Hausgrille und die Larven des Getreideschimmelkäfers als neuartige Lebensmittel zuließ. Obwohl bestimmte Insekten schon länger in Lebensmitteln verwendet werden dürfen, sorgte die Regelung im Netz für Aufregung und zog eine Reihe von Falschbehauptungen nach sich – etwa, dass die enthaltenen Insekten auf den Verpackungen nicht ausgewiesen werden müssten. „2023 – Die Menschen werden nun Insekten fressen, ohne es zu wissen“, heißt es etwa in einem Telegram-Post. In ihren Beiträgen wiesen die Faktenchecker unter anderem auf die Kennzeichnungspflicht hin.

Es folgten zahlreiche Unwahrheiten über Insekten und das angeblich gesundheitsschädliche Chitin in ihren Panzern. Einem hundertfach geteilten Facebook-Post zufolge verursache dieses etwa Krankheiten wie Morbus Gaucher, Sarkoidose oder Asthma. Die Ankündigung der Schokoladensorte „Ganze Grille“ auf Instagram – ein durch den Hashtag #fakesorte als solcher gekennzeichneter Marketing-Gag des Herstellers – wurde von vielen für bare Münze genommen. Falschmeldungen über Insekten wurden von fünf der neun untersuchten Plattformen in insgesamt 13 Faktenchecks aufgegriffen.

Erste Hilfe, die keine ist

Fitnesstrainerin kümmert sich um verletzten Sportler

In der ersten Jahreshälfte beschäftigten sich insgesamt fünf Faktenchecks mit fragwürdigen Erste-Hilfe-Methoden bei einem Herzinfarkt. In einem Kettenbrief, der schon seit Jahren auf Social Media grassiert, behauptet ein angeblicher Notarzt, man könne sich durch mehrfaches tiefes Einatmen und anschließendes starkes Husten selbst helfen. Ein entsprechender Telegram-Post verbuchte im Januar mehr als 330.000 Views. Im Februar tauchte ein Video auf Telegram und Facebook auf, das zeigen soll, wie wirksam Schläge auf die Arm-Innenseite bei einem Herzinfarkt sind. Das Video wurde bei Telegram bis Ende März von mehr als 100.000 Nutzenden gesehen.

„Wundersame“ Zitronen

Sechs Faktenchecks thematisierten in den Sommermonaten die vermeintliche Heilkraft von Zitronen und ihren Bestandteilen. Sie entlarvten die angeblich heilsame Wirkung von Zitronensaft und Salz gegen Migräne, Zitronenöl gegen Mikroplastik im Körper oder gefrorenen und geriebenen Zitronen gegen Krebs – ein altes Thema, das im Juni 2023 wieder auf Deutsch im Netz auftauchte. „Der überraschende Nutzen der Zitrone ist die wundersame Fähigkeit, Krebszellen zu töten! Sie ist 10.000 Mal stärker als Chemotherapie!!“, schrieb etwa ein Nutzer auf Facebook.

Mehrmals thematisiert wurden Behauptungen rund um das Süßungsmittel Aspartam, das die WHO im Juli als „möglicherweise krebserregend“ einstufte. Die Faktenchecker befassten sich mit einem angeblichen Cola-Verbot in der EU und der „Täuschung“ von Verbraucherinnen und Verbrauchern durch eine Namensänderung. Einer speziellen Beschichtung für verderbliche Lebensmittel wurde eine schädliche Wirkung nachgesagt – der angebliche Beweis: das Sicherheitsblatt eines gleichnamigen Reinigungsmittels. Zudem gab es Faktenchecks über vegane Ernährung und angeblich krebsförderndes „Laborfleisch von Bill Gates” sowie vermeintlich gefährliche Aufdrucke auf Schmerzmitteln.

Behauptung: Schläge in die Ellenbeuge helfen bei Herzinfarkt

Eine Hand hält ein aus Pappe gefaltetes Herz in die Kamera.

Zwei Personen schlagen einem anscheinend bewusstlosen Mann, der inmitten einer Menschentraube in einem Zuschauersessel sitzt, wiederholt auf die Innenseite beider Arme. Der Mann öffnet die Augen und richtet sich langsam auf. Diese Szene ist in einem Video zu sehen, das im Februar 2023 in sozialen Medien mit folgender Behauptung geteilt wurde: „Dieses Video zeigt, wie Sie in Notfallsituationen handeln müssen, um Patienten mit Herzinfarkten (...) Erste Hilfe zu leisten. Viele sterben auf dem Weg ins Krankenhaus.“ In einigen Beiträgen heißt es zudem, mit den Schlägen würden „drei Akupunkturpunkte auf der linken Seite“ stimuliert, „die mit Herz und Lunge in Verbindung stehen“. Indem man „den inneren Ellbogen (…) mit der Handfläche“ berühre, könne man die Durchblutung fördern und Aggregationen, also Blutgerinnsel, vermeiden.

Faktencheck: Helfen Schläge in die Ellenbeuge bei Herzinfarkt?

„Bei einem Herzinfarkt ist die wichtigste und notwendige Maßnahme eine umgehende Verbringung in ein Krankenhaus, in dem Herzinfarkte behandelt werden können“, sagt Prof. Dr. Paulus Kirchhof, Klinikdirektor am Universitären Herz- und Gefäßzentrum des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) gegenüber dpa-CC. Bei einem Herzinfarkt wird aufgrund eines verschlossenen Gefäßes der Herzmuskel nicht mehr ausreichend mit Blut versorgt. Bemerkbar mache sich das meist durch Brustschmerz, Enge in der Brust oder Atemnot, erklärt Kirchhof. In einer solchen Situation solle man sofort die Notfallnummer 112 anrufen.

Plötzliches Zusammenbrechen, fehlende Ansprechbarkeit und die fehlende Reaktion auf Schmerzreize sind dem Kardiologen zufolge Anzeichen für einen Herzstillstand: „Dabei bleibt das Blut im Körper stehen und es droht ein unumkehrbarer Schaden im Gehirn und in anderen Organen.“ Um den Blutfluss wiederherzustellen und die Zeit bis zum Eintreffen der Rettungskräfte zu überbrücken, sollten Ersthelfer eine Herzdruckmassage durchführen: „Das ist der einzige Weg, um dafür zu sorgen, dass nicht das Gehirn und andere Organe im Körper absterben.“

Schläge in die Ellenbeuge schadeten zwar nicht prinzipiell, „werden aber großen Schaden anrichten, wenn sie dazu führen, dass die Herzdruckmassage nicht richtig durchgeführt oder erst verspätet begonnen wird“, so Kirchhof. „In dieser Situation zählt jede Minute. Jeder Augenblick, den Sie die Herzdruckmassage früher anfangen, verbessert die Überlebenschance des Menschen.“

Den durch die Schlagmethode herbeigeführten lebensgefährlichen Zeitverlust betonte auch die Chefärztin der Klinik für Kardiologie und Gefäßmedizin am Marien Hospital Wesel gegenüber AFP. Wie man sich bei einem Herzinfarkt oder Herzstillstand richtig verhält, erklärt zum Beispiel die Deutsche Herzstiftung.

Zur Stimulierung der Akupunkturpunkte befragte AFP den Schweizer Fachverband für traditionelle chinesische Medizin (TCM): Es gebe sogenannte Notfallpunkte, die von gut ausgebildeten TCM-Fachkräften angewendet werden können, deren genaue Lage man allerdings kennen müsse. Es sei nicht zu erkennen, ob im Video ein solcher Punkt getroffen werde.

Auch dem Video selbst fehlt es an Plausibilität. Eine Bilderrückwärtssuche zeigt, dass es schon 2019 und 2022 mit unterschiedlichen Titeln auf Youtube hochgeladen wurde – einer der Titel verortet das Geschehen in Singapur. Der Dialekt der Menschen im Video passt aber nicht zu Singapur, wie AFP feststellte. Die Faktenchecker fanden konkrete Hinweise, dass sich die Szene in einem Kino in Nanning in der südchinesischen autonomen Region Guangxi abgespielt hat.

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Behauptung: Zitronenöl kann Mikroplastik im menschlichen Körper auflösen

Unter anderem auf Youtube, Tiktok und Facebook kursierte im Herbst 2023 ein Video mit der Behauptung, die Einnahme von Zitronenöl würde Mikroplastik aus dem Körper entfernen. Als vermeintlicher Beleg wurde darin eine gelbliche Flüssigkeit auf einen weißen Gegenstand geträufelt, der sich in der Folge auflöste. Den Effekt, so das Video weiter, könne man sich „für die Gesundheit zunutze machen“, etwa indem man einige Tropfen Zitronenöl in Wasser aufgelöst trinke. Auch in zahlreichen Internetshops wird Zitronenöl zum Kauf angeboten, vielfach mit dem Hinweis, es scheide „Plastik aus dem Körper aus“ oder es könne „dabei helfen, Plastikchemikalien aus unserem Körper auszuleiten“.

Faktencheck: Löst Zitronenöl Mikroplastik im Körper auf?

Experten zufolge kann Mikroplastik über die Nahrung in den menschlichen Organismus gelangen. Allerdings ist die Einnahme von Zitronenöl kein probates Mittel für dessen Abbau. So gibt das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) auf Nachfrage von dpa-CC an, es kenne keine wissenschaftlichen Studien, die eine solche Behauptung stützen. Es sei „unklar, ob ein ‚Auflösen‘ des Mikroplastiks eine Ausscheidung begünstigen würde“. Wahrscheinlicher ist demnach eine Ausscheidung für größere Plastikpartikel, die als weitgehend chemisch unreaktiv gelten und den Körper über den Darm verlassen können.

Forscherin im Labor schaut durch ein Mikroskop

Eine BfR-Studie zum Abbau von Mikroplastik, vornehmlich im menschlichen Verdauungstrakt, ergab 2020, dass die untersuchten Mikroplastikpartikel etwa gegenüber der Salzsäure des Magens – oft auch als Magensäure bezeichnet – äußerst stabil sind. Behälter aus Polypropylen (PP) werden darüber hinaus häufig zur Lagerung von Schwefelsäure oder Motorenöl eingesetzt, so das BfR weiter. Der Werkstoff ist also gegenüber Säuren und Ölen resistent. Dies sei für sich genommen bereits Grund genug zur Skepsis gegenüber der sehr pauschalen Behauptung.

Hinzu kommt, dass sich der Begriff „Mikroplastik“ nur auf Größe und Form der Partikel bezieht, nicht aber auf ihre genaue Zusammensetzung.

Polymere Werkstoffe, zu denen beispielsweise PP und PVC gehören, haben unterschiedliche mechanische und chemische Eigenschaften, was laut BfR auch ihre Löslichkeit und Zersetzbarkeit durch Säuren und andere Lösungsmittel beeinflusst.

Im Übrigen sieht das BfR derzeit kein erhöhtes Gesundheitsrisiko für die Bevölkerung in Deutschland durch oral aufgenommenes Mikroplastik – eine mögliche gesundheitsschädigende Wirkung sei bisher nicht belegt. Stattdessen warnt das Institut vor etwaigen gesundheitlichen Folgen einer Aufnahme von Zitronenöl in Reinform. Zwar werde die Substanz, die aus gepressten Zitronenschalen gewonnen wird, Lebensmitteln in geringen Mengen zur Aromatisierung zugesetzt, was toxikologisch unbedenklich sei. Die gesundheitliche Wirkung könne jedoch nicht pauschal beurteilt werden, sondern hänge stark von Menge und Art der Aufnahme ab. Zitronenöl hat laut BfR zwar nur eine sehr geringe akute Toxizität, kann jedoch unverdünnt unter anderem Haut- und Schleimhautreizungen sowie Magen-Darm-Beschwerden verursachen. In einem Gutachten berichtete die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) 2021, dass einige Bestandteile von Zitronenöl phototoxisch wirken, also Hautreaktionen wie Rötung, Blasenbildung, Juckreiz oder Brennen verursachen können.

Der vollständige Bericht “Trendanalyse 2023: Health Fake News unter der Lupe“ steht hier als barrierefreies PDF zum kostenfreien Download bereit.

 

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