Junge Frau krümmt sich vor Schmerzen auf dem Bett
CDR-Bericht

Digitale Hilfe bei Regelschmerzen und Endometriose

Lesedauer unter 10 Minuten

Redaktion

  • Jessica Braun

Qualitätssicherung

  • Dr. med. Ursula Marschall (Fachärztin für Anästhesie, Schmerztherapeutin)

Die Menstruation ist ein natürlicher Vorgang. Wer ständig unter starken Menstruationsschmerzen leidet, braucht jedoch medizinische Hilfe. Denn diese schränken den Alltag ein und können auf eine Endometriose hinweisen. Mit einer App unterstützt die Barmer Mädchen und junge Frauen dabei, Begleiterscheinungen wie PMS zu tracken und besser mit Schmerzen umzugehen.

Sie ist ein wiederkehrendes Ereignis, mit dem die Hälfte der Weltbevölkerung vertraut ist. Etwa 450-mal menstruieren Frauen, aber auch manche Transmänner und nicht binäre Menschen im Laufe ihres Lebens. Doch obwohl dies und die mit dem Zyklus verbundenen hormonellen Veränderungen lange bekannt sind, standen diese meist nicht im Fokus des wissenschaftlichen Interesses. Vor allem die individuellen Ausprägungen – von leichtem Ziehen im Unterleib bis zu krampfartigen Bauchschmerzen mit zahlreichen anderen Begleiterscheinungen – war in wissenschaftlichen Publikationen selten die Rede.

Im Jahr 2021 gaben über 70 Prozent der im Rahmen einer Studie befragten deutschen Frauen an, während ihrer Periode Schmerzen im Unterleib zu haben. Für manche Menstruierende fühlen sich diese an wie ein unangenehmes Ziehen oder leichte Krämpfe, die nach ein bis zwei Tagen wieder verschwinden. Andere behelfen sich hin und wieder mit Schmerzmitteln, um den Alltag wie gewohnt zu wuppen. Bis zu 20 Prozent haben jedoch so starke Regelschmerzen – medizinisch: eine Dysmenorrhö – dass Medikamente nicht mehr ausreichend helfen. Diese Schmerzen beginnen bis zu sieben Tage vor der Blutung. Dazu kommen Übelkeit, Erbrechen und Durchfall aber auch psychische Begleiterscheinungen wie Konzentrationsstörungen und Stimmungsschwankungen. Betroffene verpassen die Schule, können nicht zur Arbeit gehen. Statt sich zu verabreden oder Sport zu treiben, harren sie zuhause aus. Und das jeden Monat wieder.

Wenn Regelschmerzen überhand nehmen

Anna Adamyan

Anna Adamyan, Model und Influencerin

So ging es auch Anna Adamyan, Model und Influencerin. Seit ihrer Pubertät litt sie an „unbestimmten, starken Schmerzen im Unterleib“. Die Symptome setzten bei ihr schon mit der ersten Periode ein. Da war sie zwölf. „Als Teenager hatte ich oft keine Lust auf Schule. Meine Mutter dachte deshalb, ich übertreibe. Dabei konnte ich mich vor Schmerzen im Unterbauch und Magen manchmal kaum bewegen“, sagt sie. Die Beschwerden schränkten Adamyan stark ein: Sie konnte nicht joggen, keine schweren Sachen heben. „Ich sage immer liebevoll: Mein Rucksack ist vollgepackt! Von Schmerzen während der Periode, aber auch unabhängig davon, Blasen- und Darmproblemen, Beckenbeschwerden, Rückenbeschwerden, Schmerzen beim Eisprung und vor allem einem häufigen starken Stechen in der Gebärmutter. Es geht bis hin zu Schmerzen, die starke Durchfälle auslösen.“ Als sie zu modeln begann, musste sie deshalb immer wieder Aufträge absagen.

Menstruationsbeschwerden besser erforschen

Der Auslöser der Beschwerden ist bei allen Menstruierenden gleich: In der ersten Zyklushälfte baut sich die Gebärmutterschleimhaut auf, um vorbereitet zu sein, sollte sich eine Eizelle einnisten. Passiert das nicht, löst sich die oberste Schicht der Schleimhaut ab. Die Menstruation setzt ein. Daran sind Prostaglandine beteiligt. Diese Gewebshormone werden zum Teil in der Gebärmutter gebildet und bringen diese dazu, sich zusammenzuziehen, um die alte Schleimhaut vermischt mit Blut abzustoßen. Ist diese Blutung stark, sind üblicherweise auch die krampfartigen Schmerzen intensiver. Die Prostaglandine können darüber hinaus Schmerzrezeptoren sensibilisieren, was den Körper empfindsamer für Schmerzen macht. Dafür, warum die Schmerzen bei Menstruierenden so unterschiedlich ausfallen, fehlt bislang jedoch eine fundierte Erklärung.

Professor Dr. Mandy Mangler, Chefärztin Gynäkologie und Geburtshilfe am Vivantes Klinikum Berlin

Professor Dr. Mandy Mangler, Chefärztin Gynäkologie und Geburtshilfe am Vivantes Klinikum Berlin

„Verglichen zum Beispiel mit männlichen Erektionsstörungen, die ja sehr gut erforscht sind und die bei allen möglichen Erkrankungen immer mitgedacht werden, stehen wir beim Thema Menstruationsschmerzen in der Forschung immer noch am Anfang“, sagt Professor Dr. Mandy Mangler, Chefärztin Gynäkologie und Geburtshilfe am Vivantes Klinikum Berlin. Es sei eine immer noch verbreitete Annahme, dass „Schmerz zum Frausein dazu gehört“, sagt Mangler. „Das stand schon in der Bibel: Unter Schmerzen sollst du gebären. Das ist medizinisch aber nicht korrekt – und absolut ungerecht den Betroffenen gegenüber.“ Denn es führt dazu, dass manche Menstruierende ihre wiederkehrenden, krampfartigen Schmerzen nicht behandeln lassen. Sei es, weil sie selbst glauben, dass sie diese aushalten müssen. Oder weil ihr Umfeld, vielleicht sogar Ärztin oder Arzt ihnen das Gefühl gibt, selbst heftige Menstruationsbeschwerden seien „normal“.

Starke Regelschmerzen als Hinweis auf Endometriose

Anna Adamyan wechselte viermal die gynäkologische Praxis, bevor sie Hilfe fand. Eine Berliner Gynäkologin stellte 2015 die Verdachtsdiagnose Endometriose. Endometriose ist eine krankhafte Wucherung der Gebärmutterschleimhaut. „Das Innere der Gebärmutter entwickelt kleine Risse und durch diese wächst die Schleimhaut in die Muskelschicht der Gebärmutter ein“, sagt Mandy Mangler, die in ihrem Podcast „Gyncast“ unter anderem auch über Menstruationsschmerzen aufklärt. „Die Gebärmutterschleimhaut wird porös, dann kann Gebärmutterschleimhaut in den Bauchraum verschleppt werden. Das kann schmerzhaft sein.“ Zellen der Gebärmutterschleimhaut können sich auch in anderen Körperteilen ansiedeln. Wie und warum sie dies tun, ist bislang unklar. Doch diese versprengten Zellen sind mitunter mitverantwortlich für die wiederkehrende Dysmenorrhö der Betroffenen. Weitere Symptome sind starke Blutungen aber auch eine eingeschränkte Fruchtbarkeit.

Der lange Weg bis zur Diagnose

Das Problem: Bislang lässt sich eine Endometriose nur mittels einer Bauchspiegelung (Laparoskopie) diagnostizieren. Ein Eingriff unter Vollnarkose. Insbesondere bei jungen Patientinnen wünscht sich die Gynäkologin Mangler deshalb, es gäbe eine Alternative. „In diesem Bereich wurden zu wenig Forschungsgelder investiert, weshalb die Bauchspiegelung leider immer noch der Goldstandard ist.“ Adamyan wurde noch im gleichen Jahr ihrer Verdachtsdiagnose operiert. Für sie eine positive Erfahrung: „Als ich aus der Narkose aufwachte und erfuhr, dass Endometriose-Herde gefunden wurden, war das eine riesige Erleichterung für mich.“ So geht es auch anderen Erkrankten: Viele wechseln von einer Praxis zur nächsten, weil sie sich mit ihren Beschwerden nicht ernstgenommen fühlen. Bis sie eine Diagnose erhalten, können bis zu zwölf Jahre vergehen.

Selbsthilfe mit dem Schmerztagebuch

Wiederkehrende starke Menstruationsschmerzen können ein Hinweis auf eine Endometriose sein – aber auch auf andere Erkrankungen wie Uterusmyome, also gutartige Tumore, oder entzündliche Prozesse im Bauchraum. In jedem Fall sollten die Menstruationsschmerzen frühzeitig und ausreichend therapiert werden, damit kein Schmerzgedächtnis entsteht. Der Begriff umfasst verschiedene Veränderungen im Nervensystem, die dazu führen, dass Schmerzen sich verselbständigen: Sie treten auf, obwohl kein äußerer Reiz vorhanden ist. Was Betroffenen helfen kann: ein Schmerztagebuch zu führen. Anna Adamyan hielt ihre Schmerzen erst handschriftlich fest, später auch digital. „Ich finde es extrem hilfreich für den eigenen Überblick. Vor allem, wenn man neue Therapien ausprobiert. Verändert sich etwas? Verbessert sich eventuell etwas? All das sind wertvolle Informationen.“ Und das nicht nur für Menstruierende, sondern genauso für die Menschen, die sie behandeln.

Regelschmerzen und PMS per App tracken

Ein solches digitales und interaktives Schmerztagebuch erprobt die Barmer derzeit mit verschiedenen Partnerinnen und Partnern mit dem Projekt „MeMäF“. Das Kürzel steht für „Verbesserung der Frauengesundheit mit einem digital unterstützten Versorgungsmodell für Mädchen und junge Frauen mit Menstruationsschmerzen“. Insgesamt 3.000 Mädchen und junge Frauen im Alter von 16 bis 24 Jahren erhalten dazu im Rahmen des Projekts eine Smartphone-App namens period.. In dieser können sie ihre Schmerzen dokumentieren. period. vermittelt jedoch auch Informationen zum Zyklus, zur Ursache von Menstruationsschmerzen oder praktische Anleitungen zur Selbstfürsorge. „Durch den digitalen Ansatz erleichtern wir den Zugang zu Informationen und Self-care-Behandlungsansätzen wie zum Beispiel Selbstmassage, Yoga oder Akupressur. Es besteht auch mehr zeitliche Flexibilität und es können persönliche Schwerpunkte gesetzt werden“, so die Projektleiterin Professor Dr. Claudia Witt vom Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie der Berliner Charité.

Mädchen und junge Frauen zwischen 16 und 24 Jahren, die unter wiederkehrenden Menstruationsschmerzen leiden, können sich noch bis zum 31. August 2024 für eine Teilnahme beim Innovationsprojekt „MeMäF“ einschreiben und so die period.-App nutzen. Wie die Einschreibung funktioniert, ist hier beschrieben: www.barmer.de/period-app

Spezielle Behandlungsmöglichkeiten

Die App hat jedoch noch eine weitere Aufgabe. Im Laufe von drei Monaten dokumentieren die Teilnehmenden ihre Beschwerden. Nutzerinnen mit hohem Risiko für eine Endometriose lassen sich so identifizieren. 220 von ihnen erhalten dann das Angebot, sich in spezialisierte Versorgung zu begeben. Claudia Witt: „Sie werden zu einer speziellen Behandlung am Endometriosezentrum der Charité eingeladen. Diese besteht aus Arztgespräch, erweitertem Ultraschall, Physiotherapie, gesundheitspsychologischen Gesprächen und einer Ernährungsberatung.“ Indem sie frühzeitig festgestellt werde, ließe sich die Endometriose besser therapieren und idealerweise sogar eindämmen. Ist das Projekt erfolgreich, besteht die Aussicht, dass der gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) eine positive Empfehlung zur Überführung in die Regelversorgung abgibt. Damit steht dieses Angebot dann auch Nutzerinnen zur Verfügung, die nicht am Forschungsprojekt teilnehmen.

App erkennt Anzeichen für Endometriose

period. ist jedoch mehr als Hilfe zur Selbsthilfe. Indem sie ihre Daten bereitstellen, tragen die Nutzenden dazu bei, dass Menstruationsschmerzen weiter erforscht werden. So kann die innovative digitale Lösung einerseits beitragen, diese zu reduzieren, aber auch Erkrankungen wie eine Endometriose frühzeitig zu diagnostizieren. Für die Barmer ist das Projekt ein Weg, um junge Frauen dabei zu unterstützen, gemeinsam mit ihren Ärztinnen und Ärzten gute Entscheidungen für die eigene Gesundheit zu treffen. Der Ansatz zeigt, wie digitaler Fortschritt verantwortungsvoll zu einer besseren Versorgung beitragen kann – im Sinne der Menschen und nicht aus reinem Selbstzweck.

Wer mit Endometriose lebt, hat unter Umständen Schwierigkeiten, schwanger zu werden. Bei Anna Adamyan hat es nach vielen Versuchen nun endlich geklappt. Ein schöner Nebeneffekt: Derzeit stillt sie und hat ihre Periode nicht. „Dadurch habe ich weniger Endometriose-Symptome. Hin und wieder zieht es in meinem Unterleib, aber das ist kein Vergleich zu meinen früheren Schmerzen. Insgeheim hoffe ich, dass ich in Zukunft etwas verschont bleibe.“ Die period.-App kann dazu beitragen, dass junge Frauen in Zukunft frühzeitig die richtige Behandlung erhalten. Und dass Menstruierende ihre Periode als weniger schmerzhaft erleben und so ihren Alltag besser bewältigen können.

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