Als biomedizinische Wissenschaftlerin forschte Ann-Kathrin Vlacil über drei Jahre am
Universitäts-Klinikum Marburg an einer Studie zu Mikroplastik. In der Arbeitsgruppe „Experimentelle Kardiologie“ ging sie der Frage nach, ob und wie sich Mikroplastik auf den menschlichen Körper auswirkt. Im Interview spricht die Forscherin über ihre Ergebnisse und erklärt was Mikroplastik für unsere Gesundheit so gefährlich macht.
Frau Dr. Vlacil, das Thema Mikroplastik beschäftigt Sie schon länger. Wie sind Sie darauf aufmerksam geworden?
Dr. Ann-Kathrin Vlacil: Die Idee, dass Mikroplastik auch aus biomedizinischer Sicht interessant sein könnte, kam mir tatsächlich während einer Konferenz in Maastricht im Jahr 2018. Damals bekamen alle Konferenzteilnehmenden Kaffee nur im Plastikbecher. Das verursachte eine riesige Menge Plastikmüll und hat mich sehr geärgert. Damals hatten umweltbiologische Studien auch schon negative Auswirkungen von Mikroplastik auf Meerestiere gezeigt.
Für mich war es deshalb etwas blauäugig davon auszugehen, dass der Organismus Mensch davon nicht betroffen ist. Deshalb habe ich diese Projektidee in unserem Labor in Marburg vorgestellt. Seitdem untersuchen wir, ob und wie sich Mikroplastik auf die Herz-Kreislauf-Gesundheit auswirkt.
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Wenn man sich mit dem Thema beschäftigt, heißt es häufig, dass es keine klare Definition für Mikroplastik gibt. Was ist Mikroplastik aus Ihrer Sicht?
Dr. Ann-Kathrin Vlacil: Tatsächlich ist das Thema Mikroplastik noch sehr jung. Aus diesem Grund gibt es keine allgemeingültige Definition. Generell handelt es sich bei Mikroplastik um alle Plastikpartikel, die zwischen 5 mm und 1 Mikrometer (0,001 Millimeter) groß sind. Es gibt jedoch auch kleinere Partikel, sogenanntes Nanoplastik.
Mikroplastik hat bekanntermaßen einen negativen Einfluss auf Umwelt und Menschen. Was macht es denn so gefährlich und nehmen wir das Thema überhaupt ernst genug?
Dr. Ann-Kathrin Vlacil: Die Gefahr von Mikroplastik liegt meiner Meinung nach darin, dass es sich in vielen Regionen und den dort lebenden Organismen ausgebreitet hat. Beispielsweise wurde im Jahr 2020 eine neue Art von Tiefseekrebsen entdeckt, die den klangvollen Namen Eurythenes Plasticus trägt. Diese kleine Tiefseekrabbe hatte eine PET-Mikroplastikfaser in sich. So erreichte unser Abfall dieses Krebstier, bevor wir es zum ersten Mal sahen. Dies ist ein sehr anschauliches Beispiel dafür, wie weit diese Problematik bereits reicht.
Das zweite Problem steckt schon im Namen Mikro. Es ist sehr klein. Und je kleiner die Partikel, desto gefährlicher werden sie auch aus biologischer Sicht, weil sie biologische Barrieren leichter überwinden können.
Das klingt besorgniserregend.
Dr. Ann-Kathrin Vlacil: Mikroplastik ist auch ein Trojanisches Pferd, da es ganz viele Trittbrettfahrer mit sich bringt. Es nimmt toxische Stoffe aus der Umwelt auf. Ich denke dabei vor allem an organische Stoffe, Pestizide oder zugesetzte Weichmacher. Sie heften sich an dieses Mikroplastik und können dann wie ein Trojanisches Pferd in uns eindringen und noch größeren Schaden anrichten als das Mikroplastik selbst.
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Wie sieht denn die Forschung zu Mikroplastik aus?
Dr. Ann-Kathrin Vlacil: Das Interesse wächst nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch in der Wissenschaft. Wir haben 2019 mit unserer Forschung begonnen und wussten noch nicht viel. Was mich aber freut, ist, dass dieses Interesse in den letzten zwei, drei Jahren deutlich zugenommen hat.
Derzeit werden viele Anstrengungen unternommen, um das Ausmaß der Mikroplastikbelastung beim Menschen zu untersuchen. Das war bisher eine Kritik an unserer Forschung. Wir haben in der Zellkultur mit unseren Experimenten begonnen, ohne zu wissen, ob und wie sehr der Mensch belastet ist. Nun wurde in den Niederlanden und Österreich beispielsweise nachgewiesen, dass sowohl im Blut als auch im Darm Mikroplastik zu finden ist. Das ist traurig zu hören, aber ein wichtiger Schritt für die Forschung.
Eine Studie der Umweltstiftung WWF kommt zu dem Ergebnis, dass wir Menschen pro Woche fünf Gramm Mikroplastik zu uns nehmen. In welchen Lebensmitteln tritt Mikroplastik auf?
Dr. Ann-Kathrin Vlacil: Natürlich wissen wir, dass Meeresfrüchte jede Menge Mikroplastik enthalten. Aber auch in Milch, Bier und normalem Trinkwasser wurde Mikroplastik nachgewiesen. Wenn Sie sich als Verbraucher hinterfragen, wie viele Lebensmittel in Plastik eingepackt sind, ist das nicht weiter verwunderlich.
Ich befürchte, dass es nur wenige Lebensmittel gibt, von denen man sicher sagen kann, dass sie kein Mikroplastik oder Nanoplastik enthalten. Vieles wissen wir einfach noch nicht konkret, da Mikroplastik und Nanoplastik äußerst schwer nachzuweisen sind. Dort sind wir auf den technologischen Fortschritt angewiesen.
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Gibt es auch andere Wege, wie wir Mikroplastik aufnehmen?
Dr. Ann-Kathrin Vlacil: Neben der Verdauung nehmen wir Mikroplastik auch über die Atemwege und über die Haut auf. Bevor ich mich mit diesem Thema auseinandergesetzt habe, wusste ich zum Beispiel nicht, dass Mikroplastik Teil von Feinstaub ist. Die größte Mikroplastikproduktion ist der Reifenabrieb. In Deutschland produzieren wir dadurch jährlich durchschnittlich 1 Kilogramm pro Person. Stellen Sie sich also eine mit Mikroplastik gefüllte Milchtüte vor, die Sie einmal im Jahr in die Luft werfen. Wohnt man in einer Großstadt, ist die Belastung natürlich deutlich höher.
Im Wissenschaftsmagazin PLOS ONE (2021) kamen Sie mit Ihrem Team zu der Erkenntnis, dass Mikroplastik ein neuartiger Risikofaktor für Gefäßerkrankungen sei. Könnten Sie dies einmal genauer erläutern?
Dr. Ann-Kathrin Vlacil: Wir haben Mikroplastik zunächst in Zellkulturexperimenten untersucht. Dabei haben wir herausgefunden, dass Endothelzellen eine Entzündungsreaktion auslösen, die wiederum andere Zellen aktivieren und rekrutieren.
Dieses Alarmsignal haben wir stark erhöht wahrgenommen, nachdem wir das Mikroplastik an den Zellen getestet haben. Weitere Studien laufen derzeit insbesondere an Mäusen. Diese Studien sind notwendig, um die Folgen von Mikroplastik auf Organismen besser zu verstehen.
Welche weiteren Risiken und Auswirkungen entstehen durch Mikroplastik?
Dr. Ann-Kathrin Vlacil: Was wir in unseren Forschungen beobachtet haben, sind Entzündungsreaktionen. Eine Entzündung mag zunächst harmlos erscheinen, sollte aber nicht unterschätzt werden.
Wenn wir über längere Zeit Mikroplastik aufnehmen, kann es zu einer chronischen Entzündungsreaktion kommen, die eine Vielzahl von Erkrankungen hervorrufen können. In unserem Fachgebiet der Kardiologie ist es die Arteriosklerose, die Grundlage für Herzinfarkt und Schlaganfall sein.
Sie sagten bereits, dass Mikroplastik aus dem Abrieb und der Abnutzung von größeren Kunststoffobjekten wie zum Beispiel Autoreifen stammt. Doch auch durch Zahnpasta, Reinigungsmittel und Kosmetik gelangt Mikroplastik in die Umwelt. Gibt es dafür klimafreundliche Alternativen zu Mikroplastik?
Dr. Ann-Kathrin Vlacil: Dabei handelt es sich vor allem um die primären Mikroplastikpartikel, die gezielt hergestellt werden. Wir nutzen sie zum Beispiel auch als Abrieb in einem Peeling. Das Problem ist, dass diese Mikroplastikpartikel leider mit dem Leitungswasser in unser Grundwasser geschwemmt werden.
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Es ist wichtig, dass dieser Prozess reguliert wird. Meiner Meinung nach ist der Plastikmüll, den wir bereits schon haben, ein noch größerer Faktor. Das sind Mengen, die wir überhaupt noch nicht absehen können. Hier gilt es vor allem selbst und auf politischer Eben etwas zu verändern.
Auch die Umwelt leidet unter der Belastung von Mikroplastik. Wie genau?
Dr. Ann-Kathrin Vlacil: Da es nahezu überall vorkommt, hat es unterschiedliche Auswirkungen auf Ökosysteme. Es wirkt sich aber auch auf die Lebensumgebung der Organismen aus, die es dann aufnehmen. Ich denke, die Gesellschaft ist sich der Problematik mit Mikroplastik durchaus bewusst, würde sich aber gern einen Leitfaden von der Politik wünschen.
Es gibt sicherlich eine Reihe von Ansätzen, die man in Angriff nehmen könnte, um Mikroplastik in unserer Umwelt zu reduzieren. Dabei geht es nicht nur um die Neuproduktion, sondern auch um die Zersetzung von Abfällen über Jahrzehnte hinweg. Die großen Plastikinseln in den Ozeanen, die wir heute sehen, werden in den nächsten Jahren immer weiter Mikroplastik in die Umwelt geben.
Sind das nicht ziemlich schlechte Vorzeichen für die Zukunft?
Dr. Ann-Kathrin Vlacil: Wir Forschende möchten keine Panik auslösen. Aber wir sind uns einig, dass dieses Problem angegangen werden muss. Mikroplastik und Nanoplastik häufen sich in unserer Umwelt an, das ist Fakt. Dies kann Ökosysteme beeinträchtigen oder sogar zerstören. Wir hoffen, so bald wie möglich weitere Ergebnisse liefern zu können.
Jeder von uns sollte weniger Plastik konsumieren. Aber vielleicht gibt es auch Gegenmaßnahmen im biologischen Sinne? Können wir Mikroplastik auch aus unserem Körper entfernen? Es wird wichtig sein, dies durch zukünftige Forschung zu erfahren.
Und wie gehen die Forschungen zu diesem Thema weiter?
Dr. Ann-Kathrin Vlacil: Unsere Arbeitsgruppe untersucht derzeit anhand von Mausmodellen die Auswirkungen von Mikroplastik und Nanoplastik auf Organismen. Wir wollen die Risikofaktoren von Mikroplastik besser verstehen. Sobald wir dies erreichen, werden wir in der Lage sein, bessere Aussagen über die Rolle von Mikroplastik für die Herz-Kreislauf-Gesundheit des Menschen zu machen.
Vielen Dank für das Gespräch!