Eine Frau sitzt auf dem Balkon und schaut auf ihren Laptop
Nachhaltigkeitsbericht

Gemeinsam vor Hitze schützen

Lesedauer unter 9 Minuten

Redaktion

  • Jessica Braun

Qualitätssicherung

  • Dr. Katharina Scherber (bifg)

Hitzewellen werden in Europa häufiger und intensiver. Doch starke Hitze hat Folgen für die Gesundheit. Was tun? Immer mehr Initiativen im Gesundheitswesen und in der Gesellschaft arbeiten am Hitzeschutz. Auch die Barmer.

Es braucht viel Mut, gegen das eigene Land vor Gericht zu ziehen. Und Ausdauer. Entsprechend groß war die Freude der Schweizer KlimaSeniorinnen, als der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im April 2024 ihrer Klage Recht gab: Die Schweiz schütze ihre ältere Bevölkerung nicht ausreichend vor den Folgen der Klimakrise. Sie habe damit die Menschenrechte der Klägerinnen verletzt. „Wir haben immer darauf gehofft, dass wir mit unserer Klage Erfolg haben“, sagt Rosmarie Wydler-Wälti. „Aber damit gerechnet haben wir nicht.“

Hitze verursacht Gesundheitsprobleme

Wydler-Wälti Rosmarie

Rosmarie Wydler-Wälti, Co-Präsidentin der KlimaSeniorinnen

Rosmarie Wydler-Wälti ist Co-Präsidentin der KlimaSeniorinnen. Angeregt von der Umweltschutzorganisation Greenpeace schlossen diese sich 2016 zusammen, um die Klimapolitik ihres Landes zu verändern. Ihre Argumentation: Die Klimakrise bringt mehr und intensivere Hitzewellen und unter diesen leiden vor allem ältere Frauen. Eine Benachteiligung, die das gerichtliche Vorgehen erst möglich machte: In der Schweiz dürfen nur solche Gruppen eine Klage einreichen, die stärker als andere betroffen sind. Von der ersten Beschwerde beim Bund kämpften sich die Frauen über acht Jahre vor bis nach Straßburg. Es war das erste Mal, dass sich der Gerichtshof dort mit einem Klimafall befasste. Und erstmals wurde ein Land wegen mangelnden Klimaschutzes seiner Bevölkerung verurteilt. Nun muss die Schweiz nachbessern – und wahrscheinlich auch andere europäische Länder.

Besonders von Hitze betroffen: ältere Menschen, Pflegebedürftige, Personen mit chronischen Erkrankungen, Schwangere, Säuglinge und Kinder

Hitzeextreme gefährden Gesundheit und Leben. Verglichen mit anderen Folgen des Klimawandels fordern sie die meisten Todesopfer. In Europa zeigte sich dies erstmals im Sommer 2003 in vollem Ausmaß. „Damals kam es europaweit zu etwa 70.000 hitzebedingten Todesfällen“, sagt Dr. Katharina Scherber. Die Geografin ist am Barmer Institut für Gesundheitssystemforschung (bifg) Expertin für das Thema Klimawandel und Gesundheit. „Darunter waren vor allem ältere Menschen: häufig alleinlebend, pflegebedürftig oder mit Vorerkrankungen.“ Des Weiteren gehören zu den Risikogruppen Menschen mit Übergewicht, mit Abhängigkeitserkrankungen, wohnungslose und sozial benachteiligte Menschen und die im Freien körperlich schwer arbeiten. Hitze gefährde aber auch junge Personen, betont die Wissenschaftlerin, zum Beispiel solche, die viel Sport treiben, Schwangere, Säuglinge oder Kinder

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Hitzeaktionspläne benennen notwendige Maßnahmen

Besonders hart traf es 2003 Frankreich. Infolge dessen stellte das Land in nur einem Jahr einen so genannten Hitzeaktionsplan auf. Dieser beschreibt Risiken, zeigt auf, wie sich gegensteuern lässt und regelt landesweit, wer dafür zuständig ist, die entsprechenden Schritte umzusetzen. Also zum Beispiel, wie besonders gefährdete Menschen zu erreichen sind und wessen Verantwortung es ist, sie zu kontaktieren, wenn eine Hitzewelle droht.

Während manche europäischen Länder wie Österreich, England oder Portugal dem französischen Beispiel folgten, gibt es in Deutschland bislang keine einheitliche Regelung. Das liegt am föderalen System. Der Bund kann die Länder und Kommunen zwar motivieren, Hitzeaktionspläne zu erstellen. Verpflichten kann er sie nicht. Auch für die Einrichtungen des Gesundheitswesens sind Hitzeaktionspläne bislang nur freiwillige Maßnahmen.

Hitzeschutz zuhause und am Arbeitsplatz

Heiße Sommer werden in Deutschland häufiger. Lange Wärmeperioden verbinden viele Menschen hierzulande vor allem mit Baden gehen und Eis essen. Für sie fühlt es sich erstmal gut an, wenn die Temperaturen anfangen, über 20 Grad zu klettern und sie in lauen Nächten draußen sitzen können. Insbesondere Städte verwandeln sich während anhaltender heißer Tage oder Wochen jedoch in Hitzeinseln. Eine ganze Reihe von Kommunen, Institutionen aber auch private Akteurinnen und Akteure sind deswegen bereits im Hitzeschutz aktiv. So bezuschusst die Stadt Münster beispielsweise im Rahmen eines Förderprogramms Gründächer. Diese können Dachflächen isolieren, sammeln Regenwasser und kommen dazu auch bei Insekten gut an. In Dresden informiert das „Hitze-Handbuch“ über das Stadtklima, erläutert die gesundheitlichen Folgen von hohen Temperaturen und gibt Beschäftigten Tipps, wie sich Büros kühl halten lassen. Hannover unterstützt finanziell mehrere Einrichtungen, die Wohnungslose mit Trinkwasser und Sonnenschutz versorgen.

Versiegelte Flächen schaffen Wärmeinseln in der Stadt

In Recklinghausen informiert seit 2021 ein eigenes Klimaportal zu Maßnahmen und Neuerungen. Eine Datenanalyse darauf zeigt: Ausgerechnet die Recklinghausener Krankenhäuser, Seniorenwohneinrichtungen und Kindergärten liegen in besonders von Hitze belasteten Gebieten. Das sei nicht ungewöhnlich, sagt Katharina Scherber: „Wärmeinseln können sich überall in der Stadt bilden. Zum Beispiel dort, wo es wenig Grün und viele versiegelte Flächen gibt. Auch umliegende Gebäude können Wärme gut speichern.“ Dort, wo sich Menschen mit Erkrankungen oder Pflegebedürftige aufhalten, sind anhaltend hohe Temperaturen jedoch ein Problem. „Sensible Einrichtungen, die in Wärmeinseln liegen, kühlen oft auch nachts nicht richtig ab – gerade dann, wenn der Körper sich erholen muss.“

Besserer Hitzeschutz in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen

Das Gesundheitswesen reagiert auf die Anforderungen. Doch teilweise zu langsam, bemängelte der Vorsitzende der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG) Martin Herrmann anlässlich des diesjährigen Hitzeaktionstages: „Es kann nicht sein, dass es in den nächsten Jahren noch Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen oder Arbeitgeber gibt, die sich mit Hitzeschutz nicht beschäftigt haben.“ Ein positives Beispiel ist das Berliner Unfallkrankenhaus. Seit vier Jahren gibt es in der Klinik ein Klimateam. Dieses hat einen Maßnahmenplan entwickelt, mit dem sich zum Beispiel gefährdete Patientinnen und Patienten, aber auch besonders von Hitze betroffene Angestellte identifizieren lassen. Der Plan zeigt zudem die Räume im Gebäude, die sich besonders aufheizen. Darüber hinaus weist er jene Medikamente aus, die hitzeempfindlich sind. 

Hestermann Annika

Annika Hestermann, Fachreferentin für Prävention

Mitarbeitende für richtiges Verhalten bei Hitze sensibilisieren

Um solche wichtigen Informationen in Pflegeeinrichtungen und Kitas zu tragen, kooperiert die Barmer mit der Initiative KLUG. „Wir haben eine Veranstaltung für pflegende Angehörige, Pflegeeinrichtungen und ambulante Pflegedienste initiiert“ sagt Annika Hestermann, bei der Barmer Fachreferentin für Prävention. „Beispielsweise empfinden Menschen mit Demenzerkrankungen Durst nicht mehr so stark. Sie sollten regelmäßig zum Trinken animiert werden.“ In Kitas fokussiert sich das Engagement der Barmer auf die Themen UV-Schutz und Erste Hilfe bei Hitzeerkrankungen. „Bei Kleinkindern ist der körpereigene Schutz gegen zu hohe Temperaturen noch nicht voll entwickelt. Dafür wollten wir die Kita-Mitarbeitenden sensibilisieren“, so Hestermann.

Ratgeber Christine

Christine Ratgeber, Hitzepatin

Ältere Menschen vor Hitze schützen

Auch in den Kommunen finden sich wegweisende Initiativen. „Die vergangenen Sommer waren in Straubing sehr heiß. Insbesondere in der Innenstadt“, sagt Christine Ratgeber. „Das macht es für ältere oder kranke Personen anstrengend, aus dem Haus zu gehen.“ Ratgeber, selbst Rentnerin, gehört zu Straubings ehrenamtlichen Hitzepatinnen. Von Juni bis September ist sie in der bayerischen Gemeinde im Einsatz: „Ich gehe ein bis zweimal pro Woche für ein älteres Ehepaar einkaufen.“ Eine Aufgabe, die ihr Spaß macht, sagt sie. „Die beiden schreiben mir extra die Route durch den Supermarkt auf, damit ich nicht nach Waren suchen muss. Das finde ich rührend.“ Nach dem Einkauf bliebe sie meist noch ein wenig, um sich mit dem Paar zu unterhalten. „Wenn man wegen der Hitze nicht rauskommt, kann man auch nicht mehr richtig am Leben teilnehmen.“ Ein wichtiger Punkt. Der österreichische Soziologe und Gerontologe Professor Franz Kolland hat untersucht, wie sich Wärmebelastung im sozialen Gefüge auswirkt: „Rückzug kann, insbesondere im Alter, zu sozialer Isolation führen“, sagte er in einem Interview. „Wird dann akut Hilfe gebraucht, zum Beispiel bei Dehydration, ist niemand zur Stelle.“

Mit nasser Wäsche Umgebung kühlen

Gemeinschaftsprojekte können dem entgegenwirken. In Karlsruhe zeigt Dorothee Rosenbauer, wie das geht. Die Physiklehrerin hatte die Idee, die für ihre Nachbarschaft charakteristischen Zugwäscheleinen zu reparieren und neue zu montieren. Wäsche draußen zu trocknen statt im Trockner spart einerseits Energie- und CO2 ein, ist also gut fürs Klima. Die Verdunstung sorgt zwischen den Häusern aber auch für ein kühleres Mikroklima – und für den einen oder anderen Plausch von Balkon zu Balkon. Rosenbauer gewann mit ihrem Konzept eine Ausschreibung der Nachbarschaftsplattform nebenan.de Dank des Preisgelds flattert nun wieder mehr bunte Wäsche in den Hinterhöfen der Karlsruher Südstadt.

Mehr Bäume für eine kühlere und nachhaltige Stadt

Die zuverlässigste Art, die Temperaturen in der eigenen Umgebung zu senken, ist jedoch dichtes Grün. „Bäume haben eine enorme Wirkung auf das Stadtklima“, sagt die Geografin Katharina Scherber. „Sie spenden Schatten und sorgen so dafür, dass sich Gebäude und Straßen weniger aufheizen und diese Wärme dann wieder abgeben. Die wichtigste Kühlleistung entsteht aber durch die Verdunstung, wenn die Bäume ausreichend Wasser mit versorgt sind.“ Nicht zu vergessen: Bäume speichern CO2 und filtern Schadstoffe aus der Luft. Das macht sie nahezu zu Superwaffen für eine nachhaltige Stadt. Für den Erhalt der Bäume im Quartier sorgt deshalb unter anderem eine Nachbarschaftsgruppe im Berliner Stadtteil Schöneberg: Die Anwohnenden sammeln Regenwasser, um Überschwemmungen vorzubeugen und gießen gemeinsam die Bäume.

Hitzebedingte Beschwerden rechtzeitig erkennen und bekämpfen

Allen, denen hohe Temperaturen gesundheitliche Probleme bereiten, hilft die Barmer auch 2024 wieder mit ihrer kostenlosen Hitzehotline. Unter der Telefonnummer 0800 84 84 111 beraten die Expertinnen und Experten zum Beispiel, wie sich hitzebedingte Beschwerden erkennen lassen und wie man bei Hitze richtig mit Medikamenten umgeht. Die Hotline ist täglich von 6 bis 24 Uhr zu erreichen. 

Weil Hitze nachweislich die Konzentrationsfähigkeit verringert, gibt es von der Kölner Band Klabes mentale Unterstützung. Die Band produzierte für das Projekt „Hitzeaktionsplan für Menschen im Alter“ der Stadt Köln einen Song in lokaler Mundart. Beschrieben werden darin die wichtigsten Maßnahmen zum Schutz vor sommerlicher Hitze. Ein Sommerhit der anderen Art, der sich aber auch ohne Kölsch-Vorkenntnisse verstehen lässt. Das sagt schon der Titel: „Drinke“.

Wo die Wärme zunimmt
Europa ist besonders von der Klimakrise betroffen. Der Kontinent erwärmt sich doppelt so schnell wie andere Erdteile. Wie sich der Klimawandel auf die eigene Region auswirkt, lässt sich prägnant durch sogenannte Warming-Stripes darstellen. Entwickelt hat dieses grafische Modell der Klimawissenschaftler Ed Hawkins. Farbige Streifen stellen hier die mittlere Jahrestemperatur eines bestimmten Orts oder einer Region dar. Angeordnet sind diese chronologisch seit Messbeginn. Das kälteste Jahr erscheint dunkelblau, das wärmste dunkelrot. Zu sehen ist hier die klimatische Entwicklung in der Stadt Düsseldorf und im Land Nordrhein-Westfalen

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