Ein junger Mann wäscht sich im Bad die Hände
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Waschzwang: Wenn sich alles um Reinlichkeit dreht

Lesedauer unter 8 Minuten

Redaktion

  • Barmer Internetredaktion

Qualitätssicherung

  • Viktoria Vida (Psychologin, Master of Science)

Ein Waschzwang ist keine Kleinigkeit. Betroffene leiden unter dem ständigen Drang, ihre Haut zu reinigen, sich etwa die Hände zu waschen. Wie ein Waschzwang entsteht, ab wann professionelle Hilfe nötig wird und welche Therapie helfen kann.

Den Einkaufswagen angefasst, Geld aus dem Portemonnaie geholt, jemandem die Hand geschüttelt – lieber mal die Hände waschen. Nein, da muss noch Dreck sein, besser nochmal ran an die Seife. Immer noch nicht genug, einmal noch. Huch, schon so spät, aber trotzdem: lieber nochmal waschen, bevor da doch noch ein Keim dranhängt. So kann es Menschen gehen, die unter Waschzwang leiden.

Egal ob Haut, Haar oder Hände – sich zu waschen ist ein menschliches Bedürfnis und es ist wichtig für die Gesundheit. Doch in manchen Fällen kann das Streben nach Reinlichkeit ein belastendes Ausmaß annehmen und zum Zwang werden: zum Waschzwang.

Was ist ein Waschzwang?

Der Waschzwang gehört zu den Zwangsstörungen und diese sind in Deutschland gar nicht so selten. Etwa zwei bis drei Prozent der Menschen leiden darunter. Gemäß DSM-5 – dem Diagnose-Manual der American Psychiatric Association – sind Zwangsstörungen folgendermaßen definiert: 

  • Eine Zwangsstörung ist durch das Vorliegen von Zwangsgedanken und/oder Zwangshandlungen gekennzeichnet.
  • Die Zwangsgedanken und/oder Zwangshandlungen sind übertrieben oder unbegründet. Die Betroffenen wissen das.
  • Die Zwangsgedanken und/oder Zwangshandlungen sind für die Betroffenen belastend, zeitaufwändig oder beeinträchtigen ihren Alltag.

Darüber hinaus sind die Zwangsgedanken oder -handlungen nicht auf Drogen oder Medikamente zurückzuführen und haben, sofern noch eine andere psychische Erkrankung vorliegt, diese nicht zum Inhalt.

Waschen gehört zu den verbreitetsten Zwangshandlungen, neben dem wiederholten Kontrollieren – etwa ob das Licht oder der Herd wirklich aus sind –, und kann durch verschiedene Zwangsgedanken ausgelöst werden. „Bei einem Waschzwang befürchten die Betroffenen eine Kontamination, eine Erkrankung oder irgendeine andere katastrophale Konsequenz, wenn sie sich nicht die Hände waschen“, sagt Stefan Koch, leitender Psychologe der Schön Klinik Roseneck in Prien am Chiemsee und Experte für Zwangsstörungen. Das wiederholte, ritualisierte Händewaschen wirkt zunächst kurzfristig beruhigend.“

Hintergrund: Zwangsgedanken und Zwangshandlungen

Die zwei zentralen Aspekte einer Zwangsstörung sind Zwangsgedanken und Zwangshandlungen. Mit Zwangsgedanken bezeichnen Fachleute jene wiederkehrenden und anhaltenden Gedanken, Impulse oder Vorstellungen, die Betroffene als unangemessen und aufdringlich wahrnehmen. Zwangsgedanken wecken Angst und Unbehagen.

Zwangshandlungen sind hingegen Verhaltensweisen, die Betroffene häufig wiederholen, weil sie sich durch Zwangsgedanken oder das Halten an strenge Regeln dazu gezwungen fühlen. Zwangshandlungen können körperliche Handlungen sein (Händewaschen, Ordnen, Kontrollieren). Es kann sich aber auch um gedankliche Zwangshandlungen handeln (Zählen, Beten, Wörter wiederholen). Im Kindheits- und Jugendalter treten häufig Zwänge auf, die dann irgendwann einfach wieder verschwinden.
 

Ab wann spricht man von einem Waschzwang?

Das Problem: „Typisch für Zwänge ist, dass die Wirksamkeit dieser beruhigenden Zwangshandlungen mit der Zeit abnimmt. Betroffene waschen sich immer häufiger und länger die Hände“, so Stefan Koch. Der kurzfristig beruhigende Effekt sei schnell verflogen. „Betroffene erleben ihr Ritual als unangenehm oder gar quälend und versuchen, die Gedanken oder das Verhalten zu unterdrücken. Aber sie fühlen sich dazu gezwungen, es doch zu tun.“

Das führt dazu, dass die Zeit, die Betroffene fürs Händewaschen aufwenden, kontinuierlich steigt. Genügt es zu Beginn, sich ein oder zwei Mal die Hände zu waschen, sind es bald schon einige Male mehr. Plötzlich merkt man, dass man zu spät loskommt, weil man sich fünf, zehn oder zwanzig Minuten lang die Hände gewaschen hat. In besonders schweren Fällen führen Betroffene die Zwangshandlung über Stunden aus und schaffen es nicht mehr, ihren Alltag zu bewältigen oder gar das Haus zu verlassen.

Ab wann genau die Störung beginnt, kann nicht allgemeingültig gesagt werden. Für die Diagnose spielen verschiedene Punkte eine Rolle: die Schwere der Symptome, aber auch das Ausmaß, in dem die Zwangsgedanken und -handlungen den Alltag Betroffener beeinträchtigen und Leid verursachen.

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Auslöser: Welche Ursachen hat ein Waschzwang?

Das Gefühl, sich immer und immer wieder waschen zu müssen, tritt in den meisten Fällen im Alter zwischen 18 und 25 Jahren auf. Die ersten Symptome gibt es bei den meisten Betroffenen zwar schon in der Kindheit – am häufigsten im Alter zwischen zehn und zwölf Jahren – doch als ernsthaftes Problem werden sie dann meist noch nicht empfunden. Oftmals verschwinden die Zwänge in diesem Alter wieder.

Was genau letztlich die Ursache dafür ist, dass ein Waschzwang entsteht, ist schwer zu sagen. Auf einen spezifischen Auslöser lässt sich die Krankheit meist nicht zurückführen. Expertinnen und Experten sprechen von einem multifaktoriellen Erklärungsmodell – mehrere verschiedene Faktoren haben einen Einfluss: 

  • Neurobiologische Erklärungsansätze: Die Gene spielen eine gewisse Rolle (30 bis 40 Prozent) und auch andere psychische Erkrankungen wie eine Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) oder eine Autismus-Spektrum-Störung (ASS) erhöhen die Wahrscheinlichkeit, eine Zwangsstörung zu entwickeln.
  • Prägende Erfahrungen: Hierzu zählen die Erziehung (übertrieben gewissenhaftes, strenges, unflexibles, ängstliches oder dominantes Auftreten der Eltern) sowie traumatische oder einschneidende Lebensereignisse.
  • Lerngesetze: Konditionierung verstärkt die entstandenen Zusammenhänge von Zwangsgedanken und erlösenden Zwangshandlungen.
  • Verzerrte Gedanken und Überzeugungen: Einige Denkfehler verstärken das Aufkommen von Zwangsstörungen (Überschätzung von Gefahr und persönlicher Verantwortung, zu hoher Perfektionismus, mangelnde Toleranz gegenüber Ungewissheit).
  • Umgang mit eigenen Gedanken: Versuchen Menschen zu stark, die eigenen Gedanken zu kontrollieren oder stufen sie sie als zu bedrohlich ein, kann das Zwänge verstärken.

Umgekehrt können Schutzfaktoren wie gute soziale Beziehungen zu Freunden und Verwandten, alternative Bewältigungsstrategien oder eine sinnstiftende Tagesstruktur die Entstehung von Zwängen verhindern. 

Hat Corona Waschzwänge begünstigt?

Ein Blick auf die breite Reihe von Einflussfaktoren zeigt: Zwangsstörungen sind eine komplexe Erkrankung. Dies kann auch ein möglicher Grund dafür sein, warum Koch und seine Kollegen in der Fachklinik für Psychosomatik seit Beginn der Corona-Pandemie keinen Anstieg der Anmeldezahlen von Zwangspatienten beobachtet haben.

„Die Idee, dass die Corona-Pandemie und die vermehrte Beschäftigung mit Händedesinfektion und Abstandsregeln zu Waschzwängen geführt haben könnten, ist naheliegend“, sagt Koch. „Und so ganz genau wissen wir auch noch nicht, ob es einen Zusammenhang gibt, weil es einige Jahre dauern kann, bis sich eine Zwangsstörung so stark ausgeprägt hat, dass sich jemand Hilfe sucht.“ 

Im Durchschnitt vergehen sechs bis acht Jahre, bis Zwangserkrankte spezifische Behandlung finden. „Es gibt einzelne Hinweise darauf, dass bestimmte Zwänge leicht zugenommen haben könnten“, sagt der Psychologe. „Das dürfte allerdings vor allem daran liegen, dass die Pandemie ein großer Stressfaktor war. Vielleicht hat sie das Entstehen hier und da etwas begünstigt oder auch zu Rückfällen geführt. Aber es ist sicher nicht so, dass die Pandemie bei gesunden, stabilen Menschen häufiger einen Waschzwang ausgelöst hat.“

Eine Frau mit FFP2-Maske steht am Fenster.

Ob Zwangsstörungen wie Waschzwang durch die Corona-Pandemie wirklich häufiger geworden sind, lässt sich noch nicht sicher bestimmen.

Welche Folgen hat ein Waschzwang?

Menschen mit Waschzwang leiden einerseits psychisch daran, dass sie es nicht schaffen, ihre Zwänge zu unterdrücken. Je stärker der Waschzwang ausgeprägt ist, desto mehr Zeit benötigen Betroffene zudem für ihr Ritual – Zeit, die ihnen anderswo fehlt. So führt der Waschzwang auch dazu, dass Betroffene Haushaltstätigkeiten, ihren Job oder ihre Hobbys vernachlässigen oder keine Freunde mehr treffen – was das Leid zusätzlich verstärkt.

Andererseits bringt das Waschen auch körperliche Probleme mit sich. Ab einem gewissen Grad schadet es der Haut, die austrocknet und porös wird. Keime gelangen so leichter in den Körper. Nicht selten entstehen Entzündungen. In der Regel wissen die Betroffenen auch, dass das exzessive Waschen ihrem Körper schadet, trotzdem sie haben das Gefühl, es tun zu müssen, um sauber zu sein.

Wann brauchen Betroffene professionelle Hilfe? 

Der richtige Zeitpunkt, um sich wegen zwanghafter Gedanken oder Verhaltensweisen professionelle Hilfe zu suchen, ist: so früh wie möglich. Bis zu einem gewissen Grad verschwinden bestimmte Zwangsgedanken und -handlungen zwar wieder, irgendwann werden sie jedoch stärker und sind schwieriger zu behandeln. Ob man betroffen ist, testen die beiden Psychologinnen Naomi Fineberg und Ann Roberts anhand von fünf Fragen (Zohar-Fineberg Obsessive Compulsive Screen):

Diagnostikfragen in Bezug auf Zwangsstörungen allgemein

  1. Waschen und putzen Sie sehr viel?
  2. Kontrollieren Sie sehr viel?
  3. Haben Sie quälende Gedanken, die Sie loswerden möchten, aber nicht können?
  4. Brauchen Sie für Alltagstätigkeiten sehr lange?
  5. Machen Sie sich Gedanken um Ordnung und Symmetrie?

Sollte eine Frage davon mit „ja“ beantwortet werden und jemand zudem eine „deutliche Beeinträchtigung“ erleben, besteht den Expertinnen zufolge der Verdacht auf eine Zwangsstörung (der Kurz-Fragebogen ist nicht explizit auf Waschzwänge ausgerichtet). Es ist ratsam, sich professionelle Hilfe zu holen, um dies abzuklären.

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Was kann man bei einem Waschzwang tun?

Therapie gegen Waschzwang

Die gute Nachricht: Zwangsstörungen lassen sich meist gut behandeln, etwa mit einer Psychotherapie. „Die Behandlungsleitlinie empfiehlt sehr klar eine Verhaltenstherapie mit Expositionen“, sagt Koch. Betroffene setzen sich also in therapeutischer Begleitung jenen Situationen aus, die ihre Zwangshandlungen auslösen. 

„Die Patientinnen und Patienten müssen sich mit Therapeutinnen und Therapeuten in Situationen begeben, sich also die Hände schmutzig machen oder eine Türklinke anfassen. Sie müssen die Erfahrung machen, dass sie die Situationen auch ohne ihre Rituale bewältigen können“, erklärt Koch. „Die Behandlung ist ziemlich wirksam und etwa 70 bis 80 Prozent der Patientinnen und Patienten können ihre Zwänge bedeutsam verringern.“

Nicht bei allen Betroffenen würden die Zwänge komplett verschwinden, so der Experte. Aber auch bei schweren Fällen könne man in der Regel eine spürbare Besserung erreichen. „Unser Ziel in der Behandlung ist letztlich immer Normalität, also ein möglichst normales Leben führen und den Alltag bewältigen zu können.“

Tipps bei Hautschäden durch Waschzwang 

  • Verwenden Sie hautfreundliche Flüssigseifen, die mit „ph-hautneutral“ oder „pH 5,5“ gekennzeichnet sind.
  • Pflege Sie Ihre Hände mit feuchtigkeitsspendenden Cremes.
  • Eingerissener oder poröser Haut können spezielle, fetthaltige Pflegecremes helfen. Lassen Sie sich in der Apotheke beraten.
  • Verwöhnen Sie Ihre Hände mit Ölbädern: einen Esslöffel Oliven- oder Mandelöl in eine Schale mit lauwarmem Wasser geben und die Hände darin baden.

Literatur und weiterführende Informationen

  • Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (Abruf vom 15.09.2023): S3-Leitlinie Zwangsstörungen
  • Naomi Fineberg und Ann Roberts: Obsessive compulsive disorder: a twenty-first century perspective (2001)
  • Peter Falkai und Hans-Ulrich Wittchen: Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen DSM-5 (2018)
  • Stefan Koch, Daniel Bähring und Ulrich Voderholzer: Ratgeber Zwangsstörungen (2023)
  • Ulrich Voderholzer et al.: Behandlung von Zwangsstörungen (2021)
  • Ulrich Voderholzer et al. (Abruf vom 15.09.2023): Versorgung Zwangserkrankter mit kognitiver Verhaltenstherapie als Behandlungsmethode erster Wahl
     

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