Burn-on – so wird ein Zustand im Dauerstress genannt, der psychische und physische Beschwerden verursacht. Zwar kommt es nicht wie beim Burnout zum Zusammenbruch, doch auch die chronische Überlastung muss ernstgenommen werden, sagen Psychologinnen und Psychologen. Was hinter dem Syndrom steckt und wie man ihm entkommt.
Feierabend? Wenn Mark Jakobs (Name von der Redaktion geändert) aus Hamburg ganz ehrlich ist, ist das eine Art Fremdwort für ihn. Kurz nach dem Aufstehen setzt der Kaufmann sich das erste Mal an seinen Laptop, um sich einen Überblick über den Tag zu verschaffen.
Nachdem er die Tochter in die Kita gebracht hat, geht es ab ins Büro, wo sich Videocalls, Kundentelefonate, Sprachnachrichten aneinanderreihen. Ab fünf Uhr nachmittags, wenn der 45-Jährige wieder nach Hause kommt, warten die ersten Mails seines Chefs aus Texas.
Kurz bevor er ins Bett geht, checkt er ein letztes Mal das Postfach, dazwischen quetscht er Mittag- und Abendessen, unregelmäßige Sporteinheiten plus die Aufgaben, die zu seinem Anteil an der Familienorganisation gehören.
Immer wieder geistert ihm das Wort „Burnout“ durch den Kopf: „Ich bin immer am Limit, schlafe schlecht, habe oft Kopfschmerzen und frage mich, wo ich bei der ganzen Sache bleibe“, sagt er. „Was gegen ein Burnout spricht, ist, dass ich meine Arbeit eigentlich gern mache und es ja letztlich auch packe. Es ist nur zu viel. Viel zu viel.“
Ein neues Schlagwort beschreibt dieses Gefühl, (immer) kurz vor dem Burnout zu stehen: Er heißt Burn-on und beschreibt genau jene Menschen, die wie Mark so viel leisten, dass sie permanent gestresst und erschöpft sind – aber noch funktionieren. Menschen, die weiterbrennen statt auszubrennen.
Geprägt haben den Begriff Timo Schiele und Berndt te Wildt mit ihrem Buch „Burn-on: Immer kurz vorm Burn Out“. Auf ihn gekommen sind der leitende Psychologe und der Chefarzt der Psychosomatischen Klinik im Kloster Dießen am Ammersee durch Beobachtungen und Gespräche, die sie mit Patienten und Patientinnen führten, die wegen eines vermeintlichen Burnouts zu ihnen in Behandlung kamen – aber letztlich nicht so ganz ins Beschwerdebild passten.
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Was ist der Unterschied zwischen Burnout und Burn-on?
Kraftlosigkeit, Antriebslosigkeit, eine hohe innere Abneigung gegen die Arbeit – das sind typische Anzeichen eines Burnouts. „Beim Burn-on-Syndrom sieht das etwas anders aus“, so Timo Schiele. „Die Menschen, die davon betroffen sind, identifizieren sich nach wie vor stark mit ihrer Arbeit und funktionieren auch weiterhin in ihrem Alltag.
In Wirklichkeit aber befinden sie sich im roten Bereich. Über Monate, manchmal über Jahre. Und das macht sich durch Symptome auch bemerkbar.“ Etwa Kopfschmerzen, Verspannungen oder Schlafprobleme.
Während Burnout-Patienten längst aus dem Alltag gefallen sind, einfach weil nichts mehr geht, haben Menschen mit Burn-on-Syndrom große Schwierigkeiten, aus ihrem Hamsterrad auszusteigen, weiß Schiele: „Sie hören es gar nicht gern, dass sie etwas ändern müssen.“
Warum sind Burnout und Burn-on keine anerkannten Krankheiten?
Weltweit richten sich Ärzte und Ärztinnen, Psychiater und Psychiaterinnen nach dem sogenannten ICD, einem Klassifikationssystem für medizinische Diagnosen. Dieser Katalog, der 55.000 Krankheiten, Symptome und Verletzungsursachen umfasst, wird von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) herausgegeben.
Dort ist Burnout nicht als eigenständige psychische Krankheit definiert, sondern gilt als Faktor, der den Gesundheitszustand beeeinflusst. Denn trotz jahrelanger Forschung ist Burnout noch immer schwer objektiv zu erfassen und zu definieren. Betroffene nennen zu unterschiedliche Symptome – dadurch ist eine Einheitlichkeit im Beschwerdebild kaum möglich.
Burn-on ist noch so neu, dass dazu keine Studien oder gar Zahlen existieren. „Es bedeutet Betroffenen jedoch viel, dass es für das, was sie innerlich erleben, einen Begriff gibt“, sagt Schiele. „So können sie darüber sprechen, weil sie sich wiedererkennen und im besten Fall den Mut aufbringen, sich mit ihrem Wohlbefinden auseinanderzusetzen.“
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Was führt zu Burn-on?
Erfolg, Anerkennung und Leistung sind in unserer Gesellschaft extrem wichtig geworden und tief in den Köpfen verankert. Gleichzeitig wird es zunehmend schwierig, sich von der Arbeit abzugrenzen: Homeoffice, Internet und Smartphones machen eine ständige Verfügbarkeit möglich.
Dazu kommen Herausforderungen wie Stellenabbau, hohe Lebenskosten, starke Mitbewerber und Mitbewerberinnen – oder eben eine Pandemie, in der bei zahlreichen Familien eine Doppelbelastung aus Job und Kinderbetreuung bestand. Ein sinnerfülltes Leben zu gestalten, in dem eigene Ziele, Werte oder ausreichend Freizeit Platz haben, wird durch all diese Faktoren erschwert.
„Eine hohe Belastung birgt immer die Gefahr, dass wir die Punkte aus dem Leben streichen, die in sich die Qualität hätten, uns wieder auszugleichen“, so der Psychologe. „Was mit einem Termindruck versehen ist, kriegt man hin. Dafür schafft man es aber nicht mehr, den besten Freund, die beste Freundin anzurufen oder zum Joggen zu gehen. Darunter leiden Beziehungen und auf Dauer die Lebenszufriedenheit und Gesundheit.“
Eine befriedigende Work-Life-Balance ist so nicht hinzubekommen. Burn-on sei deshalb ein Phänomen unserer Zeit, schreiben Te Wildt und Schiele.
„In meinem Freundeskreis gibt es kaum jemanden, der nicht ächzt“, sagt auch Mark. Weil stressige Zeiten als ganz normal angesehen werden, machen alle kollektiv weiter. Die Notwendigkeit, sich ärztliche oder therapeutische Hilfe zu suchen, sehen viele nicht, solange sie in verschiedenen Lebensbereichen "noch funktionieren". Wie viele Menschen von Burn-on betroffen sind, dürfte daher schwierig zu beziffern sein.
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Wie sehen die Symptome bei Burn-on aus?
„Wir würden das Burnout-Syndrom als akute, das Burn-on-Syndrom als chronische Erschöpfungsdepression definieren“, sagt Timo Schiele. Das Gefühl der Verzweiflung, Sinnlosigkeit, Hoffnungs- und Perspektivlosigkeit sowie der Verlust der Freudfähigkeit eint sie.
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Doch Burn-on-Betroffene tun sich deutlich schwerer, die Ursache für ihre Stresssymptome zu finden. „Sie fragen sich, warum sie nicht mehr glücklich und zufrieden sind“, so Schiele, „und wollen wieder so sein, wie sie früher einmal waren.“
Durch den permanenten Stress kommt es häufig zu einem Daueranspannungszustand – und der kann krank machen. Burn-on-Betroffene leiden daher häufig zum Beispiel an massiven Verspannungen in Form von Rücken-, Nacken- und Kopfschmerzen.
„Die Patienten und Patientinnen denken dann, wenn sie zu uns kommen, sie könnten einfach eine Physiotherapie machen, werden durchgeknetet und wieder eingerenkt – und die Beschwerden sind verschwunden“, sagt Timo Schiele.
Auch die Gefäße leiden unter dem chronischen Stress, weiß Schiele. Bluthochdruck sei letztlich eine Vorstufe für Schlaganfälle und Herzinfarkte: „Menschen mit leichtem Herzinfarkt in der Vorgeschichte fragen sich dann, wie es dazu kam. Sie würden sich doch gesund ernähren und Sport treiben, führen sie an. Dass sie aber im Grunde alles der Leistung unterordneten, finden sie oft erst durch eine Therapie heraus.“
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Was kann man gegen Burn-on tun?
- Das Mindset ändern: Zunächst einmal ist die Einsicht, etwas im Leben ändern zu müssen, ein wichtiger Faktor, um etwas gegen das Burn-on-Syndrom ausrichten zu können. Zu sagen, „Es läuft doch, ich bin leistungsfähig“ oder „Ich schaff das schon, wenn die Symptome erst einmal behandelt werden“, hält nur eine Fassade aufrecht. „Erst in der Gesprächstherapie merken die Betroffenen, dass eine Ursache hinter ihren Beschwerden steckt und sie für ihre Arbeit schleichend ganz viele Dinge geopfert haben.“
- Runterkommen – für sich selbst: Wichtig ist es, Entschleunigung zu lernen – und zwar nicht, um wieder Kraft zu sammeln, um weiter für die Arbeit rotieren zu können, sondern um wirklich abzuschalten und bei sich selbst anzukommen. Ob es dann Yoga, Pilates, Meditation oder ähnliche Entspannungsmethoden sind, kann jede oder jeder nach eigenem Geschmack entscheiden.
- Hilfe holen: Eine Erschöpfungsdepression muss nicht alleine bewältigt werden. Es gibt professionelle Hilfe in Form von ärztlicher Beratung oder Psychotherapie. Dort gibt es Mittel und Wege, festgefahrene Verhaltensmuster zu bearbeiten und sie zum Positiven zu ändern.
Achtsamkeitsübung gegen Burn-on: Was ist uns wichtig im Leben?
Timo Schiele empfiehlt zur Prävention eine Übung aus der Acceptance- und Commitment Therapie (ACT). Sie dient dazu, sich mit den Werten im eigenen Leben auseinanderzusetzen, innezuhalten und die eigene Haltung zu hinterfragen.
Schreiben Sie sich dafür alle Bereiche auf, die in Ihrem Leben eine Rolle spielen: Partnerschaft, Kinder, Familie, Beruf, Kontakte, Sport, Kunst, Spiritualität, Hobbies und so weiter. Für jeden Bereich geben Sie sich nun Punkte von 0 bis 10, abhängig davon, wie wichtig Ihnen der entsprechende Bereich ist und unabhängig davon, wie aktiv Sie in ihm aktuell sind.
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Im nächsten Schritt überlegen Sie, wie viel Energie Sie in die jeweiligen Bereiche stecken. Schreiben Sie auch hier wieder eine Zahl von 0 (nichts getan) bis 10 (sehr stark engagiert) dazu.
Nun können Sie sehr gut erkennen, in welchen Bereichen eine Diskrepanz zwischen der Wichtigkeit und dem Engagement existiert. Und Ideen erarbeiten, welche kleinen Schritte Sie gehen können, um wichtigen Dingen, die zu kurz kommen, wieder mehr Platz einzuräumen.