Mann mit einer Depression schaut aus dem Fenster
Depression

Depression bei Männern: Warum andere Symptome als bei Frauen auftreten können

Lesedauer unter 7 Minuten

Redaktion

  • Barmer Internetredaktion

Qualitätssicherung

  • Viktoria Vida (Psychologin, Master of Science)

Frauen erhalten die Diagnose Depression doppelt so häufig wie Männer. Fachleute vermuten, dass das mitunter daran liegt, dass die Erkrankung bei Männern oft mit anderen Symptomen einhergeht als bei Frauen und deswegen seltener erkannt wird. Welche Anzeichen das sind und was hilft, wenn der Freund, der Partner oder der Ehemann betroffen sind. 

Eine Depression hat viele Gesichter. Bei allen Menschen kann sie den Alltag stark belasten, zu großen Problemen im Job führen, in der Familie jede Menge Streit hervorrufen oder den Freundeskreis ausdünnen. Dazu kommt das große empfundene Leid der Betroffenen, das ebenfalls alle Geschlechter gleichermaßen erleben.

Doch gibt es auch Unterschiede, etwa bei den Symptomen. Bei Männern zeigt sich eine Depression häufig anhand eines anderen Symptommusters als bei Frauen. Das sind oft nicht die allgemein bekannten Anzeichen. Dass die Erkrankung dadurch oft erst spät oder manchmal gar nicht erkannt wird, ist nur eine von zahlreichen Herausforderungen der Männer-Depression. Hinzu kommt etwa, dass Männer seltener Hilfe suchen und Therapien häufiger abbrechen.

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Symptome einer Depression beim Mann

Der internationalen Klassifikation der Krankheiten ICD-11 zufolge sind die Hauptsymptome einer depressiven Episode Interessenlosigkeit und eine fast täglich gedrückte Stimmung über einen Zeitraum von mindestens zwei Wochen. Weitere Symptome können etwa Antriebslosigkeit oder ein vermindertes Selbstwertgefühl sein. Auch haben Betroffene oft Schuldgefühle oder sie fühlen sich wertlos und hoffnungslos. Sie können den Appetit verlieren, Schlafstörungen bekommen und weniger Lust auf Sex empfinden. Auch Suizidgedanken können auftreten. 

Wann spricht man von einer depressiven Episode?

Eine depressive Episode liegt vor, wenn folgende Anzeichen fast täglich über mindestens zwei Wochen bestehen:

Hauptsymptome

  • Interessenlosigkeit
  • Getrübte Stimmung

Nebensymptome:

  • Antriebsminderung
  • Psychomotorische Unruhe
  • Konzentrationsschwierigkeiten
  • Vermindertes Selbstwertgefühl / Selbstvertrauen
  • Gefühle von Wertlosigkeit oder übertriebener Schuld
  • Hoffnungslosigkeit
  • Pessimistische Zukunftserwartungen
  • Suizidgedanken / Suizidhandlungen
  • Veränderungen des Appetits, Libidoverlust
  • Schlafstörungen (Ein- und Durchschlafstörungen, frühes Erwachen)
  • Erhöhte Ermüdbarkeit 

Hilfe in Notfällen

In akuten Notfällen beispielsweise bei drängenden und konkreten Suizidgedanken wenden Sie sich an die nächste psychiatrische Klinik oder wählen Sie den Notruf unter der Telefonnummer 112

In den letzten Jahrzehnten hat sich jedoch immer mehr gezeigt, dass sich eine Depression bei Männern und Frauen unterschiedlich äußert beziehungsweise sie unterschiedlich darauf reagieren. „Frauen zeigen häufig sogenannte internalisierende Symptome wie depressive Stimmung, Erschöpfung, Schuldgefühle oder ständiges Grübeln“, sagt Andreas Walther, Oberassistent für Wissenschaft und Lehre an der Abteilung für Klinische Psychologie und Psychotherapie der Universität Zürich. Er forscht insbesondere zur psychischen Gesundheit von Männern. „Sie zeigen eher sogenannte externalisierende Symptome wie Reizbarkeit, Wut, Aggression, Risikoverhalten und Substanzmissbrauch“, so Walther.

Eine Depression bei Männern kann sich mit sogenannten externalisierenden Symptomen zeigen. Dazu gehören Reizbarkeit und Substanzmissbrauch.

Eine Depression bei Männern kann sich mit sogenannten externalisierenden Symptomen zeigen. Dazu gehören Reizbarkeit und Substanzmissbrauch.

Das deckt sich mit den Ergebnissen einer Meta-Analyse, in der ein australisches Forscherteam 32 Studien zum Thema auswertete. Demnach neigen betroffene Männer häufiger zu Alkohol- oder Drogenmissbrauch, sie verhalten sich risikobereiter und sie haben eine geringere Impulskontrolle. Bei Frauen geht die Depression hingegen häufiger mit einer gedrückten Stimmung, Appetitlosigkeit, Gewichtsveränderungen und Schlafstörungen einher.

In der englischsprachigen Forschung hat sich für jene Depressionsform mit den typisch männlichen Symptomen wie Wut oder erhöhtem Alkoholkonsum mittlerweile der Begriff „male depression“ etabliert – die „Männerdepression“. Die scheint jedoch nicht bei allen erkrankten Männern aufzutreten. Einer Studie zufolge tritt die Männerdepression bei etwas mehr als einem Drittel der Betroffenen auf. Etwa vier von zehn depressiven Männern zeigt sowohl externalisierende als auch internalisierende Symptome. Bei einem Viertel äußert sich die Erkrankung anhand der bekannten, „typischen“ Anzeichen.

Warum zeigen Männer andere Symptome bei Depression?

Auf die Frage, warum sich eine Depression bei einigen Männern anders äußert, haben Forschende noch keine klare Antwort gefunden. Doch eine Idee, die Andreas Walther und einige seiner Fachkolleginnen und -kollegen teilen, hängt mit Rollenbildern zusammen. Damit ist das Klischee gemeint, dass Männer stark sind, keine Schwächen oder Schmerzen zeigen und alles alleine gestemmt bekommen. „Traditionelle Männlichkeitsideologie“, nennen die Fachleute das, kurz TMI.

Studien zur TMI haben gezeigt, dass sich dieses Rollenverständnis insbesondere durch zwei Facetten auszeichnet. 

  • Erstens: die Kontrolle haben. 
  • Zweitens: nicht feminin sein. 

Darüber hinaus finden sich weitere damit verbundene Eigenschaften wie Dominanz, Eigenständigkeit, eingeschränkte Emotionalität, Vermeidung von Weiblichkeit, Angst vor und Abneigung gegenüber Homosexuellen, Risikofreude und unverbindliche Einstellungen gegenüber Sex.

„Besonders junge Männer ernten oft Anerkennung dafür, wenn sie kaum Emotionen zeigen, viele Sexualkontakte haben und sozial unabhängig erscheinen, während es als ‚unmännlich‘ sanktioniert wird, wenn sie sich traurig oder hilflos zeigen“, sagt Walther. „Wie wir aus Studien wissen, hat sich dieses Rollenbild in der Gesellschaft in den letzten Jahren und Jahrzehnten nicht sonderlich verändert.“

Für jene Männer, die ein solches Rollenbild verinnerlicht haben, kann das mit einigen negativen Folgen einhergehen. Sie konsumieren häufiger Alkohol und Drogen, sind häufiger mit ihrem eigenen Körper unzufrieden, werden zu Hause häufiger gewalttätig. Sie haben höhere Depressionswerte und wenn sie eine Depression entwickeln, zeigen sie vermehrt die externalisierenden Symptome einer „Männerdepression“. 

Paar steht im Wald an einen Baum gelehnt.

Depression bei Männern: Psychische Erkrankungen können die Partnerschaft stark belasten.

Depressionen bei Männern sind unterdiagnostiziert

Statistiken legen nahe, dass Frauen häufiger an Depressionen erkranken. Etwa elf Prozent der Frauen erhalten binnen eines Jahres die Diagnose unipolare Depression. Bei den Männern sind es nur knapp fünf Prozent. Dennoch bezweifeln Expertinnen und Experten, dass diese Häufigkeiten die Wirklichkeit widerspiegeln. Eine dieser Expertinnen ist Anne Maria Möller-Leimkühler, Professorin an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Ludwig-Maximilians-Universität München.

„Dass eine Depression bei Männern nur halb so häufig diagnostiziert wird wie bei Frauen, bedeutet nicht, dass sie ein geringeres Depressionsrisiko hätten. Vielmehr ist dies Ausdruck einer systematischen Unterdiagnostizierung“, sagt Möller-Leimkühler. Dafür gebe es verschiedene Ursachen: „Ein Grund sind Geschlechterstereotype, die sich auch in Diagnostiziergewohnheiten von Ärzten und in Depressionsfragebögen selbst verstecken. Ein weiterer sind die männertypischen Symptome, die es schwerer machen, die Diagnose zu stellen.“

Ein dritter Grund sei, dass es viele Männer so lange wie möglich vermeiden, professionelle Hilfe aufzusuchen. Tatsächlich gehen Männer etwa nur halb so oft zu Vorsorgeuntersuchungen wie Frauen. Auch nehmen Männer seltener psychotherapeutische oder psychiatrische Hilfe in Anspruch. „Wer nicht zum Arzt geht, kriegt auch keine Diagnose“, sagt Möller-Leimkühler. „Und schließlich spielt die Angst vor der sozialen Stigmatisierung eine Rolle. Viele fürchten, im Falle einer Diagnose als schwach und unmännlich dazustehen. Nicht nur vor anderen, sondern auch vor sich selbst.“

Neuer Mut und mehr Lebensqualität mit einer Psychotherapie

Wenn Sie an einer Depression erkrankt sind, übernimmt die Barmer die Kosten der psychotherapeutischen Sprechstunde sowie einer daran anschließenden Akutbehandlung, Kurz- oder Langzeittherapie für Kinder, Jugendliche und Erwachsene. 

Psychotherapie

Wie wird eine Depression beim Mann festgestellt?

Um eine Depression zu diagnostizieren, nutzen Fachleute spezielle Fragebögen. Mit diesen prüfen sie, ob die entsprechenden Symptome vorliegen und wenn ja, in welcher Ausprägung. Doch viele dieser Verfahren berücksichtigen nicht die männertypischen Depressionssymptome. Zeigt ein Mann hauptsächlich solche externalisierenden Anzeichen, erkennt ein Arzt die Erkrankung womöglich nicht. Anne Maria Möller-Leimkühler fordert, „professionelle Hilfsangebote besser an männliche Bedürfnisse anzupassen“ und bei Ärztinnen und Ärzten „die Genderkompetenz durch Fortbildungen zu fördern.“

Außerdem könne es helfen, so die Expertin, spezielle „gendersensitive“ Testverfahren zur Diagnose einzusetzen. Möller-Leimkühler hat selbst ein Depressions-Screening entwickelt, dass auch Symptome wie Wut oder Alkohol- und Drogenmissbrauch abfragt und daher Depressionen bei Männern besser erkennen kann als die gängigen Verfahren. 

Warum wir in der Medizin #Ungleichbehandlung brauchen

Wird in der Medizin das biologische Geschlecht nicht bedacht, kann es zum Beispiel passieren, dass bei Frauen Herzinfarkte oder bei Männern Depressionen erst spät erkannt werden. Darum ist eine gendersensible Medizin besonders wichtig.

Depression bei Männern: Was hilft Betroffenen?

Eine Depression ist eine ernsthafte psychische Erkrankung, die professionelle Hilfe erfordert. Fachleute behandeln sie mit einer Psychotherapie oder mit Medikamenten, manchmal setzen sie auch beides parallel ein. Eine Psychotherapie fällt individuell stets sehr verschieden aus. Psychotherapeuten und -therapeutinnen ergründen im Gespräch mit den Betroffenen, was Probleme verbessern könnte. Anschließend setzen sie verschiedene Methoden ein, um den Betroffenen zu helfen. 

Der erste Schritt für all jene, die vermuten womöglich an einer Depression zu leiden, ist, ein Gespräch mit einem Psychotherapeuten oder einer Psychiaterin zu suchen, um Klarheit zu erlangen. 

Sie glauben, Ihr Partner könnte an einer Depression leiden?

Angehörige, die vermuten, dass ihr Partner, Ehemann, ein Freund oder Bekannter eine Depression haben könnte, können diesen dazu ermutigen, ein Erstgespräch zu vereinbaren.

Dabei sollten sie „Geduld haben und keine Vorwürfe oder Druck machen“, sagt Möller-Leimkühler. „Auch keine guten Ratschläge geben, sondern lieber Informationsmaterial für den Betroffenen zusammenstellen und Argumente für eine rechtzeitige Behandlung nennen. Außerdem können sie für den Erkrankten da sein. Sie sollten sich aber selbst nicht überfordern oder in die Opferrolle begeben.“

Die Basis aller Einsicht und Behandlungsbereitschaft, so Möller-Leimkühler, seien Informationen über Depressionen: „Dass sie keine Frauenkrankheit sind, sondern eine Volkskrankheit, und dass sie gut behandelt werden können.“ Online-Angebote zu Depression könnten als ein erster Schritt in die richtige Richtung vorgeschlagen werden

Kostenfreies Online-Training: Depressive Verstimmungen verbessern

Das Online-Training Depression behandeln von HelloBetter kann Sie dabei unterstützen, Ihre Beschwerden Stück für Stück zu bewältigen – selbstbestimmt und individuell auf Ihre Bedürfnisse zugeschnitten. 

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