Shiitake-Pilze auf einem Holztisch
Ernährung

Vitalpilze: Wirklich ein Superfood?

Lesedauer unter 6 Minuten

Redaktion

  • Janina Jetten (freie Autorin, für Nerdpol – Redaktionsbüro für Medizin- und Wissenschaftsjournalismus)

Qualitätssicherung

  • Margarethe Zinser (Apothekerin)

Ihre Inhaltsstoffe sollen das Immunsystem stärken, die Konzentration steigern, Energie schenken und Krankheiten wie Typ-2-Diabetes oder sogar bestimmte Krebserkrankungen lindern: Vitalpilze. Diese sogenannten Heilpilze werden als ein neues Superfood mit Wunderwirkung gehandelt. Viele Expertinnen und Experten stehen den Lifestyle-Produkten skeptisch gegenüber, andere glauben an das Potenzial.

Es ist verlockend, zugegeben. Wer die Beiträge sieht, die im Internet, allen voran auf Social Media, über Heil- oder Vitalpilze existieren, könnte denken: „Sollte ich vielleicht auch mal ausprobieren!“ Denn nicht selten wird geradezu euphorisch beschrieben, wie „life-changing“, also lebensverändernd, die Wirkung von Heilpilzen auf die Gesundheit sein kann. Die „Wunder- oder Kraftpakete“ würden unser Immunsystem stärken, die Verdauung unterstützen, die körperliche Leistung steigern, den Cholesterinspiegel kontrollieren. Ob als Pulver, Pille oder Mushroom-Latte – der Handel mit den Nahrungsergänzungsmitteln boomt. Aber was ist wirklich dran an der Wirkung und dem Hype?

Was sind Vitalpilze?

Die meisten verbinden mit Pilzen leckere Gerichte, andere denken an „Magic Mushrooms“, Schimmelsporen oder Antibiotika. Doch mit den Begriffen Vital-, Heil- oder auch Medizinalpilzen werden solche Sorten bezeichnet, mit denen angeblich eine positive Wirkung auf die Gesundheit erzielt werden soll.

Welche Vitalpilze gibt es?

Die bekanntesten Vitalpilze sind Reishi, Shiitake, Chaga, Maitake, Löwenmähne, Cordyceps, Agaricus und Hericium. Sie sind seit Jahrhunderten ein wichtiger Bestandteil der ayurvedischen und der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM). Einige Vitalpilze können roh verzehrt werden, andere wiederum eignen sich nicht dazu und müssen erst verarbeitet werden. Während sie ursprünglich wild, vornehmlich in Asien, wuchsen und aufwendig gesammelt wurden, werden die heute verwendeten Pilze oft unkompliziert und massentauglich in Pilzfarmen kultiviert.

Was macht Vitalpilze so besonders?

Bei Vitalpilzen stehen nicht die geschmacklichen Aspekte im Vordergrund, sondern die sekundären Inhaltsstoffe. Neben Vitaminen, Proteinen, Spurenelementen, Antioxidantien und Ballaststoffen enthalten Vitalpilze sogenannte bioaktive Bestandteile – komplexe Kohlenhydrate wie Beta-Glucane, Triterpene und Phenole. Genau diese Aktivstoffe sind es, denen gesundheitsfördernde Wirkungen nachgesagt werden.

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Was können Vitalpilze bewirken? 

Die Liste, was Vitalpilze alles können (sollen), ist lang: Sie gelten als immunstärkend, entzündungshemmend, vitalisierend oder verjüngend. Sie sollen gegen praktisch alle Krankheiten vorbeugend wirken oder sie lindern, unter anderem Asthma, Allergien, Bluthochdruck, Diabetes mellitus Typ 2, Gicht, Magengeschwüre, Herzerkrankungen, HIV, Rheuma bis hin zu Krebserkrankungen. Das alles sei „wissenschaftlich belegt“ geben diejenigen an, die der Kraft der Vitalpilze vertrauen. 

Und in der Tat ließen sich in kürzester Zeit etliche Studien finden, allen voran aus Asien, die bemerkenswerte Ergebnisse über die pharmazeutische Wirkung von Heilpilzen liefern. Als Beispiel: Der Shiitake-Pilz etwa könnte zur Verringerung von Entzündungen und in Verbindung mit dem Maitake-Pilz zur Verbesserung der Immungesundheit beitragen und bei der Behandlung einiger Formen von Krebs, Gestationsdiabetes und hohem Cholesterinspiegel hilfreich sein.

Wirkung von Vitalpilzen ist fraglich

Nun ist es aber so, dass die meisten dieser Studien mit hochdosierten Pilzextrakten an Tieren oder in vitro, also im Labor, durchgeführt wurden. Ob sie als Pulver beim Menschen die gleichen Auswirkungen haben, ist dagegen fraglich. 

„Generell wissen wir, dass an der biologischen Aktivität von Pilzpräparaten etwas dran ist“, kommentiert Biologe Marc Stadler den heutigen Forschungsstand. „Es ist allerdings extrem schwierig nachzuweisen, wie genau die Wirkmechanismen in den Vitalpilzen funktionieren. Außerdem ist eine Standardisierung, die wir benötigen, um ein verlässlich dosiertes Medikament zu entwickeln, schwer möglich“, so der Experte für industrielle Mikrobiologie und Mykologie am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung.

Faktencheck Vitalpilze: Ob die Vitalpilze wirklich gut für die Gesundheit sind, ist unklar.

Faktencheck Vitalpilze: Ob die Vitalpilze wirklich gut für die Gesundheit sind, ist unklar.

Vitalpilze sind nicht als Arzneimittel zugelassen

Die Heilpilz-Präparate und -Pulver, die auf dem Markt sind, dürfen also nicht mit herkömmlichen Medikamenten verwechselt werden. Auf der Website der Verbraucherzentrale heißt es zum Thema ganz klar: „Sie sind in Deutschland nicht als Arzneimittel zugelassen.“ Und weiter: „Der Wissensstand zu möglichen Wirkungen von Vitalpilzprodukten ist noch mehr als lückenhaft.“ 

Allein das Wort „Vitalpilze“ sei demnach ein reiner Marketing-Begriff und suggeriere therapeutische Effekte. Marc Stadler ordnet ein: „Wenn überhaupt sind Vitalpilzpräparate vergleichbar mit Mitteln, die auf pflanzlicher Basis hergestellt werden und in der Apotheke oder im Supermarkt zu bekommen sind.“

Vitalpilze ersetzen keine medizinische Behandlung

Könnte man Vitalpilz-Produkte also nicht einfach ergänzend nehmen, in der Hoffnung, dass an der Wirkung schon „was dran“ sei? Nein, denn auch die Einnahme von pflanzlichen Mitteln ist mit Risiken und Nebenwirkungen verbunden und sollte nur nach ärztlicher Rücksprache oder Beratung in der Apotheke genommen werden. 

„Es gibt viele Menschen, die fest davon überzeugt sind, dass ihnen die Vitalpilze geholfen haben. Aber ob es sich dabei um den Placebo-Effekt handelt, also den Glauben, dass diese Pilze eine positive Wirkung haben, oder ob die Pilze wirklich wirken, ist schwer nachzuweisen“, so Marc Stadler.

Schwierig wird es spätestens dann, wenn Patientinnen oder Patienten, die ernstere oder lebensbedrohende Erkrankungen wie Krebs haben, ihre Hoffnung auf die Pilzwirkung setzen. Hier muss klar sein: Vitalpilze ersetzen auf keinen Fall eine evidenzbasierte Behandlung und geprüfte Medikamente. „Es ist in jedem Fall besser, wenn man sich in gute ärztliche Behandlung gibt“, rät Stadler.

Eigentherapie mit Vitalpilzen ist nicht zu empfehlen

Anders als Arzneimittel unterliegen Nahrungsergänzungsmittel bei der Herstellung keinen festgelegten Bedingungen und werden keiner analytischen Prüfung unterzogen. Das heißt: Es ist kaum nachvollziehbar, was wirklich in den Kapseln, Pulvern oder Tütchen ist und in welcher Qualität. „Es kann also durchaus sein, dass kein Wirkstoff in den Präparaten vorhanden ist – oder zu viel“, sagt Stadler. 

Das bedeute, dass sie sogar toxisch sein könnten, so der Mykologe. „Man muss sich klarmachen, dass die giftigsten Stoffe aus der Natur stammen. Im schlimmsten Fall kann man sich seine Gesundheit ruinieren.“ Gerade Produkte aus Asien, so die Verbraucherzentrale, seien häufig mit gesundheitsschädlichen Stoffen wie Aflatoxinen und anderen giftigen Pilzsubstanzen verunreinigt.

Eine junge Frau nimmt ein Nahrungsergänzungsmittel ein

„Pflanzlich“ heißt nicht automatisch „unbedenklich“ – deswegen sollten auch pflanzliche Medikamente und Nahrungsergänzungsmittel nicht bedenkenlos und ohne ärztliche Rücksprache eingenommen werden.

Werden wir künftig mit Pilzen heilen können?

Pilze haben die Welt mit Medikamenten wie Penicillin und anderen hilfreichen Arzneimitteln wie Lovastatin (senkt den Cholesterinspiegel) oder Cyclosporin (wichtig bei Organtransplantationen) bereichert. „Man sollte die Forschungsrichtung also generell nicht verdammen“, meint Marc Stadler, der 2019 gemeinsam mit zahlreichen Wissenschaftlern die Studie Das erstaunliche Potenzial von Pilzen: 50 Möglichkeiten, wie wir Pilze industriell nutzen können veröffentlicht hat. 

„Wir finden permanent neue Inhaltsstoffe aus neuen Arten von Pilzen. Es dürfte also mehr als wahrscheinlich sein, dass in Zukunft weitere pharmazeutisch wirksame Mittel aus Pilzen entstehen.“ In jedem Fall ist es wünschenswert, dass explizit in Bezug auf Vitalpilze die Studienlage eindeutiger wird und die Produktionsverfahren Qualitätsprüfungen unterzogen werden. Dann könnte aus ihnen in der Tat ein Superfood werden.

Nicht Tier, nicht Pflanze: Was sind Pilze eigentlich?

Sie bloß auf ein reines Nahrungsmittel zu reduzieren, wird Pilzen nicht gerecht. Pilze sind eine ganz eigene faszinierende Lebensform, sie gehören zu den ältesten Lebensformen der Erde und sind quasi überall zuhause. In der Erde, in der Luft, in unseren Körpern. 

Anders als Pflanzen betreiben sie keine Photosynthese, sondern beziehen Nährstoffe aus ihrer Umgebung, indem sie organische Stoffe aus dem Boden oder anderen umgebenden Materialien aufnehmen. Ihre Naturstoffe, die bioaktiven Substanzen, die meist in den Zellwänden vorkommen, haben sie zu echten Allroundern gemacht. Antibiotika, Blutdrucksenker oder Waschpulver werden mithilfe von Pilz-Technologie hergestellt, genauso wie Brot, Bier, Wein und andere Lebensmittel.

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Es gibt mehrere Millionen Pilzarten auf der Erde, von denen bisher etwa 148.000 Arten identifiziert und untersucht wurden. Davon sind etwa nur wenige Hundert Arten mit medizinischer Wirkung bekannt, aus denen Arzneimitteln entwickelt werden (könnten). Aber nicht nur in der Medizinwelt könnten Pilze in Zukunft eine große Rolle spielen: Sie besitzen als nachhaltiger Rohstoff enormes Potenzial – es ließe sich daraus sogar Biotreibstoff, Bausubstanz, Plastikersatz und Kleidung herstellen.

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