- Was ist In-vitro-Fleisch?
- Gibt es In-vitro-Fleisch bald im Supermarkt zu kaufen?
- Herstellung: Wie wird In-vitro-Fleisch produziert?
- Stammzellen als Grundlage
- Nahrung für das Zellwachstum
- Bioreaktor für die Reifung
- Umweltbilanz: Ist In-vitro-Fleisch wirklich klimafreundlicher?
- Ist In-vitro-Fleisch tierfreundlicher?
- Ist In-vitro-Fleisch gesünder?
- Wird In-vitro-Fleisch dem Begriff Clean Meat gerecht?
- Ist In-vitro-Fleisch die Zukunft?
- Fleischbedarf ohne Massentierhaltung decken
- Pflanzliche Alternativen
Auf Fleisch zu verzichten fällt vielen Menschen schwer. Doch besonders die Massentierhaltung, mit der das meiste Fleisch produziert wird, birgt viele Probleme. In-vitro-Fleisch gilt als ein möglicher Ausweg aus dem Dilemma. Die Hoffnung: Gezüchtetes Fleisch könnte eine umweltfreundlichere Alternative für die CO2-intensive Fleischindustrie sein. Doch stimmt das? Wie Steaks und Burger im Labor hergestellt werden und was das kultivierte Fleisch kann.
Was ist In-vitro-Fleisch?
In-vitro (lateinisch: „im Glas“) bedeutet, dass das Fleisch künstlich hergestellt wird. Die so erzeugte rosa Masse besteht aus tierischen Zellen, die außerhalb eines lebenden Organismus vermehrt wurden. Es wird deshalb auch als Laborfleisch bezeichnet.
Weil aber viele bei dem Begriff nur an Forschende in weißen Kitteln denken, bevorzugen Fachleute eher die Begriffe Kulturfleisch oder kultiviertes Fleisch. Denn: „Das Labor ist nur ein kleiner Teil des Prozesses“, erklärt Dr. Simon Heine, der als Biologe an der Hochschule Reutlingen zum Herstellungsprozess von In-vitro-Fleisch forscht. „Noch haben wir uns in Deutschland auf keinen Begriff geeinigt.“ Im Internet kursieren deshalb unzählige weitere Synonyme: Stammzellenfleisch, Retortenfleisch, Kunstfleisch oder gezüchtetes Fleisch. Auch von Clean Meat ist die Rede – denn In-vitro-Fleisch wird oft als sauberes Fleisch und damit als Alternative zum Fleisch aus der Massentierhaltung angepriesen.
Gibt es In-vitro-Fleisch bald im Supermarkt zu kaufen?
Im Jahr 2013 wurde der erste im Labor gezüchtete Hackfleisch-Patty der Öffentlichkeit präsentiert. Die Masse sah aus wie normales Fleisch. In einer Live-Übertragung wurde der Burger-Patty gebrutzelt und verspeist. Das Fazit der Testesser: Das Laborfleisch habe Biss und die Kruste schmecke nach Fleisch. Doch auch wenn der Patty wie echtes Fleisch aussah und den Testessern schmeckte, war das künstliche Fleisch noch weit von der Markteinführung entfernt. Ungefähr eine Viertelmillion Euro kostete die Herstellung laut Medienberichten. Das ist nun rund zehn Jahre her.
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Inzwischen kann man zumindest künstliches Hähnchenfleisch in ausgewählten Restaurants in Singapur oder den USA probieren. „Bis es zur Massenproduktion kommt, wird es noch relativ viel Entwicklung brauchen“, sagt Simon Heine. Das liegt daran, dass bei der Herstellung von In-vitro-Fleisch noch immer verschiedene Herausforderungen zu lösen sind.
Herstellung: Wie wird In-vitro-Fleisch produziert?
Um künstliches Fleisch herzustellen, braucht es vereinfacht gesagt drei Dinge: Zellen, ein Nährmedium und Bioreaktoren.
Stammzellen als Grundlage
Die Stammzellen bilden das Fundament. Sie werden beispielsweise mithilfe einer Biopsie aus dem Muskelgewebe des Tieres entnommen – manchmal auch aus einem Embryo im Frühstadium. „Die Zelltypen haben alle Vor- und Nachteile“, erklärt Simon Heine: „Das hängt auch damit zusammen, welchem Tier in welchem Entwicklungsstadium welche Stammzellen entnommen werden. Manche teilen sich zum Beispiel schneller. Und andere entwickeln sich im Labor so, dass sie quasi unsterblich werden und ewig weiter wachsen. Daran wird noch geforscht.“ Ein Standardverfahren für die Herstellung von In-vitro-Fleisch gibt es deshalb noch nicht.
Nahrung für das Zellwachstum
Damit die Zellen wachsen, brauchen sie Nahrung. Aminosäuren, Vitamine, Proteine, Wachstumsfaktoren. Besonders gut eignet sich dafür tierisches Serum, das aus dem Blut von Föten gewonnen und der Nährlösung beigesetzt wird – zum Beispiel fetales Kälberserum. „Inzwischen gibt es aber auch alternative tierfreie Lösungen“, sagt Simon Heine. „Die Produkte auf den Markt werden bereits frei von Tierserum hergestellt.“
Bioreaktor für die Reifung
Im Bioreaktor teilen sich die Zellen und wachsen zu einer Fleischmasse heran. Dafür benötigen sie erstens eine Oberfläche, eine Art Gerüst, das Zug ausübt und so quasi die Muskelfasern trainiert. Und zweitens die Nährstoffe aus dem tierischen Serum oder den tierfreien Lösungen. Vereinfacht kann man sich den Bioreaktor vorstellen wie einen Tank mit Flüssigkeit.
Optisch ist die künstliche Fleischmasse im Fall von Hackfleisch nicht von „echtem“ Fleisch zu unterscheiden. „Geschmacklich sind wir aber noch am Ausprobieren“, sagt Simon Heine. Damit das Laborfleisch irgendwann wirklich einen Mehrwert für die Gesellschaft bietet, ist das aber nicht die einzige Herausforderung. „Niemand kauft ein Produkt, das doppelt so teuer ist wie herkömmliches Fleisch“, meint der Biologe. „Vor allem das Vermehren der Zellen im Bioreaktor ist aktuell noch sehr kostenintensiv, da die Zellen mit teuren Nährlösungen gefüttert werden müssen.“ Doch nehmen wir einmal an, die Kosten könnten gesenkt werden und das Kulturfleisch entspräche geschmacklich und optisch herkömmlichem Fleisch: Was könnte die Alternative leisten?
Umweltbilanz: Ist In-vitro-Fleisch wirklich klimafreundlicher?
Im Jahr 2022 aßen die Menschen in Deutschland pro Kopf 52 Kilogramm Fleisch. Um große kostengünstige Fleischmengen zu produzieren, wird meist auf Massentierhaltung gesetzt. Für Klima und Umwelt ist besonders die Rinderhaltung ein Problem. Im Vergleich zu Hühner- und Schweinefleisch verbraucht die Produktion von Rindfleisch deutlich mehr Ressourcen und verursacht mehr Treibhausgase. So stecken etwa hinter 100 Gramm Rindfleisch 1.500 Liter Wasser und 3,05 Kilogramm CO2-Äquivalent.
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In Deutschland ist der Fleischkonsum in den vergangenen Jahren zwar gesunken, weltweit aber gestiegen. „Wir brauchen weitere Lösungen“, sagt Simon Heine deshalb. „Und eine davon könnte In-vitro-Fleisch sein.“ Vor allem wenn es um den Flächenverbrauch etwa für Tierfutter geht, hat In-vitro-Fleisch Vorteile. Bei den Emissionen ist das hingegen unklar. Einige Studien deuten darauf hin, dass In-vitro-Fleisch weniger Treibhausgase verursachen könnte als herkömmliches Fleisch, anderen Modellen zufolge würde Kulturfleisch aber langfristig sogar mehr Emissionen nach sich ziehen. Letzteres ist dann der Fall, wenn die Bioreaktoren mit fossilen Energien betrieben werden.
Die Ergebnisse schwanken auch deshalb, weil jede Rechnung unterschiedliche Faktoren miteinbezieht. „Da gibt es zum Beispiel die Energiequelle, die Nährlösung, die Abfallentsorgung oder die Produktionslänge, die auch davon abhängen, welche Zellen verwendet werden oder welches Nährmedium zum Einsatz kommt“, sagt Simon Heine. Wie groß die Einsparungen der Treibhausgase durch künstliches Fleisch letztendlich sein werden, ist also offen. Ein großer Effekt wird in der Wissenschaft aber nicht erwartet.
Ist In-vitro-Fleisch tierfreundlicher?
Friedlich grast das Rind auf der Weide – ein Idyll, von dem die Massentierhaltung weit entfernt ist. Zwar bräuchte es für die Herstellung von Kulturfleisch ebenso wie bei der konventionellen Fleischproduktion Nutztiere, denn es müssten Stammzellen entnommen werden, aber es würden voraussichtlich deutlich weniger Tiere benötigt. Wie viel Fleisch tatsächlich mit einer einzigen Muskelbiopsie hergestellt werden kann, ist bisher unklar. „Das hängt von der Art der Zelle ab, aber auch davon, wie ausgereift der Herstellungsprozess ist“, sagt Simon Heine. „Im Gespräch sind aber mehrere Tausend Tonnen.“
Zum Vergleich: In der herkömmlichen Fleischproduktion liegt das Schlachtgewicht eines Rindes bei rund 0,35 Tonnen. Ob In-vitro-Fleisch letztendlich aber wirklich tierfreundlicher ist, hängt auch davon ab, ob die Tiere dann artgerechter gehalten werden.
Ist In-vitro-Fleisch gesünder?
Zink, Eiweiß, Vitamin B12 – herkömmliches Fleisch beinhaltet für den Menschen wichtige Nährstoffe, aber auch Fett und Cholesterin. Ein hoher Konsum kann zu Diabetes und Herzinfarkt führen. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt deshalb, Fleisch in geringen Mengen zu konsumieren und nicht täglich. Wie gesund oder ungesund In-vitro-Fleisch ist, hängt auch von dessen Zusammensetzung ab. Die könnte möglicherweise im Labor optimiert werden. Ob Laborfleisch aber tatsächlich die gesündere Alternative zu herkömmlichem Fleisch ist, muss noch in Studien erforscht werden.
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Wird In-vitro-Fleisch dem Begriff Clean Meat gerecht?
Kaum Tierleid, weniger Antibiotikaeinsatz, geringerer Flächenverbrauch: In-vitro-Fleisch wird häufig auch als Clean Meat, als „sauberes Fleisch“ bezeichnet. Das hängt vor allem mit den Vorteilen gegenüber der Massentierhaltung zusammen. Trotzdem steht Simon Heine diesem Begriff skeptisch gegenüber. „Da schwingt eine Wertung gegenüber der konventionellen Fleischproduktion mit, die wir als Forschende nicht unbedingt möchten. Auch in der Landwirtschaft gibt es schließlich genügend Betriebe, bei denen gutes Fleisch produziert wird.“ Bestimmte Siegel wie zum Tierwohl oder zur Haltungsform geben einen Hinweis darauf, wo die Nutztiere einigermaßen respektvoll und artgerecht behandelt werden.
Ist In-vitro-Fleisch die Zukunft?
Fleischbedarf ohne Massentierhaltung decken
Die Weltbevölkerung wächst stetig und mit ihr auch der Bedarf an Nahrung. Zudem werden Länder mit niedrigem Einkommen wohlhabender und die Prognosen gehen davon aus: je wohlhabender, desto höher der Fleischkonsum. Um diesen Bedarf zu decken, braucht es neue Konzepte – vor allem, wenn wir aus ethischen Gründen und aufgrund des Klimawandels weg von der Massentierhaltung wollen.
Pflanzliche Alternativen sind eine Möglichkeit. Fleisch aus dem Labor könnte eine andere sein. Letzteres hängt aber auch damit zusammen, wie die Menschen das In-vitro-Fleisch annehmen werden. In einer Studie untersuchten Forschende deshalb, wie Leserinnen und Leser in Online-Kommentaren auf den ersten Labor-Hamburger reagierten. Dabei stellten sie fest: Die Reaktionen waren mehrheitlich negativ. Zwar sahen viele ein, dass es Lösungen für die Zukunft bräuchte, doch Skepsis bezüglich des Geschmacks, Ekel vor der Unnatürlichkeit und die Angst vor gesundheitlichen Folgen überwogen. In einer 2021 in Deutschland durchgeführten Studie gaben aber immerhin zwei Drittel der Befragten an, dass sie Kulturfleisch zumindest probieren würden.
Pflanzliche Alternativen
Bis es In-vitro-Fleisch im Supermarkt zu kaufen gibt, wird es noch eine Weile dauern. Wer sich trotzdem klimaschonend und tierfreundlich ernähren möchte, dem bleiben die pflanzlichen Fleischalternativen. Fünf der weltweit gängigsten Fleischalternativen sind:
- Tofu
- Sojafleisch
- Seitan
- Fleischalternativen aus Hülsenfrüchten
- Tempeh (hergestellt aus fermentierten Sojabohnen)