Eine junge Frau betrachtet ihre Reflektion in einem Fenster
Psychische Gesundheit

Impostor-Syndrom: Bin ich ein Hochstapler?

Lesedauer unter 10 Minuten

Redaktion

  • Barmer Internetredaktion

Qualitätssicherung

  • Dirk Weller (Diplom-Psychologe)

Menschen mit Impostor-Syndrom glauben, dass sie nicht besonders kompetent sind und jeden Moment als Hochstapler auffliegen könnten – sie sind übermäßig kritisch mit sich selbst. Woher die negativen Gedanken kommen und was wir gegen sie tun können.

Zucken Sie auch manchmal zusammen, wenn man Sie wegen Ihrer Leistung lobt, weil Sie glauben, die Erwartungen in Zukunft nicht noch einmal erfüllen zu können? Glauben Sie, dass Sie kompetenter wirken, als Sie eigentlich sind und Ihre Erfolge nur glückliche Zufälle waren? Haben Sie Angst davor, andere Menschen könnten herausbekommen, dass Sie gar nicht so fähig sind, wie alle glauben? Womöglich liegt dann bei Ihnen ein Fall des Impostor-Syndroms (Englisch: Imposter syndrome) vor – auch Hochstapler-Syndrom genannt.

Der Begriff geht auf ein Paper aus dem Jahr 1978 zurück. Darin haben die beiden US-amerikanischen Psychologinnen Pauline Clance und Suzanne Imes das Phänomen erstmals beschrieben. Sie hatten in ihrem Umfeld einige sehr erfolgreiche Studentinnen und Mitarbeiterinnen beobachtet, sogar Promovierende und Professorinnen waren darunter, die herausragende akademische Leistungen erzielten und dennoch unter starken beruflichen Selbstzweifeln litten (tatsächlich hatten Clance und Imes in ihrer ursprünglichen Arbeit nur Frauen untersucht, denn die Forscherinnen waren davon ausgegangen, Frauen seien deutlich häufiger betroffen als Männer).

Ihre Karrieren und Doktortitel, ihre Professuren und ihr gewonnenes Ansehen führten sie nicht auf ihre Fähigkeiten zurück. Stattdessen gaben sie stets den äußeren Umständen die „Schuld“ an ihrem Erfolg: nur Glück, reiner Zufall, günstiges Timing, Beziehungen – sie zogen alle möglichen Erklärungen heran, nur nicht die eigene Kompetenz.

Was ist das Impostor-Syndrom und wie äußert es sich?

In den seither vergangenen Jahrzehnten hat die Forschung zum Thema zugenommen. Per Definition von Expertinnen und Experten äußert sich das Impostor-Syndrom durch drei Facetten: 

  • Erstens denken Menschen mit Hochstapler-Syndrom, dass sie ihre Umwelt über ihre eigenen Fähigkeiten täuschen und tatsächlich gar nicht so kompetent sind, wie man es ihnen zuschreibt.
  • Zweitens führen sie ihre eigenen Erfolge auf externe Faktoren zurück, also etwa auf Zufall, Glück oder ihren Charme. 
  • Und drittens haben sie Angst davor, eines Tages „aufzufliegen“ und als Hochstapler entlarvt zu werden. 

Der Unterschied zum tatsächlichen Hochstapler liegt allerdings darin, dass Menschen mit Impostor-Syndrom nur denken, dass sie inkompetent seien – in Wahrheit aber sind sie meist ziemlich gut in dem, was sie tun.

Die Psychologie-Professorin der Uni Frankfurt Sonja Rohrmann fasst es so zusammen: „Die Leute haben das Gefühl, eine Maske zu tragen, und hinter dieser Maske ihre Inkompetenz zu verstecken.“ Sonja Rohrmann hat zahlreiche Artikel zum Impostor-Phänomen veröffentlicht und ein Buch darüber geschrieben. Und sie hat einen Fragebogen entwickelt, mit dem man ein Gefühl dafür bekommen kann, ob und wie stark das Phänomen bei einem selbst ausgeprägt ist.

Impostor-Syndrom: Betroffene verstecken permanent große Selbstzweifel.

Impostor-Syndrom: Betroffene verstecken permanent große Selbstzweifel. Einfache Tricks können aber helfen, Selbstvertrauen aufzubauen.

Eine Sache ist ihr besonders wichtig: „Es ist eigentlich falsch, vom Impostor-Syndrom zu sprechen“, sagt Rohrmann, denn so wird das Phänomen oft genannt. „Ein Syndrom ist ein klinischer Begriff und meint eine Sammlung verschiedener Symptome, die bei einem Krankheitsbild gehäuft auftreten“, so die Professorin. „Es handelt sich hierbei aber um keine medizinische Störung, sondern um ein Persönlichkeitsmerkmal.“ Ob es sich um ein echtes Persönlichkeitsmerkmal im engen psychologischen Sinn handelt, darüber streitet die Fachwelt zwar noch – dennoch spricht Rohrmann lieber vom Impostor-Phänomen oder vom Impostor-Selbstkonzept.

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Wer ist vom Impostor-Syndrom betroffen?

Wie häufig das Phänomen in der Gesellschaft vorkommt, ist schwierig festzustellen. Wie Rohrmann sagt, gibt es keine fest definierten Diagnose-Kriterien. Vielmehr treten die Gedanken bei den allermeisten Menschen hin und wieder auf. Bei einigen Menschen können sie jedoch so dominant werden, dass sie negative Folgen mit sich bringen. 

Unter österreichischen Promovierenden etwa hat die Hälfte leichte Impostor-Gedanken, wie eine Studie gezeigt hat, ein weiteres Viertel mittelstarke und etwa fünf Prozent sehr starke Gedanken. Weitere Forschungsarbeiten haben ermittelt, dass über die Hälfte der Führungskräfte davon betroffen ist und sich die Mehrheit der medizinischen Assistenten und Assistentinnen nach ihrem Studium nicht kompetent genug fühlen.

Die Entdeckerinnen des Impostor-Phänomens, Clance und Imes, gingen zudem davon aus, dass Frauen häufiger davon betroffen seien. Einige weitere Forschende vertraten ebenfalls diese Annahme und in der einen oder anderen Studie waren die Werte bei Frauen tatsächlich höher. In anderen Studien wiederum waren Männer häufiger betroffen. 

In ihrem Buch fasst Sonja Rohrmann den Forschungsstand so zusammen, dass „die Mehrheit der Studien keine signifikanten Geschlechtsunterschiede“ nachweisen konnte, dass der Zusammenhang aber nach wie vor kontrovers diskutiert werde und die widersprüchlichen Ergebnisse womöglich auf „unterschiedliche Stichprobenzusammensetzungen“ zurückzuführen seien.

Dass das Phänomen trotz seiner Verbreitung recht unbekannt ist und Betroffene oft das Gefühl haben, die einzigen zu sein, liegt mitunter daran, dass Betroffene über ihre Gedanken nicht gerne sprechen. Selbstzweifel, so denken viele, haben keinen Platz in einer Gesellschaft, die Leistung honoriert. Besonders im beruflichen Kontext könnte es sogar mit Nachteilen einhergehen, über die eigenen Fehlbarkeiten und Ängste zu reden.

Wie und warum entsteht das Impostor-Syndrom?

Wie das Hochstapler-Syndrom entsteht, ist schwer zu bestimmen. Nicht, weil man es nicht untersucht hätte, sondern weil dahinter ein komplexes Wechselspiel vieler Faktoren steht. Auf der einen Seite spielt die Genetik eine Rolle, denn die beeinflusst recht stark die Persönlichkeit. Bestimmte Persönlichkeitsmerkmale – wie etwa hoher Perfektionismus und große Ängstlichkeit – begünstigen, dass die Hochstapel-Gedankenschleifen einsetzen.

Dazu kommen oft ein geringer Selbstwert und sogenannte externale Kontrollüberzeugungen – also die Annahme, dass Dinge nun mal passieren und man selbst wenig oder nichts daran ändern kann. Die Basis dafür wird schon in der Kindheit gelegt.

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„Zum anderen spielen aber auch bestimmte Familiendynamiken und Erziehungsstile eine Rolle, die die Leistungswerte und das Leistungsverhalten von Kindern beeinflussen“, sagt Rohrmann. „Menschen mit Impostor-Phänomen sind oft in Familien groß geworden, in denen es eine hohe Leistungs- und Wettbewerbsorientierung gab. 

So haben sie als Kinder einen leistungsabhängigen Selbstwert entwickelt.“ Sie fühlen sich also nicht um ihrer selbst willen geliebt, sondern nur, wenn sie das Gefühl haben, hohe Leistung zu bringen. Daneben nennt Rohrmann noch drei weitere Aspekte, die es wahrscheinlicher machen, dass ein Impostor-Selbstkonzept entwickelt wird:

  • wenn jemand anderem in der Familie die Rolle des Intelligenten zugeschrieben wird – etwa einem Geschwisterkind oder auch einem Elternteil – und das Kind selbst eher als das empathische, das soziale oder das einfühlsame Kind betitelt wird.
  • wenn die Fähigkeiten des Betroffenen als für die Familie untypisch wahrgenommen werden. Wenn zum Beispiel niemand in der Familie Akademiker ist, das Kind aber eine akademische Laufbahn einschlägt.
  • wenn Eltern ihre unbefriedigten Bedürfnisse an die Kinder weitergeben. Etwa, wenn ein Kind studiert, weil die Eltern das selbst gerne getan hätten, aber nicht konnten, und das Kind nun denkt, dass es die emotionalen Bedürfnisse der Eltern erfüllen muss.

Diese Einflüsse, sowohl die genetischen als auch die der Umwelt, führen dann letztlich zu einer Persönlichkeitsstruktur, die das Impostor-Syndrom bedingen oder begünstigen kann: perfektionistisch, oft ängstlich, dazu ein ungünstiges Gedankenmuster, bei dem sich Misserfolge selbst und Erfolge dem Glück oder dem Zufall zugeschrieben werden.

Die Auswirkungen des Impostor-Syndroms

Es ist Teil der Definition des Hochstapler-Syndroms, dass Betroffene nur das Gefühl haben, sie seien Hochstapler, aber in Wahrheit recht gute oder sogar sehr gute Leistungen abliefern. Trotzdem führen die Gedanken der Betroffenen dazu, dass sie ihr Potenzial manchmal nicht voll ausschöpfen können. Sie scheuen zum Beispiel davor zurück, sich auf neue Stellen zu bewerben oder in neue Milieus vorzustoßen. Auch nehmen sie oft Positionen ein, die unter ihrem eigentlichen Leistungsniveau liegen.

Dass sie dennoch erfolgreich sind, auch wenn ständige Selbstzweifel das Selbstvertrauen zernagen, liegt laut Sonja Rohrmann an den beiden Arbeitsstilen, auf die Menschen mit Impostor-Gedanken so häufig zurückgreifen: „Entweder sind sie sehr perfektionistisch, arbeiten sehr gründlich und genau. Oder sie prokrastinieren bis zum Anschlag und arbeiten dann in letzter Sekunde unter Hochdruck alles ab, machen dafür Nächte durch, lassen Mahlzeiten aus und vernachlässigen Sozialkontakte“, sagt Rohrmann. „Menschen mit Impostor-Phänomen sind deshalb sehr oft mit ihrer Leistung unzufrieden.“ Die Perfektionisten, weil es ihnen nicht perfekt genug ist. Und die Prokrastinierer, weil sie denken, dass sie es mit mehr Zeit noch besser gemacht hätten.

Es ist ein Paradox: Für die Betroffenen führen diese Arbeitsstile verbunden mit der Angst, zu versagen, und dem Willen, der oder die Beste zu sein, dazu, dass sie trotz allem Stress und aller negativer Gedanken sehr erfolgreich sind. „Und sie sind auch meist noch sehr beliebt bei den Kollegen“, sagt Rohrmann. „Denn sie machen ihren Job sehr gut, drängen sich aber nicht in den Vordergrund damit, weil sie selbst ja gar nicht denken, dass sie ihn gut machen.“

Doch auch für den nicht-beruflichen Teil des Lebens hat das Hochstapler-Selbstkonzept Folgen. Schon dadurch, dass sie durch den perfektionistischen und auch den prokrastinierenden Arbeitsstil sehr viel Zeit für den Beruf investieren. Diese Zeit fehlt dann an anderen Stellen, etwa für Hobbies und Freunde, in der Partnerschaft oder für die Kinder

Und selbst wenn sie dann im Feierabend sind, kreisen die Gedanken oft noch lange Zeit um Arbeitsthemen herum. War die Präsentation okay so oder hätte ich noch mehr Beispiele einbauen sollen? War der Bericht zu lang? Hätte ich mich in der Konferenz mehr einbringen müssen?

Die Auswirkungen des negativen Denkens und des Grübelns belastet das psychische Wohlbefinden der Betroffenen. Sie haben oft Stress, empfinden Zeit- und Leistungsdruck, fühlen sich emotional ausgelaugt – was bis zum Burn-out-Syndrom oder gar zu einer Depression führen kann.

Tipps: Das Impostor-Syndrom überwinden

Die gute Nachricht: Damit es gar nicht so weit kommt, können Betroffene etwas tun. Einiges sogar, denn es gibt unterschiedlichste Ansätze, mit denen man gegen die negativen Gedankenschleifen vorgehen und das Hochstapler-Syndrom eigenständig behandeln kann. 

Für Psychologinnen wie Sonja Rohrmann gilt als Maßstab dafür, ob Hilfe benötigt wird, meist, wie stark die subjektive Belastung ist. Persönlicher Leidensdruck, heißt das bei Fachleuten. Damit ist die Frage, ob man sich Unterstützung suchen sollte oder nicht, eigentlich recht simpel zu beantworten: Machen einem die Gedanken zu schaffen? Dann benötigt man Hilfe. 

Welche Art der Hilfe, ist abhängig davon, wie stark die Impostor-Gedanken sind. Ansätze gibt es ganz verschiedene, von Selbsthilfe-Maßnahmen über Supervisionen oder Coachings bis hin zur klassischen Psychotherapie, die helfen kann, wenn durch den hohen Leistungsdruck etwa Depressionen oder Angststörungen entstanden sind. 

„Bei allen Maßnahmen ist es das Ziel, dysfunktionale Gedanken erkennen und verändern zu können“, sagt Rohrmann. „Außerdem können die stresserzeugenden Arbeitsstile verbessert werden und man kann lernen, ein Selbstwertgefühl zu entwickeln, dass unabhängiger von den Einschätzungen anderer ist.“

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Wer denkt, dass das Problem noch nicht so gravierend ist, aber trotzdem etwas dagegen unternehmen möchte, für den hat die Psychologie-Professorin Sonja Rohrmann vier Tipps parat, um Selbstzweifel abzubauen:

  • Schriftlich festhalten, welche Erfolge und Fortschritte man auf Basis welcher Fähigkeiten gemacht hat, um zu lernen, die eigenen Leistungen realistischer einzuschätzen.
  • Herausforderungen trotz der dabei aufkommenden Ängste annehmen.
  • Mit anderen über die Selbstsicht reden und andere Meinungen einholen. Aber nicht mit irgendjemandem, womöglich sind enge Freunde nicht die beste Wahl. Meist geht es um berufsbezogene Leistungen und da sind Kolleginnen und Kollegen die besseren Ansprechpartner.
  • Bei Komplimenten einfach mal „Danke“ sagen. Nicht runterspielen, nicht kleinreden, nicht auf die äußeren Umstände schieben, das wirkt sonst eher wie „fishing for compliments“. Einfach nur: „Danke.“ 

Das Gegenteil des Impostor-Syndroms: Der Dunning-Kruger-Effekt

Der Dunning-Kruger-Effekt besagt, dass inkompetente Menschen dazu neigen, ihre Fähigkeiten zu überschätzen. Außerdem sind sie schlechter darin, die Fähigkeiten tatsächlich kompetenter Menschen einzuschätzen, weswegen sie diese eher unterschätzen. Der Name geht auf eine Veröffentlichung der beiden US-amerikanischen Sozialpsychologen David Dunning und Justin Kruger im Jahr 1999 zurück.

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