Virtual Reality ist in der Medizin angekommen. Ausgestattet mit einer VR-Brille auf dem Kopf begeben sich beispielsweise Patienten mit psychischen Störungen unter Aufsicht ihrer Therapeutinnen und Therapeuten in eine virtuelle Welt, um Phobien, Essstörungen oder Schmerzen zu bekämpfen. Die Methode ist nicht nur nachweislich wirksam, sondern oft auch kostengünstiger und niedrigschwelliger als eine Therapie in der Realität. Wie die Technik funktioniert und warum sogar Ärzte davon profitieren können.
Die Virtual Reality, kurz „VR“, ist in der Computerspiele-Branche groß geworden. Dann haben andere Bereiche ihr Potenzial für sich erkannt, auch das Gesundheitswesen. Doch was haben Medizinerinnen und Mediziner davon, wenn ihre Patienten die reale Welt verlassen und sich in eine virtuelle Umgebung begeben?
Der wichtigste Punkt: Die virtuelle Welt lässt sich kontrollieren. Die Therapeuten können Spinnen erschaffen, große und kleine, und steuern, wo sie wie schnell hinlaufen. Sie können Klötze und Bälle formen und diese fliegen lassen.
Sie können die Patienten selbst oder deren Wohnung nachbauen. Mit all diesen Möglichkeiten haben Wissenschaftler mittlerweile zahlreiche Virtual-Reality-Anwendungen geschaffen, mit denen Ärzte und Therapeuten ihre Patienten besser behandeln können: gegen Schmerzen, gegen Ängste und Phobien, in der Reha – und sogar, um ihre eigenen Fähigkeiten zu verbessern.
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1. Virtual Reality gegen Schmerzen
Eltern kennen das: ausreichend abgelenkt, etwa durch ein Bilderbuch, bekommt das Kleinkind die Spritze nicht mal mit. Schmerzen? Fehlanzeige. Die Idee beim Einsatz von VR-Brillen gegen Schmerzen ist genau die gleiche: Ablenkung.
Eine der ersten Anwendungen entwickelten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der University of Washington bereits kurz nach der Jahrtausendwende: das VR-Spiel „SnowWorld“. Der Spieler läuft darin durch eine Schneewelt und wirft mit Schneebällen nach Schneemännern, Pinguinen und was sonst noch so auftaucht. Zum Einsatz kommt das Spiel bei Personen, die Verbrennungen erlitten haben. Ihnen müssen Ärztinnen und Ärzte regelmäßig die Verbände wechseln und die Wunden reinigen.
Und das tut ganz schön weh. Aber eben weniger stark, wenn die Patientinnen und Patienten dabei nicht im Behandlungszimmer liegen, sondern durch „SnowWorld“ laufen. Mittlerweile gibt es zahlreiche weitere Anwendungsbeispiele. Zum Beispiel während der Zahnarztbehandlung, gegen die Wehen der Mutter bei der Geburt eines Kindes oder um die nötige Behandlung nach einem Dammschnitt zu erleichtern.
2. Virtual Reality gegen Angststörungen
VR-Therapien funktionieren hervorragend gegen Phobien. Phobien sind, so die Definition, dauerhafte, unangemessene und intensive Ängste vor bestimmten Objekten oder Situationen. Welche das sind, das kann ganz verschieden sein.
Es gibt die Spinnenphobie, Höhenangst, Flugangst, Angst vor öffentlichen oder vor sozialen Situationen und noch einige mehr. Wer darunter leidet, hat irgendwann sogar Angst vor der Angst – so kann die Phobie mit der Zeit immer größer und irrationaler werden. Die klassische Therapie: Konfrontation. „Du hast Angst vor Spinnen? Schau, ein Spinnen-Bild. Okay? Dann schau, da hinten im Glaskasten, eine echte Spinne.
Komm näher, noch näher, noch näher. Jetzt nimm sie mal auf die Hand.“ So in etwa funktioniert die Konfrontationstherapie und sie hilft sehr gut gegen Ängste. In der Virtuellen Realität, das weiß man mittlerweile, funktioniert eine solche Therapie ebenfalls ziemlich gut. Und sie hat gegenüber der realen Welt einige Vorteile: Der Therapeut kann das Angst auslösende Objekt kontrollieren – er kann steuern, wie groß und wie schnell die Spinne ist und wohin sie sich bewegt.
Bei Höhenangst kann man auf einer Leiter starten und schließlich in den Grand Canyon blicken. Und zur Not lässt sich der Besuch von angsteinflößenden Orten, etwa überfüllte große Plätze oder Brücken, direkt abbrechen. Therapie mit VR kann günstiger und machbarer sein – man denke nur an die Konfrontationstherapie der Flugangst. Und nach einer kleinen Einführung können Betroffene ihre Ängste auch daheim auf der Couch wegspielen.
3. Virtual Reality gegen die Nervosität
Neben den spezifischen Phobien kann Virtual Reality auch bei Ängsten helfen, die in der Intensität eher eine Kategorie niedriger liegen. Zum Beispiel, wenn jemand Angst vorm Zahnarzt hat. Sich in der virtuellen Realität abzulenken, hilft gegen die Nervosität.
Das funktioniert auch bei größeren Eingriffen: An der Ulmer Uniklinik testen Ärzte gerade den Einsatz von VR-Brillen. Denn es gibt Operationen, bei denen müssen die Patienten bei Bewusstsein bleiben, um den Ärzten Fragen zu beantworten – sie bekommen deswegen nur lokale Anästhesien.
Da es aber ganz schön stressen kann, in einem OP-Saal zu liegen, während über einen gebeugte Mediziner am eigenen Körper hantieren, können die Behandelten dank VR zum Beispiel mit Meeresschildkröten schwimmen, durch eine Winterlandschaft spazieren oder ins Weltall fliegen.
4. Virtual Reality gegen Traumata
Bei Posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) kann die VR Betroffenen helfen, ihre Ängste besser kontrollieren zu können. Die PTBS wird durch ein schweres Trauma ausgelöst, etwa eine Vergewaltigung, Krieg, Folter oder eine Naturkatastrophe. Auch wenn das Ereignis schon lange zurückliegt, erleben Betroffene es im Alltag immer wieder in Form von Flashbacks oder Angstträumen.
Zur Behandlung versuchen Therapeuten, die traumatische Situation mit den Betroffenen in Gedanken immer wieder durchzugehen. Jedes Durchspielen soll – ähnlich wie bei der Konfrontationstherapie für Spinnenphobiker – die Wucht der Emotionen ein kleines bisschen verringern. Nicht jeder Betroffene kann oder will das tun.
Dann kommt die VR ins Spiel: Der Therapeut stellt die Trauma-Situation dank dieser Technik virtuell nach. So kann der Patient sich aus einer geschützten Situation heraus seiner Angst stellen. Zu Beginn haben Forscher VR bei PTBS vor allem bei traumatisierten Soldaten nach der Rückkehr aus dem Krieg getestet. Heute gibt es auch erste Anwendungen für die Opfer von Raubüberfällen, (häuslicher) Gewalt, Missbrauch oder Autounfällen.
5. Virtual Reality gegen Essstörungen
Hier kann Virtual Reality auf zwei Wegen helfen. Entweder können Therapeuten mit VR-Technik an der verzerrten Körperwahrnehmung ihrer Patientinnen und Patienten arbeiten. An Magersucht Erkrankte nehmen ihren eigenen Körper mitunter oft dicker und muskulöser wahr, als er es tatsächlich ist.
In der virtuellen Realität können Therapeuten den Körper der Person nachstellen. So kann der Patient seinen eigenen Körper leichter aus der Sicht eines neutralen, fremden Beobachters betrachten, was es wiederum leichter machen kann, die eigenen Wahrnehmungsverschiebungen zu erkennen. Der zweite Weg: Ist jemand an „Binge Eating“ oder Bulimie erkrankt, werden die damit einhergehenden Heißhungerattacken oft durch bestimmte Orte oder Situationen ausgelöst.
Diese Verknüpfung kann man lösen. Auch hier wieder wie bei der Spinnenphobie: in kontrollierter (virtueller) Umgebung konfrontieren sich die Betroffenen mit dem Reiz, immer und immer wieder – bis er schließlich keine Heißhungerattacken mehr auslöst.
Welche Ursachen haben Essstörungen und wie werden sie behandelt?
6. Virtual Reality bei der Reha
Wer macht schon gern Reha-Übungen? Tut weh, fällt schwer, ging alles mal besser und der Erfolg, naja, kommt schleichend. Mit Virtual Reality aber kann der Reha-Sport richtig Spaß machen. Denn sie wird zu einem Computerspiel, in dem man selbst die Hauptrolle einnimmt: VR-Brille auf und schon kommen Boxen und Balken angeflogen, Stöcke oder Löcher versperren den Weg, die Spieler müssen nach links ausweichen, nach rechts hüpfen, sich ducken oder über etwas hinwegsteigen.
Es gibt Punkte, Level und allerlei Gamification-Elemente, mit denen die Gaming-Industrie den Spaß der Nutzer am Spiel hochhält. Je nach Reha-Schwerpunkten stehen verschiedene Spielchen mit unterschiedlichen Bewegungs-Herausforderungen zur Auswahl. Und wem die Reha dann so richtig viel Spaß macht, der kann sie daheim im Wohnzimmer weiterspielen.
7. Virtual Reality für Ärtzinnen und Ärzte
Last but not least gibt es VR-Anwendungen für Ärzte und Therapeuten. Chirurgen zum Beispiel üben in ihrer Ausbildung eine Operation erstmal, bevor sie sich an einen echten Patienten wagen. Klassischerweise tun sie das am Computer, an Puppen oder auch mal an einem toten Schwein. Eine neue Möglichkeit schafft die Virtuelle Realität.
Zudem gibt es mittlerweile Operationsroboter, die genauer und filigraner arbeiten können als es der beste Chirurg je könnte – und die sich per VR-Brille steuern lassen. Für Medizin-Studierende gibt es VR-Programme, in denen sie einer virtuellen Person eine schlimme Nachricht überbringen müssen.
So können sie ihre Empathie für den Ernstfall im echten Leben schulen. Und ebenfalls fürs Verständnistraining von Ärzten haben Forscher eine Anwendung entwickelt, in der die Ärzte nachspielen können, wie es sich anfühlt, alt zu sein. Das VR-Headset simuliert eine trübe Linse und immer wieder auftretende Hörprobleme – das soll das Verständnis für ältere Patientinnen und Patienten stärken.