Durch die Klimakrise ausgelöste Ängste sind nicht irrational, doch wie verwandeln wir sie in positives Handeln? Die Barmer mit ihrer Expertise für Prävention in Lebenswelten kooperiert mit der Stiftung Gesunde Erde – Gesunde Menschen, um auch die zunehmenden Auswirkungen der Klimakrise auf die mentale Gesundheit in den Blick zu nehmen.
Als Kerstin Blum 2020 die Geschäftsführung der neu gegründeten Stiftung Gesunde Erde – Gesunde Menschen (GEGM) übernimmt, hat sie bereits 15 Jahre Erfahrung im gesundheitspolitischen Umfeld. „Sobald man sich intensiv mit der Klimakrise und ihren Folgen beschäftigt, wird klar: Gesundheit beruht auf Grundlagen, die das Gesundheitswesen selbst weder garantieren noch behandeln kann! Wie wir in der Gesellschaft und im Gesundheitssystem Klimaschutz als Gesundheitsschutz schnell und effektiv umsetzen, ist die zentrale Frage, an der ich arbeiten wollte.“
Das Timing hätte besser nicht sein können. Inspiriert durch eine Begegnung mit der berühmten Schimpansenforscherin Jane Goodall entschied der Arzt, Wissenschaftsjournalist und Stiftungsgründer Dr. Eckart von Hirschhausen, sich vollkommen dem Einsatz für die planetare Gesundheit zu widmen. „Eigentlich habe ich Jane Goodall interviewt, doch mitten im Interview drehte sie die Rollen um, schaute mich an aus diesen weisen, alten und etwas melancholischen Augen, und stellte mir diese Frage: „Wenn wir Menschen ständig betonen, wir sind die intelligenteste Spezies auf diesem Planeten – warum zerstören wir dann unser eigenes Zuhause?“ Da habe ich geschwiegen, geschluckt und verstanden: Das ist die zentrale Frage, der wir uns alle stellen müssen.“
Bewusstsein schaffen für die Klimakrise als Gesundheitsrisiko
Die Stiftung nimmt ihre Arbeit auf. Das Ziel: Mit einer Kommunikation, die Kopf und Herz erreicht, das Bewusstsein dafür zu stärken, dass die Klimakrise das größte Gesundheitsrisiko im 21. Jahrhundert ist. Unter dem Motto „Wir müssen nicht das Klima retten – sondern uns“ erläutert GEGM, was hinter dem Konzept der planetaren Gesundheit steckt: „Gesundheit beginnt nicht mit Pillen, einer Operation oder einem Krankenhausaufenthalt. Gesundheit beginnt mit Wasser zum Trinken, Luft zum Atmen, Pflanzen zum Essen, erträglichen Temperaturen und einem guten Miteinander“, sagt Stiftungsgründer von Hirschhausen.
Gedanken an die Folgen der Klimakrise, die all die oben genannten Grundvoraussetzungen von Gesundheit gefährden, erzeugen Ängste und Sorgen bei immer mehr Menschen. Deshalb beschäftigt sich GEGM schon länger mit den Auswirkungen der Klimakrise auf die mentale Gesundheit. Diese Folgen der Klimakrise wurden bislang noch nicht systematisch erfasst. Hier gibt es großen Nachholbedarf, denn sie könnten in Zukunft zu den häufigsten Nebenwirkungen der Klimakrise gehören. Mit ihren SINUS-Jugendstudien, die auch Klimaangst unter Jugendlichen untersucht, widmet sich die Barmer dem Thema bereits der Erfassung des Phänomens. Die Studie aus dem Jahr 2022 brachte hervor, dass 37 Prozent der Jugendlichen große Angst vor der Klimakrise verspüren.
Unterstützungsangebote für junge Menschen
Gerade bei jungen Menschen sind Unterstützungsangebote für den individuellen Umgang mit diesen Emotionen wichtig, zugleich lässt sich die Ursache der Angst nur durch eine gesellschaftliche Anstrengung beseitigen. Henning Flaskamp, Kommunikationsleitung der Stiftung, betreut das Kooperationsprojekt auf Seiten von GEGM: „Millionen Menschen müssten nur wissen, dass es die anderen auch gibt und sie würden sich nicht mehr allein fühlen. Wir müssen offen miteinander über Ängste und die mentalen Auswirkungen der Klimakrise sprechen. Das Wichtigste, was ein Einzelner jetzt tun kann, ist: kein Einzelner zu bleiben.“ Mit anderen über die eigenen Emotionen zu sprechen, kann für Entlastung sorgen und Betroffenen vor Augen führen, dass sie mit dem Problem nicht allein sind. Oftmals braucht es nur eine Person, die den ersten Schritt wagt und damit andere Menschen in ihrem sozialen Umfeld ermuntert, sich ebenfalls zu öffnen und über die mentalen Belastungen zu sprechen. Zugleich tragen solche Momente dazu bei, dass in der Gesellschaft mehr über die Klimakrise gesprochen wird, über ihre zu befürchtenden Folgen und die Wege, dem zu begegnen. Gerade Letzteres ist wichtig, damit Hoffnung und Motivation, sich zu engagieren, erhalten bleiben.
Vor einer Jahrhundertaufgabe zu stehen, für deren Bewältigung nicht einmal mehr ein Jahrzehnt Zeit bleibt, kann ein Gefühl der Ohnmacht verursachen. Dennoch bringe es nichts, die Augen vor dem Problem zu verschließen, sagt Stiftungsgründer Eckart von Hirschhausen: „Unser Verhalten der Klimakrise gegenüber ist so ein bisschen wie, wenn man nachts aufwacht mit voller Blase. Man weiß genau, was man jetzt tun müsste. Man weiß auch, es wird von allein nicht besser. Im Gegenteil. Aber wir denken ernsthaft, wenn ich die Augen nicht aufmache, dann fällt mein Körper drauf rein.“ Aktives Engagement gehört zu den wirksamsten Resilienzstrategien. Das Team von GEGM ist überzeugt: Auf Dauer lässt sich das Problem nicht verdrängen. Und Teil der Lösung zu werden, fühlt sich gut an.
Je sichtbarer die Folgen der Klimakrise werden, desto schwieriger wird es, sie zu verdrängen. Der psychische Aufwand für diese Verdrängungsleistung ist – zumindest langfristig – deutlich größer als die Auseinandersetzung mit der Herausforderung und dem Einsatz für eine lebenswerte und gesunde Zukunft. Menschen, die sich den realen Gefahren der Klimakrise stellen, fällt es oft leichter, ihre negativen Emotionen anzuerkennen und darüber zu sprechen. Natürlich kann die ständige Auseinandersetzung mit der Klimakrise auch die mentale Belastung vergrößern. Doch wer keine Scham hat, über seine Ängste in Bezug auf die Klimakrise zu sprechen, hat auch die Möglichkeit, die eigene Resilienz aktiv zu stärken. Psychologin Janna Hoppmann hat sich auf Klimapsychologie und Klimakommunikation spezialisiert und berät Organisationen bei der Entwicklung von Resilienz-Strategien: „Unternehmen und Organisationen sollten ihren Mitarbeitenden Raum geben, auch über ihre Emotionen in Bezug auf die multiplen Krisen, die wir gerade erleben, zu sprechen. Gerade dort, wo eine Auseinandersetzung mit diesen Themen zum beruflichen Alltag gehört.“ GEGM hat bereits dauerhafte Maßnahmen zur Stärkung der Resilienz der Mitarbeitenden implementiert und kann auch diese Erfahrungen in die Kooperation einbringen.
Erfolge sehen und Lösungen sichtbar machen
Bei aller Dringlichkeit des Problems und der Frustration über zu langsame Fortschritte ist immer wieder wichtig: auch die eigenen Erfolge sehen und die vielen Lösungen, die es vielfach bereits gibt, sichtbar machen. Geschäftsführerin Blum beschreibt den Kommunikationsstil der Stiftung dementsprechend als lösungsorientiert: „Was bislang in der Debatte fehlte: das Wozu. Das positive Narrativ. Die Lust auf Zukunft. Und genau dafür setzt sich Gesunde Erde – Gesunde Menschen mit einem rasant wachsenden Netzwerk voller ungewöhnlicher Allianzen ein.“
Dass an einer dieser Allianzen jetzt auch die Barmer beteiligt ist, sieht Dr. Janine Voß als große Chance für den nächsten Schritt: „Unsere SINUS-Jugendstudien sind sehr wertvoll und wichtig für die Problembeschreibung und haben das Ausmaß der Problematik sichtbar gemacht. Doch dabei wollen wir nicht stehenbleiben. Jetzt geht es darum, Betroffene zu unterstützen und deutlich zu machen, dass das beste Mittel gegen Klimaangst der Einsatz für eine nachhaltige und lebenswerte Zukunft ist. Klimaschutz ist auch ein Schutz der seelischen Gesundheit.“
Die Kooperation soll den Diskurs um mentale Belastungen als Folge der Klimakrise erweitern und das Verständnis fördern, dass sehr viele Menschen mit ganz unterschiedlichen Voraussetzungen betroffen sein können. Darin steckt schlussendlich auch das Potenzial, Gemeinsamkeit herzustellen und Menschen in ihrem Bemühen zu vereinen, die mentalen Belastungen durch die Klimakrise zu überwinden. Dafür braucht es eine ehrliche Auseinandersetzung mit der Klimakrise sowie ihren Folgen – und ebenso eine breit geführte gesellschaftliche Debatte, wie wir gemeinsam die Lösungen gestalten wollen, mit denen die Klimakrise eingedämmt werden kann.
Klimaschutz im Gesundheitswesen
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