- Die Lage ist komplex
- Bei wem sollten Impfempfehlungen angepasst werden?
- Patienten mit Gerinnungsstörung oder einer Blutungsneigung
- Patienten mit Autoimmunerkrankungen und chronisch-entzündlichen Erkrankungen
- Patienten mit einem eingeschränkten Immunsystem (Immundefizienz)
- Patienten mit HIV
- Menschen mit angeborenen Immundefekten
- Wozu brauchen wir einen Herdenschutz?
Menschen, deren Immunsystem durch Vorerkrankungen und Medikamente weniger gut wirkt, sind Infektionen vermehrt ausgeliefert. Sie brauchen unseren besonderen Schutz. Wir können helfen, indem wir uns und unsere Kinder impfen und dadurch verhindern, dass nicht oder nur schwer zu behandelnde Erreger zirkulieren. Vor allem Menschen im engen Kontakt mit Gefährdeten sollten sich dieser Verantwortung bewusst sein.
Viele Menschen mit Vorerkrankungen sind verunsichert, wenn es ums Impfen geht. Darf ich oder darf nicht? Soll ich oder besser nicht? Gibt es Empfehlungen? Die beruhigende Nachricht: Chronische Erkrankungen beispielsweise an Herz, Niere oder Lunge stellen keine Kontraindikation für eine Impfung dar, im Gegenteil.
Personen, die daran erkrankt sind, sollten sich gemäß den Empfehlungen der STIKO besonders gut um Auffrischimpfungen und um Impfungen im Alter kümmern. Ausnahmen gibt es vor allem bei Erkrankungen des Immunsystems und bei Gerinnungsstörungen. Gerade bei Erkrankungen des Immunsystems zögern sogar manche Impfärzte und wissen nicht, wann geimpft werden darf und wann nicht. Es wird daher empfohlen, dass sich Impfärzte und die Behandler aus den Spezialzentren bei diesen Patienten eng miteinander abstimmen.
Die Lage ist komplex
Lange Zeit waren Glucocorticoide, Methotrexat, Azathioprin sowie Calcineurin-Antagonisten wie Cyclosporin und Tacrolimus, die bei Organtransplantationen, Schuppenflechte und Neurodermitis eingesetzt werden oder mTOR-Inhibitoren wie Sirolimus, welches die Aktivität der weißen Blutkörperchen herabsetzt, die wenigen Säulen einer Therapie, um die Aktivität des Immunsystems zu regulieren. Das hat sich im letzten Jahrzehnt grundlegend verändert. So werden heute bei rheumatischen Erkrankungen oder chronisch entzündlichen Darmerkrankungen verschiedene Biologika eingesetzt, die die Immunantwort auf ganz spezifische Weise hemmen.
Gleichzeitig hat sich durch die Molekulargenetik ein ganzes neues Feld an genetischen Defekten aufgetan, die zu einer vermehrten Entdeckung angeborener Immundefekte führt. Zudem sind Menschen, die eine Erkrankung des Immunsystems haben oder deren Immunsystem durch Medikamente beeinflusst wird, weniger geimpft als Gesunde. Das sind die häufigsten Gründe:
- Es besteht die Sorge, Impfungen wirken nicht, weil das Immunsystem nicht adäquat reagiert.
- Bei Impfungen mit Lebendimpfstoffen könnten Infektionen oder Impfreaktionen übersehen werden.
- Möglicherweise verschlechtert die Impfung die Erkrankung, indem sie a) die Viruslast bei HIV-Infizierten erhöht, b) dazu führt, dass ein Organ nach einer Organtransplantation abgestoßen wird oder c) einen Schub bei einer entzündlichen Grundkrankheit auslöst.
Bei wem sollten Impfempfehlungen angepasst werden?
In bestimmten Situationen empfehlen Experten, sich nicht impfen lassen oder die Impfung auf später zu verschieben. Für andere Situationen gibt es gezielte Handlungsanweisungen. Das ist vor allem bei Krankheiten der Fall, die das Immunsystem schwächen. Das Problem: Oft sind diese Menschen genau diejenigen, die den Schutz einer Impfung besonders nötig hätten. Daher gilt es, jedes Mal aufs Neue und angepasst an den Verlauf der Erkrankung zu schauen, ob eine Impfung möglich ist oder nicht.
Patienten mit Gerinnungsstörung oder einer Blutungsneigung
Bei ihnen ist nicht der Impfstoff oder die körperliche Reaktion darauf das Problem, sondern die Spritze in den Muskel. Sollte hierbei ein Gefäß getroffen werden, könnte das zu Blutungen ins Gewebe führen. Diese lassen sich dann möglicherweise nicht gut stoppen. Daher empfiehlt das Robert-Koch-Institut (RKI) bei dieser Patientengruppe, Impfungen ins Fettgewebe unter die Haut zu verabreichen. Der Impfarzt sollte Betroffene darüber aufklären, dass die Impfung möglicherweise weniger gut wirkt und dass eventuell vermehrt lokale Impfreaktionen auftreten.
Patienten mit Autoimmunerkrankungen und chronisch-entzündlichen Erkrankungen
Autoimmunerkrankungen und chronisch-entzündliche Erkrankungen nehmen stetig zu. Das Immunsystem wird zum Gegner des eigenen Körpers. Bei Autoimmunerkrankungen kann die Abwehr nicht mehr zwischen körpereigenen Zellen und Fremdstoffen wie Viren oder Bakterien unterscheiden. Die Abwehrzellen reagieren über, greifen Haut, Knochen, Organe oder Nervenzellen an. Gesundes Gewebe wird beschädigt, betroffene Areale, Organe oder Organsysteme sind permanent entzündet. Chronisch-entzündlichen Erkrankungen sind die Folge.
Chronisch entzündliche Erkrankungen, die durch eine Autoimmunerkrankung verursacht werden, sind beispielsweise
- rheumatoide Arthritis,
- systemischer Lupus erythematodes (SLE) sowie
- multiple Sklerose,
- Morbus Crohn,
- Colitis ulcerosa und
- Osteoarthritis.
In den vergangenen Jahren konnten neue Medikamente wie Biologika die Prognose und den Therapieerfolg dieser Erkrankungen deutlich verbessern. Durch die Behandlung mit Therapien, die das Immunsystem unterdrücken oder zumindest dämpfen, aber teilweise auch durch die Krankheit selbst, ist das Risiko Betroffener für zahlreiche Infektionskrankheiten erhöht. Infektionen mit Hepatitis B, Pneumokokken oder Influenza können bei Menschen mit einem beeinträchtigten Immunsystem schwerer verlaufen als bei Menschen, deren körperliche Abwehr tadellos funktioniert. Infektionen können solche Erkrankungen auch verschlechtern und zu einem Krankheitsschub führen. Daher ist ein umfassender Impfschutz für diese Menschen besonders wichtig.
Im besten Fall sind Betroffene komplett durchgeimpft, bevor sie mit einer immunsuppressiven Therapie beginnen. Ist das nicht der Fall, gibt es ein paar Dinge zu beachten: Totimpfstoffe dürfen auch während einer immunsuppressiven Therapie verabreicht werden. Das Risiko für unerwünschte Wirkungen erhöht sich durch Totimpfstoffe nicht. Möglicherweise wirkt die Impfung jedoch weniger gut als bei gesunden Menschen.
Das ist beispielsweise dann der Fall, wenn Patienten Medikamente einnehmen, die die Anzahl bestimmter Immunzellen verringern. Die Wirksamkeit von Impfungen lässt sich durch Laboruntersuchungen bestimmen. Dagegen sollten diese Patienten während der gesamten immunsuppressiven Therapie keine Lebendimpfstoffe verabreicht bekommen. Eine Ausnahme bildet hier beispielsweise eine Therapie mit niedrig dosiertem Glukokortikoid oder niedrig dosiertem Methotrexat.
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Patienten mit einem eingeschränkten Immunsystem (Immundefizienz)
In diesen Kreis gehören Patienten mit Krebserkrankungen und Erkrankungen des blutbildenden Systems, die beispielsweise eine Chemotherapie oder eine Stammzelltransplantation erhalten. Auch haben Menschen nach einer Organtransplantation oder solche, die keine Milz haben (Asplenie), ein eingeschränktes Immunsystem. Sie alle haben ein erhöhtes Risiko für Infektionskrankheiten. Einige dieser Infektionen durch Viren und Bakterien lassen sich durch Impfungen verhindern.
Sowohl die Erkrankungen selbst als auch die eingesetzten Medikamente und möglichen Impfstoffe sind sehr heterogen. Daher lassen sich hierzu kaum allgemeingültige Aussagen treffen. Generell gilt, dass auch diese Patienten möglichst weitreichend durch Impfungen vor Infektionskrankheiten geschützt werden sollten.
Der Impfarzt sollte sich bei Fragen an den behandelnden Arzt oder gegebenenfalls an eine immunologische Spezialambulanz wenden. Im Jahre 2020 hat eine Experten-Arbeitsgruppe der zuständigen Fachgesellschaften, des Robert Koch-Instituts und der STIKO eine Publikation mit Anwendungshinweisen für diese Patientengruppe herausgegeben. Sie geht auf die verschiedenen immunologischen Situationen ein und berücksichtigt differenziert zahlreiche Behandlungsansätze und Impfstoffe.
Patienten mit HIV
Eine unbehandelte HIV-Erkrankung schränkt die Funktion des Immunsystems stark ein. Selbst bei erfolgreicher Grundimmunisierung nimmt die Infektabwehr ab, wenn die Erkrankung nicht behandelt ist. Wie gut eine aktuelle Impfung bei HIV-Patienten wirkt, hängt vom Zustand der Immunabwehr ab.
Oft wirken bei ihnen Impfungen schwächer und halten weniger lange an als bei nicht mit HIV-infizierten Personen. Daher sollten HIV-Positive sich am besten dann impfen lassen, wenn ihr Immunstatus durch die antivirale Therapie gut aufgebaut ist. Wie gut eine Impfung wird, kann überprüft werden, indem man Antikörper im Blut misst.
Gelegentlich nimmt nach einer Impfung die Viruslast von HI-Viren zu. Das ist nur vorübergehend und verschlechtert in der Regel nicht den Gesundheitszustand. Der Umstand sollte nicht von einer Impfung abhalten.
Totimpfstoffe können bei HIV-infizierten Personen generell in allen Stadien der Erkrankung sicher eingesetzt werden, auch bei schlechter Lage der Immunabwehr. Impfungen mit Lebendimpfstoffen sind nur empfehlenswert, wenn das Immunsystem im guten Zustand ist. Wann das der Fall ist, sollten Behandler und Impfarzt miteinander besprechen.
Menschen mit angeborenen Immundefekten
Infektionen sind bei Menschen mit angeborenen Immundefekten ein häufiger Grund, dass sie erkranken oder gar versterben. Impfungen können sie davor schützen. Die Erkrankungen sind sehr unterschiedlich und können verschiedene Bereiche der körperlichen Abwehr treffen.
Daher sollten sich Patienten und Impfarzt mit den behandelnden Ärzten aus der Spezialambulanz zu einzelnen Impfungen verständigen. Generell gilt: Eine Impfung mit Totimpfstoffen ist in der Regel kein Problem. Allerdings ist abhängig von der Art der Immunstörung ist, wie gut eine solche Impfung wirkt. Das lässt sich jedoch mit labordiagnostischen Methoden überprüfen.
Wozu brauchen wir einen Herdenschutz?
Alle, die gesund sind, können Menschen ohne ausreichenden Impfschutz absichern: indem sie sich selbst und ihre Kinder impfen lassen. Denn: Ab einer bestimmten Durchimpfungsquote in der Gesamtbevölkerung kann ein von Mensch zu Mensch übertragbarer Erreger nicht mehr zirkulieren. Im besten Fall wird er eliminiert.
Experten sprechen auch von der Herdenimmunität. Der eigene Schutz trägt zum Schutz der restlichen Bevölkerung bei, insbesondere der Menschen, die aufgrund von Vorerkrankungen nicht geimpft werden dürfen oder bei denen Impfungen nicht gut genug wirken. Wie hoch die Immunität in der Bevölkerung sein muss, um andere wirksam zu schützen, hängt davon ab, wie infektiös ein Erreger ist.
- Bei Masern und Keuchhusten müssen 92 bis 94 Prozent der Bevölkerung immun sein.
- Bei Diphtherie kann Gemeinschaftsschutz schon ab etwa 83 bis 85 Prozent erzielt werden.
- Beim neuartigen Coronavirus SARS-Cov2 gehen Experten davon aus, dass 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung immun sein müssen, um das Virus zu stoppen.
Vor allem Menschen im engen privaten oder beruflichen Kontakt sollten einen soliden Impfschutz haben.