Isst man weit über den Hunger hinaus, schmerzt der Bauch. Passiert einem das nur selten, ist das nicht weiter schlimm. Fühlt man sich aber regelmäßig nach dem Essen zu voll, sollte man versuchen, vorzubeugen.
Leichte Übelkeit steigt auf, der Bauch drückt, dazu gesellt sich das Gefühl, nie wieder etwas essen zu wollen – typische Symptome, die viele von uns von Weihnachten oder auch dem Zuckerfest kennen. Sich festlich den Bauch vollzuschlagen, ist so menschlich, dass die Waagen vielerorts nach der Weihnachtszeit ein halbes bis ganzes Kilogramm mehr anzeigen.
„Jahrtausende lang war es für uns überlebenswichtig, in Zeiten des Überflusses sehr viel essen zu können und für kargere Zeiten zu speichern“, sagt Ernährungsmediziner Professor Matthias Blüher vom Uniklinikum Leipzig. „Für viele Menschen auf der Welt ist das auch heute noch wichtig. Hierzulande kann es aber zum Problem werden.“
Was passiert, wenn man sich überfressen hat?
Dabei ist es überhaupt nicht schlimm, sich einmal zu überessen. „Von einer üppigen Mahlzeit wird man nicht dick oder krank“, sagt Blüher. Ein gesunder Mensch verkraftet ein paar Kalorienbomben gut – auch wenn man im Körper durchaus Spuren des kulinarischen Gelages messen kann.
In einer Studie etwa sollten 14 gesunde Männer in der ersten Runde so viel essen, bis sie normal satt waren. Das entsprach bei den meisten etwa der Menge einer großen Pizza. In einem zweiten Durchgang sollten sie so viel essen, bis sie das Gefühl hatten, keinen einzigen Bissen mehr hinunterzubekommen. Bei den meisten stellte sich dieses Gefühl erst nach etwa zwei Pizzen ein. In den folgenden vier Stunden stiegen die Blutfettwerte und der Insulinspiegel der Probanden stärker an als nach der normalen Mahlzeit, allerdings lagen sie nicht doppelt so hoch wie nach der ersten Pizza. Einen Nebeneffekt, den viele von Überessen kennen, spürten auch die Probanden der Studie: Nach mehr als einer Pizza waren sie müde.
Esswettbewerbe: fragwürdige Rekorde
Es geht um die Wurst, besser gesagt um möglichst viele Würste, wenn Joey Chestnut seinen Kiefer lockert und seine Bauchmuskeln dehnt. Wenn er dann einen Hotdog nach dem anderen ins bereit gestellte Wasser tunkt und danach der Länge nach in den Mund schiebt, kommen Tischmanieren eher kurz. 76 Hotdogs hat er bei einem Versuch im Jahr 2021 so in zehn Minuten verschlungen, damit hält er den Weltrekord im Hotdog-Essen. Ein sehr zweifelhafter Rekord – Nachahmung definitiv nicht empfohlen.
Nicht ganz so schnell, dafür noch viel mehr, soll die Amerikanerin Donna Simpson beim Weihnachtsfest 2010 verdrückt haben: zwei Truthähne (ca. 23 Kilogramm), zwei Schinken, etwa sieben Kilogramm Kartoffeln, fünf Brote, etwa neun Kilogramm Gemüse sowie Soße und Füllung, gefolgt von einem Nachtisch. Alles in allem etwa 30.000 Kalorien. Chestnut und Simpson verdienen Geld mit dem vielen Essen – und setzen dafür ihre Gesundheit aufs Spiel.
Was tun gegen Völlegefühl?
Nach dem Essen sollst du ruhen oder tausend Schritte tun, besagt ein Sprichwort. „Da ist auch sehr viel dran“, sagt Ernährungsmediziner Blüher. „Wer sich hinlegt, gönnt dem Verdauungstrakt die nötige Ruhe, die Nahrungsfülle zu bewältigen. Wer spazieren geht, verbrennt ein bisschen der Energie gleich wieder.“ Joggen hingegen ist mit randvollem Bauch keine gute Idee. Bei intensivem Sport fließt viel Blut in die Bewegungsmuskulatur, sodass es im Magen und Darm fehlt. Die Folge: Die Verdauung zieht sich hin, auch Übelkeit und Sodbrennen können auftreten. Nach ein paar Stunden spricht aber nichts dagegen, in die Laufschuhe zu schlüpfen.
Wer unter starkem Völlegefühl leidet, kann sich in der Apotheke beraten lassen – es gibt Medikamente, die die Darmbewegung anregen, Übelkeit oder Blähungen lindern. Hausmittel wie Kümmel, Fenchel oder Pfefferminze können ebenso wohltun wie Wärme. Kurzzeitig wirkt auch der berühmte Verdauungsschnaps gegen Völlegefühl, da er die Magenmuskulatur entspannt. Gerade deshalb ist er aber in Wirklichkeit kontraproduktiv, denn er verlangsamt so die Verdauung.
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Gesundheitliche Folgen: Ist Überessen gefährlich?
Erkrankungsrisiken
Wer sich nur selten überisst, gefährdet seine Gesundheit nicht. „Ab wann genau solch ein Verhalten kritisch wird, kann man nicht genau sagen“, so Blüher. Schon wenn gesunde Studienteilnehmerinnen und Studienteilnehmer mehr als 24 Stunden lang deutlich mehr aßen als sie benötigten, hatte dies einen negativen Einfluss auf den Zuckerstoffwechsel. Wer sich jedoch häufig überisst, kann zunehmen, außerdem steigt das Risiko für Typ-2-Diabetes, eine Fettleber und/oder Gefäßprobleme. Hier ist auch die familiäre Neigung zu diesen Erkrankungen entscheidend.
Außerdem scheint es den Magen „auszuleiern.“ Eine – wenn auch kleine – Untersuchung legt nahe, dass Menschen, die regelmäßig übergroße Portionen essen, ein größeres Magenvolumen haben als andere. Eine weitere Studie zeigt, dass es möglich ist, durch eine Diät die Magenkapazität wieder kleiner werden zu lassen.
Kann man eigentlich platzen?
Im engeren Sinn kann man nicht platzen. Der Magen ist ein sehr dehnbares Organ. Ist er leer, gleicht sein Volumen etwa dem einer Kaffeetasse. Ist er normal gefüllt, fasst er circa 1,5 Liter. Maximal können es sogar bis zu vier Liter sein.
Bevor der Magen an den Rand seiner Elastizität gelangt, wird die Nahrung normalerweise in den Darm weitergeschoben – oder man wird von Brechreiz übermannt. In überaus seltenen Fällen können der Magen oder die Speiseröhre aber tatsächlich einen Riss bekommen. Matthias Blüher hat bereits Betroffene behandelt. „Das passiert in der Regel aber nur, wenn zu extrem großen Mahlzeiten gleichzeitig viel Alkohol getrunken wird oder noch andere Drogen im Spiel sind“, sagt der Mediziner.
Sättigungsgefühl
Damit wir uns satt fühlen, müssen viele Faktoren zusammenspielen. Der Magen meldet, dass er gedehnt ist. Zusätzlich erfassen Messfühler, sogenannte Chemorezeptoren, in Darm und Leber die Nährstoffe, die wir gegessen haben. Über verschiedene Hormone geben auch sie dem Gehirn Bescheid, dass es fürs Erste reicht. Wir fühlen uns satt – und zufrieden. „Wir wissen: Das Sättigungsgefühl kann nachlassen, wenn man oft zu viel isst“, sagt Ernährungsmediziner Blüher. „Woran das genau liegt, ist noch unklar. Unter anderem vermutet man Entzündungsprozesse im Körper als Ursache, möglicherweise auch im Gehirn.“
Ursachen für das Überessen
Die Crux an all dem ist, dass man sich in der Folge noch leichter überisst. „Kaum jemand isst absichtlich immer wieder zu viel“, sagt Blüher. Dahinter könnten unterschiedlichste Ursachen stecken, angefangen bei körperlichen Faktoren. Laut Experte haben die einen von Kindheit an dehnbarere Mägen als andere, ein schwächeres Sättigungsgefühl oder eine größere Vorliebe für Kalorienreiches; manche haben einen trägeren Stoffwechsel, sie verbrauchen weniger Energie. Für sie ist vielleicht schon eine ganz normale Portion in der Kantine zu viel, während andere deutlich mehr Energie benötigen.
„Nicht zu unterschätzen ist die emotionale Komponente des Essens“, fügt Blüher hinzu. Andauender Stress lässt viele Menschen mehr essen – und eher zu süßen und fettigen Snacks greifen. Das Stresshormon Cortisol scheint dieses Verhalten zu begünstigen. „Essen hat eine beruhigende, leicht antidepressive Wirkung“, sagt Blüher. „Gerade in der Coronazeit haben viele meiner Patienten zugenommen. Sie waren einsam, ihnen war langweilig, sie waren traurig oder verunsichert.“ Auch die gegenteiligen Gefühle können Schlemmen fördern: Feierlaune, Geselligkeit, Lust. Nicht zu vergessen starke Sinnesreize wie der Duft von frischgebackenen Brötchen oder der Anblick einer glänzenden Torte. Essen ist einfach schön!
Wie lässt sich Überessen vermeiden?
Essverhalten analysieren
Je nachdem, warum man sich oft überisst, helfen unterschiedliche Strategien. Wer sich künftig mehr zügeln will, sollte also erst einmal sein persönliches Essverhalten analysieren. Was und wann esse ich? Neige ich zu emotionalem Essen? Esse ich also aus Langeweile oder Stress, oder etwa, um endlich einmal eine Pause zu machen? Esse ich besonders viel in Gesellschaft von Freunden?
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Auch wie oft am Tag man isst, kann hinterfragt werden. „Grob gesagt gibt es die Snacker und die Big Eater“, unterscheidet Blüher. Die einen essen ständig, aber nie viel. Die anderen zu festen Mahlzeiten, aber zu große Portionen. Wenn man sich selbst besser kennt, kann man auf die Suche nach den Gegenmaßnahmen gehen, die ganz individuell am besten passen und eher leichtfallen.
Tipps gegen Überessen
- Aufmerksames, genussvolles Essen macht schneller zufrieden und satt. Das gelingt am besten ohne laufenden Fernseher oder griffbereites Smartphone.
- Um das Hunger- und Sättigungsgefühl wieder zu trainieren, hilft es, sich vor jeder Mahlzeit zu fragen: Bin ich wirklich hungrig? Langsames Essen gibt dem Körper Zeit, zu merken, dass er schon genug hat.
- Ballaststoffreiche Gerichte mit viel Gemüse füllen den Magen und liefern wertvolle Nährstoffe, ohne allzu viele Kalorien.
- Bei sehr salzigen oder süßen, hochverarbeiteten Snacks aufpassen – sie verführen dazu, deutlich mehr zu essen.
- Wer zum ständigen Snacken neigt und das bekämpfen will, verbannt Essen am besten aus seiner Reichweite, etwa beim Arbeiten oder Fernsehen.
- Stressessen lässt sich lindern, indem man Entspannungsmethoden ausprobiert, etwa Meditation, Yoga oder Autogenes Training. Auch weniger Termine im Kalender und mehr Pausen können helfen.
- Essen ohne Hunger oder über ihn hinaus ist oft eine Gewohnheit. Wenn Heißhunger aufkommt, kann man versuchen, sich davon abzulenken, beispielsweise kurz an die frische Luft gehen, mit einem Kollegen plaudern, einer Freundin schreiben oder Musik andrehen und laut mitsingen.
- Manchmal liegt dem Überessen auch eine psychische Erkrankung zu Grunde, zum Beispiel eine Essstörung, wie Binge-Eating, oder eine Depression. Hier ist es auf jeden Fall ratsam, professionellen Rat zu suchen und sich etwa mit einer Psychotherapie helfen zu lassen.
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