Alle Babys schreien mal: Schließlich können sie nur so kenntlich machen, dass sie Hunger haben, ein Pups quer sitzt oder ihre Windel dringend gewechselt werden sollte. Doch manche Säuglinge – sogenannte Schreibabys oder Schreikinder – schreien häufiger als andere Babys. Sie lassen sich nur schwer beruhigen und die Gründe für das Schreien sind nicht direkt erkennbar. Betroffene Eltern fragen sich natürlich: Welche Ursachen hat es, dass mein Baby so oft schreit? Ab wann gilt ein Kind als ein Schreibaby, wie ist die offizielle Definition? Vor allem aber: Was hat anderen Eltern mit Schreibabys geholfen, was können wir tun?
Definition: Ab wann sprechen Fachleute von Schreibabys?
Dass Babys mehrmals am Tag schreien, ist völlig normal. Es gibt auch immer wieder Tage, an denen Babys mehr schreien als sonst. Auch das ist normal. Addiert kommt dabei einiges zusammen: Babys schreien in ihrem zweiten Lebensmonat durchschnittlich 2 bis 2,5 Stunden täglich. Und wir reden hier wohlgemerkt noch nicht von Schreibabys.
Kostenloses E-Book für mehr Selbstvertrauen im Familienalltag
Mit dem E-Book "Intuitives Muttersein" der Stressexpertin Karima Stockmann kommen Sie entspannter durch den Familienalltag. Sie lernen, Ihrer Intuition wieder zu vertrauen, mit Ratschlägen gelassener umzugehen und stressige Situationen besser zu meistern.
Jetzt herunterladen
Von Schreibabys oder von exzessivem Schreien sprechen Fachleute erst, wenn Babys ohne erkennbare Ursache:
- an mindestens drei Tagen in der Woche
- mindestens drei Stunden pro Tag schreien –
- und dies über eine Zeitspanne von mindestens einer Woche.
Daneben gibt es bei Schreibabys noch weitere typische Merkmale. Ihre Schreiattacken beginnen meist im Alter von zwei Wochen und halten etwa drei Monate lang an. Besonders oft schreien sie in den Abendstunden und der frühen Nacht. Zusätzlich zum Schreien zeigen Schreibabys oft noch weitere Symptome wie einen schlechten Schlaf und Übermüdung.
Wie viele Babys in Deutschland gelten als Schreibabys?
Auch wenn es betroffene Eltern an dieser Stelle nicht sonderlich trösten mag: Schreibabys sind hierzulande gar nicht so selten. Etwa 16 Prozent aller Babys schreien bis zu ihrem 3. Lebensmonat exzessiv, gelten also als Schreibabys. Bis zum 6. Lebensmonat sinkt die Schreibaby-Quote dann auf 6 Prozent. Positiv ausgedrückt heißt das: Bei gut zwei Dritteln der Schreibabys gehört das exzessive Schreien nach dem 3. Lebensmonat der Vergangenheit an. Danach schreien „nur“ noch 2,5 Prozent der Babys ungewöhnlich viel und ausdauernd.
Schreibabys: Was sind die Ursachen für das anhaltende Schreien?
Eltern eines Schreibabys kennen die folgende Situation nur zu gut: Plötzlich beginnt das Kind zu schreien, obwohl es sich soeben scheinbar noch wohlgefühlt hat. Die kleinen Hände sind zu Fäustchen geballt, die Beine angezogen. Der Bauch ist dabei hart und aufgebläht. Inzwischen wird – neben weiteren Hypothesen – angenommen, dass durch das anhaltende Schreien zu viel Luft in den kleinen Bauch gelangt. Wegen des harten Babybauches wurde das Schreien früher auch mit den Begriffen Dreimonatskolik und Säuglingskolik bezeichnet. Aus heutiger Sicht ist das weitestgehend unzutreffend, denn nur selten sind bei Schreibabys Verdauungsstörungen die Ursache für das übermäßige Schreien. Nur fünf Prozent der Babys, die sehr häufig schreien, haben Probleme mit dem Magen-Darm-Trakt, etwa aufgrund von Unverträglichkeiten gegenüber Bestandteilen der Muttermilch. Zusammengefasst vermutet man heute: Das Schreien verursacht meist den Blähbauch – nicht umgekehrt.
Früher war man außerdem der Ansicht, dass Babys schreien, um kräftige Lungen zu bekommen. Häufiges Schreien wurde folglich als Ausdruck von Vitalität angesehen – eine Annahme, die mit den wahren Ursachen des Schreiens nichts zu tun hat. Heute sieht man hingegen die Not der Schreibabys und versucht, die wahren Ursachen des häufigen Schreiens herauszufinden.
Wahrscheinlich kommen bei Schreibabys mehrere Faktoren zusammen, die ihr Schreien fördern. Ein besonderer Fokus der Forschung liegt hier auf dem Ansatzpunkt einer verzögerten Verhaltensregulation, medizinisch als Regulationsstörung bezeichnet: Schreibabys haben vermutlich Schwierigkeiten, sich ihrem Alter entsprechend selbst zu beruhigen. Diese Entwicklungsaufgabe haben sie im Vergleich zu den meisten Gleichaltrigen noch nicht ausreichend bewältigt. Es handelt sich dabei um eine vorübergehende Anpassungsverzögerung, nicht um eine dauerhafte Störung.
Hinzu kommt, dass Schreibabys möglicherweise sensibler auf Reize reagieren als der Durchschnitt ihrer Altersgenossen. Das würde bedeuten, dass die Reize ihrer Umwelt die Babys schneller überfordern, dass sie insgesamt schlechter zur Ruhe kommen und auch schlechter schlafen. Dadurch sind sie ständig übermüdet – was sie wiederum noch empfindlicher reagieren lässt.
Schreibaby? Oder gibt es doch eine andere Ursache für das Schreien?
Wenn Sie feststellen, dass Ihr Baby ungewöhnlich oft und lange schreit, sollten Sie Ihre Hebamme um Rat fragen und sich an Ihre Kinderarztpraxis wenden, um Erkrankungen wie eine Mittelohrentzündung und andere möglicherweise ernste Ursachen für das Schreien auszuschließen. Dies gilt insbesondere, wenn Ihr Kind neben dem Schreien Symptome wie Fieber und Durchfall zeigt. Gut zu wissen: Die meisten Schreibabys sind gesund – abgesehen von direkten belastenden Auswirkungen wie Übermüdung. Es gibt auch keine Spätfolgen: So sind Schreibabys nicht häufiger von Allergien oder Erkrankungen betroffen als andere Kinder.
Schreiprotokoll als Hilfestellung: Auslöser für das Schreien erkennen
Oftmals fällt es Eltern schwer, das Verhalten ihres Babys richtig zu deuten und angemessen darauf zu reagieren. Das gilt besonders bei Schreibabys, deren Schreien ja ohne offensichtliche Ursache losbricht. Hier kann ein sogenanntes Schreiprotokoll helfen. Eltern zeichnen darin genau auf, wann und in welchen Situationen der Säugling schreit. So werden mögliche Auslöser oder Anlässe aufgedeckt, auf die das Baby mit Schreien reagiert. Diese Situationen lassen sich dann gezielter vermeiden.
Protokollieren Sie das Schreien Ihres Babys mithilfe der PädAssist-App
BARMER-Versicherte können für Schreibabys von bis zu drei Monaten das Angebot von PädAssist nutzen: Die PädAssist-App enthält ein digitales Schreiprotokoll, in dem Sie die Zeiten, in denen Ihr Kind schreit, protokollieren können. Die Kinderarztpraxis kann dann diese Daten abrufen. In der Praxis erfolgt auch die Freischaltung der App. Voraussetzung für die Nutzung des Schreiprotokolls ist, dass eine entsprechende Indikation der Ärztin oder des Arztes vorliegt.
Wichtiger Hinweis: PädAssist steht aktuell in Nordrhein-Westfalen und Bayern zur Verfügung.
Mehr zu PädAssist
Was tun bei Schreibabys? Tipps für Eltern
Auch wenn sich bei Schreibabys die übermäßigen Schreiattacken nicht verhindern lassen, können Sie Ihrem Kind eine möglichst angenehme, ruhige Umgebung bieten, um es dadurch langfristig und ganzheitlich zu unterstützen:
- Auslöser für häufiges Schreien können viel Anregung oder Unruhe sein: Vermeiden Sie daher rasche Bewegungen, Rückenklopfen und lärmendes Spielzeug. Wenn Sie Ihr Baby schaukeln, dann nicht hastig, sondern ruhig und langsam.
- Ebenfalls kann es helfen, wenn Ihr Baby beim Einschlafen durch einen Türspalt Ihre Stimmen wahrnimmt und der Raum somit auch nicht komplett abgedunkelt ist.
- Auch eine Babymassage, ein Bad, ein Gutenachtlied und häufiger Körperkontakt können beruhigend wirken.
- Außerdem können Sie ausprobieren, ob gleichbleibende Beruhigungsstrategien, ein gleichmäßiges Hintergrundgeräusch und/oder Wiederholungen von Bewegungen bei Ihrem Baby zu einer beruhigenden Gewöhnung führen.
- Insgesamt kann ein geregelter Tagesablauf helfen, mehr Ruhe in das Zuhause zu bringen und so Stress zu reduzieren – für Eltern und Baby. Dazu gehört auch, sich selbst Pausen zu gönnen und zumindest ab und an bei der Betreuung Hilfe von nahestehenden Personen anzunehmen.
- Sorgen Sie unbedingt für eine rauchfreie Umgebung.
Wichtig zu wissen: Die eben genannten Maßnahmen sind nur Beispiele, es gibt natürlich noch weitere Optionen. Lassen Sie sich am besten in Ihrer Kinderarztpraxis beraten. Generell sollten sich Eltern nicht scheuen, bei belastendem Schreien ihres Babys Rat in der Kinderarztpraxis zu suchen. Sie können sich dort über weitere Möglichkeiten wie therapeutische Ansätze und den Besuch einer Schreiambulanz beraten lassen.
Ihr Newsletter für ein gesünderes Leben
Jetzt unverbindlich anmelden und monatlich Gesundheitsthemen mit wertvollen Tipps erhalten und über exklusive Barmer-Services und -Neuigkeiten informiert werden.
Newsletter abonnieren
Die Eltern sind für die belastende Situation nicht verantwortlich, die Babys aber auch nicht. Wenn bei Eltern oder Babysittern die Nerven blank liegen, kann es zu dem Impuls kommen, das schreiende Baby aus lauter Verzweiflung zu schütteln. So weit darf es keinesfalls kommen. Wird ein Kleinkind geschüttelt, führt dies fast immer zu schweren Schädigungen: Das Köpfchen schleudert nach vorn und hinten, da die Nackenmuskulatur noch schwach ist und der Kopf bei Babys einen Großteil des Körpergewichts ausmacht. Hierbei können Blutgefäße und Nervenbahnen im Gehirn reißen, was zu Hirnverletzungen führt.
Wichtig für alle Personen, die ein Baby betreuen: Ab wann man das Quengeln oder Schreien eines Babys als nicht mehr erträglich empfindet, ist sehr individuell und hat nichts mit mangelnder Liebe zu tun. Bevor die Nerven ganz versagen, sollte man das Baby daher besser in sein Bettchen legen, den Raum verlassen, tief durchatmen und mit einer vertrauten Person über das Thema sprechen oder sich Hilfe in der Kinderarztpraxis oder Schreiambulanz suchen.
Schreiambulanz: Hilfe für Eltern mit Schreibabys
Für Eltern ist das anhaltende Schreien ihres Kindes äußerst belastend. Die Nerven liegen blank, wenn das Baby stundenlang schreit und die Eltern nicht wissen, was die Ursache dafür ist und wie sie das Kind beruhigen können. So verwundert es nicht, dass fast alle Mütter mit Schreibabys (96 Prozent) unter einem chronischen Erschöpfungs- und Überforderungssyndrom leiden. Auch eine postpartale Depression (Wochenbettdepression) kann sich unter der ständigen Belastung entwickeln.
Hilfe von außen kann die Situation entspannen, sowohl für die Eltern als auch für das Kind. In vielen Städten gibt es daher sogenannte Schreiambulanzen – Einrichtungen, die Familien mit Schreibabys mit Rat zur Seite stehen. Eltern erhalten dort emotionelle Erste Hilfe und eine ausführliche Beratung von ausgebildeten Fachleuten: So können sich bei den Eltern Unsicherheit, innere Anspannung und Schuldgefühle lösen.
Schreiambulanzen finden Sie beispielsweise über die Schreiambulanzen-Suche des Nationalen Zentrums Frühe Hilfen.