- Was ist Neuroathletik?
- Neuroathletik: Wie hängen Gehirn und sportliche Leistung zusammen?
- Wie funktioniert Neuroathletik-Training?
- Neuroathletik-Übungen
- Visuelle Eindrücke (visuelles System)
- Gleichgewicht trainieren (vestibuläres System)
- Eigenwahrnehmung verbessern (propriozeptives System)
- Trainingsdauer
- Für wen ist Neuroathletik-Training geeignet?
- Was bringt Neuroathletik-Training wirklich?
Neuroathletik ist eine Trainingsmethode, die beim Nervensystem ansetzt, um visuelle Eindrücke, Gleichgewicht und Eigenwahrnehmung zu verbessern. Durch gezielte Übungen sollen Bewegungsabläufe optimiert und die Leistungsfähigkeit gesteigert werden. Funktioniert das?
Was ist Neuroathletik?
Neuroathletik ist eine Trainingsmethode, die das zentrale Nervensystem in den Mittelpunkt stellt. Im Gegensatz zu herkömmlichen Sportübungen, die etwa auf Muskelaufbau oder Herz-Kreislauf-Training abzielen, liegt der Fokus bei Neuroathletik auf den bewegungssteuernden Bereichen des Nervensystems.
Den Begriff Neuroathletik hat hierzulande der Sportwissenschaftler Lars Lienhard geprägt, der unter anderem im Jahr 2014 Spieler der deutschen Fußballnationalmannschaft bei der Weltmeisterschaft in Brasilien betreute. Sein Ansatz wiederum beruht auf dem Prinzip des amerikanischen Chiropraktikers Eric Cobb, der Anfang der 2000er-Jahre begann, Athletiktraining und Neurowissenschaften zu verbinden.
Der Begriff Neuroathletik wird häufig synonym zu neurozentriertem Training verwendet. Während neurozentriertes Training eher zur Rehabilitation, zur Linderung von Schmerzen, aber auch zur Prävention von Sportverletzungen eingesetzt wird, findet Neuroathletik-Training eher im Bereich des Spitzensports und zur Leistungssteigerung Anwendung. „Trotz der unterschiedlichen Bezeichnungen sind Vorgehen und Übungen bei Neuroathletik und neurozentriertem Training weitestgehend gleich“, erklärt Andreas Könings, Gründer der Deutschen Neuro-Akademie und Experte für neurozentriertes Training. „Beide Varianten kümmern sich nicht um den Körper, also die Hardware, sondern um die neuronalen Aspekte, die Software.“
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Neuroathletik: Wie hängen Gehirn und sportliche Leistung zusammen?
Das Gehirn spielt eine zentrale Rolle bei jeder Art von Bewegung, denn es verarbeitet Informationen aus den verschiedenen Sinnessystemen und leitet daraus Bewegungsabläufe ab. „Das Gehirn ist die Zentrale des Nervensystems und das Nervensystem entscheidet letztendlich, wie schnell ich laufe, wie hoch ich springe, wie viel Kraft ich habe oder ob ich Schmerzen habe“, sagt Könings.
Man unterscheidet zwischen dem zentralen Nervensystem, zu dem Gehirn und Rückenmark gehören, und dem peripheren Nervensystem, zu dem die Nerven zählen. Sensorische Nerven transportieren Informationen, die wir über Sehen, Hören, Schmecken, Tasten oder Fühlen aufnehmen, an das zentrale Nervensystem. Motorischen Nerven geben die Befehlssignale des zentralen Nervensystems an die Muskeln weiter.
Über die Nerven werden sensorische Reize an das Gehirn geleitet. Dort können die Signale als gefährlich oder ungefährlich interpretiert werden. Wertet das Gehirn eine Gefahr, sendet es Stopp-Signale an die Muskeln und eine mögliche optimale Leistung wird gebremst.
Solche Gefahrensignale für das Gehirn können beispielsweise Schmerzen durch einen verstauchten Knöchel sein, aber auch unzureichende Informationen wie ein durch eine Schirmmütze eingeschränktes Sichtfeld. Könings erklärt diesen Sachverhalt so: Während Ersteres ein echtes Problem für den Körper darstellt und das Gehirn das Signal geben muss, den Fuß nicht mehr zu belasten, ist die Schirmmütze ein Fehlalarm. Aber einer, der die jeweilige Person vielleicht langsamer joggen lässt, da das Gehirn meldet: Tempo runter, sonst stürzt du.
Je besser das Gehirn also in der Lage ist, von den Sinnesorganen vermittelte sensorische Informationen wie Gleichgewicht, visuelle Eindrücke oder die Wahrnehmung der Körperposition einzuordnen und darauf zu reagieren, desto weniger lasse es sich von solchen Fehlalarmen täuschen und umso präziser und effizienter könne die jeweilige Person Bewegungen ausführen.
Wie funktioniert Neuroathletik-Training?
Neuroathletik zielt auf die Verbesserung des Zusammenspiels von zentralem und peripherem Nervensystem. Dabei liegt der Fokus auf den reizverarbeitenden Systemen, die eine zentrale Rolle für Bewegungsabläufe spielen: das visuelle, das vestibuläre und das propriozeptive System.
Diese drei Systeme sind wichtig für visuelle Eindrücke, Gleichgewicht und die Eigenwahrnehmung der Bewegung des Körpers. Sie interagieren kontinuierlich miteinander und mit dem zentralen Nervensystem, das die von ihnen stammenden Informationen verarbeitet und gegebenenfalls ausgleicht. In der Neuroathletik sollen durch bestimmte Übungen eventuelle Fehler im Zusammenspiel der verschiedenen Systeme abgemildert und der Informationsfluss zwischen peripherem und zentralem Nervensystem optimiert werden.
Neuroathletik-Übungen
Visuelle Eindrücke (visuelles System)
Ein großer Teil der Bewegungssteuerung läuft über die Augen: Wie groß ist das Hindernis, wo im Raum befinden sich die Spielenden der eigenen und gegnerischen Mannschaft, wie weit ist die 100-Meter-Ziellinie entfernt? Sind Sicht oder Sehvermögen eingeschränkt, kann sich das auf verschiedene Bewegungsfaktoren auswirken, zum Beispiel das Gleichgewicht oder die Körperhaltung. Die Bewegung wird ineffizienter.
Visuelle Neuroathletik-Übungen sollen die Wahrnehmung und die Kommunikation zwischen Augen und Gehirn verbessern und so die Reaktionszeit verkürzen. Dabei kommt beispielsweise die durch den Spitzensport bekannte Rasterbrille zum Einsatz oder ein Stab, dem die Augen beim Kreisen folgen, ohne dass der Kopf bewegt wird.
Gleichgewicht trainieren (vestibuläres System)
Das vestibuläre System sitzt im Innenohr und liefert wichtige Informationen für unseren Gleichgewichtssinn. Dort erfasst es die Bewegung und Beschleunigung des Kopfes und gibt die Informationen an das Gehirn weiter. Das vestibuläre System ermöglicht es dem Menschen, sich im Raum zu orientieren, ist aber auch an der Haltung und der Ausrichtung der Augen beteiligt. Die Bedeutung des Zusammenspiels von visuellen und vestibulären Eindrücken zeigt sich mitunter dadurch, dass es schwer ist, mit geschlossenen Augen auf einem Bein zu stehen. Bekommt das Gehirn die Information „Hier ist etwas nicht stabil“, reagiert es, indem es die Bewegungen verlangsamt und die Agilität einschränkt.
Über Neuroathletik-Übungen für besseres Gleichgewicht und mehr Stabilität sollen Verletzungen reduziert und die Körperbeherrschung verbessert werden. Typische Übungen sind immer mit einer Bewegung verbunden, zum Beispiel einem Drehen des Kopfes. Denn erst eine Beschleunigung aktiviere das vestibuläre System, erklärt Könings.
Eigenwahrnehmung verbessern (propriozeptives System)
Das propriozeptive System umfasst unsere sogenannte Tiefensensibilität oder Eigenwahrnehmung. Dabei liefern propriozeptive Sensoren in Muskeln, Sehnen und Gelenken Informationen darüber, in welcher Stellung sich Arme, Beine und andere Körperregionen befinden, was wichtig für die Statik ist. Außerdem erfasst das propriozeptive System über Drucksensoren auf der Haut, in welcher Haltung wir uns befinden und auf welchem Untergrund und wie schnell wir uns bewegen. All dies sind wichtige Voraussetzungen für sportliche (Höchst-)Leistungen.
Propriozeptive Übungen umfassen unter anderem Beweglichkeitsübungen der Gelenke sowie Gleichgewichtsübungen, etwa mit einem Balance-Board, Widerstandsbändern oder Vibrationsrollen. So sollen Gleichgewicht, Koordination und die allgemein körperliche Leistungsfähigkeit verbessert werden.
Trainingsdauer
Was den Umfang des Neuroathletik-Trainings betrifft, darüber gehen die Meinungen auseinander. Manche Anbieter empfehlen, 20 Minuten pro Tag und Themenkomplex über sechs bis acht Wochen zu trainieren. Könings rät, erst einmal mit einer Handvoll individuell passender Übungen und wenigen Minuten täglich in die Neuroathletik einzusteigen.
Für wen ist Neuroathletik-Training geeignet?
Neuroathletik-Training soll grundsätzlich für alle geeignet sein, die ihre Bewegungsqualität und sportliche Leistung verbessern möchten. Tatsächlich Anwendung finden die entsprechenden Übungen bisher aber hauptsächlich im Spitzensport beziehungsweise sie traten dort am publikumswirksamsten in Erscheinung. Nach und nach dringen sie auch in verschiedene andere Bereiche vor.
So sollen Neuroathletik-Übungen auch im Breiten- oder Rehasport oder als präventive Maßnahme hilfreich sein. Welchen Effekt die Übungen tatsächlich haben, muss wissenschaftlich noch geklärt werden.
Was bringt Neuroathletik-Training wirklich?
Welche Gehirnstrukturen für welche Aufgaben zuständig sind und in welcher Reihenfolge die verschiedenen Systeme kommunizieren, ist mittlerweile gut erforscht. Die Neuroathletik nutzt diese Informationen, um bestimmte Hirnareale durch Übungen gezielt anzusprechen. Die Theorie dabei ist, dass dadurch neue Synapsen gebildet werden und so die Leistungsfähigkeit gesteigert werden kann.
Während eine Wirkung im Gehirn inzwischen etwa für Meditation recht gut belegt ist, sieht es bei der wissenschaftlichen Bewertung von Neuroathletik anders aus.
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„Es gibt immer mehr Leute, die Neuroathletik machen oder anbieten. Auch Studien belegen die Arbeitsweise im Neurotraining. Allerdings werden diese nicht unter dem Namen Neuroathletik geführt, da dies ein viel zu junger und allgemeiner Begriff ist, der viele Aspekte umfasst“, räumt Könings ein. Die Studien ergeben eine gewisse Tendenz, aber keine wissenschaftliche Evidenz. So existieren bislang keine systematischen Belege für die Wirkung von Neuroathletik.
Zwei Untersuchungen zeigten zwar einen Effekt von visuellem Training auf die Verletzungshäufigkeit, jedoch waren die Probandengruppen mit jungen, sportlichen Menschen zwischen 18 und 26 Jahren beziehungsweise ausschließlich Football-Spielern recht eng gefasst. Zudem ist es schwer, die Übungen unter möglichst gleichen Bedingungen wiederholt durchzuführen und Veränderungsprozesse im Gehirn während der Bewegung nachzuvollziehen, da für eine genaue Bildgebung des Gehirns der Kopf in Ruhe gehalten werden muss.
Auch wenn sich derzeit noch nicht gesichert sagen lässt, ob die Hirnstrukturen, die das Training ansprechen soll, tatsächlich aktiviert werden – und ob sie überhaupt für eine Leistungssteigerung relevant sind –, sind die Ansätze von Neuroathletik grundsätzlich spannend. Die Forschung interessiert sich jedenfalls immer mehr für diese Trainingsmethode und hat erste Stellen geschaffen, um Neuroathletik genauer zu untersuchen.
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