- Warum macht Telemonitoring bei Herzinsuffizienz Sinn?
- Engmaschige, zukunftsweisende Betreuung bei Herzinsuffizienz
- Wodurch entsteht eine Herzinsuffizienz und was sind ihre Folgen?
- Die Telemonitoring-Geräte geben Sicherheit
- Die Erfolge von Telemonitoring bei Herzinsuffizienz sprechen eine deutliche Sprache:
- Erstes digitales Betreuungsverfahren für alle verfügbar
Die Herzinsuffizienz - oder einfach Herzschwäche - ist eine der häufigsten Todesursachen. Mit dem Charité/Barmer-Programm werden Patientinnen und Patienten täglich telemedizinisch überwacht. Die Erfolge sind wegweisend für die Nutzung digitaler Daten: Das Leben der Menschen mit Herzschwäche wird verlängert und verbessert.
Warum macht Telemonitoring bei Herzinsuffizienz Sinn?
Plötzlich fällt das Treppensteigen schwer, schon nach wenigen Schritten muss man keuchend stehen bleiben. Auch jede sportliche Betätigung oder der kurze Weg zum Bäcker mit dem Fahrrad – undenkbar. Die Luft fehlt, der Körper spielt nicht mit. Viele machen die Lunge als Ursache aus, nicht aber das Herz. Doch tatsächlich ist es unser innerer Taktgeber, der die Leistungsschwäche auslöst. Die Herzinsuffizienz – umgangssprachlich auch als Herzschwäche bezeichnet – zählt in Deutschland zu den häufigsten Erkrankungen und Todesursachen. Dennoch wird sie immer noch zu selten umfassend diagnostiziert und nicht leitliniengerecht therapiert.
Das will die Barmer in Zusammenarbeit mit der Berliner Charité ändern. Bereits seit 2005 unterstützt die Krankenkasse das spezialisierte Telemedizinzentrum, um die Erkrankung zu erforschen und die Therapie zu verbessern. Daraus ist das Fontane-Projekt entstanden, ein Programm zur Mitbetreuung von Herzinsuffizienzpatientinnen und -patienten, das den gesundheitlichen Zustand mittels Telemonitoring überwacht. Es wurde zudem fünf Jahre lang mit einer Studie begleitet, um die Erfolge bei 1.500 Patientinnen und Patienten zu dokumentieren – und diese sind herausragend: Das Telemonitoring rettet nachweislich Leben, verlängert die Lebensdauer und verhindert viele Krankenhauseinweisungen.
Nun wurde, unter anderem durch die positiven Ergebnisse des Fontane-Projekts, ein erstes digitales Betreuungsverfahren in die Regelversorgung übernommen, was sich etwas von der telemedizinischen Mitbetreuung in der Fontane-Studie unterscheidet. Regelversorgung heißt: Das Verfahren steht jetzt allen gesetzlich Krankenversicherten zu. Bundesweit bieten jetzt niedergelassene Kardiologinnen und Kardiologen die Teleüberwachung an. So werden noch mehr Patientinnen und Patienten erreicht – auch im ländlichen Raum, wo die Versorgung oft schwierig und mühsam ist.
Juli 2024: Noch gelingt es nicht, die innovative Versorgung bei Herzschwäche allen und überall anzubieten. Das Problem ist fehlende Zusammenarbeit im Gesundheitswesen. Barmer-Vorstandsvorsitzender Prof.Straub erklärt die Problemlage und einen Lösungsansatz.
Engmaschige, zukunftsweisende Betreuung bei Herzinsuffizienz
Schätzungsweise drei Millionen Menschen leiden in Deutschland unter einer fortgeschrittenen Herzinsuffizienz, jährlich kommen etwa 500.000 dazu. Immer noch wissen viele Menschen nichts über die langsam fortschreitende Erkrankung und wie man sie behandelt. Besonders hoch und besorgniserregend ist außerdem die sogenannte Hospitalisierungsrate – das bedeutet, dass Patientinnen und Patienten immer wieder ins Krankenhaus müssen, nachdem sie dort erstmals behandelt wurden. „Das ist nicht hinnehmbar und die Versorgung in vielen Bereichen Deutschlands unzureichend“, kritisiert Prof. Dr. Friedrich Köhler, Leiter des Zentrums für kardiovaskuläre Telemedizin der Charité. Er widmet der Herzinsuffizienz schon sein gesamtes Berufsleben.
Bereits im Jahr 2005 entwickelten Prof. Köhler und sein Team ein Verfahren, mit dem die Herzinsuffizienz-Patientinnen und -Patienten engmaschiger betreut werden. Viele Jahre betreute er das Projekt wissenschaftlich und in der Praxis, verbesserte es fortwährend weiter. Auch die Barmer setzt sich dafür ein, dass technischer Fortschritt schwer kranken Menschen Stärke gibt und ihnen ein besseres Leben ermöglicht. „Wir sehen eine ethische Verantwortung darin, technische Innovation in einen tatsächlichen Nutzen für Patientinnen und Patienten zu überführen“, sagt Gabriela Leyh, Landesgeschäftsführerin der Barmer Berlin/Brandenburg.
Über Jahre hat sich die Barmer daher mit der Charité eingesetzt, die Grundlage dafür zu schaffen, dass dieser moderne Ansatz Eingang in die Regelversorgung findet. Umso stolzer macht es die Projektverantwortlichen, dass Fontane nun das erste digitale Betreuungsverfahren ist, von dem alle gesetzlichen Versicherten profitieren können, wenn auch in etwas abgewandelter Form zur Fontane-Studie.
Wodurch entsteht eine Herzinsuffizienz und was sind ihre Folgen?
Bei einer Herzinsuffizienz (auch als Herzschwäche, Herzmuskelschwäche oder Myokardinsuffizenz bezeichnet) nimmt die Leistung des Herzens ab. Es ist nicht mehr in der Lage, das Gewebe ausreichend mit Blut und damit Sauerstoff zu versorgen – daher schwindet die körperliche Leistungsfähigkeit. Ursachen sind unter anderem eine Vernarbung des Herzens nach einem Herzinfarkt, der gefährlichsten Komplikation der koronaren Herzkrankheit (KHK).
Oft entsteht bei Menschen, die den Herzinfarkt überleben, eine Narbe am Herzen – diese ist kein pumpfähiges Gewebe mehr. Je größer die Narbe, desto weniger funktionstüchtiger Herzmuskel verbleibt und desto schwerer ist die Herzinsuffizienz.
Auch Bluthochdruck (Hypertonie) ist eine Ursache: Durch den hohen Blutdruck muss das Herz stärker pumpen, der Herzmuskel verdickt sich und erschlafft. Die Lunge wird dadurch weniger mit Blut versorgt, es kommt zu Luftnot und Kurzatmigkeit. Patientinnen und Patienten leiden zudem oft unter einer reduzierten Leistungsfähigkeit, Müdigkeit, Ödemen (also Schwellungen) an den Knöcheln und Unterschenkeln, schneller Gewichtszunahme, nächtlichem Harndrang oder Herzrhythmusstörungen.
Wenn sie am Charité/Barmer-Programm teilnehmen, bekommen die Herzinsuffizienz-Patientinnen und -Patienten vier Geräte nach Hause geliefert, mit denen sie ihr Gewicht, ihren Blutdruck und Puls täglich überwachen: ein Elektrokardiogramm (EKG) mittels EKG-Gerät, ein Blutdruckmessgerät, eine Waage sowie ein Tablet zur Selbsteinschätzung des Gesundheitszustandes. „Die Technik ist leicht zu bedienen und in den Alltag zu integrieren“, sagt Gabriela Leyh. „Den Patientinnen und Patienten wird entweder online erklärt, wie die Geräte funktionieren, oder es besucht sie ein Experte zuhause.“ Sie bekommen auch zahlreiche Tipps an die Hand, wie sie ihren Lebensstil umstellen sollten, um die Herzschwäche zu lindern und die körperlichen Folgen zu minimieren.
Die Telemonitoring-Geräte geben Sicherheit
Die Geräte-Daten werden automatisch an das telemedizinische Expertenteam übermittelt. Ärztinnen, Ärzte und Pflegekräfte bewerten die Messwerte rund um die Uhr, an sieben Tagen in der Woche und reagieren sofort bei einer Verschlechterung. „Sie können die Medikamente anpassen oder Empfehlungen für einen ambulanten Arztbesuch geben – oder eine stationäre Krankenhauseinweisung empfehlen“, sagt Prof. Dr. Friedrich Köhler. Auch in der kritischen Phase nach einem Krankenhausaufenthalt und außerhalb der Sprechzeiten der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte werden die Menschen eng betreut.
Mit relativ einfachen technischen Mitteln, die gut in den Alltag zu integrieren sind und nicht schwer zu bedienen sind, werden herausragende Ergebnisse erzielt.
Die Erfolge von Telemonitoring bei Herzinsuffizienz sprechen eine deutliche Sprache:
- Die Zahl der ungeplanten Hospitalisierungen, also stationärer Krankenhauseinweisungen, konnte um 30 Prozent gesenkt werden.
- Das Leben der Herzpatientinnen und -patienten wird durch Fontane verlängert: Sie „verloren“ in einem Jahr nur 17,8 Tage im Vergleich zu 24,2 Tagen in der Kontrollgruppe.
- Es gibt weniger Todesfälle: Von 100 Herzinsuffizienz-Patientinnen und -Patienten starben in einem Jahr unter regulären Bedingungen 11 Patienten, mit telemedizinischer Betreuung etwa 8 Patienten.
- Die Patientinnen und Patienten werden selbst Spezialisten ihrer Erkrankung und können mit einer ausgewogenen Ernährung, mehr Bewegung und herzgesundem Lebensstil gegensteuern.
- Versorgungsunterschiede zwischen ländlichem Raum und Metropolregionen werden ausgeglichen.
Das Projekt hat eine lange Geschichte: Bereits seit dem Jahr 2005 arbeiten die Berliner Charité und die Barmer zusammen und starteten damals gemeinsam das Projekt „Partnership for the Heart“. Daraus entstand Fontane – benannt nach dem einst in Berlin und Brandenburg beheimateten Schriftsteller. Auch dieses Projekt begleitete die Barmer und steuerte wichtige Versorgungsdaten bei, das Bundesministerium für Bildung und Forschung förderte es mit 10,2 Millionen Euro.
Im Jahr 2019 ermöglichte die Barmer das Telemonitoring den Versicherten über einen Vertrag der Besonderen Versorgung und gewann daraus viele Ergebnisse.
Erstes digitales Betreuungsverfahren für alle verfügbar
Nun wird die erfolgreiche telemedizinische Behandlungsmethode noch stärker ausgeweitet und steht in Zukunft deutlich mehr Menschen mit Herzschwäche zur Verfügung: Unter anderem das Fontane-Projekt als Grundlage ist im Jahr 2022 in eine etwas abgewandelte Regelversorgung übergegangen und kann nun von niedergelassenen Kardiologinnen und Kardiologen angeboten werden. Eine neue Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) ist bereits in Kraft getreten.
„Wir sind stolz auf die erreichten Ziele – sie sind nicht nur medizinisch ein großer Fortschritt, sie machen auch für das Leben des einzelnen Patienten einen entscheidenden Unterschied“, sagt Gabriela Leyh, Landesgeschäftsführerin der Barmer Berlin/Brandenburg. „Dass Fontane nun als erstes digitales Betreuungsverfahren in der Regelversorgung übernommen wurde, ist richtungs- und zukunftweisend.“
Daraus werde ein Blick in die Zukunft möglich: Die Forschungsergebnisse ebnen den Weg für den breiten Einsatz von Telemedizin in Deutschland, sodass hoffentlich bald alle Herzinsuffizienz-Betroffenen von einer besseren Behandlung profitieren. Die Nutzung von Gesundheitsdaten wird in Zukunft die medizinische Versorgung optimieren. „Dazu werden auch die Daten der elektronischen Patientenakte einen wichtigen Beitrag leisten“, sagt Prof. Dr. Friedrich Köhler.
Er kann sich zudem eine Ausweitung des Herzinsuffizienz-Telemonitorings von Deutschland in andere Länder vorstellen – damit auch diese Patientinnen und Patienten von den umfassenden Forschungsergebnissen profitieren. „Es soll bald niemand mehr aufgrund einer medizinischen Unterversorgung bei Herzinsuffizienz sterben oder ein kürzeres Leben haben, das wäre mein Wunsch für die Zukunft“, sagt Köhler. Auch ist die Ausweitung der Telemedizin auf andere Erkrankungen wie Diabetes, Multiple Sklerose oder Arthrose eine wichtige Herausforderung – Ansätze gibt es bereits. So könnte noch viel mehr chronisch erkrankten Menschen durch die digitale medizinische Überwachung ein längeres und gesünderes Leben ermöglicht werden.