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Zukunft des Gesundheitswesens

Innovative Versorgung bei Herzschwäche scheitert an fehlender Zusammenarbeit im Gesundheitswesen

Lesedauer unter 5 Minuten

Autor

  • Prof. Dr. Christoph Straub (Vorstandsvorsitzender der Barmer)

Telemonitoring verbessert das Leben von Menschen, die unter Herzinsuffizienz leiden. Eine Studie der Barmer und der Berliner Charité hat gezeigt, dass die kontinuierliche Messung und Auswertung von Herzströmen, Blutdruck und weiteren Gesundheitsdaten die Zahl der Notfalleinweisungen ins Krankenhaus reduziert und die Lebensdauer der Patientinnen und Patienten verlängert. Trotzdem wird diese moderne Form der Versorgung in Deutschland kaum eingesetzt. 

Berlin, Juli 2024 - Herzinsuffizienz, im Volksmund auch Herzschwäche genannt, ist eine der häufigsten Todesursachen in Deutschland. Etwa drei Millionen Menschen leiden unter einer Herzinsuffizienz und jedes Jahr kommen 500.000 Neuerkrankungen hinzu. Schon bei geringer körperlicher Anstrengung bekommen die Betroffenen keine Luft mehr. Das liegt daran, dass die Leistung des Herzens stark abnimmt und es nicht mehr in der Lage ist, ausreichend Blut und damit Sauerstoff durch den Körper zu pumpen. 

Verschlechterung des Gesundheitszustands bei Herzschwäche bleibt zu lange unerkannt

Eine Herzinsuffizienz ist die Folge einer Schädigung des Herzmuskels. Die Ursache dafür kann eine Infektion des Herzmuskels, ein Herzinfarkt oder auch Alkoholmissbrauch sein. Menschen, die unter einer Herzinsuffizienz leiden, müssen sehr häufig im Krankenhaus behandelt werden. Oft handelt es sich dabei um ungeplante Notfalleinweisungen. Das ist ein Zeichen für ein systematisches Versorgungsproblem, denn offenbar bleibt eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes dieser Menschen häufig so lange unerkannt, bis eine akute Notsituation eintritt.

Studie testet Telemonitoring bei Herzinsuffizienz mit 1.500 Patienten 

Deshalb arbeitet die BARMER seit vielen Jahren gemeinsam mit der Berliner Universitätsmedizin Charité daran, die Versorgung bei Herzinsuffizienz zu verbessern. In unserer Fontane-Studie haben wir über fünf Jahre mit 1.500 Patientinnen und Patienten untersucht, welchen Nutzen der Einsatz von Telemonitoring für die Behandlung haben kann

Ältere Frau lässt sich von einer Jüngeren etwas an einem Tablet zeigen.

Die Patientinnen und Patienten erhielten ein EKG-Gerät, ein Blutdruckmessgerät, eine Waage und ein Tablet zur Selbsteinschätzung mit nach Hause. Diese Geräte waren einfach zu bedienen und sendeten ihre Messwerte digital an das Telemedizinzentrum der Charité. Dort begutachtete ein Expertenteam die eingehenden Daten kontinuierlich an sieben Tagen pro Woche. Waren die Messwerte auffällig, reagierte das Team sofort – je nach Situation etwa durch eine Umstellung der Medikation oder die Bitte, zeitnah einen Arzt aufzusuchen. Im schlimmsten Fall, wenn die Patientin oder der Patient ganz schlecht Luft bekam und Wasser in die Lunge eingelagert wurde, war auch eine rasche Krankenhauseinweisung möglich.

Telemonitoring reduziert Krankenhauseinweisungen und Todesfälle

Die Studie zeigt deutlich, dass der neue Telemonitoring-Ansatz das Leben der Patientinnen und Patienten spürbar verbessert hat: Die ungeplanten Krankenhauseinweisungen gingen um 30 Prozent zurück, die Lebensdauer der Patientinnen und Patienten verlängerte sich und die Zahl der Todesfälle sank im Untersuchungszeitraum. Zudem erleichterte die kontinuierliche Messung daheim den Patientinnen und Patienten auch den Umgang mit der Erkrankung. Sie entwickelten ein besseres Gefühl dafür, was ihnen im Alltag gut tut oder schadet.

Rettungsdienst Notfallversorgung

Der Ansatz wurde aufgrund des erfolgreichen Modellprojektes vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) per Richtlinie in die Regelversorgung überführt. Das bedeutet: Seit 2022 kann Telemonitoring bei Herzinsuffizienz deutschlandweit eingesetzt werden und alle gesetzlichen Krankenkassen übernehmen die Kosten. Trotzdem ist der Ansatz bisher kaum etabliert. Unsere Daten zeigen, dass er seit 2022 nur bei rund 600 unserer Versicherten zum Einsatz kam. 

Telemonitoring bei Herzinsuffizienz wird kaum eingesetzt

Hinter den Schwierigkeiten, die wir bei der Einführung des Telemonitorings sehen, steht ein strukturelles Problem, das innovative Lösungen in unserem Gesundheitswesen ausbremst. Kernbestandteil der Fontane-Studie war die sektorenübergreifende Zusammenarbeit zwischen einer Klinik, die technisch und personell für ein Monitoring an sieben Tagen pro Woche ausgerüstet ist, und niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten, die ihre Patientinnen und Patienten langfristig betreuen. Das lässt sich außerhalb eines Modellprojektes aber nicht umsetzen, denn das Gesundheitswesen ist von einer strikten Sektorentrennung gekennzeichnet. 

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Heute dürfen ausschließlich niedergelassene Ärztinnen und Ärzte Telemonitoring bei Herzinsuffizienz anbieten. Für eine einzelne Praxis ist es aber sehr schwierig, eine ständige Auswertung der Daten und wenn nötig ein zeitnahes Eingreifen sicherzustellen. Deshalb wird der innovative Ansatz kaum eingesetzt.

Barmer reagiert mit Selektivverträgen als Übergangslösung

Ärztin erklärt dem Patienten etwas

Um unseren Versicherten mit Herzinsuffizienz eine moderne Versorgung anbieten zu können, schließen wir nun individuelle Selektivverträge mit spezialisierten Kliniken. Mit der Charité haben wir seit Abschluss unserer Fontane-Studie 2021 einen Vertrag, durch den BARMER-Versicherten in der Region Berlin und Brandenburg Telemonitoring bei Herzinsuffizienz nutzen können. 

Wie im Modellprojekt arbeitet die Charité dazu eng mit den niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten zusammen. Anfang 2024 haben wir einen entsprechenden Vertrag mit den Asklepios-Kliniken in Hamburg geschlossen und arbeiten nun daran, den Zugang in weiteren Regionen Deutschlands durch individuelle Verträge zu ermöglichen. Das kann aber nur eine Übergangslösung sein.

Die strikte Sektorentrennung muss überwunden werden

Heute findet die Regelversorgung in Deutschland entweder ambulant in der Praxis oder stationär im Krankenhaus statt. Eine Aufgabenteilung und enge Zusammenarbeit zwischen Kliniken und Arztpraxen ist außerhalb von Modellprojekten oft nicht möglich. Diese strikte Trennung führt zu einer Vielzahl von Problemen in der Versorgung und bei der Digitalisierung. 
Gerade bei digitalen Leistungen ist es häufig sinnvoll, kooperativ über Sektorengrenzen hinweg zusammenzuarbeiten. Dafür wäre aber ein neuer gesetzlicher Rahmen notwendig, der den ambulanten und den stationären Bereich miteinander verbindet. Dazu bedarf es einer gemeinsamen Planung und Vergütung von Leistungen, die sektorenunabhängig erbracht werden können. Die BARMER setzt sich dafür seit vielen Jahren ein und hat in einem 10-Punkte-Papier beschrieben, wie dies schrittweise eingeführt werden kann.

 

Der Autor:

Professor Dr. Christoph Straub ist Vorstandsvorsitzender der Barmer.

Prof. Dr. Christoph Straub ist Vorstandsvorsitzender der Barmer.

Prof. Dr. Christoph Straub ist seit 2011 Vorsitzender des Vorstands der Barmer und seit 2016 Honorarprofessor an der Universität Bayreuth. Er studierte Medizin in Heidelberg und den USA, erhielt 1991 die Vollapprobation als Arzt und 1992 die Promotion zum Dr. med.
Vor seinem Wechsel zur Barmer war er von 2009 bis 2011 als Mitglied des Vorstands bei der Rhön Klinikum AG tätig.

Literatur und weiterführende Informationen