Nils Rettenmaier
Experteninterview Klima und Gesundheit

Für das Klima Äpfel mit Birnen vergleichen!

Lesedauer unter 13 Minuten

Autor / Interview führte

  • Sophie Gericke (Internetredaktion der BARMER)

Zur Person

  • Nils Rettenmaier ist Diplom-Geoökologe am Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg (ifeu)

Nils Rettenmaier ist seit 17 Jahren im Bereich Biomasse und Ernährung am Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg (ifeu) tätig. Im Interview erklärt er die ökologischen Konsequenzen unserer Ernährungsgewohnheiten, skizziert, wie eine klimafreundliche Ernährung aussieht, und erläutert, wie uns die Ökobilanzierung von Lebensmitteln dabei hilft. 
In seiner Forschung beschäftigt er sich außerdem mit Umwelt- und Nachhaltigkeitsfragen und untersucht insbesondere die Auswirkungen der Biomassenutzung von Lebensmitteln, Bioenergieträgern und biobasierten Produkten.

Herr Rettenmaier, was hat Ihr Interesse an Nachhaltigkeit, Klima- und Umweltschutz geweckt?

Nils Rettenmaier: Bereits als Kind und Jugendlicher entwickelte ich ein großes Interesse am Naturschutz. Ich habe mich aktiv in der Naturschutzjugend engagiert und auch meinen Zivildienst im Bereich Naturschutz geleistet. Dies hat sich dann auch in der Wahl des Studiengangs Geoökologie niedergeschlagen. 

Und obwohl ich während meines Studiums eher den Wunsch verspürte, als Freilandökologe tätig zu werden, konnte mich ein Praktikum am ifeu doch davon überzeugen, die Arbeit im Freiland gegen den Schreibtisch einzutauschen. Nun bin ich als Themenleiter im Bereich Biomasse und Ernährung tätig und freue mich, einen Beruf gefunden zu haben, der dazu beiträgt, eine intakte Lebensgrundlage zu erhalten.

Können Sie uns erklären, wie Ernährung und Klima- oder Umweltschutz miteinander verbunden sind und welche globalen Auswirkungen unser Ernährungsverhalten hat?

Nils Rettenmaier: Wie wir alle wissen, haben wir nur diese eine Erde, eine weitere gibt es nicht. Und trotzdem schreitet die Zerstörung unseres Planeten und unserer Lebensgrundlagen immer schneller voran. 

Wie gefährlich unser aktueller Lebensstil für den Zustand unserer Erde ist, verdeutlicht das Konzept der Planetaren Grenzen des schwedischen Resilienzforschers Johan Rockström. Planetare Grenzen sind ökologische Schwellenwerte, deren Überschreitung die Stabilität des globalen Ökosystems gefährdet und die Gesundheit der Menschen bedroht. 

Das Konzept beinhaltet insgesamt neun Kategorien, wie den Klimawandel, die Artenvielfalt oder die Wasserressourcen, die die Widerstandskraft und die Belastungsgrenzen unseres Planeten bestimmen. Es zeigt, dass wir uns nicht nur in einer Klimakrise, sondern auch in einer Biodiversitäts- und Wasserkrise befinden.

Die Klimakrise betrifft auch unsere psychische Gesundheit. Wie es dazu kommt und wie wir uns bestmöglich gegen Klimastress wappnen können, beschreibt Prof. Mazda Adli im Interview.

Unsere Ernährung und damit verbunden die Landwirtschaft tragen maßgeblich zu den globalen Umweltbelastungen bei und haben bereits dazu geführt, dass wir einige der planetaren Belastungsgrenzen überschritten haben. 

Studien zufolge ist die Ernährung für bis zu 33 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen und die Landwirtschaft für etwa 70 Prozent des weltweiten Süßwasserverbrauchs verantwortlich.

Und welche Auswirkungen haben die Ernährungsgewohnheiten der in Deutschland lebenden Menschen auf den globalen Klimawandel?

Nils Rettenmaier: Obwohl ich den genauen Beitrag Deutschlands innerhalb dieser 33 Prozent nicht genau beziffern kann, kann ich mit Sicherheit sagen, dass die westliche Ernährungsweise aufgrund ihres hohen Anteils tierischer Produkte einen beträchtlichen CO2-Fußabdruck hinterlässt und maßgeblich zur Überschreitung der planetaren Grenzen beiträgt. 

In vielen ärmeren Ländern wie z. B. Indien sind vegetarische oder vegane Lebensstile weitaus verbreiteter. Dabei gibt es eine Korrelation: Je wohlhabender ein Land ist, desto mehr Fleisch wird konsumiert.

Bedeutet das, dass Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern über seine Verhältnisse lebt?

Nils Rettenmaier: So könnte man es ausdrücken. Hier ist ein Beispiel: In Deutschland werden rund 16 Millionen Hektar landwirtschaftliche Fläche genutzt, was etwa der Hälfte unseres Landes entspricht. Um jedoch den Bedarf an Lebensmitteln für unsere Konsumwünsche zu decken, benötigen wir zusätzlich fünf Millionen Hektar Fläche im Ausland. Und von all diesen Flächen im In- und Ausland werden mehr als die Hälfte für den Anbau von Futtermitteln benötigt. 

Wenn wir also insgesamt weniger tierische Produkte konsumieren würden, müssten wir weniger landwirtschaftliche Flächen beanspruchen und könnten eine erhebliche Menge von Treibhausgasemissionen und anderen Umweltbelastungen einsparen.

Junge Frauen und Männer sitzen an einem Tisch vor einem Holzhaus und essen gemeinsam..

Wir alle haben durch unsere Ernährung Einfluss auf die Umwelt und das Klima.

Unser CO2-Fußabdruck ist also zu hoch. Was bedeutet das in konkreten Zahlen?

Nils Rettenmaier: Jeder Person in Deutschland werden etwa 11 Tonnen CO2e-Emissionen pro Jahr zugeschrieben. Davon entfallen allein 1,75 Tonnen auf unsere Ernährung. Im Jahr 2019 hat die EAT-Lancet-Kommission in ihrem Bericht "Planetary Health Diet" globale Ziele für eine gesunde und nachhaltige Ernährung veröffentlicht. Demnach dürfe die weltweite Ernährung im Jahr 2050 nur noch fünf Gigatonnen CO2e verursachen. 

Zunächst einmal ist es wichtig zu erwähnen, dass der CO2-Fußabdruck, der mithilfe unseres Rechners ermittelt wird, nicht nur die CO2-Emissionen an sich, sondern auch andere Treibhausgase wie Methan und Lachgas berücksichtigt. Da sich diese Gase in ihrer Klimawirkung aber stark voneinander unterscheiden, werden sie mithilfe von Umrechnungsfaktoren in sogenannte CO2-Äquivalente (CO2e) übersetzt. 

Wenn man diese Summe auf die gesamte Weltbevölkerung von dann zehn Milliarden Menschen aufteilt, würde jeder Mensch nur noch 0,5 Tonnen CO2e pro Jahr durch seine Ernährungsweise verursachen dürfen. Anhand dieser Zahlen wird ersichtlich, dass unsere derzeitige Ernährungsweise nicht mit den planetaren Grenzen vereinbar ist. 

Um dieses Ziel zu erreichen, ist es erforderlich, die Lebensmittelproduktion im Sinne der Nachhaltigkeit zu verbessern, Lebensmittelverschwendung zu reduzieren und unsere Ernährung klimafreundlicher zu gestalten.

Und wie genau sieht eine klimafreundlichere und gesündere Ernährung aus?

Nils Rettenmaier: Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung e. V. (DGE) empfiehlt, aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr als 300 bis 600 Gramm Fleisch pro Person und Woche zu verzehren. Denn übermäßiger Fleischkonsum ist nicht nur ungesund, sondern auch einer der Hauptverursacher von Treibhausgasemissionen in der Lebensmittelproduktion. 

Vegane Ernährung boomt. Immer mehr Menschen entscheiden sich dafür, auf Fleisch und alle tierischen Produkte zu verzichten. Die Gründe dafür sind vielfältig. Was bedeutet es, vegan zu leben, was bringt Menschen dazu, diese Ernährungsform umzusetzen? Hier mehr lesen.

Schließlich werden für die Fleischproduktion große Mengen an Futtermitteln benötigt, was wiederum zu einem hohen Einsatz von Düngemitteln und einem großen Bedarf an Ackerflächen führt, um diese Futtermittel anzubauen. Außerdem tragen Wiederkäuer wie Rinder durch ihre Verdauung zur Freisetzung von Methan bei, das etwa 25-mal klimaschädlicher als Kohlenstoffdioxid ist. Mit aus diesem Grund hat Rindfleisch einen mehr als doppelt so hohen CO2-Fußabdruck wie Hühner- oder Schweinefleisch. 

Wer also nicht vollständig auf Fleisch verzichten möchte, sollte zumindest darauf achten, den Fleischkonsum deutlich zu reduzieren – quasi eine Rückkehr zum traditionellen Sonntagsbraten. 

Eine junge Frau sitzt mit Löffel in der Hand vor einer mit Saaten gefüllten halben Kokosnuss (2dw)

Aber nicht nur Fleisch und andere tierische Produkte wie Milchprodukte gelten als besonders klimaschädlich. Auch Importfrüchte können einen ähnlich hohen CO2-Fußabdruck wie Rindfleisch haben, wenn sie per Flugzeug zu uns transportiert werden. 

Daher lohnt es sich, beim Einzelhändler des Vertrauens mal genauer nachzufragen, ob es sich bei den Mangos und Ananas in den Regalen eventuell um Flugobst handelt. Dieses sollte man dann meiden.

Ihr CO2-Rechner kann dabei helfen, herauszufinden, wie umweltfreundlich oder -schädlich unsere Ernährung ist. Aber wie genau erfolgt die Berechnung der Klimabilanz von Lebensmitteln und welche Faktoren werden dabei berücksichtigt?

Nils Rettenmaier: Zunächst einmal ist es wichtig zu erwähnen, dass der CO2-Fußabdruck, der mithilfe unseres Rechners ermittelt wird, nicht nur die CO2-Emissionen an sich, sondern auch andere Treibhausgase wie Methan und Lachgas berücksichtigt. Da sich diese Gase in ihrer Klimawirkung aber stark voneinander unterscheiden, werden sie mithilfe von Umrechnungsfaktoren in sogenannte CO2-Äquivalente (CO2e) übersetzt. 

Außerdem betrachten wir bei der Bilanzierung von Lebensmitteln den gesamten Lebensweg des Produkts. Dabei greifen wir auf die Methode der Ökobilanz zurück, bei der alle Material- und Energieströme, die mit einem Produkt verbunden sind, erfasst werden. Dies beginnt bei der landwirtschaftlichen Produktion, einschließlich aller vorhergehenden Prozesse wie Düngemittelherstellung, geht über die Verarbeitung und Verpackung bis hin zum Supermarkt und allen damit verbundenen Lager-, Kühl- und Transportprozessen. 

In der Regel weisen wir mit unserem CO2-Rechner für Lebensmittel den CO2-Fußabdruck an der Supermarktkasse aus. Alles, was danach kommt, wie beispielsweise die Einkaufsfahrten, Zubereitung und Lagerung der Lebensmittel in den eigenen vier Wänden oder die Entstehung von Abfällen, ist sehr individuell und könnte im Rechner sinnvoller Weise nur mit Durchschnittswerten berücksichtigt werden.

Insbesondere die Einkaufsfahrten haben einen großen Einfluss darauf, wie umweltfreundlich die gekauften Lebensmittel tatsächlich sind. Fahre ich mit dem Auto zum Einkaufen einer kleinen Menge Lebensmittel, wird die eigentliche Produktion der Lebensmittel schnell zur Nebensache. Es ist also deutlich vorteilhafter, größere Einkäufe mit reduzierten Fahrstrecken zu unternehmen, beispielsweise durch kleine Umwege bei bereits geplanten Fahrten oder, wenn möglich, zu Fuß oder mit dem Fahrrad einzukaufen.

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CO2-Rechner

Was gilt es noch zu beachten, wenn ich die CO2-Bilanz von Lebensmitteln berechnen möchte?

Nils Rettenmaier: Der Rechner wurde entwickelt, um den Verbraucherinnen und Verbrauchern eine grobe Orientierung darüber zu geben, wie ihre Einkaufsentscheidungen die Umwelt beeinflussen. Und obwohl die Redewendung besagt, man solle Äpfel nicht mit Birnen vergleichen, ist es genau das, wofür Sie den Rechner nutzen können – den Vergleich von Lebensmitteln innerhalb derselben Produktkategorie. 

Bereite ich beispielsweise einen Obstsalat zu, haben Äpfel und Birnen darin dieselbe Funktion und ein Vergleich ihrer Klimabilanz ist durchaus sinnvoll, um zu entscheiden, welches Obst im Salat landet und welches nicht. Ein Vergleich von Äpfeln mit Proteinlieferanten wäre hingegen weniger geeignet, da diese eine grundsätzlich andere Funktion in der Ernährung übernehmen.

Eine Person (einen Kopf sieht man nicht) schneidet frisches Gemüse und Kräuter auf einem Holzbrett auf einem Tisch.

Mit dem Lebensmittel-CO2-Rechner können Sie ganz einfach und schnell die CO2-Bilanz ihrer Ernährung ermitteln.

Ein weiterer Fallstrick besteht darin, alle Lebensmittel streng auf Kilogrammbasis miteinander zu vergleichen, selbst wenn man diese niemals in solch einer Menge konsumieren würde. Getrocknete Gewürze haben beispielsweise einen durchaus sichtbaren Fußabdruck, wenn der Berechnung ein Kilogramm Produkt zugrunde liegt. Dass Gewürze aber eher in homöopathischen Mengen verwendet werden, wird hierbei schnell vergessen. Es ist also wichtig, darauf zu achten, welche Lebensmittel miteinander verglichen und welche Bezugsgrößen dabei verwendet werden.

Interessante Beispiele und spannende Tipps zu klimafreundlichen Lebensmitteln und wie man nachhaltig mit ihnen umgeht gibt es hier. 

Außerdem ist es völlig in Ordnung, wenn ein bestimmtes Gericht auch mal einen höheren CO2-Fußabdruck hat. Entscheidend ist, wie sich die Klimabilanz der eigenen Ernährung über einen längeren Zeitraum hinweg darstellt, beispielsweise über einen Monat oder ein Jahr betrachtet. 

Man sollte sich daher nicht von Berechnungen für einzelne Gerichte verunsichern oder demotivieren lassen, sondern den Blick auf die Gesamtbilanz richten.

Kann man sich auch klimaneutral ernähren?

Nils Rettenmaier: Klimaneutral zu essen ist eine schöne Vorstellung, aber leider nicht realistisch. Jede Handlung, die wir als Menschen unternehmen, hat Auswirkungen auf das Klima und die Umwelt. Das bedeutet jedoch nicht, dass wir resignieren sollten. Im Gegenteil, wir sollten stets bestrebt sein, unseren ökologischen Fußabdruck zu minimieren und unsere Entscheidungen bewusst zu treffen. 

Das Ziel sollte also darin liegen, die Auswirkungen unserer Ernährung so gering wie möglich zu halten, um die Planetaren Grenzen möglichst nicht oder nicht weiter zu überschreiten.

Überraschend ist, dass Fleisch, Milch und Eier aus Bio-Landwirtschaft beim CO2-Fußabdruck in einigen Fällen nicht besser und manchmal sogar schlechter abschneiden als Produkte aus konventioneller Landwirtschaft. Was ist der Grund dafür?

Nils Rettenmaier: Der Grund dafür liegt darin, dass Biobetriebe oft geringere Erträge erzielen und mehr Fläche benötigen, um die gleiche Menge an Lebensmitteln zu produzieren wie konventionelle Betriebe. Da wir auch die mit der Landnutzung verbundenen Emissionen berücksichtigen, sind diese bei Bio-Lebensmitteln höher, was durch den Verzicht auf chemisch-synthetische Stickstoffdünger und Pflanzenschutzmittel nicht wettgemacht wird. 

Allerdings stehen den zum Teil höheren Emissionen von Bio-Lebensmitteln ein deutlich reduzierter Einsatz von Pestiziden, eine artgerechtere Tierhaltung, nachhaltigere Bodenbewirtschaftung und den Erhalt der Biodiversität gegenüber. Um eine umfassende ökologische Bewertung vorzunehmen, darf man sich also nicht ausschließlich auf die Treibhausgasemissionen in der Landwirtschaft konzentrieren.

Bleiben wir bei den Ernährungsmythen. Stimmt es, dass regionale Produkte immer klimafreundlicher als nicht-regionale Produkte sind?

Nils Rettenmaier: Viele Menschen nehmen an, dass der Kauf regionaler Lebensmittel automatisch gut für die Umwelt und das Klima ist. Leider trifft diese Annahme nicht immer zu. Denn neben dem Aspekt der Regionalität spielen noch viele andere Faktoren eine Rolle, wenn es darum geht, die Klimabilanz eines Lebensmittels zu bewerten. Ein gutes Beispiel hierfür sind Tomaten. Heimische Tomaten haben eine bessere Klimabilanz, wenn sie in der entsprechenden Saison und im Freiland angebaut werden können. 

In den Wintermonaten ist es jedoch klima- und umweltfreundlicher, Tomaten aus wärmeren Ländern wie Spanien zu kaufen. Dort können sie ohne Beheizung wachsen, während in Deutschland beheizte Gewächshäuser für den Anbau benötigt werden. Der Klimaeffekt der Gewächshäuser wiegt also schwerer als die CO2-Emissionen des Transports per LKW aus Spanien. 

Wer also ganz sichergehen möchte, sollte Obst und Gemüse deshalb nicht nur regional, sondern auch saisonal kaufen. Dadurch werden unnötige Transportwege vermieden, Treibhausgasemissionen reduziert und der Einsatz knapper Wasserressourcen verringert.

Unser Tipp: Mit dem Barmer Saisonkalender für regionales Gemüse und Obst haben Sie unterwegs einen praktischen Helfer zur Hand, um frische und klimaschonende Ware einzukaufen. (Barrierefreies PDF 1 MB)

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Wenn wir schon bei dem Transport von Lebensmitteln sind, was ist klimaschädlicher, Schiff oder Flugzeug?

Nils Rettenmaier: Beim Transport von Lebensmitteln schneidet der Flugverkehr in puncto Klimaauswirkungen deutlich schlechter ab als der Schiffs- oder Straßentransport, weshalb wir bestenfalls auf Flugobst verzichten sollten. Ob die Papaya in meinem Einkaufskorb tatsächlich per Flugzeug zu uns kam, ist aber oftmals nur über den Preis zu erkennen. Denn dieser fällt in der Regel deutlich teurer aus als von Früchten, die per Schiff hertransportiert wurden.

Und woran erkenne ich noch, wie ein Produkt angebaut, verarbeitet, verpackt und transportiert wurde?

Nils Rettenmaier: Bei der Kennzeichnung von Lebensmitteln fehlt es leider oft an Transparenz. Es ist nicht immer ersichtlich, aus welchen Regionen oder Ländern die Hauptzutaten der Produkte tatsächlich stammen und welche Transportrouten sie hinter sich haben. 

Ein Beispiel hierfür ist Tomatensoße. Die Tomaten werden zum Teil in China angebaut und zu Konzentrat verarbeitet, in Italien umgepackt und etikettiert, um dann als italienisches Produkt in unseren Supermärkten zu landen. Ein weiteres bekanntes Beispiel sind Nordseekrabben, die in der Nordsee gefangen, aber zur Verarbeitung nach Nordafrika geschickt werden, da dies dort kostengünstiger ist. 

Wir sollten uns daher bewusst machen, dass auch scheinbar regionale Produkte einen langen Transportweg haben können.

Nur wenn klar ersichtlich ist, woher die Hauptzutaten der Lebensmittel tatsächlich stammen, wie sie transportiert und gelagert wurden, können wir unsere Kaufentscheidungen entsprechend ihrer Umweltauswirkungen treffen. 

Viel wertvolles Praxiswissen, wie wir Schritt für Schritt immer klimafreundlicher essen können, ohne dies als Verzicht zu erleben, gibt es hier.

Deshalb wäre es wünschenswert, dass sich die Kennzeichnungspflicht im Lebensmittelbereich ändert und Informationen über die tatsächliche Herkunft der Hauptzutaten und nicht nur der Abfüll- oder Verarbeitungsort angegeben werden.

Und wie steht es um die Verpackungen? Welche Verpackungsart sollte man wählen, wenn es nicht möglich ist, Lebensmittel unverpackt zu kaufen?

Nils Rettenmaier: Glücklicherweise ist es bei den meisten Obst- und Gemüsesorten sehr einfach, sie unverpackt zu kaufen, beispielsweise auf dem Wochenmarkt. Bei vielen anderen Lebensmitteln hingegen stehe ich vor der Wahl und kann zwischen verschiedenen Verpackungsmaterialien wie Plastik, Karton, Glas, Konserven und vielen anderen Optionen wählen. 

In solchen Fällen ist es unter Klimagesichtspunkten wichtig, Einwegglas und Konservendosen unbedingt zu vermeiden und stattdessen auf Standbodenbeutel oder Verbundkartons zurückzugreifen.

Eine Frau kauft in einem Unverpackt-Laden ein und hält ihren Einkaufskorb hoch

Eine klimafreundliche Ernährung setzt auch bei der Verpackung auf nachhaltige Lösungen.

Selbst Plastikverpackungen, zum Beispiel für Speiseöl, schneiden in Bezug auf ihren CO2-Fußabdruck besser ab als Einwegglas. Denn obwohl die Recyclingkreisläufe von Plastik noch lange nicht perfekt geschlossen sind und wir alle über die Gefahren von Mikroplastik Bescheid wissen, ist die Herstellung beziehungsweise das Recycling von Glas mit sehr viel mehr Energie verbunden und daher umweltschädlicher. Es wäre also ein weiterer Mythos zu behaupten, dass Plastik grundsätzlich schlecht ist.

Haben Sie noch einen abschließenden Ratschlag, den sie uns mit auf den Weg geben möchten?

Nils Rettenmaier: Es ist wichtig, dass wir offen über Fragen zur Ernährung und Umwelt diskutieren können, ohne dabei dogmatisch zu werden. Es geht nicht darum, Menschen vorzuwerfen, was sie alles falsch machen. Auch ich bin nicht perfekt, trotz meines ganzen Wissens. Aber darum geht es auch nicht. Viel wichtiger ist, dass jeder sich bemüht, seine Ernährungsgewohnheiten entsprechend der Klimakrise anzupassen – sei es in kleinen oder großen Schritten. 

Es freut und ermutigt mich besonders, dass vor allem junge Menschen experimentierfreudig sind und auf pflanzenbasierte Alternativen zurückgreifen. Der steigende Absatz solcher Produkte bestätigt, dass die Akzeptanz für vegetarische und vegane Alternativen wächst.

Ein kleiner Junge isst Rohkost-Gemüse

Auch Kinder können spielerisch an eine klimafreundliche Ernährung herangeführt werden.

Außerdem finde ich es wichtig, bereits im Kindesalter anzusetzen und Kindern frühzeitig ein Bewusstsein für klimafreundliche Ernährung zu vermitteln – ohne moralischen Druck natürlich. Schließlich haben Kinder bisher nur wenig Zeit auf diesem Planeten verbracht und wenig zur aktuellen Situation beigetragen. 

Dennoch werden sie mit allen Problemen konfrontiert und belastet, die der Klimawandel mitbringt. Das ist zwar unfair, aber wenn sie von Anfang an einen besseren Umgang mit Lebensmitteln lernen als ihre Eltern und Großeltern, wäre das von großer Bedeutung und ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.

Vielen Dank für das Gespräch!