Ein Hochzeitspaar hört Musik auf der Feier und tanzt dazu.
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Warum Musik Emotionen weckt

Lesedauer unter 6 Minuten

Redaktion

  • Barmer Internetredaktion

Qualitätssicherung

  • Dirk Weller (Diplom-Psychologe)

Musik macht uns glücklich, traurig oder aktiv. Warum Lieder unsere Gefühle beeinflussen und wie Musik mit Emotionen zusammenhängt.

Johnny Depp ist für viele Dinge bekannt – für seine Musikkarriere eher nicht. Trotzdem gab es sie und gibt sie noch. Als Musiker wird ihm ein Satz zugeschrieben, der zahlreiche Poster und T-Shirts ziert und der den Kern von Musik trifft wie vielleicht kein zweiter: „Music touches us emotionally, where words alone can't.“ Musik berührt uns emotional, wo Wörter alleine es nicht vermögen.

Man denke an die eigene Lieblingsmusik. Wäre es wirklich das Lieblingsstück, wenn es nicht etwas besonderes auslösen würde? Wenn es nicht fröhliche Beschwingtheit, allerbeste Feierabendlaune, bärenhafte Energie oder vielleicht auch Melancholie, Sehnsucht, Trauer, Nostalgie herbeiführen könnte? Meist reichen dazu sogar schon die ersten Töne.

Welche Musik weckt Emotionen und welche nicht?

Klar ist, dass Menschen Musik nicht ausschließlich wegen der hervorgerufenen Emotionen hören. In diesem Motiv unterscheiden sich Hörer sehr, wie eine Studie schwedischer Musikpsychologen zeigte: Die einen hören Lieder so gut wie gar nicht, weil die Musik etwas in ihnen bewegt. Die anderen wiederum hören Musik ausschließlich deswegen.

Auch klar ist, dass nicht jede Musik Emotionen wecken kann – zumindest nicht bei jedem. Es gibt Lieder, die lassen uns völlig kalt, da spüren wir beim Hören nichts. Aber selbst Stücke, die wir schlecht oder langweilig finden, können bei anderen Menschen Gefühle auslösen, wie es bei uns selbst nur die Lieblingsmusik vermag. Auf Fragen wie „Welche Musik macht glücklich?“, „Welche Lieder machen traurig?“ oder „Welches Genre gibt mir Energie und Kraft?“ gibt es keine pauschale Antwort.

Denn: Die persönlichen Erinnerungen, Bezüge, Vorlieben oder gelernten Assoziationen spielen bei der emotionalen Wirkung von Musik eine große Rolle. Umgekehrt wäre es aber auch falsch, zu sagen, dass alles nur gelernt sei und die Musik selbst gar keine Rolle spielt. Es gibt durchaus ein paar akustische Merkmale, mit denen wir Menschen Verschiedenes verbinden.

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Warum erzeugt Musik Gefühle?

Welche das sind, weiß Adam Ockelford: „Alles, was wir hören, ruft binnen 200 Millisekunden eine kleine emotionale Reaktion hervor“, sagt der Professor für Musik an der Londoner University of Roehampton. Abhängig davon, welche Töne, Geräusche oder Klänge wir hörten, würden dabei verschiedene Emotionen geweckt. Wenig überraschend: „Sehr laute Töne führen zu Erregung oder Angst und ruhige, leisere Töne beruhigen hingegen. Es handelt sich dabei um sehr grundlegende emotionale Reaktionen.“

Für Musik gilt dabei auch, was generell auf Geräusche und Klänge zutrifft: Höreindrücke, die eine besondere emotionale Bedeutung haben, bevorzugt unser Gehirn bereits auf einer sehr frühen Verarbeitungsstufe. Die Priorisierung erfolgt beim Übergang des Höreindrucks vom (Innen-)Ohr über Hörnerv und Hirnstamm in unser Hörzentrum.

Bei dieser Art von Bevorzugung kommen deutlich mehr Informationen im Hörzentrum an als nur das Geräusch oder der Ton selbst – nämlich die mit dem Höreindruck verbundenen Gefühle. Verantwortlich für diese Priorisierung emotionaler Höreindrücke ist Wissenschaftlern zufolge der Thalamus, ein bestimmter Teil des Zwischenhirns.

Stefan Koelsch, Professor für biologische Psychologie und Musikpsychologie an der Universität von Bergen, untersuchte bereits 2006, wie sich die Wahrnehmung von dissonanter, unangenehm klingender Musik im Vergleich zu angenehm klingender Musik im Gehirn unterschiedlich zeigt. Probanden spielte er einerseits eine unangenehm verzerrte Version einer Ouvertüre von Johann Sebastian Bach vor, andererseits eine normale, unverzerrte Aufnahme des gleichen Stücks.

Beim Abspielen der unverfälschten, angenehmen Musik waren deutlich mehr Hirnareale aktiv als bei den unangenehmen Klängen. Auch hier zeigten sich die Unterschiede schon im Hirnstamm und dem Hörzentrum. Verschiedene emotionale Reaktionen werden also ganz früh ausgelöst und die Klänge sofort unterschiedlich weiterverarbeitet.

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Wie weckt Musik Emotionen?

Neben diesem kurzen, schnellen Pfad gibt es aber noch eine zweite Möglichkeit, über die Musik Gefühle beeinflusst. Der eine funktioniert wie beschrieben über die grundlegenden Eigenschaften der Klänge selbst. „Der andere Weg geht über die zur Musik gelernten Assoziationen“, sagt Ockelford. „Wenn wir zum Beispiel beim Hören eines Liedes eine sehr starke Emotion erleben, etwa weil das Lied beim Hochzeitstanz oder auf einer Beerdigung gespielt wird, verbinden wir diese Emotion mit dem gehörten Lied.“

Auf einer grundlegenden Ebene lassen sich also zwei Wege ausmachen, über die Musik Emotionen auslöst: über tief in uns verwurzelte, universale Reaktionen, die durch bestimmte Klänge ausgelöst werden. Und über die gelernte Verbindung von bestimmter Musik zu bestimmten Emotionen, die sich durch unsere Erfahrungen und Erinnerungen nach und nach ausgeprägt haben.

Doch schaut man etwas detaillierter auf diese beiden Wege, dann lassen sich noch verschiedene Unterpfade ausmachen. Welche das alle sind, hat der schwedische Emotionspsychologe Patrik Juslin, Professor an der Universität von Uppsala und dort Leiter der Arbeitsgruppe Musikpsychologie, in seinem Buch „Musical Emotions Explained“ zusammengefasst. 

Wie Musik Emotionen auslöst 

Der schwedische Musikpsychologe Patrik Juslin hat acht verschiedene Pfade ausgemacht, über die Musik in uns Emotionen wecken kann:

Hirnstammreflexe: Bestimmte Klänge (sehr laut, sehr unpassend, schneller werdend) lösen in uns ein Alarmsignal aus.
Rhythmisches Entrainment: Körperprozesse (z.B. Atmung, Herzschlag) verändern sich durch den Einfluss der Musik. Das kann auch die Stimmung beeinflussen.
Evaluative Konditionierung: Bei guter Laune macht man ein bestimmtes Lied an – irgendwann löst auch das Lied gute Laune aus.
Emotionale Ansteckung: Stimmungen können ansteckend sein. Klingen Sänger oder Musik so, als seien sie ängstlich, fröhlich oder traurig, kann sich das auf die Hörer übertragen.
Visuelle Bilder: Liedstellen rufen innere Bilder hervor – bei epischen Klängen denkt man an ein Bergpanorama – und diese Bilder lösen wiederum Emotionen aus.
Episodisches Gedächtnis: Ein Lied oder eine Passage sind an ein prägendes Lebensereignis geknüpft (Liebesbeziehung, Hochzeitstanz, Beerdigung). Beim Anhören werden die Gefühle der jeweiligen Momente hervorgerufen.
Musikalische Erwartungshaltung: Läuft ein Lied nicht wie erwartet weiter, überrascht das und löst eine Reaktion aus.
Ästhetisches Urteil: Die Schönheit eines Lieds kann uns bewegen.

Beeinflusst unsere Kultur die emotionale Wirkung von Musik?

Es gibt also vielfältige Wege, über die Musik möglicherweise Emotionen auslöst. Ein weiterer Einflussfaktor darauf, mit welchen Musikstücken bestimmte Gefühle assoziiert werden, sind die äußeren Umstände. Die Kultur, in der wir aufwachsen, zum Beispiel. Westlich geprägte Musik fußt meistens auf dem Dur- oder Moll-System. Dabei nehmen wir Dur als klar, hell, freundlich und aktivierend wahr, Moll hingegen charakterisieren wir meist als dunkel, ruhig oder melancholisch.

Dass diese Verbindung von Tonsystem und zugeschriebenem Charakter kulturell geprägt ist, haben Forscher des Music & Science Lab der Durham University wiederholt gezeigt. Dazu haben sie westlich geprägte Musik in Nord-West-Pakistan lebenden Stämmen vorgespielt, die Vergleichbares noch nie zuvor gehört hatten.

Bei diesen Studien zeigte sich aber auch der andere Weg der emotionalen Verbindung zur Musik, der nicht gelernte. Denn zwar hatte das Tonsystem keinen Einfluss auf die wahrgenommene Emotionalität der Musik. Die Geschwindigkeit, die Tonhöhe, die Artikulation und die Klangfarbe hatten aber den gleichen Einfluss wie unter westlichen Zuhörern.

Literatur und weiterführende Informationen

  • Patrik N. Jusllin: Musical Emotions Explained – Unlocking the secrets of musical affect (2019)
  • Patrik N. Juslin und Petri Laukka: Expression, Perception, and Induction of Musical Emotions: A Review and a Questionnaire Study of Everyday Listening (2010)
  • Patrik N. Juslin und Daniel Västfjäll: Emotional responses to music: The need to consider underlying mechanisms (2008)
  • Durham University (Abruf vom 10.08.2022): Cross-cultural research in music and emotions 
  • George Athanasopoulos, Tuomas Eerola, Imre Lahdelma und Maximos Kaliakatsos-Papakostas: Harmonic organisation conveys both universal and culture-specific cues for emotional expression in music (2021)
  • Voprosy Psikhologii: Emotions and music: New approaches to an old problem (2008)
  • DasGehirn.info (Abruf vom 10.08.2022): Hören mit Gefühl 
  • Robert F Schmidt, Florian Lang und Manfred Heckmann: Physiologie des Menschen (2011)

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