Musik kann uns an Erlebnisse, Orte, Menschen oder Lebensphasen erinnern. Was es mit dem Musikgedächtnis auf sich hat und wie Musikstücke im Gehirn verarbeitet werden.
Das Gedächtnis ist schon so eine Sache. Versuchen wir uns an die Hauptstadt von Paraguay zu erinnern, an die verabredete Uhrzeit oder daran, wie nochmal dieser Schauspieler hieß, fällt es uns partout nicht ein. Doch manchmal reicht ein kurzer Nebensatz, eine komisch geformte Wolke, eine Berührung oder ein Geschmack, um eine alte Erinnerung in uns wachzurufen. Auch Geräusche können das – und ganz besonders Musikstücke.
Wie funktioniert das menschliche Gedächtnis?
Um zu verstehen, wie Musik Erinnerungen wecken kann, hilft es, sich zunächst anzuschauen, wie das menschliche Gedächtnis funktioniert. Beim „gewöhnlichen“ Erinnern sind verschiedene Bereiche des Gehirns beteiligt. Das Gedächtnis ist kein zentraler Ort im Gehirn, es gibt keine Schubladen, die befüllt werden. Vielmehr ist das Gedächtnis ein Netzwerk verschiedenster Hirnteile, deren Verbindungen sich neu bilden oder die ihre Bindungen verstärken beziehungsweise abschwächen. Dabei unterscheiden Hirnforscher im klassischen Mehr-Speicher-Modell (das später weiterentwickelt wurde) verschiedene Gedächtnisfunktionen:
- Das sensorische Gedächtnis (auch Ultrakurzzeitgedächtnis): speichert Informationen der Sinnes-Rezeptoren. Sehr kurze Haltedauer von 200-400 Millisekunden für visuelle oder vier Sekunden für auditorische Reize. Nicht zwangsläufig bewusst.
- Das Kurzzeitgedächtnis / Arbeitsgedächtnis: speichert in der Regel sieben plus/minus zwei Informationen über mehrere Sekunden bewusst ab.
- Das Langzeitgedächtnis: unbegrenzte Kapazität und Speicherdauer für alle Arten von Informationen.
Neue Informationen gelangen dabei zunächst ins sensorische Gedächtnis – es fungiert als eine Art erster Filter. Werden sie als relevant genug eingestuft, werden sie eine Ebene weitergegeben: ins Kurzzeitgedächtnis. Dort können wir bewusst damit arbeiten. Wenn wir eine Information interessant, wichtig oder emotional bedeutsam finden, dann ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass sie anschließend auch ihren Weg ins Langzeitgedächtnis findet.
Wie wird Musik im Gehirn verarbeitet und gespeichert?
Hören wir Musik, geschieht folgendes: Zunächst gelangen die Informationen über die Nerven der Hörbahn vom Ohr ins Gehirn. Bereits unterwegs und auch später werden Teilinformationen der akustischen Merkmale analysiert. Schließlich werden die oben genannten Gedächtnisprozesse aktiviert und die gehörte Musik oder Teile davon werden mit unseren Erinnerungen abgeglichen. Das kann dazu führen, dass wir uns an ein Lied erinnern oder das uns Aspekte davon an ein anderes Musikstück erinnern – etwa bei Cover-Versionen.
Es kann aber auch sein, dass uns das Gehörte an eine Szene aus unserem Leben erinnert: ein Konzert, ein Ausflug, eine andere Person (weil man mit ihm oder ihr immer dieses Lied, diese Band oder dieses Genre gehört hat), einen Ort oder gar eine Lebensphase. Sind mit dem Erinnerten bestimmte Gefühle verknüpft, werden diese oft durch die Verarbeitung der Musik im Gehirn wachgerufen.
Dass Musik die Gedächtnisbereiche des Gehirns aktiviert und somit auch trainiert, hat zur Folge, dass professionelle Musiker ein besseres Gedächtnis haben – zumindest in mancher Hinsicht. Das zeigte eine Meta-Analyse, in der Forscher 29 Studien zu diesem Thema auswerteten. Laut ihren Ergebnissen sind bei den Musikern nicht alle Gedächtnisprozesse überlegen. Vor allem aber das Kurzzeitgedächtnis glänzt, wenn es ton- oder sprachbezogene Stimuli verarbeiten muss.