Der geübte Griff zum Glas Alkohol, die Zigarette überall, PC-Spiel als Ablenkung. Ein kleines Laster hat jeder.
Kann man schlechte Angewohnheiten loswerden?
Eine schlechte Angewohnheit kann jedoch zur wahren Last werden, wenn daraus eine Sucht wird, die mehr und mehr unseren Alltag bestimmt. Um neues Verhalten zu trainieren, muss man vergessen können. So die Theorie, an der Wissenschaftler aus mehreren Disziplinen seit vielen Jahren forschen. Inzwischen gibt es erprobte Tipps, die helfen, Sucht oder Marotten zu überwinden. Das Prinzip: sein Gehirn dauerhaft überlisten.
Neun Tipps gegen schlechte Angewohnheiten:
- Setzen Sie sich erreichbare Ziele, nehmen Sie sich beim Start nicht zu viel vor.
- Stellen Sie sich die Vorteile der Verhaltensänderung vor: Was passiert, wenn Sie gesünder essen, nicht mehr rauchen, weniger Alkohol trinken?
- Legen Sie einen bestimmten Zeitpunkt fest, notieren Sie diesen.
- Das Ziel muss zum Leben passen: Weniger Alkohol zu trinken, sollten Sie sich nicht vor einer Geburtstagsparty vornehmen, sondern lieber an einem ruhigen Abend zu Hause.
- Sprechen Sie Ihren Vorsatz laut aus: „Ich esse abends keine Schokolade mehr!“, „Ich trinke heute nur ein Glas Wein!“. Allein das kann Ihnen helfen, durchzuhalten, da Sie dem Gehirn signalisieren, die Kontrolle zu haben.
- Führen Sie einen Kalender, auf dem Sie jedes Mal einen Haken setzen, wenn das Durchhalten geklappt hat. Beim zehnten Mal gönnen Sie sich eine kleine Belohnung.
- Wenn-Dann-Sätze überlegen: Was machen Sie, wenn Ihr Plan nicht aufgeht – wenn zum Beispiel heute Abend Besuch kommt und Sie nicht joggen gehen können? Dann laufen Sie eben bereits morgen Früh. Oder: Dann gehen Sie mit dem Besuch spazieren.
- Suchen Sie sich Unterstützung: bei einem Coach, einer Freundin, einer Selbsthilfegruppe.
- Geben Sie nicht gleich auf, wenn Sie mal rückfällig geworden sind. Seien Sie gnädig mit sich.
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Schlechte Angewohnheit oder der innere Schweinehund
Professorin Wendy Wood erzählt in Interviews gerne von ihrem inneren Schweinehund. Die Sozialpsychologin hatte sich vorgenommen, häufiger joggen zu gehen. Doch es fiel ihr sehr schwer, das gute Vorhaben auch konsequent durchzuhalten.
Ihre Lösung klingt vielleicht verrückt, aber half: Sie stellte am Abend ihre Joggingschuhe vor die Tür und legte sich in Joggingkleidung schlafen. Ein simpler Trick, um sich zum Laufen zu zwingen.
Immer wieder fand Wood jedoch morgens Ausreden, es dauerte lange, bis sie endlich tatsächlich aufstand. Doch dann begann sie zu laufen – einmal, zweimal, regelmäßig. „Irgendwann ist es ganz leicht, es fällt dir nicht mehr schwer“, schreibt Wood auf ihrem Instagram-Kanal. „Du bist eine Läuferin geworden.“
Wendy Wood ist die weltweit führende Expertin in der Erforschung von Gewohnheiten. Sie weiß, wovon sie spricht, auch wenn ihr das Durchhalten oft selbst schwerfällt. Seit vielen Jahren geht sie an der University of Southern California (USC) der Frage nach, wie man sich gute Gewohnheiten antrainiert – und schlechte Angewohnheiten wieder verlernt.
In ihrem Bestseller-Buch „Good Habits, Bad Habits“ schreibt Wood, dass Verhaltensänderungen auf lange Sicht nur gelingen, wenn man sie immer und immer wiederholt und sie dadurch eine neue Gewohnheit werden. Wie zum Beispiel ihr Lauftraining.
Warum fällt es schwer, Vorsätze zu halten?
Jeder Mensch hat mehr oder weniger ungünstige oder ungesunde Verhaltensweisen, die er gern loswerden und durch bessere, gesündere ersetzen möchte. Warum ist es eigentlich so schwer, schlechte Angewohnheiten abzulegen? Weil unser Kopf Routine liebt. Einen Großteil unseres Lebens verbringen wir mit Routinen, also Handlungen, über die wir nicht mehr nachdenken: Zähne putzen, duschen, anziehen, den Morgenkaffee trinken, zur Arbeit fahren.
Müssten wir über jeden einzelnen Schritt nachdenken, wäre unser Leben viel zu anstrengend. Das Gehirn macht es sich leicht – es nimmt sozusagen eine Abkürzung: Handlungen, die in einem gewissen Kontext gut geklappt haben, merkt es sich.
Das Handeln wird belohnt, das Gehirn schüttet Dopamin, ein Glückshormon, aus. Kommen wir beim nächsten Mal wieder in dieselbe Situation, machen wir höchstwahrscheinlich das Ähnliche oder sogar genau das Gleiche wieder. Routinen sparen Kraft und Gedächtnisleistung.
Das ist der Grund, warum sich seltsame Verhaltensweisen oder solche, von den wir wissen, dass sie uns nicht guttun, so schwer wieder zu vergessen sind, denn: das wohlige Gefühl am Feierabend, wenn man die Füße hochlegt, den stressigen Alltag und den Ärger mit Kollegen hinter sich lässt und dann ein Bier öffnet.
Wenn der Verschluss ploppt und das Getränk schäumend in das Glas fließt, stellt sich sofort Entspannung ein. Genauso bei einem netten Abend mit Freundinnen in einer Bar bei einem Glas Wein und einer Zigarette. Diese so guten Gründe für unser Verhalten, dass wir als schlecht bewerten, obwohl wir es tun, macht es uns schwer wirklich was zu ändern.
Schlechte Gewohnheiten loswerden - Stand der Forschung
Wie sich Gewohnheiten, die man selbst sogar als Untugend empfindet, ablegen lassen und Süchte wieder verschwinden, dazu forscht Martin Korte. Er ist Professor für Neurobiologie an der Technischen Universität Braunschweig.
Je länger ein Ritual gepflegt wird, umso tiefer gräbt es sich ins Gedächtnis ein, schreibt Korte in seinem Buch „Wir sind das Gedächtnis“. Im Gehirn entstehen dann neue neuronale Verbindungen, der Körper verlangt nach einer Wiederholung und irgendwann nach einer erhöhten Dosis - also noch mehr Alkohol, Nikotin oder Zeit für PC-Spiel, um dasselbe Hochgefühl zu erleben.
Die gute Nachricht ist jedoch: Der neuronale Prozess des Merkens findet an denselben Synapsen im Hippocampus und anderen Hirnarealen wie das Vergessen statt. Wir können also schlechte Angewohnheiten durch passende ersetzen.
Und, mit viel Training, auch Süchte wieder aus dem Gedächtnis verbannen. Vergessen – das vielen als Fehlleistung des Gehirns erscheint – ist, bezogen auf Angewohnheiten und Abhängigkeiten ein Segen. Auch wenn es dann ein deutlich aktiverer Vorgang ist, als Vergessen es dem Laien normalerweise erscheinen mag.
Dabei ist der Begriff „Vergessen“ jedoch im Grunde der Falsche, denn die Erinnerung an das Suchtmittel – oder auch an die schlechte Angewohnheit – ist teils ein Leben lang da.
Einmal geknüpfte Nervenverbindungen bleiben dauerhaft als funktionale Veränderungen bestehen, wie Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Neurobiologie in Martinsried bei München herausgefunden haben. Sie werden nur durch andere Angewohnheiten überschrieben. Dies würde bedeuten, dass der Mensch niemals vergisst, sondern die Information nur nicht mehr abrufen kann.
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Schlechte Angewohnheiten durch aktives Umlernen loswerden
In der psychologischen Praxis werden diese Erkenntnisse in der „Extinktionstherapie“ umgesetzt. Ziel der Therapie: positive Erinnerungen an die Sucht vergessen. Gleiches kann natürlich auch für schlechte Angewohnheiten gelten: Bessere Handlungsmuster ersetzen die vormals schlechten. Es ist ein aktives Umlernen, bei der die alte Gewohnheitsspur mit einer neuen Erfahrung überspielt wird.
Im Programm der Anonymen Alkoholiker wird dies seit Langem geübt: Die Teilnehmer lernen, ihre eigenen Verhaltensmuster zu erkennen, diese zu stoppen und dann durch neue, bessere zu ersetzen. Die Sucht soll mit einer neuen, weniger schädlichen Verhaltensweise überschrieben werden. Das braucht Übung, bis es verinnerlicht ist.
Erst mit der Zeit lernt unser Gehirn, dass es keine Belohnung zu erwarten hat, wenn wir der Sucht nachgegeben. Die Belohnungserwartung beim Anblick von Alkohol ist anfangs immer stark. Bei jemandem, der auf "Entzug" ist, reicht manchmal schon das Wort Alkohol aus, um Genusserwartung zu wecken. Die Erwartung tritt aber mit zunehmendem Trainingserfolg in den Hintergrund. Und der Alkoholsüchtige lernt, dem Lieblingsgetränk zu widerstehen.
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So geling es in sechs Stadien:
Doch wie gelingt es nun, gute Vorsätze dauerhaft umzusetzen? Eine einfache Lösung dafür gibt es nicht. Die Gesundheitspsychologen James O. Prochaska, John Norcross und Carlo DiClemente haben hierfür das „Transtheoretische Modell der Veränderung“ entwickelt. Es zeigt, dass der Ausstieg aus der schlechten Angewohnheit kein Ding der Unmöglichkeit ist.
- Sorglosigkeit: Noch ist man sich keines Problems bewusst, man sieht keinen Anlass zur Veränderung.
- Bewusst werden: Langsam bemerkt man, dass man etwas ändern sollte. Dafür gibt es jedoch noch keinen konkreten Plan. Man wägt die Vor- und Nachteile ab, sein Handeln zu ändern, und denkt intensiv über das Problem nach.
- Vorbereitung des Neustarts: Man setzt sich konkret mit der Veränderung auseinander: Was kann ich tun? Wo kann ich mir Hilfe holen? Wie schaffe ich es, mein Verhalten zu ändern?
- Handeln: Der schwierigste Teil: Nun ändert man sein Verhalten aktiv. Man hört auf zu rauchen oder zu trinken, man beginnt, mehr Sport zu treiben.
- Durchhalten: Die neue Angewohnheit muss nun wiederholt und verinnerlicht werden. Es ist wichtig, nicht in alte Routinen zu verfallen.
- Stabilität: Langsam kann man sich sicher fühlen: Die alten Rituale sind ein abgeschlossenes Kapitel, man hat ein neues Verhalten adaptiert.
Machen Sie es Ihrer schlechten Angewohnheit schwer
Ein Laster ablegen, besseres Verhalten antrainieren, kann erschöpfend sein. Denn die vielen Entscheidungen und Durchhaltekämpfe kosten viel Kraft. Wendy Wood empfiehlt daher, es Kopf und Körper so leicht wie möglich zu machen – und der Unsitte, also ihrer schlechten Angewohnheit, so schwer wie möglich.
Wer weniger Alkohol trinken möchte, sollte nicht in eine Weinbar gehen. Wer weniger am Computer spielen möchte, sollte diesen in den Keller verbannen. Raucher geben ihr Laster doppelt so häufig auf, wenn sie im Urlaub – also in einer entspannten Situation - mit dem Aufhören starten, fand Wood in einer ihrer Studien heraus.
Manchmal übernehmen auch andere Institutionen die Rolle der „Überzeugungsarbeit“: So sank in Deutschland der Anteil an Rauchern, nachdem ein Rauchverbot in der Gastronomie eingeführt worden war. Ein Übriges taten die erhöhte Tabaksteuer und die abschreckenden Bilder auf Zigarettenschachteln.