In Deutschland ist die Niere das am häufigsten transplantierte Organ. Das Besondere bei der Niere: Sie kann nicht nur nach dem Tod, sondern bereits zu Lebzeiten gespendet werden. Jedes Jahr entscheiden sich ungefähr 500 Menschen in Deutschland für diesen Weg. Dazu gehörten auch Dagmar und ihr Mann. Vor drei Jahren fand die Operation statt und seitdem lebt Dagmars Mann mit ihrer Niere. Wie das Ehepaar die Entscheidung getroffen hat, wie die Schritte bis zur Operation aussahen und was sie rückblickend über die Nierenlebendspende denkt, erzählt Dagmar in ihrem Erfahrungsbericht.
Was bedeutet die Lebendspende eines Organs?
Die meisten Organe werden nach dem Tod gespendet. Es gibt wenige Ausnahmen, bei denen ein Mensch bereits zu Lebzeiten einem anderen Menschen ein Organ oder Zellen spenden kann. Am häufigsten ist dabei die Spende einer Niere oder eines Teils der Leber.
Dagmars Mann hat eine angeborene Erkrankung der Nieren, die sich über die Jahre immer weiter verschlimmert hat. Als die Nierenfunktion nicht mehr ausreichte, musste er mehrmals wöchentlich zur Dialyse. Bei der Dialyse wird das Blut über mehrere Stunden gefiltert – das Dialysegerät übernimmt die Funktion, die sonst die Nieren erfüllen.
Dass es möglich ist, eine Niere zu Lebzeiten zu spenden, wusste das Ehepaar schon lange. Sie haben immer häufiger über diese Option nachgedacht, bis sie schließlich die Ärzte selbst aktiv darauf ansprachen.
Es benötigen deutlich mehr Menschen ein Spenderorgan als es Spender gibt. Das gilt auch für Spendernieren: 2020 haben in Deutschland rund 7.500 Menschen auf eine Nierentransplantation gewartet. Knapp 2.000 Menschen haben in diesem Jahr eine Spenderniere bekommen. Das sind weniger als ein Drittel.
Voraussetzungen für eine Lebendnierenspende
Bei einer Lebendorganspende wird ein gesunder Mensch behandelt oder operiert – das bringt besondere ethische Herausforderungen mit sich. Damit ein Mensch zu Lebzeiten ein Organ oder Gewebe spenden kann, müssen daher bestimmte Anforderungen erfüllt sein. In Deutschland sind diese Voraussetzungen für eine Lebendspende im Transplantationsgesetz geregelt:
- Der Mensch, der spenden möchte, muss volljährig und einwilligungsfähig sein.
- Es muss eine umfassende Aufklärung über die Lebendspende erfolgen.
- Der Mensch, der spenden möchte, muss in die Spende einwilligen.
- Vorab ist eine ärztliche Untersuchung nötig, um abzuklären, dass derjenige aus medizinischer Sicht als Spender geeignet ist. Der mögliche Spender darf über das Operationsrisiko hinaus nicht zusätzlich gefährdet werden.
- Eine Lebendspendenkommission aus ärztlichem, psychologischem und juristischem Personal begutachtet jeden Antrag für eine Lebendorganspende. Die Kommission untersucht, ob eine Spende freiwillig ist und zum Beispiel kein Druck auf die Person ausgeübt wird. Auch finanzielle Anreize für eine Spende sind auszuschließen.
- Es muss geprüft werden, dass kein geeignetes Organ einer verstorbenen Person zur Verfügung steht. Dafür muss die Patientin oder der Patient auf der Warteliste für das entsprechende Organ stehen.
In Deutschland ist die Lebendspende von einem Organ oder Organteil zudem nur zwischen bestimmten nahestehenden Personen erlaubt. Ein Mensch darf seine Niere spenden an:
- Verwandte ersten und zweiten Grades
- die Ehepartnerin oder den Ehepartner
- eingetragene Lebenspartnerin oder Lebenspartner
- Verlobte oder Verlobten
- besonders nahestehende Menschen
Lebendnierenspenden halten im Durchschnitt länger als nach dem Tod gespendete Nieren: Fünf Jahre nach der Transplantation arbeiten noch 86 von 100 Nieren von Lebendspendern. Bei nach dem Tod gespendeten Nieren sind es noch 75 von 100.
Erfahrungen einer Lebendnierenspenderin – die Entscheidung
Die Nierenerkrankung von Dagmars Mann ist schleichend fortgeschritten und sie wussten, dass irgendwann eine Dialyse nötig wird. Die Familie hatte viel Zeit, sich Gedanken zu machen und über die Nierenlebendspende zu sprechen. „Mein Mann meinte, die Lebendspende ist meine Entscheidung. Er ist froh, wenn ich es tue. Aber wenn ich mich nicht dafür entscheide, ist es auch in Ordnung.“
Das Ehepaar entschloss sich testen lassen – dafür wurde ihnen Blut abgenommen und die Blutproben wurden auf bestimmte Gewebemerkmale untersucht (Gewebetypisierung). Damit eine Organtransplantation möglich ist, müssen die sogenannten HLA-Merkmale übereinstimmen. Zusätzlich ließ sich Dagmar untersuchen, um ihre gesundheitliche Eignung als Spenderin sicherzustellen.
Nach etwa sechs Wochen kam der Anruf vom Krankenhaus: „Ich sah den Anruf mit unterdrückter Nummer und hatte gleich im Gefühl, dass das die Uniklinik sein musste. Als wir erfahren haben, dass es passt, war klar: wir gehen das jetzt an.“
Jede Körperzelle trägt bestimmte Merkmale auf ihrer Oberfläche, wodurch die anderen Zellen erkennen, dass sie zum eigenen Körper gehört. Das ist zum Beispiel für die Immunabwehr wichtig, damit körpereigene Zellen von eventuell krankmachenden Eindringlingen unterschieden werden können. Diese Gewebemerkmale heißen in der Fachsprache „humane Leukozyten-Antigene“, kurz HLA-Merkmale. Bei der Transplantation sind sie besonders entscheidend: Sind sich die Merkmale ähnlich, ist das Risiko für eine Abstoßung des transplantierten Organs geringer.
Vorbereitungen für die Nierentransplantation
Bevor die Operation geplant werden konnte, hatte Dagmar noch einen Termin bei der Ethikkommission. „Als mich die Kommission fragte, ob ich meinem Mann eine Niere spenden will, damit es ihm wieder besser geht, sagte ich: Nein. Ich will ihm eine Niere spenden, damit wir zwei wieder ein neues Leben beginnen können.“
Nach der Zustimmung durch die Ethikkommission beschloss das Ehepaar zusammen mit den Ärzten, vor der Operation erst noch einmal in den Urlaub zu fahren. „Ich kann es nur empfehlen, vorher in den Urlaub zu fahren und nicht direkt aus dem Alltag oder dem Beruf die Operation anzutreten.“ Der Arbeitgeber war über die geplante Nierenoperation informiert und wusste, dass Dagmar nach ihrem Urlaub erst einmal krankgeschrieben sein würde. Das Ehepaar ging offen mit dem Thema um – und erzählte guten Kolleginnen und Kollegen sowie Familie und Freunden von der Nierentransplantation.
2021 wurden in Deutschland 1.992 Nieren transplantiert. Davon stammten 475 aus Lebendnierenspenden
Wie läuft eine Nierentransplantation ab?
Nach einem erholsamen Urlaub an der Ostsee fuhr das Ehepaar in die Klinik. „Wir sind das sehr optimistisch angegangen: Das wird schon gutgehen! Ich habe mir keine Sorgen gemacht, dass die Niere nicht angenommen wird.“ In Vollnarkose wurde über einen Bauchschnitt Dagmars Niere vorsichtig entnommen. „Ich kam morgens in den OP und erst als die Niere erfolgreich entfernt war, wurde mein Mann in den OP gebracht. Nachdem ich aufs Zimmer gebracht wurde, habe ich geschlafen, bis mein Mann in seinem Bett reingeschoben wurde – und ich als erstes seinen erhobenen Daumen gesehen habe – es hat geklappt.“ Dass es beiden gut ging, war besonders für ihren Sohn eine Erleichterung, der zu Hause gespannt auf den Anruf gewartet hatte.
Die Schmerzen durch die Operation waren in den ersten Tagen stärker, ließen dann aber nach. Nach zehn Tagen im Krankenhaus kam Dagmar wieder nach Hause. „Anfangs konnte ich nicht auf der Seite liegen, da es unangenehm war. An der Stelle, wo sich die Niere befand, hatte ich zu Beginn ein Kribbeln. Aber das wurde immer besser und ist nach einer Weile verschwunden.“ Ihr Mann blieb drei Wochen in der Klinik. Da er in einem Büro arbeitet, konnte er sogar zeitnah wieder in Vollzeit einsteigen.
Übrigens: Die erste erfolgreiche Nierentransplantation war im Jahr 1954 in den USA.
Komplikationen durch eine Nierenspende
Wie jede Operation kann auch eine Nierenspende zu Komplikationen führen. Mögliche Risiken und Folgen einer Nierenlebendspende können zum Beispiel sein:
- Nachblutungen im operierten Bereich
- Infektion der Wunde oder andere Infekte
- Taubheitsgefühl im Bereich der Operationsnarbe
- Narbenbruch
- andauernde starke Erschöpfung (Fatigue)
Sehr selten kann es auch zu Blutgerinnseln (Thrombosen) kommen oder dazu, dass (vorübergehend) eine Dialyse für die Spenderin oder den Spender nötig ist. Transplantationen werden daher in spezialisierten Zentren durchgeführt, die sich vor und nach dem Eingriff umfassend um die beteiligten Personen kümmern.
Das Leben mit nur einer Niere
Hat ein Mensch eine Niere gespendet, passt sich der Körper nach und nach an das Leben mit nur einer Niere an. Vorher haben beide Nieren das Blut gefiltert, nun übernimmt die verbliebene Niere allein die Arbeit – nach einer Weile kann sie etwa 70 Prozent der Gesamtleistung erfüllen, die vor der Lebendnierenspende bestand. Im Alltag ist dieser Unterschied kaum spürbar – die Spenderin oder der Spender muss keine spezielle Diät oder bestimmte Trinkmenge beachten. Die Ärzte haben Dagmar empfohlen, etwa 1.5 Liter pro Tag zu trinken – was sich leicht umsetzen lässt, da auch Kaffee, Tee oder eine Suppe zählen.
Dagmars Blutdruckmedikamente wurden nach der Nierenoperation noch einmal neu eingestellt. Sie achtet weiterhin sorgfältig auf ihren Blutdruck und geht regelmäßig zu Nachsorgeuntersuchungen. Ansonsten hat die Nierenspende keinen Einfluss auf Dagmars Alltag. Bewegung und eine gesunde Lebensführung sind – wie auch beim Leben mit zwei Nieren – natürlich ratsam.
Zurück bei der Arbeit fängt Dagmar erst mit wenigen Stunden pro Tag an und erhöht die Zeiten nach und nach. So kann sich ihr Körper langsam wieder an die Tätigkeiten in dem Restaurant eines Seniorenhauses gewöhnen. „Ich habe keine Schmerzen – im Prinzip merke ich nichts von der Nierenspende.“
Dagmars Mann nimmt regelmäßig Medikamente, die das Immunsystem unterdrücken und dadurch eine Abstoßung der fremden Niere verhindern. Aufgrund der Medikamente ist es nötig, dass er bestimmte Hygieneregeln beachtet und zum Beispiel kein rohes Fleisch oder Fisch wie Sushi isst. Es fällt ihnen jedoch nicht schwer, diese Regeln im Alltag zu beachten. Im Gegensatz dazu, gehören die regelmäßigen Dialyse-Termine nun zur Vergangenheit.
Ein Blick zurück – würden wir es noch einmal machen?
Nach einem Jahr war das Ehepaar zusammen in einer Reha-Klinik – wie es ihnen die Ärzte empfohlen hatten. Inzwischen hat sich der Alltag wieder eingestellt und sie sind froh über ihre Entscheidung. Für Dagmar und ihren Mann war besonders die Unterstützung durch Freunde und Familie hilfreich, die sie auf dem Weg der Organspende begleitet haben. Dagmar betont, dass nicht nur ihr Mann als Empfänger des Organs etwas davon hat – sondern auch sie selbst: „Wir sind 30 Jahre verheiratet. Wenn es dem anderen nicht gut geht, leidet man als Partner mit. Jetzt sind wir wieder mehr unterwegs, machen Städtetrips oder sind im Garten. Wir machen uns wieder eine schöne Zeit zusammen. Man macht es nicht nur für den Partner – man macht es auch für sich selbst. Beide profitieren davon. Daher kann ich nur dazu raten, den Mumm zu haben und es zu machen!“