Eine junge Frau tanzt auf der Straße zur Musik aus ihrem Smartphone
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Binaurale Beats – das steckt hinter dem Phänomen

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Redaktion

  • Barmer Internetredaktion

Qualitätssicherung

  • Dirk Weller (Diplom-Psychologe)

Binaurale Beats sollen den Schlaf, die Aufmerksamkeit und das Gedächtnis verbessern. Stimmt das wirklich?

Musik wirkt, keine Frage. Der fröhliche Sommerhit hebt die Laune. Der schnelle Rocksong treibt beim Laufen an. Die langsame Ballade weckt sentimentale Erinnerungen. Doch nicht nur Lieder, auch Geräusche und Klänge können etwas auslösen in uns.

Klingelnde Wecker oder im Straßenverkehr erschallende Martinshörner versetzen uns in Habachtstellung. Auch Babyschreie reißen unsere Aufmerksamkeit an sich – ein universales Phänomen. Das Knistern des Kaminfeuers oder Regengeplätscher wirken auf viele Menschen beruhigend.

In letzter Zeit ist ein weiteres Geräusch-Phänomen hinzugekommen, das uns aktivieren, ja sogar kognitiv bereichern soll: die binauralen Beats. Sie sollen den Schlaf, die Aufmerksamkeit und das Gedächtnis verbessern, außerdem Stress, Schmerzen und Ängste mildern.

Und selbst das Bewusstsein sollen sie ähnlich wie ein schwacher Drogenrausch verändern können. Doch stimmt das wirklich? Kann ein Klangerlebnis solche Effekte hervorrufen und sogar Symptome heilen? Und was genau sind binaurale Beats eigentlich?

Was sind binaurale Beats?

Man könnte sagen, es handelt sich bei den binauralen Beats um einen akustischen Trick des Gehirns, vielleicht sogar eine Art auditive Halluzination. Denn letztlich hört man etwas, das gar nicht da ist. Das Phänomen tritt auf, wenn man sich einen Kopfhörer aufsetzt und links und rechts zwei unterschiedlich hohe Töne auf die Ohren spielt.

Die Lautstärke ist nicht so entscheidend. Wichtiger ist, dass sich die Töne in ihrer Höhe, also in der in Hertz gemessenen Frequenz nur ganz leicht unterscheiden. Etwa 10 Hertz Unterschied sind eine geeignete Größenordnung. Dann hört man eine Art Auf- und Abschwellen des Tons, ein hin- und herpendelndes Brummen. Hört man auf dem linken Ohr also einen 400 Hertz hohen Ton und auf dem rechten Ohr 410 Hertz, dann liegt die gehörte Schwingung bei 10 Hertz.

Hörbeispiel

Das Phänomen binauraler Beats ist dabei schon ziemlich lange bekannt. Der Physiker Heinrich Wilhelm Dove beschrieb es wohl als erster und das schon im Jahr 1839. Lange interessierte sich niemand so richtig für die akustische Kuriosität.

Dieses Interesse kam erst mit der Idee, das Phänomen kommerziell zu vermarkten, wie Christoph Reuter betont, Professor für systematische Musikwissenschaft an der Universität Wien: „Der Mythos, dass binaurale Beats irgendetwas im Gehirn bewirken würden, stammt von dem US-amerikanischen Geschäftsmann und Radio-Programmdirektor Robert Allen Monroe. Der gründete 1971 das Monroe Institut mit dem Ziel, parawissenschaftliche Dinge wie Energiekörper oder Fernwahrnehmung zu erforschen und für die Menschen und seinen Geldbeutel nutzbar zu machen.“ 1993 ließ sich Monroe die Verwendung von in Musik oder Rauschen eingebetteten binauralen Tönen patentieren, um darüber beliebige mentale Zustände zu induzieren. „Das diese beliebigen Zustände nicht von außen induziert werden können, steht auf einem anderen Blatt“, sagt Reuter, „aber dass man die binaural Beats unter die Musik mischen darf, kann man sich natürlich patentieren lassen.“

Welche Wirkung haben binaurale Beats?

Doch woher kommt die Idee, dass binaurale Beats Effekte auf das Gehirn haben und sich dann weiter positiv auf den Körper auswirken? Glaubt man den Beschreibungen der positiven Effekte von Streaming-Kanälen oder Blogs zum Thema, dann könnten binaurale Klänge bestimmte Gehirnwellen hervorrufen, die das Gehirn wiederum funktionell beeinflussen.

Was daran stimmt, ist, dass es im Gehirn verschiedene Gehirnwellen gibt. Und je nach unserem jeweiligen Zustand – ob wir gerade schlafen oder hochkonzentriert arbeiten –, treten mal langsamere Wellen und mal schnellere Wellen auf. Die Idee hinter den Effekten der binauralen Beats ist, dass man mit der hervorgerufenen Schwingung auch andernorts im Gehirn Gehirnwellen gleicher Frequenz hervorrufen kann. Dass, wenn also binaurale Beats mit 10 Hertz schwingen, dies weitere 10 Hertz-Gehirnwellen hervorruft.

Gehirnwellen

Die Nervenzellen unseres Gehirns „feuern“ in gewissen Abständen – das heißt, sie öffnen ihre Kanäle und schütten Botenstoffe in den Verbindungsspalt zu anknüpfenden Synapsen. Dieses „Feuern“ lässt sich als Welle beschreiben, als Gehirnwellen, die sich wiederum in ihren in Hertz messbaren Feuer-Geschwindigkeiten unterscheiden. Je nach Geschwindigkeit lassen sich dabei fünf verschiedene Gehirnwellen voneinander abgrenzen:

  • Gamma-Wellen: Über 25 Hertz. Wohl beim Zusammenführen von Informationen verschiedener Gehirnbereiche wichtig. Beteiligt bei intensiven und konzentrierten Aufmerksamkeits- und Bewusstseinsprozessen.
  • Beta-Wellen: 13-25 Hertz. Normaler, aktiver Wachzustand. Treten auch im REM-Schlaf auf.
  • Alpha-Wellen: 8-13 Hertz. Entspannter Wachzustand.
  • Theta-Wellen: 4-8 Hertz. Unaufmerksamkeit, Müdigkeit, leichte Schlafzustände.
  • Delta-Wellen: 0,5-4 Hertz. Tiefschlaf.

Für Christoph Reuter scheint diese Idee allerdings eher unplausibel: „Binaurale Beats sind einerseits neuronal gesehen ziemlich schwach ausgeprägt. Und andererseits ist es ziemlich unmöglich, dass sich in der Hörbahn hervorgerufene Frequenzen auf andere Hirnregionen übertragen“, so der Musikwissenschaftler. Ohnehin treten im Gehirn meist verschiedene Gehirnwellen gleichzeitig auf und das an den unterschiedlichsten Orten. Man könnte es vielleicht so zusammenfassen: Das Gehirn ist mit seinen 80 bis 100 Milliarden Nervenzellen und 100 Billionen Synapsen komplexer aufgestellt als es die Theorie zu den positiven Effekten von binauralen Tönen nahelegt.

Binaureale Beats - jeder Schall hat seine eigene Frequenz

Je nach Geschwindigkeit lassen sich fünf verschiedene Gehirnwellen voneinander abgrenzen. 

Der Vermarkter der Idee, Robert Allen Monroe, formulierte außerdem noch die Idee, dass sich durch die binauralen Beats beide Gehirnhälften in ihren Nervenzellen-Feuerraten angleichen. Aber auch das klingt laut Christoph Reuter unschlüssig. Denn: „Wenn so ein Fall tatsächlich mal auftritt – was nicht durch binaurale Beats geschehen kann – ist das eher ungesund“, sagt er. „So etwas geschieht zum Beispiel bei epileptischen Anfällen.“

Gibt es Studien zu binauralen Beats?

Trotzdem gibt es die ein oder andere Studie, in der Forscherinnen und Forscher binaurale Beats untersucht haben. Zwar konnten in den meisten wissenschaftlichen Arbeiten keine positiven Effekte beobachtet werden. Doch kamen einige wenige Studien zu dem Ergebnis, dass das Hören von binauralen Tönen zu positiven Auswirkungen führt. Wie passt das zusammen?

Christoph Reuter schätzt den Forschungsstand so ein: „Wissenschaftlich konnten die versprochenen Effekte bislang so gut wie nicht nachgewiesen werden. Es gibt zu viele widersprüchliche Ergebnisse, da auch die Zugangsweisen und Ziele der Forscherinnen und Forscher zu unterschiedlich sind.“ Erschwerend käme hinzu, dass es einige Veröffentlichungen aus dem Umfeld des Monroe Instituts gebe, die mehr aus wirtschaftlichen denn aus wissenschaftlichen Interessen angefertigt wurden und zudem methodisch oft mangelhaft seien. „In ernstzunehmenden wissenschaftlichen Journals mit unabhängigem Peer-Review-Verfahren gibt es so gut wie keinen Nachweis über die Wirksamkeit von binauralen Beats.“

Die Forschung zum Thema legt also nahe, dass binaurale Beats keine der diskutierten Effekte auf Schlaf, Gedächtnis, Schmerzen, Konzentration, Stress oder Ängste haben. Wer sie sich dennoch anhören möchte – unabhängig davon ob sie nun wirken oder nicht, ist es ja ein interessantes akustisches Phänomen – muss daher auch nichts weiter beachten. Gefährlich ist das Anhören nicht. Und ein Placebo-Effekt kann immer auftreten: Wer also daran glaubt, dass binaurale Beats Schmerzen lindern, Ängste schmälern oder beim konzentrierten Arbeiten helfen, dem helfen sie am Ende dann vielleicht doch.

Der Song, der stark macht 

Unterstützt durch die Barmer und auf der Basis einer wissenschaftlichen Formel hat die Sängerin Loi einen Song geschrieben, der Stärke verleiht: „Gold“. 

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Das Single-Cover zum Song, der stark macht: Gold.

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