Zwei Frauen kuscheln und lachen auf einer Couch
Hormone

Oxytocin: Wirkung des Kuschelhormons und Anwendung in der Medizin

Lesedauer unter 6 Minuten

Redaktion

  • Dr. med. Christian Heinrich (Mediziner und Journalist, Nerdpol – Redaktionsbüro für Medizin- und Wissenschaftsjournalismus)

Qualitätssicherung

  • Dr. med. Madeleine Zinser (Ärztin, Content Fleet GmbH)

Das sogenannte Kuschelhormon Oxytocin wirkt an zahlreichen Stellen im Körper – entsprechend komplex sind die Wirkungen, die es herbeiführen kann. Es löst beispielsweise Wehen aus und wird deshalb bei Wehenschwäche zur Einleitung der Geburt eingesetzt. An der Anwendung von Oxytocin bei bestimmten Erkrankungen wird noch geforscht.

Was ist Oxytocin?

Oxytocin ist ein im Gehirn produzierter Botenstoff. Der Name leitet sich aus dem Altgriechischen ab und bedeutet „schnelle Geburt“. Weil Oxytocin unter anderem angstlösend und bindungsverstärkend wirkt, wird der Botenstoff auch als Kuschelhormon bezeichnet.

Oxytocin kommt in der Natur deutlich länger vor, als es Menschen gibt. Seit etwa 600 Millionen Jahren hat es sich nicht verändert. Es handelte sich damals um ein hormonähnliches Neuropeptid bei Insekten. „Heute wissen wir, dass Oxytocin Einfluss auf hochkomplexe Vorgänge im menschlichen Körper und im Gehirn nimmt“, sagt Professor René Hurlemann, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Universitätsmedizin Oldenburg, der zu Oxytocin forscht.

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Welche Wirkung hat Oxytocin im Körper?

Geburt und Stillen

Wenn man so will, ist das kleine Hormon Oxytocin ein großer Geburtshelfer: Es löst im Zusammenspiel mit anderen Hormonen und Botenstoffen die Wehen aus. Deshalb wird es im Kreißsaal Schwangeren verabreicht, die Schwierigkeiten bei der Geburt haben, etwa bei Wehenschwäche. Zudem hat es weitere positive Effekte während der Geburt: So fördert und beschleunigt es etwa die Ablösung und Ausstoßung der Plazenta. 

Auch beim Stillen ist Oxytocin – neben Prolaktin, das dabei ebenso ausgeschüttet wird – unverzichtbar: „Wenn das Baby an der Brust der Mutter saugt, wird die Ausschüttung des Hormons angeregt. Erst dann folgt der Milchfluss und das Baby kann trinken“, sagt der Oxytocin-Forscher Professor Markus Heinrichs vom Institut für Psychologie an der Universität Freiburg.

Innere Organe

Viele Organe haben sogenannte Oxytocin-Rezeptoren: Das sind Stellen auf den Körperzellen, an denen Oxytocin andocken und so eine Wirkung auslösen kann. Oxytocin-Rezeptoren finden sich im Magen-Darm-Trakt, in der Niere, im Herzen und in anderen Organen. „In vielen Fällen wissen wir jedoch nicht genau, welche Wirkung Oxytocin dort auslöst“, sagt Psychiater Hurlemann.

Bindung und Vertrauen

Oxytocin wird im Gehirn ausgeschüttet und wirkt dort insbesondere in einer Region, die Amygdala heißt. Die Amygdala wird auch als Angstzentrale des Gehirns bezeichnet. „Oxytocin reguliert die Aktivität der Amygdala herunter“, erklärt Psychologe Heinrichs. Wenn wir mit vertrauten oder vertrauenswürdigen Personen zu tun haben, oder wenn Menschen sich küssen oder Sex haben, werde Oxytocin ausgeschüttet, was Angst nehme und das bestehende Wohlgefühl weiter verstärke. „Fühlt man sich zu einem Menschen hingezogen und hat man eine Beziehung aufgebaut, dann ist da eine gewisse Vertrautheit und die sorgt dafür, dass wir bei Begegnungen Oxytocin ausschütten. Deshalb wird Oxytocin auch als Bindungshormon bezeichnet“, sagt Heinrichs.

Ein junges Paar lacht und umarmt sich

Nach dem Sex weckt Oxytocin Gefühle wie Vertrautheit und Bindung.

Einfluss auf das Verhalten

Wo Oxytocin neben der Amygdala im Gehirn noch wirkt, wird derzeit erforscht. Man weiß bereits, dass Oxytocin beispielsweise auch im Belohnungszentrum wirkt, dort eher verstärkend, weshalb man es auch als Glückshormon bezeichnen könnte. Wenn man dann auch noch die Effekte in den anderen Organen mitberücksichtigt, wird schnell klar: Die Wirkung von Oxytocin lässt sich bisher nur schwer überblicken.

Fest steht aber, dass das Hormon unser Verhalten signifikant beeinflusst. So hat etwa ein Forscherteam, zu dem auch Markus Heinrichs gehört, folgendes Experiment durchgeführt: Probanden sollten entscheiden, wie viel Geld sie jeweils einer anderen Testperson anvertrauten. Die gesendete Summe wurde verdreifacht und das Gegenüber sollte entscheiden, wie viel es an den Spender zurückgibt. Erhielten die Probanden Oxytocin, führte dies dazu, dass sie ihrem Gegenüber mehr Geld anvertrauten.

Unterschiedliche Wirkung von Oxytocin bei Männern und Frauen

Insgesamt ist Oxytocin ein für soziale Beziehungen wichtiges Hormon. Oxytocin wird daher auch von Männern produziert. Eine Studie zeigte, dass Frauen auch außerhalb von Schwangerschaft und Stillzeit im Vergleich zu Männern deutlich größere Mengen des Hormons ausschütten. Andere Untersuchungen fanden diesen Unterschied jedoch nicht.

Auch wenn Oxytocin bei Männern und Frauen grundsätzlich ähnlich wirkt, sind die Effekte nicht exakt gleich. So hat sich in einer Studie gezeigt, dass Oxytocin bei Männern vor allem angstlösend wirkt und dies dazu führt, dass sie sich schneller auf andere Menschen einlassen können. Bei Frauen hingegen scheint Oxytocin nicht angstlösend zu wirken. Aber immerhin steigert Oxytocin der Studie zufolge bei Frauen die Reaktionen auf soziale Stimulation.

Das Hormon Oxytocin wird im Gehirn gebildet und löst im Körper verschiedene Effekte aus.

Das Hormon Oxytocin wird im Gehirn gebildet und löst im Körper verschiedene Effekte aus.

Oxytocin: Einsatzgebiete in der Medizin

Über den Einsatz von Oxytocin wird viel geforscht, unter anderem an möglichen Therapien bei Appetitstörungen, Borderline-Störungen und Autismus. Zugelassen für die klinische Anwendung ist Oxytocin bislang aber nur für den Einsatz vor und nach der Geburt.

Einleitung von Wehen

Im Kreißsaal wird Oxytocin in die Blutbahn gespritzt, um bei Geburtsschwierigkeiten die Wehen auszulösen. Wenn beispielsweise eine Schwangerschaft bereits eine Woche über dem Termin ist und sich immer noch nichts tut, kann bei einem reifen, also geburtsbereiten Muttermund mit Oxytocin die Geburt eingeleitet werden. 

Vor einigen Jahren wurde bei Stillproblemen vermehrt Oxytocin als Nasenspray verordnet. „Doch das hat sich nicht durchgesetzt“, sagt Hurlemann. „Heute wird Oxytocin bei Stillschwierigkeiten kaum noch verordnet.“

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Autismus, Angst- und Essstörungen

Es gibt einige klinische Studien, in denen der Einsatz von Oxytocin zur Behandlung verschiedener psychischer Erkrankungen untersucht wurde. Insbesondere bei Autismus gibt es eine Reihe von zum Teil tierexperimentellen Studien mit positiven Effekten auf soziale Fähigkeiten, wobei die Befunde größerer Studien noch abzuwarten sind. „Vieles deutet darauf hin, dass Oxytocin bei sozialen Störungen die Psychotherapie unterstützen kann und so Teil eines Behandlungskonzepts werden könnte“, sagt Psychologe Heinrichs.

Auch bei sozialer Angststörung und Borderline-Persönlichkeitsstörung wird der Einsatz von Oxytocin klinisch erprobt. Und weil Oxytocin den Appetit auf hochkalorische Lebensmittel reduziert, wird ebenso am Einsatz zur Behandlung von Essstörungen geforscht. All das geschieht bislang jedoch nur im Rahmen von klinischen Studien. Noch ist Oxytocin hier nicht zur Behandlung empfohlen.

Oxytocin als Infusion oder Nasenspray

Oxytocin wird im Kreißsaal in der Regel als Infusion verabreicht. Als Nasenspray wird es heute nur sehr selten im klinischen Umfeld genutzt – vor allem deshalb, weil das Hormon zurzeit nur für die Behandlung vor und nach der Geburt zugelassen ist, wo es eben als Infusion gegeben wird.

Oxytocin: Nebenwirkungen und Risiken

Bei der Gabe von Oxytocin können Nebenwirkungen auftreten, etwa Kopfschmerzen, Übelkeit oder ein Anstieg des Blutdrucks. „Wenn man größere Mengen Oxytocin einnimmt, kann es zu Problemen im Elektrolythaushalt kommen“, ergänzt Oxytocin-Forscher Hurlemann. 

Gerade bei den komplexeren Wirkungen – etwa auf psychische Erkrankungen – besteht noch Forschungsbedarf. „Für Oxytocin gibt es bislang keine Zulassung für die Behandlung von Autismus, Angststörungen oder anderen psychischen Erkrankungen. Und das hat gute Gründe: Sowohl die erwünschten als auch die unerwünschten Wirkungen sind noch nicht ausreichend erforscht. Gerade weil es so komplex wirkt, sollte man hier keine Experimente machen“, sagt Hurlemann. Er rät dringend davon ab, Oxytocin etwa als Nasenspray eigenmächtig im Internet zu kaufen und anzuwenden.

Literatur und weiterführende Informationen

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