Frau schaut sich eine Packung Pillen an
Sucht

Wie entsteht eine Sucht? Was hilft Betroffenen?

Lesedauer unter 7 Minuten

Redaktion

  • Barmer Internetredaktion

Qualitätssicherung

  • Dirk Weller (Barmer Marktforschung)

Sucht hat viele Facetten. Welche Faktoren können eine Sucht begünstigen und ab wann gilt man überhaupt als süchtig?

Wie und warum wird man süchtig? 

Alkohol, Drogen, Ess-Brech-Sucht, Nikotin usw.: Sucht ist – auch wenn manche Außenstehende das meinen - keine Willens- oder Charakterschwäche, sondern eine chronische psychische Erkrankung, die jeden treffen kann. Die Krankheit entsteht durch ein Zusammenwirken verschiedener biologischer, psychologischer und sozialer Faktoren auf unsere Gesundheit. 

Erbliche Vorbelastung kann eine Ursache für eine Sucht sein

Ein biologischer Faktor kann etwa eine erbliche Vorbelastung sein: Sind schon die Eltern oder ein Elternteil suchtkrank, gehen Wissenschaftler davon aus, dass auch die Kinder tendenziell stärker gefährdet sind, süchtig zu werden. Eine Rolle spielt zudem die individuelle Verträglichkeit: 'Wenn ein Mensch genetisch bedingt viel Alkohol verträgt, wird er oder sie tendenziell mehr trinken. Dieser Mensch hat damit ein erhöhtes Suchtrisiko.

Psychologische Faktoren, die eine Sucht begünstigen können

Zu den psychologischen Faktoren zählt unter anderem der Belohnungseffekt: Ein Suchtmittel löst im Gehirn positive Gefühle aus, die man immer wieder erleben möchte („positive Verstärkung“). Zudem lindert oder beseitigt das Suchtverhalten negative Gefühle, die man nicht spüren möchte („negative Verstärkung“). Ein Betroffener versucht zudem mit Hilfe einer Substanz, sich selbst von einem Defizit (etwa ein schwaches Selbstwertgefühl oder mangelnde Impulskontrolle) zu heilen und nehmen dafür eine Sucht billigend in Kauf.

Auch die Konditionierung spielt in diesem Bereich eine Rolle: Trinkt man etwa immer zum Abendessen oder Fernsehen Alkohol und fühlt sich dadurch entspannter, löst das nach einiger Zeit im Gehirn ein unbewusstes Verlangen danach aus: Man trinkt immer häufiger und mehr, ein möglicher Einstieg in eine Sucht.

Sucht kann mit negativen Erfahrungen zusammenhängen

Bei einem erheblichen Teil der Suchpatienten – Experten gehen von rund 45 Prozent aus – liegt auch eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) vor. Sie haben also irgendwann im Leben eine seelische Wunde davongetragen, die eine Folgestörung nach sich zieht.

Der ungarisch-kanadische Suchtforscher Dr. Gabor Maté geht sogar davon aus, dass sich selbst vermeintlich emotional gering belastende Erlebnisse derart verfestigen können, dass der so entstandene Schmerz durch ein Suchtverhalten beruhigt oder betäubt werden soll. Dem Mediziner zufolge steht dieser Schmerz in den meisten Fällen in Zusammenhang mit einer oder mehreren Erfahrungen aus der Kindheit.

Welche soziale Faktoren bei der Entwicklung einer Sucht eine Rolle spielen können

Auch soziale Faktoren können in eine Sucht führen: Wer durch den Verlust des Jobs auch sein geregeltes Leben verliert, hat weniger Grund abstinent zu bleiben. Ist ein Elternteil süchtig, kann das auch Folgen auf die Kinder haben in Form eines erhöhten Risikos, selbst abhängig zu werden. 

Freunde feiern zusammen mit Alkohol und Drogen

Sind Alkohol oder Drogen im Alltag von Freunden Normalität, greift man auch selbst schneller zu entsprechenden Substanzen und läuft somit eher Gefahr eine Sucht zu entwickeln

Sucht und Abhängigkeit - Gibt es da überhaupt einen Unterschied? 

Nein, es gibt keinen Unterschied zwischen dem Begriff Sucht und dem Thema Abhängigkeit. „Sucht ist der Begriff, der nur noch im allgemeinen Sprachgebrauch verwendet wird. Fachleute sprechen dagegen von Abhängigkeitserkrankung oder Abhängigkeitssyndrom“, erklärt Josef Strohbach, stellvertretender Bereichs-Geschäftsführer des Vereins Condrobs, der unter anderem Suchtgefährdeten und -kranken beim Ausstieg hilft. Beide Begriffe meinen also das Gleiche.

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Ab wann gilt jemand als süchtig?

Um zu wissen, ob jemand von einer Substanz oder einem Verhalten körperlich oder psychisch abhängig ist, haben Experten sechs Anzeichen identifiziert. Diese machen sich sowohl körperlich als auch psychisch bemerkbar. Sie sind in den ICD-10-Richtlinien („International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems“) festgehalten. „Sind mindestens drei der folgenden sechs Anzeichen innerhalb der vergangenen zwölf Monate parallel aufgetreten, spricht man offiziell von einer Abhängigkeit“, sagt Sucht-Experte Strohbach.

Sechs Anzeichen für süchtiges Verhalten

  • Starkes Verlangen nach Konsum: Das Verlangen nach einer bestimmten Substanz oder einem bestimmten Verhalten ist so stark, dass es wie ein Zwang innerlich spürbar ist.
  • Kontrollverlust: Man schafft es nicht, sich zu begrenzen. Man konsumiert immer mehr und möchte immer früher als geplant damit starten, etwa schon vor dem Frühstück eine Zigarette rauchen oder einen Schnaps trinken, obwohl das Verlangen vor einiger Zeit vielleicht erst mittags zu spüren war.
  • Dosis- bzw. Toleranzsteigerung: Der Körper verträgt oder möchte immer mehr, deshalb muss die Menge steigen, um den ersehnten Kick zu spüren.
  • Entzugserscheinungen: Wird der Konsum reduziert, reagiert der Körper darauf. Die Beschwerden können von einem lediglich unangenehmen Gefühl über Zittern bis hin zu lebensbedrohlichen Symptomen reichen.
  • Vernachlässigung anderer Interessen (z.B. sozialer Kontakte): Die Sucht dominiert den Alltag, man ist etwa nur noch damit beschäftigt, Drogen zu beschaffen oder den Alkoholvorrat penibel aufrechtzuerhalten. Freundschaften und familiäre Beziehungen werden vernachlässigt. Die Phasen, die man nach dem Konsum zum Beispiel von Alkohol zur Erholung benötigt, werden immer länger. Was zählt, ist nur noch die Gegenwart. Vergangenheit und Zukunft verlieren an Bedeutung.
  • Folgen für die Gesundheit: Das schädliche Verhalten wird nicht aufgegeben, obwohl die Organe des Körpers schon eindeutig beeinträchtig sind und das Risiko für schwere gesundheitliche Schäden hoch ist. Zum Beispiel eine Leberzirrhose durch Alkohol, eine Chronisch obstruktive Lungenerkrankung (kurz COPD) durch das Rauchen, Nierenschäden durch Drogen, ein Magengeschwür durch die Einnahme von Tabletten oder eine Geschlechtskrankheit durch fahrlässiges Verhalten bei einer Sexsucht. 

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Wann Betroffene eine Suchtberatung aufsuchen sollten

Dann wirklich eine Beratung aufzusuchen, erfordert von vielen Menschen sehr viel Mut, Energie und Leidensdruck. „Häufig kommen Suchtkranke deshalb erst nach Jahrzehnten der Abhängigkeit zur Suchtberatung“, sagt Sucht-Experte Josef Strohbach. Nach so einer langen Zeit ist meist schon viel kaputt gegangen: Es gab vermutlich aufgrund von Alkohol und anderen Suchtmitteln bereits schwere Probleme in der Partnerschaft, mit der Familie oder mit dem Arbeitgeber. Betroffene kommen also oft nicht freiwillig, sondern auf Druck von außen durch Angehörige, den Chef oder im Rahmen einer medizinisch-psychologischen Untersuchung (MPU), da sie den Führerschein verloren haben.

Viele dieser Probleme könnten verhindert werden, wenn suchtkranke Menschen sich so früh wie möglich Hilfe suchen und Informationen bekommen. Dann können die Beratung und eine Therapie am leichtesten zum Erfolg führen.

Wie läuft eine Suchtberatung ab?


Weg vom Alkohol, Medikamenten oder Drogen: Das Angebot einer Suchtberatung soll dabei helfen, das Thema Sucht mit professioneller Hilfe in den Griff zu bekommen. Der erste Schritt zu einer Beratung ist getan, wenn der Betroffene im Internet nach einer Beratungsstelle oder Fachambulanz in der Nähe sucht. Adressen, Vermittlung und weitere Informationen zu Angeboten finden sich nach Bundesländern sortiert etwa im Verzeichnis der Suchtberatungsstellen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA). Auf den jeweiligen Webseiten erfährt man, ob man einen Termin bei der Suchthilfe ausmachen sollte, seine Online-Beratung möglich ist und ob man unangemeldet kommen kann, um sich beraten zu lassen.

Beratungsstelle für Suchtkranke - die erste einfache Anlaufstelle

Der tatsächliche Weg in eine Beratungsstelle ist auch deshalb so einfach wie möglich gestaltet. Die Wartezeiten sind kurz, der Empfang herzlich, aufbauend und einladend. Im ersten persönlichen Gespräch nehmen sich die Ansprechpartner zunächst einmal Zeit, um über Datenschutz und Schweigepflicht aufzuklären – denn selbst wenn der Besuch auf Druck der Chefin erfolgt, werden keine Informationen weitergegeben. Dadurch entsteht ein Raum der Offenheit – die Grundlage für eine hilfreiche Betreuung und erfolgreiche Behandlung.

Was erwartet Betroffene in der Suchtberatung?

Meistens wünschen sich die Betroffenen im Rahmen der Suchtberatung eine erste Orientierung: Ist mein Verhalten, mein Konsum beispielsweise von Alkohol, Medikamenten oder illegalen Drogen normal oder nicht? Leide ich womöglich unter einer Essstörung? Nach einer professionellen Beratung des Suchttherapeuten wird gemeinsam überlegt, welche Veränderung und Vereinbarungen möglich sind. Gemeinsam wird besprochen: Ist eine ambulante Behandlung oder eine stationäre Therapie besser? Eine autarke Selbsthilfegruppe? Oder empfiehlt sich ein stationäres Komplettpaket mit Psychotherapie, Sport, Ernährung, alternativen Beschäftigungsangeboten?

Ärztin klärt Patientin über die Untersuchung auf

Eine Sucht ist im Vergleich zu anderen chronischen Krankheiten mit der passenden Unterstützung und bei einem frühen Therapiebeginn recht gut in den Griff zu bekommen

Da die Betroffenen oft selbst lange nicht aktiv werden, suchen in Suchtberatungsstellen häufig zuerst Partner und andere Angehörige Hilfe. Für sie stehen die Türen dort ebenfalls weit offen, um Wege aus der Co-Abhängigkeit zu finden und den abhängigen Angehörigen doch zu einer Sucht-Therapie zu bewegen und zu unterstützen.

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