Die Anzahl der Jugendlichen und jungen Erwachsenen, bei denen eine psychische Erkrankung diagnostiziert wird, ist in den letzten sechs Jahren deutlich gestiegen. Psychische Erkrankungen beginnen oft im Jugendalter und können sich mit der Zeit verschlimmern, wenn sie nicht behandelt werden. Deshalb ist es wichtig, auf Warnsignale zu achten und zu reagieren, damit psychische Belastungen sich nicht zu einer dauerhaften Erkrankung entwickeln.
Jugend und junges Erwachsenenalter sind eine aufregende und turbulente Zeit, im positiven wie im negativen Sinne. Es finden weitreichende Veränderungen im Körper statt, der Hormonhaushalt justiert sich neu und das Gehirn strukturiert sich um. Zugleich wandeln sich soziale Beziehungen und Rollen intensiver und schneller als in anderen Phasen des Lebens. Damit einher gehen auch Enttäuschungen, Zweifel und psychische Belastungen. Das ist normal und alle Menschen erleben diese Herausforderungen auf dem Weg ins Erwachsenenleben mehr oder weniger intensiv. Wir wissen aber auch, dass über die Hälfte aller psychischen Erkrankungen erstmals vor dem 19. Lebensjahr auftritt. Deshalb ist es wichtig, gerade bei jungen Menschen besonders auf Warnsignale zu achten, damit aus einer belastenden Episode keine dauerhafte Erkrankung entsteht. Und damit dort, wo tatsächlich eine psychische Erkrankung vorliegt, früh reagiert werden kann.
Anstieg der Diagnosen bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen
Das Barmer Institut für Gesundheitssystemforschung (bifg) hat untersucht, wie sich die Diagnosen psychischer Erkrankungen bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen seit 2018 entwickelt haben. Diese Analyse beschreibt eine Entwicklung, die mir Sorgen macht. Eine depressive Episode wurde im Jahr 2023 in Deutschland bei rund 400 Tausend Menschen zwischen 13 und 24 Jahren diagnostiziert. Das sind 30 Prozent mehr als vor sechs Jahren. Noch deutlicher fällt der Anstieg bei phobischen Störungen mit plus 65 Prozent und bei anderen Angststörungen mit plus 46 Prozent innerhalb von sechs Jahren aus.
Soziale Isolation und übertriebene Glückserwartungen
Was ist da los? Einen Teil der Erklärung liefert ein genauerer Blick auf die Zahlen unseres Instituts. Dabei fällt auf, dass es bei allen genannten Diagnosen einen sprunghaften Anstieg der Fallzahlen von 2020 auf 2021 gibt. Das war nach dem ersten Jahr der COVID-19-Pandemie. Zwar lassen unsere Auswertungen keine Kausalaussagen zu, aber es scheint doch naheliegend, dass es hier einen Zusammenhang gibt. Der teils fast völlige Abbruch sozialer Kontakte außerhalb der Kernfamilie erwischte Kinder und Jugendliche in einer besonders sensiblen Entwicklungsphase.
Die Gründe für die beschriebene Entwicklung sind im Detail vielschichtig und die Pandemiefolgen liefern nur einen Teil der Erklärung. Ein weiterer Faktor scheint mir die wachsende Unsicherheit zu sein, die junge Menschen in der heutigen Gesellschaft erleben. Unsere Zeit ist sehr schnelllebig. Traditionelle soziale Strukturen, die früher Sicherheit gegeben haben, lösen sich auf oder werden zumindest fragiler. Junge Menschen stehen häufig unter großem Druck, sowohl in der Schule oder Ausbildung als auch im privaten Umfeld. Sie haben den Eindruck, nicht so zu funktionieren, wie andere oder sie selbst das erwarten. Die Erwartung, erfolgreich, leistungsfähig und glücklich zu sein, kann überfordern. Es entsteht mitunter geradezu ein Zwang zum Glücklichsein, wenn man sich an den idealisierten Zerrbildern orientiert, die soziale Medien von Schönheit, Erfolg und sozialer Anerkennung vermitteln.
Hinschauen und helfen, damit aus Belastungen keine Krankheit entsteht
Weil Jugendliche und junge Erwachsene sich in einer sensiblen Umbruchphase in ihrem Leben befinden, ist Unterstützung in belastenden und überfordernden Phasen besonders wichtig. Damit diese Menschen nicht langfristig krank werden, gilt es hinzuschauen und zu reagieren. Wichtig ist, die erlebte Belastung anzuerkennen, sie nicht kleinzureden, und das Gespräch zu suchen – sei es in der Familie oder unter Freunden.
Gerade junge Menschen sind aber oft unsicher, welche Anzeichen auf psychische Erkrankungen hinweisen und wie sie mit Angehörigen oder Freunden umgehen sollen, bei denen sie solche Anzeichen wahrnehmen. Besonders schwierig ist das für Jugendliche und junge Erwachsene, die erstmals mit einer solchen Situation konfrontiert werden.
Mentale Erste Hilfe schafft Sicherheit im Umgang mit Betroffenen
Deshalb hat die Barmer gemeinsam mit der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Suizidprävention einen Kurs für mentale Erste Hilfe entwickelt. Ab November 2024 bieten wir kostenfreie Online-Seminare an, für die sich alle Interessierten anmelden können. Parallel entwickeln wir derzeit einen digitalen Kurs, der jederzeit individuell absolviert werden kann und in drei Modulen wesentliche Grundlagen vermittelt: Wie erkennt man Anzeichen psychischer Erkrankungen? Welche Anlaufstellen und Hilfsmöglichkeiten gibt es? Wie kann man sensibel und wertschätzend mit Betroffenen über Belastungen und Sorgen sprechen? Aber auch: Wie stärkt man die eigene psychische Gesundheit, damit sich psychische Belastungen nicht verstetigen?
Mit diesem Angebot und einer begleitenden deutschlandweiten Kampagne wollen wir das Bewusstsein dafür schärfen, Warnsignale frühzeitig zu erkennen, und Betroffenen zeigen, dass sie nicht allein sind. Zugleich vermitteln wir grundlegendes Wissen und Fähigkeiten, um Menschen mehr Sicherheit zu geben, wenn sie Freunden und Angehörigen in psychisch belastenden Phasen zur Seite stehen wollen.
Online-Kurs zur mentalen Erste Hilfe
Melden Sie sich kostenlos für den "Mentale Erste Hilfe"-Kurs in Form von Live-Seminaren an oder nutzen Sie ab Dezember 2024 das digitale On Demand Angebot. Der Kurs besteht aus drei Modulen, die auch einzeln besucht werden können. In den drei Modulen erfahren Sie, wie Sie Warnsignale erkennen und richtig reagieren können.
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