In der Corona-Pandemie fanden viele Schwimmkurse nicht statt. Und auch schon davor fehlte es an Schwimmbädern, Trainerinnen und Trainern. In den Schulen fällt der Schwimmunterricht häufig aus – ein Viertel der Grundschulen hat gar keinen Zugang zu einem Schwimmbad. Lernten bei den heute über 60-Jährigen noch 56 Prozent das Schwimmen in der Grundschule, sind es laut DRLG nur noch 36 Prozent. Doch wenn nicht in der Schule - wie lernen Kinder und Erwachsene dauerhaft das Schwimmen? Wir haben den Trainer Leopold Beer gefragt.
Es ist ernüchternd, aber ein Schwimmkinderland ist Deutschland nicht: Schon 2017 hatte die Deutsche Lebensrettungs-Gesellschaft (DLRG) Alarm geschlagen, dass bundesweit fast 60 Prozent der Mädchen und Jungen im Grundschulalter keine sicheren Schwimmerinnen und Schwimmer seien. Ihnen fehle das Jugendschwimmabzeichen in Bronze, für die DLRG das Zeichen für sicheres Schwimmen. 23 Prozent hatten damals nicht einmal das Anfängerabzeichen „Seepferdchen“.
Mehr Nichtschwimmer wegen Corona?
Und dann kam auch noch Corona. Bäder zu, Schwimmkurse auf Eis – allein die DLRG nahm 2020 drei Viertel weniger Schwimmprüfungen ab als im Vorjahr. Damals waren es insgesamt knapp 93.000 Prüfungen bundesweit, 2020 nur um die 23.000. Insgesamt 14.566 Seepferdchen-Abzeichen wurden 2020 vergeben, auch dies mehr als 70 Prozent weniger als 2019 . Nach Schätzungen der Lebensretterinnen und -retter konnten im vergangenen Jahr bundesweit eine Million Kinder nicht zu sicheren Schwimmern ausgebildet werden. Allein 2020 starben in Deutschland 18 Kinder im Vorschulalter und fünf Kinder im Grundschulalter im Wasser. Welche Auswirkungen hatte der Trend, dass immer mehr Kinder zu Nichtschwimmern werden - in diesem Jahr? Und können auch noch Erwachsene das Schwimmen lernen? Wir haben Leopold Beer, Jugendwart beim SC Wasserfreunde München e.V., gefragt:
Herr Beer, Sie sind Schwimmtrainer in München. Viele Kurse wurden in der Corona-Pandemie verschoben. Welche Auswirkungen hatte das auf den Schwimmsommer 2021?
Leopold Beer: Er ist für uns als Trainerinnen und Trainer stressig. Seit die Bäder wieder offen sind, versuchen wir, alle ausgefallenen Kurse nachzuholen. Aber es kommen gleichzeitig viele neue Kinder dazu, die Schwimmen lernen wollen. Es gibt also einen Stau. Die Wartelisten sind lang, und wenn wir einen Kurs zur Anmeldung freigeben, spricht sich das in Windeseile unter den Eltern herum. Der Kurs ist schnell ausgebucht, manche Eltern sind richtiggehend verzweifelt, weil sie keinen Kurs finden.
Können Sie in Zahlen ausdrücken, wie viele Kinder nicht schwimmen gelernt haben?
Leopold Beer: Insgesamt sind bei uns in den vergangenen 14 Monaten drei komplette Kursstaffeln ausgefallen. Das betrifft für unsere Schwimmkurse in München etwa 750 bis 800 Kinder. Man mag sich gar nicht die Zahlen für ganz Deutschland ausrechnen.
Wird es jetzt wegen Corona viele Kinder geben, die Nichtschwimmer bleiben?
Leopold Beer: Während des ersten Lockdowns sah ich dieses Risiko noch. Mittlerweile habe ich meine Haltung dazu geändert. Mir ist klar geworden: Die Probleme waren auch schon vor der Pandemie da – eine enorme Nachfrage nach Kursen, aber zu wenig Wasserflächen und zu wenig Trainerinnen und Trainer. Durch die Lockdowns hat sich der Mangel natürlich noch mehr zugespitzt. Das wird ein richtiger Kraftakt, die entstandenen Lücken zu schließen. Aber ich bin zuversichtlich, dass wir das schaffen können.
Wann kann ein Kind Ihrer Meinung nach denn wirklich schwimmen?
Leopold Beer: Es gibt da verschiedene Meinungen dazu, für mich gilt: Wenn sich ein Kind mehrere Minuten in einer Schwimmlage über Wasser halten kann, ohne sich festhalten zu müssen, dann kann es schwimmen. Viel wichtiger jedoch: Es muss sich selbst in Sicherheit bringen können, wenn es in eine schwierige Situation kommt, zum Beispiel, wenn Wasser ins Gesicht kommt oder eine Welle über ihm zusammenschlägt. Diese Fähigkeiten entsprechen in etwa dem Seepferdchen bis Bronze-Niveau.
Dieses Schwimmabzeichen bekommt man in der Regel nach einem Anfängerkurs?
Leopold Beer: Nicht zwingend, je nach Schwimmniveau kann grundsätzlich nach zwanzig Kurseinheiten à 45 Minuten (also nach zwei Schwimmkursen) das Seepferdchen abgelegt werden. Angesichts unterschiedlicher Lerngeschwindigkeiten kann es bis zu Seepferdchen oder Bronze aber auch länger oder kürzer dauern.
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Welche Aussagekraft haben Schwimmabzeichen?
Leopold Beer: Sie sind eine gute Motivation. Mir persönlich waren sie als Kind unglaublich wichtig. Sie sind jedoch nicht das Maß aller Dinge, denn auch ohne Schwimmabzeichen kann man richtig gut schwimmen lernen.
In welchem Alter sollten Kinder denn mit dem Schwimmen beginnen?
Leopold Beer: Ich würde sagen: So ab viereinhalb Jahren ist die perfekte Zeit. Da besitzen die Kinder die nötige Auffassungsgabe und Konzentrationsspanne, um alles aufzunehmen und umzusetzen. Allerdings fehlt einigen noch die nötige Ganzkörperspannung.
Woran erkennt man das?
Leopold Beer: Die Kinder stehen quasi senkrecht im Wasser, wie eine Wand, weil die Beine zu schnell sinken. Das erhöht den Wasserwiderstand und wird anstrengend. Wir machen daher in den ersten Stunden häufig die Seestern-Übung – auch „Toter Mann“ genannt: Alle legen sich im Wasser auf den Rücken und strecken Arme und Beine von sich. Diese Übung finde ich auch deswegen sehr wichtig, weil sie klar macht, dass das Wasser uns trägt.
Und das gibt den Kindern Sicherheit?
Leopold Beer: Genau. Wenn ein Kind aus meinen Kursen sich irgendwie unsicher fühlt oder müde wird, soll es immer in diese Position gehen und warten, bis ihm geholfen wird. In jedem Gewässer – auch im Meer oder in einem See – ist das eine rettende Haltung. Zudem bringe ich den Kindern in meinen Kursen als erstes bei, was Auftrieb ist: Sie sollen tief einatmen, unter Wasser tauchen und einfach mal schauen, was passiert. So lange nämlich Luft in der Lunge ist, hat der Mensch Auftrieb und treibt immer wieder an die Oberfläche.
Ab wann dürfen denn Kinder alleine schwimmen gehen?
Leopold Beer: Solange sie sich nicht mit absoluter Sicherheit über Wasser halten können, sollten sie nie unbeaufsichtigt schwimmen. Unbeaufsichtigt ist wirklich wörtlich zu nehmen: Man muss wirklich nah beim Kind sein, nicht am Seeufer sitzen und aufs Handy schauen. Wir Schwimmlehrerinnen und Schwimmlehrer werden nicht müde zu sagen: Ertrinken ist geräuschlos und geht in fast allen Fällen verdammt schnell. Wer nicht mit voller Aufmerksamkeit dabei ist, ist häufig zu spät.
Kinder, die vor der Pandemie mit dem Schwimmen begonnen haben, konnten das Erlernte kaum anwenden. Wie wahrscheinlich ist es, dass sie viel verlernt haben?
Leopold Beer: Eigentlich ist es wie beim Rad- oder Skifahren. Hat man diese Fähigkeit einmal verinnerlicht, muss man nie mehr bei Null anfangen. Manche Kinder sind durch Corona aber unsportlicher geworden, bei vielen hat die Technik gelitten. Wir werden noch einige Zeit brauchen, um die Kinder wieder auf das Niveau von vorher zu bringen. In Anfängerkursen ist mir außerdem aufgefallen, dass manche gar nicht mehr gewohnt waren, in Gruppen unterrichtet zu werden.
Hilft der Schwimmunterricht in Schulen?
Leopold Beer: Das Niveau ist mit einem Schwimmkurs nicht zu vergleichen. Es sind viel zu viele Kinder, auf die die Lehrkräfte achten müssen. Auch findet der Unterricht zu selten statt. Mehr als ein bisschen Wassergewöhnung für die meisten ist da häufig nicht drin. Man sollte sich also nicht alleine auf die Schule verlassen, sondern selbst aktiv werden.
Im Sommer bieten sich viele Möglichkeiten: Schwimmen im Pool, im See, im Freibad, am Fluss, im Meer – was gibt es da zu beachten?
Leopold Beer: In Flüssen sollte man sicher schwimmen und mit Strömungen umgehen können. Das gilt auch für Seen oder das Meer. Da sollte man außerdem Wasserkanten einkalkulieren: Gerade ist es noch ganz flach, doch auf einmal geht eine Kante runter ins Tiefe. Da muss man bei schlechteren oder gar bei Nichtschwimmerinnen und Nichtschwimmern höllisch aufpassen.
Können SUPs, also Stand-up-Paddle-Boards, eine Hilfe sein, um sich daran festzuhalten, wenn man müde wird?
Leopold Beer: Sie machen natürlich Spaß und können eine Unterstützung sein, aber man sollte auch hier auf Sicherheit achten - am besten kleineren Kindern immer eine Schwimmweste anziehen. Als Schwimmhilfe sollte ihnen mit großer Sorgfalt begegnet werden, da bei einem kleinen Loch die Luft schnell raus ist. In solchen Fällen sollte man nicht aufgeschmissen sein, sondern fähig, sich mit eigener Kraft zurück ans Ufer zu bringen.
Bei Mädchen sind gerade Meerjungfrauenflossen sehr beliebt. Sind sie ein Sicherheitsrisiko?
Leopold Beer: Man braucht mit ihnen eine völlig andere Fußtechnik als bei Brust oder Kraul. Diese muss man auf dem Trockenen und im flachen Wasser erst einmal üben. Die allgemeine Schwimmtechnik wird sich mit den Flossen sicher nicht verbessern, doch: Wenn ein Kind mit so einem Kostüm lieber ins Wasser geht – warum nicht? Schwimmen bedeutet ja nicht, dass man jede Minute trainieren muss. Es soll ja auch Spaß machen.
Auch unter Erwachsenen ist die Prozentzahl an Nichtschwimmerinnen und Nichtschwimmern groß. Gibt es auch eine große Nachfrage nach Schwimmkursen für Erwachsene?
Leopold Beer: Neben unseren wöchentlich zwei Schwimmkursen für Erwachsene Nichtschwimmer dienen die übrigen Erwachsenenkurse der Vertiefung von Technik, nicht dem Schwimmen lernen. Viele wollen beispielsweise ihren Kraulstil verbessern. Eine gute Sache: Kraulen ist sehr gut für die Gelenke. Wenn man die Technik richtig beherrscht, kann man bis ins hohe Alter noch richtig gut im Wasser sein.
Und wenn ein Erwachsener noch Nichtschwimmer ist, kann er es dann lernen?
Leopold Beer: Es wird zwar mit zunehmendem Alter immer schwieriger eine neue Fähigkeit zu lernen. Erwachsene machen sich da oft einen zu großen Kopf. Trotzdem bin ich davon überzeugt, dass man in jedem Alter schwimmen lernen kann. Es erfordert minimale körperliche Fitness, man schwitzt kaum und man trainiert den gesamten Körper. Welcher andere Sport kann das noch von sich behaupten?