- Barmer-Forschung zeigt: Cybermobbing-Thema im Jugendalltag auch 2023/24 weiter zunehmend
- Die Perspektive des Cybermobbing-Hilfe e. V.
- Wo findet Cybermobbing statt?
- Was passiert beim Cybermobbing?
- Wohin wenden Jugendliche sich, wenn sie Cybermobbing erleben?
- Was hilft Jugendlichen, wenn sie Cybermobbing erlebt haben?
Gefahr erkannt, Gefahr gebannt? Das trifft bei Cybermobbing (häufig auch cyber mobbing oder Cyber-Mobbing geschrieben) leider nicht zu. Im Gegenteil: das Problem intensiviert sich derzeit sogar weiter.
Bereits seit einigen Jahren ist klar erkennbar, dass die Digitalisierung des Alltagslebens, bei allem Positiven, auch erhebliche Schattenseiten mit sich bringen kann.
Für unser menschliches Mit- und Gegeneinander eröffnen sich zahllose neue Möglichkeiten, und diese beinhalten leider auch digitale Aggression und Gewalt.
Beim Thema Cybermobbing ist festzustellen, dass es bisher nicht gelingt, das Auftreten des Problems einzudämmen, und auch nicht, alle davon Betroffenen mit der erforderlichen Unterstützung zu versorgen.
Cybermobbing ist zu einer bedeutenden Gesundheitsgefahr geworden. Wenn wir eine verantwortungsvolle und gesunde Digitalisierung befürworten und vorantreiben, müssen wir uns dem Problem daher stellen und alles Erforderliche tun, um Cybermobbing und seine Folgen einzudämmen.
Was ist Cybermobbing? Die Barmer bietet Tipps zum Umgang mit Cybermobbing und gibt einen Überblick über die Anlaufstellen, die helfen können.
Barmer-Forschung zeigt: Cybermobbing-Thema im Jugendalltag auch 2023/24 weiter zunehmend
Um erfolgreich gegen Cybermobbing vorzugehen, sind aktuelle und präzise Informationen über die Verbreitung von Cybermobbing unerlässlich. Deshalb hat die Barmer auch dieses Jahr wieder gemeinsam mit dem SINUS Institut in einer großen SINUS Umfrage mit über 2.000 Jugendlichen repräsentativ erforscht, wie die aktuelle Situation ist und in welche Richtung die Entwicklung seit letztem Jahr weist.
Das Hauptergebnis der Umfrage: Die Verbreitung von Erfahrungen rund um Cybermobbing ist ein weiteres Mal gestiegen, obwohl sie bereits im letzten Jahr massiv angestiegen war. Dabei scheint unter Jugendlichen aber auch das Problembewusstsein leicht angestiegen zu sein: der Anteil derjenigen, die keine Angabe zu ihrer Betroffenheit machen konnten, ist weiter gesunken.
Der Nutzen von Gegenmaßnahmen wurde 2023 wieder besser bewertet als 2022, die meisten Einschätzungen ähneln denen von 2021. Den größten Nutzen sehen Jugendliche darin, dass Eltern Verständnis haben und Rückhalt bieten. Den zweitgrößten Nutzen sehen sie darin, dass Freundinnen und Freunde offen zu dem gemobbten stehen, hier gab es den größten Anstieg von acht Prozentpunkten.
Ob als Täter, Opfer oder Beobachter haben mit 61% weit über die Hälfte der Jugendlichen zwischen 14 und 17 Jahren in Deutschland Erfahrungen mit Cybermobbing (2022: 59 Prozent, 2021: 51 Prozent). Einige kennen das Thema sogar aus zwei oder drei dieser Perspektiven, waren also zum Beispiel schon Opfer und auch Täter. Wie im Vorjahr sechzehn Prozent der Befragten berichten, selbst von Cybermobbing betroffen gewesen zu sein - 2021 waren es noch vierzehn Prozent gewesen.
Dabei sind Mädchen nach wie vor häufiger Opfer von Mobbing im Cyberraum als Jungen, aber der Unterschied ist etwas zurückgegangen.
Selbst gemobbt zu haben gestehen vier Prozent ein, im Vorjahr waren es noch sechs Prozent
Bei höherem Bildungsgrad liegen die Zahlen sowohl für die Opfer- als auch für die Täterrolle deutlich niedriger als bei formal niedrigerem Bildungsgrad.
Zu diesen Ergebnissen sagt Prof. Dr. Straub, Vorstandsvorsitzender der Barmer: „Das Problem Cybermobbing intensiviert sich. Umso wichtiger ist es, dass Jugendliche neben Eltern und Freunden auch in Schulen, bei der Polizei oder in Online-Beratungsangeboten schnelle und vertrauenswürdige Hilfe bekommen, sobald sie Opfer von Cybermobbing werden oder davon erfahren“.
Die Barmer fordert angesichts der anhaltend bedrückenden Zahlen neben einem Ausbau der Versorgung mit Hilfe eine Intensivierung der präventiven Anstrengungen.
Hier die vollständige Sinus-Jugendumfrage 2023-2024 der BARMER mit den Themen
- Zukunftsoptimismus & Lebenszufriedenheit
- Cybermobbing
- Klimawandel und Gesundheit
- Künstliche Intelligenz
im barrierefreien PDF lesen:
Sinus Jugendstudie 2023/24
Die Perspektive des Cybermobbing-Hilfe e. V.
Die Barmer kooperiert mit zivilgesellschaftlichen Organisationen, um gemeinsam mehr gegen Cybermobbing zu erreichen. Einer dieser Partner ist der Verein Cybermobbing-Hilfe e. V. Lukas Pohland, Gründer und erster Vorsitzender dieser Initiative, der als Schüler selbst Cybermobbing erlebt hat, sieht die Ergebnisse der SINUS-Studie als Beleg für Handlungsbedarf: "Die Ergebnisse der SINUS-Studie zeigen mehr als deutlich, dass Cybermobbing unter Jugendlichen ein immer größeres Problem darstellt. Erschreckend ist, dass insbesondere Mädchen nach wie vor häufiger betroffen sind, wie bereits in den letzten zwei Jahren. Außerdem versuchen zu viele Jugendliche Cybermobbing zu ignorieren oder selbst zu lösen. Das ist eine fatale Entwicklung und nicht richtig! Cybermobbing lässt sich häufig nicht wirklich ignorieren und die Lösung sollte den Betroffenen nicht allein überlassen werden".
Allerdings gibt er aus eigener Erfahrung in der Cybermobbing-Beratung zu bedenken, dass möglicherweise gar nicht alle Betroffenen in der Umfrage offen geantwortet haben. „Die Dunkelziffer der Betroffenen ist möglicherweise noch deutlich höher: Cybermobbing ist noch immer mit einem Schamgefühl belastet.“ Denn immerhin haben auch dieses Jahr noch elf Prozent (2022: dreizehn Prozent, 2021: siebzehn Prozent) keine Angabe zur Frage nach eigenen Erfahrungen gemacht. Hier könne nach wie vor auch Unwissenheit eine Rolle gespielt haben, worum es sich bei Cybermobbing überhaupt genau handelt.
Wo findet Cybermobbing statt?
Eindeutiger Spitzenreiter unter den Cybermobbing-Kanälen ist weiterhin unangefochten WhatsApp. Mehr als fünf von zehn Jugendlichen, die Cybermobbing entweder mitbekommen haben oder selbst betroffen oder beteiligt waren, berichten, dass dies auf WhatsApp geschehen ist. Doch immerhin ist dieser Anteil um sechs Prozentpunkte von 58 Prozent auf 52 Prozent gesunken.
Instagram hatte 2021 und 2022 auf Platz zwei im Ranking der Cybermobbing-Kanäle gestanden, hatte nun aber von allen Kanälen den stärksten Rückgang (um neun Prozentpunkte) und liegt nun praktisch gleichauf mit TikTok. Facebook, hatte im Vorjahr einen starken Rückgang, dises Jahr gab es leider wieder einen Anstieg.
Youtube, Snapchat und andere Kanäle haben dieses Jahr Rückgänge zwischen drei und vier Prozentpunkten zu verzeichnen, während die Kategorie "Foren, Chatrooms und Message-Boards" um drei Prozentpunkte gestiegen ist.
Was passiert beim Cybermobbing?
Die sehr große Mehrheit der von Cybermobbing betroffenen Jugendlichen ist Beleidigungen ausgesetzt gewesen: Mehr als sieben von zehn Betroffenen berichten das. Über die Hälfte (52 Prozent) hat es erlebt, dass Gerüchte über sie in die Welt gesetzt wurden. Das ist Mädchen weit häufiger passiert als Jungen. Drei von zehn betroffenen Jugendlichen haben jeweils erlebt, belästigt oder durch peinliche Bilder oder Videos beschämt zu werden.
Dazu sagt Lukas Pohland vom Cybermobbing-Hilfe e. V.: „Es ist erschreckend, wie vielfältig Cybermobbing ist. Die beobachteten Arten führen die Brutalität der digitalen Angriffe vor Augen. Die Studie belegt, was technische Funktionalitäten alles möglich machen können. So ist insbesondere das Posten von peinlichen Videos oder Bildern auf einem Höchststand.“
Jeder vierte Betroffene musste damit fertig werden, dass vertrauliche Informationen preisgegeben wurden (im Vorjahr war es noch jeder fünfte), jeder zehnte erlebte sogar Identitäts- bzw.-beziehungsweise Passwortklau oder Stalking.
Eine gewisse Erholung gab es beim Ausschluss aus Gruppen wie z.B. WhatsApp-Gruppen: Die Häufigkeit dieser Erfahrung fiel um fünf Prozentpunkte auf 33 Prozent der Cybermobbing-Erfahrenen. Sie war im Vorjahr um sieben Prozentpunkte gestiegen und liegt jetzt wieder in der Nähe des Wertes von 2021.
Wohin wenden Jugendliche sich, wenn sie Cybermobbing erleben?
Im Winter 2021/22 wollte sich jeder vierte Jugendliche im Falle von Cybermobbing nicht um Hilfe bemühen, sondern es ignorieren oder selbst lösen. Diese ohnehin schon viel zu hohe Zahl hatte sich im Winter 2022/23 noch einmal um sechs Prozent gesteigert. 2023/24 ist der Wert glücklicherweise um sieben Prozentpunkte gesunken und liegt jetzt bei 24 Prozent. Dennoch gibt es hier aus Expertensicht weiterhin klaren Handlungsbedarf. „Zu wenige der Befragten würden sich bei einer Betroffenheit Hilfe suchen. Es zeigt, dass die Jugendlichen Angst davor haben, sich Unterstützung zu suchen“.
Drei Viertel der Jugendlichen und damit zehn Prozentpunkte mehr als im Vorjahr bezeichnen ihre Eltern als Anlaufstelle, wenn man Cybermobbing erlebt. Mehr als neun von zehn sagen, dass es hilft, wenn die Eltern Verständnis haben und Rückhalt geben. Mehr als vier von zehn Jugendlichen (davon deutlich mehr Mädchen als Jungen) wenden sich an ihre Freundinnen und Freunde. Fast neun von zehn sagen, dass es hilft, wenn diese solidarisch zu dem Gemobbten stehen.
Vierundzwanzig Prozent würden sich Lehrerinnen oder Lehrern anvertrauen. Siebzehn Prozent würden sich an die Polizei wenden. Sehr viel seltener scheint es naheliegend, die Schulleitung anzusprechen (dreizehn Prozent) und noch seltener, Psychologen oder Beratungsstellen (jeweils sechs Prozent) anzusteuern.
Was hilft Jugendlichen, wenn sie Cybermobbing erlebt haben?
Die befragten Jugendlichen, die selbst schon einmal Opfer von Cybermobbing waren, haben tatsächlich etwa zu 68 Prozent von den Eltern (2022: 58 Prozent, 2021: 64 Prozent), zu 34 Prozent von Freunden und zu siebzehn Prozent von Lehrerinnen und Lehrern Hilfe bekommen. Psychologinnen und Schulleitungen (zehn bzw. zwölf Prozent) und Polizei (neun Prozent) waren ebenfalls wichtige Akteure auf stabilem Niveau.
Selbsthilfegruppen im Internet haben dieses Jahr vier Prozent (2022: zwei Prozent, 2021: sechs Prozent) und Online-Beratungsangebote drei Prozent der Betroffenen geholfen. Das große Problem ist hier aber offenbar der Rest, so sagen immer noch fünfzehn Prozent der Betroffenen: „Mir hat niemand geholfen“. Das ist erfreulicherweise etwas weniger als 2022 (neunzehn Prozent) und 2021 (sechzehn Prozent), aber nach wie vor ein inakzeptabel hoher Anteil.
Hier sieht Pohland die Schulen in der Pflicht: „Cybermobbing findet vor allem aus dem Schulkontext heraus statt. Fünfzehn Prozent der Befragten gaben sogar an, dass ihnen gar nicht geholfen wurde. Die Studie führt vor Augen, dass das schulische Cybermobbing-Management dringend überarbeitet werden muss“.
Dazu passt, dass nach wie vor sechs von zehn Befragten sagen, dass das Thema noch viel intensiver in der Schule behandelt werden sollte.
Aus diesen Gründen wurde seit Winter 2022/23 auch eine subjektive Bewertung der schulischen Maßnahmen gegen Cybermobbing erfragt. Immerhin: die Bewertungen „sehr hilfreich“ und „eher hilfreich“ sind jeweils um drei Prozentpunkte gestiegen und kommen jetzt zusammen auf 37 Prozent. Die Antwort „Keine Maßnahmen bekannt“ ist um drei Prozentpunkte gesunken. Häufigste Antwort ist jedoch nach wie vor „Weniger hilfreich“ mit 33 Prozent.
Alles in allem bestätigt die dritte Erhebungswelle der Barmer Sinus-Jugendumfrage-Reihe, dass Cybermobbing nicht nur eine akute, sondern leider auch eine chronische Herausforderung der digitalen Gesellschaft ist. Das erste Etappenziel muss jetzt sein, den negativen Trend zu stoppen, zumindest einen graduellen Rückgang von Cybermobbing zu bewirken und vor allem Betroffene deutlich besser mit geeigneten Hilfsangeboten zu erreichen.