Junge Frau schaut traurig auf ihr Smartphone
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Ghosting: Warum Menschen ghosten und Tipps, wie Sie damit umgehen können

Lesedauer unter 11 Minuten

Redaktion

  • Barmer Internetredaktion

Qualitätssicherung

  • Dirk Weller (Diplom-Psychologe)

Ein Freund oder eine Freundin verschwindet geistergleich aus dem Leben – das sogenannte Ghosting erleben immer mehr Menschen in ihren Beziehungen. Warum Affären, Partner oder vermeintlich gute Freunde den Kontakt ohne Begründung abbrechen, aus dem Leben des anderen verschwinden – und wie man als Opfer damit umgehen sollte. 

„Zwischen uns war nicht mal was…“ Hanna, 39, die in Wahrheit anders heißt, hängt diesem Satz im Gespräch noch kurz nach, als würde sie denken: Umso unerklärlicher eigentlich, was folgte. Nachdem Fynn und sie in einer Dating-App gematcht hatten, chatteten sie eine Weile. Dann, nach ein paar Wochen, ein Treffen in einem Café am See: Ein Feuer flackerte, der Kaffee schmeckte, sie redeten lange und offen über ihre gescheiterten Beziehungen.

„Es war aber relativ schnell klar, dass wohl für uns beide nicht mehr daraus werden würde“, erinnert sich Hanna. „Darüber mussten wir gar nicht deutlich reden.“ Trotzdem: Fynn interessierte sie. Sie fand ihn sympathisch, sein Job war spannend, es gab Schnittmengen. 

„Immer wieder hat er auch davon geredet, was er alles gern mit meinen Kindern unternehmen würde.“ Eine Freundschaft hätte entstehen können, glaubt Hanna, definitiv. Doch dann nichts mehr, gar nichts mehr. Keine Antwort auf Hannas Nachrichten. Seine Social Media Accounts, auf denen er ziemlich umtriebig war, für sie blockiert. Die Sache endete, bevor sie begonnen hatte. „Klar fragst du dich in so einem Moment: Was ist denn jetzt passiert? Was habe ich falsch gemacht?“, sagt Hanna.

Die 39-Jährige konnte die Sache für sich schnell unter „schlechtes Benehmen“ abhaken. Doch es wäre gelogen, würde sie behaupten, Fynns Verhalten hätte ihr nichts ausgemacht. 

Hanna wurde klar: Die Begegnung mit Fynn war wie das Match in der Dating-App gewesen: schnell aufgeploppt, aber auch schnell wieder weggewischt. „Online geht das halt einfach“, sagt Hanna. Man könnte auch sagen: Hanna hat Glück gehabt, denn wie weh hätte ihr der Kontaktabbruch wohl getan, wenn sie sich in Fynn verliebt hätte? Eine Antwort darauf, aus welchem Grund er so mit ihr umgegangen ist, hat sie nicht gefunden. 

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Was ist Ghosting?

Eben noch da und plötzlich auf Nimmerwiedersehen verschwunden: Wo ein plötzlicher Kontaktabbruch beginnt, fängt Ghosting an. Eine Person verschwindet geistergleich, löst sich scheinbar ohne Grund in Luft auf, reagiert weder auf Nachrichten noch Anrufe – und hinterlässt den anderen mit vielen offenen Fragen. 

25 Prozent der Deutschen haben Umfragen zufolge schon mal Erfahrungen damit gemacht. Bei den 18- bis 33-jährigen Singles sollen es sogar 80 Prozent sein. Oft beschränkt sich das Ghosting auf die virtuelle Welt: Jemand antwortet nicht mehr bei WhatsApp, ignoriert den vorher noch angeregten Chat auf der Dating-Plattform oder blockiert den anderen bei Facebook.

Der Begriff „Ghosting“ stammt aus den USA: 2015 wurde er ins wichtigste englischsprachige Wörterbuch aufgenommen. In Deutschland wird er inzwischen für vieles verwendet – selbst im Berufsleben wird mittlerweile von Ghosting gesprochen, wenn sich beispielsweise ein Unternehmen nach einem Bewerbungsgespräch gar nicht mehr meldet. Valide wissenschaftliche Studien gibt es zu dem Phänomen jedoch noch nicht. Die Psychologie beginnt allerdings, sich eingehender damit zu beschäftigen, denn die Therapiepraxen füllen sich mit den Leidtragenden.

Die Hamburger Autorin Tina Soliman hat mit „Ghosting – Vom spurlosen Verschwinden des Menschen im digitalen Zeitalter" ein Buch zu diesem Thema geschrieben. Sie sagt: „Ghosting ist epidemisch geworden. Für viele Menschen ist es das einfachste Tool, sich aus Beziehungen zu ziehen, die sie nicht mehr weiterbringen."

Für das Buch wie auch für eine Fernsehdokumentation sprach Soliman mit hunderten Betroffenen – von beiden Seiten:

„Es ist eigentlich wie ein Tod“, sagt eine Geghostete in Solimans Buch. „Wie, als wäre dein Liebster gerade vom LKW überfahren worden.“ Die Frau spricht von ihrem „Liebsten“, denn es hatte bereits gemeinsame Urlaube gegeben, Zukunftsträume. Da war schon mehr als die Ahnung eines „Wir“ – weit mehr als zwischen Hanna und Fynn. Eine Nachricht noch, nach zehn Tagen Schweigen, „Hab grad Stress“, dann: Nichts mehr. Nur der Schock.

„Wann war ich wo wie, was hab ich getan?“ Eine andere Geghostete erzählte Tina Soliman, dass sie nach dem jähen Kontaktabbruch ihres Freundes alle Situationen in Gedanken durchgespielt habe und bei sich selbst die Schuld gesucht habe.

Wie reagieren die meisten auf Ghosting?

So reagieren viele auf Ghosting: Sie vermuten den Fehler bei sich. Sie quälen sich mit dem Gedanken, etwas falsch gemacht zu haben, würden dem Gegenüber gern etwas antworten – aber können nicht, weil der sie längst blockiert hat. Wer geghostet wird, bleibt im Ungefähren hängen, im Kopf ein Wollknäuel, unentwirrbar und voller loser Enden. Nichts scheint mehr zusammenzupassen. Lauter Fragezeichen. Was ist passiert? Was habe ich falsch gemacht? Hätte ich vielleicht…? Oder: Hätte ich besser nicht? Wie konnte ich mich so täuschen?

Antworten auf diese Fragen bleiben aus. Und so wird hinter die gemeinsame Zeit nie ein Punkt gesetzt.

Angelika Eck, systemische Paar- und Sexualtherapeutin in Karlsruhe, schreibt in einem Text bei der ZEIT, es sei total nachvollziehbar, den Fehler ganz bei sich zu suchen. Unser Verhalten haben wir schließlich noch in der Hand, können es verändern oder beeinflussen. Der andere jedoch ist weg. 

„Das ist eine Anti-Ohnmachtsstrategie“, sagt Eck. Aber eine sehr fatale, denn sie bringt das Opfer nicht weiter. Stattdessen bleibt es in der Vergangenheit kleben – im Denken, dass der andere vielleicht zurückkäme, wenn es bei sich nur etwas veränderte. Dann gäbe es wenigstens eine befriedigende Erklärung für alles. Die Ohnmacht der Geghosteten, besser lässt sie sich kaum beschreiben.

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Angst vor Nähe und Verbindlichkeit: Warum Menschen ghosten

Die Gründe für Ghosting haben viel weniger mit den Verlassenen zu tun als diese denken. Warum Leute andere ghosten hat vielmehr mit ihnen selbst zu tun, den Verschwindenden. David Wilchfort, Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie in München, sagt: „Die Ghosts nehmen keinen Abschied, weil sie denken, dass das für sie nicht möglich ist. 

Wenn es zuvor nämlich undenkbar war, so etwas wie ein Ende der Beziehung miteinander zu besprechen, wird stillschweigend Abschied genommen. Es kostet einfach zu viel Mühe. Aber natürlich: Heutzutage werden Skrupel kleiner und Bequemlichkeiten größer.“ 

Anders, als viele Ghosting-Opfer denken, ist der klammheimliche Abschied für die wenigsten Ghosts ein Machtspiel oder das hartnäckige Schweigen eine Strafe. Meist laute die Botschaft: „Ich war gar nicht da, vergiss mich schnell“, erklärt Buchautorin Tina Soliman. Es sei viel Angst im Spiel, Angst vor Nähe, Angst vor Verbindlichkeit, auch Angst vor einer falschen Entscheidung. 

Oder Scham spiele eine Rolle: Nicht umsonst will, wer sich schämt, im Boden versinken, also verschwinden, abtauchen. „Vielleicht merkt der andere ja erst gar nicht, dass ich Beziehung, Nähe, Offenheit gar nicht kann – oder will...?“ So denken viele. 

Oft sehen Personen, die ghosten, die Gründe für ihr Verhalten darin, dass es einfach nicht gereicht habe – für eine Beziehung oder eine Freundschaft. Oder damit, dass sie den Zeitpunkt verpasst haben, etwas zu sagen. „Der Ghosting-Moment ist oft nur die Steigerung eines Vermeidungsverhaltens im vorangegangenen Beziehungsalltag“, erklärt Tina Soliman. 

Manchmal gab es dafür vielleicht schon kleine Anzeichen, die nicht erkannt oder entsprechend gedeutet wurden: ein Sich-Zurückziehen, eine Mikro-Funkstille, ein Schweigen, weil etwas nicht gesagt werden konnte. Aber: Wie soll ein Ghosting-Opfer so etwas erkennen, wenn die rosarote Wolke alles einnebelt?

Unter Ghosting leiden beide Seiten

Ghosting ist für beide schmerzhaft, es belastet das Selbstwertgefühl beider Menschen“, sagt der Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie in München David Wilchfort. Auch der Ghoster habe Schuldgefühle. Doch darüber reden? Für die Geister offenbar unmöglich. Das Ghosten ermöglicht den Verschwindern auch, sich nicht mit sich selbst zu befassen, mit ihren Wünschen und Erwartungen an eine Beziehung – oder mit den eigenen Unzulänglichkeiten. Bequem ist es also auch, einfach sang- und klanglos zu verschwinden. 

Was sind Ghoster für Menschen?

Menschen, die sich um Erklärungen drücken, gab es schon immer. Dennoch sind sich Experten einig, dass der digitale Liebesanbahnungsmarkt solche Fälle verstärkt: Menschen auf Dating-Plattformen sind wie Produkte im Supermarkt-Regal: Sie preisen sich als beste Wahl an, kommen aber wie austauschbar daher. Jeder kann an ihnen vorbei-sliden, sie zurücklegen ins Regal und schnell zu einem anderen, besser scheinenden Produkt greifen. 

Wer weiß, wer sich hinter dem nächsten Wisch verbirgt? Endlich Mister Love? Die lang ersehnte Traumfrau? Die Lösung aller bisherigen Beziehungsprobleme? Rein in den Warenkorb und wieder raus, das tut nicht weh, ist verführerisch einfach. Das muss im „normalen Leben“ doch auch so gehen.

Liebe, Beziehung und Partnerschaft können manchmal echt für Verwirrung und Gefühlschaos sorgen. Wir helfen weiter, zum Beispiel wenn Sie wissen möchten, welcher Beziehungstyp Sie eigentlich sind, warum Liebe ein Lebensrezept sein kann oder warum wir überhaupt einen Partner für die wahre Liebe suchen.

20 Milliarden Dollar setzt die Dating-Industrie Schätzungen zufolge um. Liebe ist Konsumgut, Leidenschaft jederzeit stornierbar, Gefühle algorithmisch beherrschbar – jedenfalls solange man noch nicht zu tief drin steckt. Auch die Vordenkerin in Sachen Liebe, die israelische Soziologin Eva Illouz, beobachtet eine „Marktförmigkeit“ von Liebe und sexuellen Beziehungen. 

Das heißt, sie werden „von Internettechnologie und Konsumkultur angetrieben“. Man habe, so Illouz, die ständige Wahl, „Beziehungen zu verlassen, unfähig oder unwillig zu sein, von einer in die nächste zu springen“. Dies bringe Freiheit, aber auch eine große Ungewissheit mit sich. Aber im Notfall können ja mit einem Klick unangenehme Gespräche gekappt werden, lästige Nachfragen vermieden. Es gibt keine Tränen, keine Reue – weiter geht’s im Netz.

Die Folgen für Ghosting-Opfer

Ghosting betrifft keineswegs nur die jüngeren Altersgruppen, erzählt Tina Soliman. Auch ältere Frauen und Männer hätten ihr von dieser Art Kontaktabbruch erzählt und geschrieben. Doch egal welchen Alters oder welchen Geschlechts: Ghosting verstört, verletzt – traumatisiert zuweilen die betroffenen Personen. Innere Grundannahmen über sich selbst und über soziales Miteinander können tiefgreifend erschüttert sein. 

Betroffene schildern Schwierigkeiten, sich wieder auf einen neuen Partner oder eine neue Partnerin einzulassen. Der Neurologe und Psychologe Michael Linden von der Charité spricht von einer „posttraumatischen Verbitterungsstörung“. Das ist eine reaktive psychische Störung infolge des Erlebens von Ungerechtigkeit, Herabwürdigung oder Vertrauensbruch, gekennzeichnet durch nagende Verbitterungsgefühle, Aggressionsfantasien, schlechte Stimmung, Rückzug aus Sozialbeziehungen und Einengung des Lebens. Viele Geghosteten trauen sich nicht mehr in Beziehungen. Solche Erfahrungen prägen sich tief in die DNA ein.

Manche beschreiben auch, dass diese Art des Verlassenwerdens alte Wunden aufgebrochen habe: „Ich hatte schnell wieder das Gefühl, nicht gewollt zu sein. Nicht schön genug, nicht nett genug.“ Nicht genug.

Wofür nur? Beziehung bedeutet gemeinsames Wachsen trotz oder gerade wegen Unterschieden, Verbindung finden, eingehen – und doch man selbst bleiben. Die Alten sagen, das sei manchmal harte Arbeit, aber die Digitalisierung gaukelt uns das perfekte Match vor, das keine Abstriche, kein komisches Bauchgefühl, einfach nur das Beste fürs Leben bietet. Man müsse nur gründlich genug danach suchen.

Tipps zum Umgang mit Ghosting

Was bei Jugendlichen nachvollziehbar ist, wird mit zunehmendem Alter irrational und problematisch. Wer plötzlich wegrennt, verschwindet oder den anderen kickt, entgeht schließlich auch der Auseinandersetzung mit sich selbst: Warum hat es nicht geklappt? Was fehlt mir? Was brauche ich überhaupt in Beziehungen – und was nicht? Diese Frage sollten sich unbedingt auch die Geghosteten stellen, sagen die Experten.

Dating-Plattformen, deren Kunden ja auch häufig Opfer von Ghosting sind, haben verschiedene Tipps für das Verhalten danach. Findet es schon statt, bevor man sich überhaupt das erste Mal getroffen hat, also lediglich im Chat, dann gilt: abhaken und nicht mehr nachfragen, am besten den Kontakt löschen. 

Noch ist der Geghostete schließlich emotional nicht besonders involviert. Hat man sich bereits kennengelernt aber noch keine tiefergehende Beziehung begonnen, ist es ebenfalls empfehlenswert, einen Haken an die Sache zu machen und nach vorn zu schauen, sich nicht mehr zu sehr damit zu beschäftigen. Nach nur einem Date ist schließlich niemand zu etwas verpflichtet.

Auch bei Ghosting nach dem Sex sollten Betroffene die Schuld nicht bei sich suchen. Zwar fällt es oft schwer, dem anderen nicht „hinterherzulaufen“, doch Abstand ist genau die richtige Strategie, um als Opfer „gesund“ aus der Sache herauszukommen. Abstand und Ablenkung: durch Treffen mit Freunden, Dinge, die Spaß machen. 

Kommt Ghosting in einer längeren Beziehung vor, trifft es die Geghosteten besonders hart: Sie sind völlig vor den Kopf gestoßen, finden keine Erklärung, zerbrechen sich den Kopf. Verweigert der Partner das Gespräch, bleibt oft nichts anderes übrig, als die Beziehung zu beenden. Die Opfer sollten sich bewusst machen, dass sie etwas wert sind und niemand eine solche Behandlung verdient hat.

Wer sich fragt, wie er sich nach einem Ghosting-Fall richtig verhalten soll, sollte sich also vor allem die folgenden Regeln zu Herzen nehmen: bei sich bleiben, nicht sinnlos über den anderen und die Vergangenheit grübeln.

So leicht gesagt, so schwer getan. Doch auch David Wilchfort empfiehlt, sich als Opfer keinesfalls zurückzuziehen und in Gedanken an der gescheiterten Beziehung zu kleben. Ja, Ablenkung sei erlaubt, sogar wichtig. Auch wenn es nicht immer leicht sei. „Es ist notwendig, sich der Angst zu stellen und auf die nächste Party zu gehen.“ Besser jedenfalls als gleich ins nächste Dating-Portal.

Hinweis

  • Die Namen der Protagonistinnen und Protagonisten wurden von der Redaktion geändert.

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