Mehr als 80 Prozent aller pflegebedürftigen Menschen in Deutschland werden zu Hause von ihren Angehörigen, Nachbarn oder mit Hilfe ambulanter Pflegedienste versorgt. Das Prinzip „ambulant vor stationär“ wird in Deutschland gelebt, die ambulante Pflege muss jedoch weiter gestärkt werden. So benötigen Pflegebedürftige und ihre Angehörigen organisatorische und finanzielle Entlastungen. In Zukunft sollten Pflegebedürftige auch eine quartiersnahe Versorgung wählen können.
Indes steigt die Zahl der Pflegebedürftigen stark an, auch die Dauer der Pflegebedürftigkeit hat sich in den letzten Jahren fast verdoppelt. Die steigenden Kosten für die pflegerische Versorgung setzen das System unter finanziellen Druck. Um das beitragsfinanzierte Teilleistungssystem und die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler zu entlasten, muss die soziale Pflegeversicherung von versicherungsfremden Leistungen befreit werden. Darüber hinaus müssen die Bundesländer die Kosten für Investitionen und Ausbildungsstrukturen übernehmen.
Pflegebedürftige und ihre Angehörigen entlasten
Die allgemeine Preisentwicklung wirkt sich auch auf die Pflegeversicherungsleistungen aus. Um eine schleichende Entwertung von Pflegeleistungen dauerhaft zu vermeiden und vor allem die ambulante pflegerische Versorgung zu fördern, ist es erforderlich, die Leistungsbeträge regelmäßig anzupassen. Zur Entlastung von Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen sollten die Leistungsbeträge daher jährlich in Anlehnung an die Grundlohnrate (oder die Inflation) dynamisiert werden.
Eine Möglichkeit, der wachsenden Nachfrage Pflegebedürftiger nach Verbleib in der gewohnten Umgebung gerecht zu werden, bieten quartiersnahe Versorgungsmodelle wie betreutes Wohnen, Pflege-Wohngemeinschaften oder Mehrgenerationenhäuser. Diese Modelle erleichtern den Zugang zur Pflege, zur Gesundheitsversorgung und zur Unterstützung im Alltag. Gleichzeitig stärken sie die soziale Teilhabe Pflegebedürftiger. Pflegende Angehörige können dabei die professionelle ambulante Versorgung in der Häuslichkeit der Pflegebedürftigen weiterhin unterstützen. Für eine bedarfsgerechte Versorgung sollte der Zugang zur Pflege in quartiersnahen Wohnformen erleichtert werden.
Wichtig ist dabei, die Wirtschaftlichkeit dieser Versorgungsform sicherzustellen und Länder und Kommunen an der Finanzierung von quartiersnahen Wohnformen zu beteiligen. Dies gilt besonders für gesamtgesellschaftliche Aufgaben wie den Bau von barrierefreien Wohnungen und die Sicherstellung bezahlbarer Mieten für Pflegebedürftige.
Die Suche Pflegebedürftiger und ihrer Angehörigen nach knapper werdenden Angeboten der pflegerischen Versorgung sollte erleichtert werden. Sowohl im Krankenhausbereich als auch in der Pflege fehlen belastbare Informationen über freie Kapazitäten. Transparenz über die verfügbaren Plätze würde durch Berichts- und Monitoringformate entstehen. Ein Beispiel hierfür ist der Pflegeheimfinder in Nordrhein-Westfalen, der eine Suche nach freien Kurzzeit- und Dauerpflegeplätzen ermöglicht. Diese Hilfestellung erleichtert auch den Sozialdiensten der Krankenhäuser das Entlassmanagement.
Die Angebote der darlehensbasierten Familienpflegezeit werden von pflegenden Angehörigen bislang wenig in Anspruch genommen. Menschen, die ihre Berufstätigkeit für die Pflege von Angehörigen (zeitweilig) aufgeben, sollten daher staatliche Unterstützung zur Sicherung ihres Lebensunterhalts ohne die Verpflichtung zur Rückzahlung erhalten können. Dazu muss die Einführung einer steuerfinanzierten Pflegezeit geprüft werden. Diese könnte pflegenden Angehörigen in Anlehnung an die Elternzeit, also für einen begrenzten Zeitraum und abhängig von der Höhe des Einkommens, finanzielle Unterstützung bringen.
Soziale Pflegeversicherung als Teilleistungssystem stärken
Die Länder sind für die Vorhaltung einer leistungsfähigen und wirtschaftlichen pflegerischen Versorgungsstruktur verantwortlich. Die Finanzierung der notwendigen Investitionskosten liegt bei den Bundesländern. Investitionskosten müssen transparent sein und sollten deshalb Teil der Pflegesatzverhandlungen werden. Auch die Kosten für die Digitalisierung gehören zu den Investitionskosten.
Um den steigenden Bedarf der Pflegebedürftigen und der pflegenden Angehörigen nach qualitativ hochwertigen Betreuungskonzepten erfüllen zu können, sind mehr Investitionen der Bundesländer zur Förderung von Tages- und Kurzzeitpflegeplätzen notwendig. Ansonsten können die entsprechenden Leistungen nicht adäquat abgerufen werden. Auch für Kinder und Jugendliche gibt es zu wenig Kurzzeitpflegeplätze. Die Länder müssen den genauen Bedarf künftig regelmäßig feststellen und strukturell mit Fördermitteln absichern.
Zur Stabilisierung der sozialen Pflegeversicherung ist nicht nur eine Finanzierungsreform notwendig, sondern auch eine klare Abgrenzung der Zuständigkeiten für die Finanzierung zwischen Bund, Ländern und der Pflegeversicherung.
So stellt die Finanzierung der Ausbildung von Pflegekräften und sonstigem Gesundheitspersonal in Pflegeeinrichtungen eine öffentliche Aufgabe dar und muss grundsätzlich über Steuern finanziert werden. Bislang wird jedoch der Großteil der generalistischen Pflegeausbildung durch die gesetzliche Krankenversicherung und die Pflegebedürftigen getragen. Die Bundesländer stehen finanziell in der Pflicht, die ständig steigenden Eigenanteile der Pflegebedürftigen zu begrenzen.
Die Finanzierung der Renten- und Arbeitslosenversicherungsbeiträge für pflegende Angehörige ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, verantwortlich dafür darf nicht die soziale Pflegeversicherung sein, sondern der Bund. Eine schnelle Umsetzung dieses politisch bereits breit diskutierten Vorhabens ist notwendig, um die Pflegeversicherung finanziell zu entlasten.
Die Leistungsansprüche in der sozialen und der privaten Pflegeversicherung sind identisch. Durch die günstigere Altersverteilung und Pflegeprävalenz weist die private Pflegeversicherung ein deutlich geringeres Ausgabenniveau auf. Bei gleichem Leistungsrecht und identischen Beurteilungskriterien sind die durchschnittlichen Leistungsausgaben der privaten Pflegeversicherung weitaus niedriger als die Ausgaben der sozialen Pflegeversicherung. Die private Pflegeversicherung verfügt zudem über erhebliche Rücklagen. Es ist daher wichtig, einen solidarischen Finanzausgleich zwischen beiden Systemen einzuführen, um die soziale Pflegeversicherung erheblich zu entlasten.
Pflege durch Digitalisierung entlasten
Ab Mitte 2025 müssen sich auch Pflegedienste und Pflegeeinrichtungen an die Telematikinfrastruktur (TI) anschließen. Ziel ist ein schneller und sicherer Austausch von Daten, der zu effizienteren Prozessen und zur Arbeitsentlastung von Fachkräften führt. Der digitale Austausch von Befunden und Medikationsplänen zwischen Arztpraxen und Pflegediensten verbessert die medizinische Behandlung der Pflegebedürftigen. Auch die interdisziplinäre Zusammenarbeit soll auf diese Weise erleichtert werden. Die Anbindung der Heil- und Hilfsmittelerbringer an die TI ist für die Pflege besonders wichtig, weil diese Versorgungsbereiche für Pflegebedürftige von besonderer Bedeutung sind. Entscheidend ist, dass sich alle Pflegeeinrichtungen und Pflegedienste an die TI anschließen. Voraussetzung dafür ist der flächendeckende Zugang zum Internet, der in stationären Einrichtungen noch nicht sichergestellt ist.
Telepflegerische Angebote unterstützten den Grundsatz „ambulant vor stationär“, da Pflegebedürftige mit Hilfe dieser Angebote länger in der eigenen Häuslichkeit versorgt werden können. Vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels kann der Einsatz telepflegerischer Angebote eine wichtige Unterstützung in der Pflege sein. Für die Anwendung der neuen Angebote ist die Vermittlung digitaler Kompetenzen wichtig, diese wären ein sinnvoller Bestandteil der Pflegeausbildung.
Pflegeberufe attraktiver machen
Die Generalisierung der Pflegeausbildung und der Wegfall des Schulgeldes waren wichtige Schritte zur Aufwertung der Pflegeberufe, dadurch wird auch ein Wechsel der Pflegefachkräfte zwischen allen Bereichen der Pflege leichter möglich. Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten sowie Studiengänge in den Pflegeberufen müssen gut aufeinander abgestimmt werden, um den Pflegekräften fachliche Aufstiegschancen und bessere Verdienstmöglichkeiten zu eröffnen sowie eine qualitativ hohe Versorgung besonders bei komplexen Leistungen zu gewährleisten.
Je nach individuellem Bedarf benötigen Pflegeeinrichtungen und Krankenhäuser Pflegekräfte mit unterschiedlichen Qualifikationen. Für den effizienten Einsatz professioneller Pflegekräfte ist die eindeutige Beschreibung der Tätigkeiten und Verantwortlichkeiten der unterschiedlichen Berufsgruppen notwendig. Dies ermöglicht eine klare Arbeitsteilung von Pflegehilfskräften, Pflegefachkräften und akademisch ausgebildeten Fachkräften. Die kommende Regierung muss den Impuls aus dem ursprünglich geplanten Pflegekompetenzgesetz weiterverfolgen.