Forderungen zur Bundestagswahl 2025

IV. GKV-Finanzen konsolidieren

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Die Finanzsituation der gesetzlichen Krankenversicherung hat sich in den letzten Jahren erheblich verschärft. Maßgeblich hierfür sind neben Kostensteigerungen durch den medizinischen-technischen Fortschritt und eine alternde Bevölkerung besonders die ausgabenintensiven Gesetze der vergangenen Legislaturperioden. Dringend notwendig sind strukturelle Maßnahmen sowohl zur Stabilisierung der Einnahmen des Gesundheitsfonds als auch zur Begrenzung der Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen, die zu einer langfristigen Finanzierbarkeit des Gesundheitssystems beitragen. Schon jetzt erreichen die Beiträge der GKV-Mitglieder mit dem massiven Anstieg des Zusatzbeitragssatzes ein Rekordniveau, das die Akzeptanz des beitragsfinanzierten Gesundheitssystems zunehmend gefährdet und die Lohnnebenkosten in Deutschland in die Höhe treibt. Darüber hinaus muss der morbiditätsorientierte Risikostrukturausgleich umfassend weiterentwickelt werden, damit Krankenkassen für die Versorgung ihrer Versicherten die notwendigen Finanzmittel zugewiesen bekommen.
 

Kassenfinanzausgleich fair gestalten

Der morbiditätsorientierte Risikostrukturausgleich (Morbi-RSA) ist seit seiner Einführung als lernendes System angelegt. Er muss umfassend weiterentwickelt werden, um Risikoselektion von Versicherten im System der gesetzlichen Krankenversicherung nicht zu begünstigen, einen fairen Wettbewerb unter den Kassen zu ermöglichen und die Morbiditätsrisiken zielgenauer abzusichern. 

Nach der Reform des Morbi-RSA im Rahmen des Gesetzes für einen fairen Kassenwettbewerb und der Vorlage der bisher gesetzlich vorgesehenen Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesamt für Soziale Sicherung zur Überprüfung der neu eingeführten Elemente, ist weiterer Handlungsbedarf erkennbar. Denn in seiner derzeitigen Ausgestaltung zeigt der Morbi-RSA weiteren Anpassungsbedarf in der Zuweisungssystematik: Es gibt stark unterdeckte Versichertengruppen, zu denen insbesondere erkrankte und ältere Patientinnen und Patienten gehören. Für diese Versicherten erhalten Krankenkassen mit höherem Versorgungsaufwand nicht die notwendigen, kostendeckenden Finanzmittel. Daher müssen Zuweisungen für überdeckte Versichertengruppen reduziert und unterdeckten Versichertengruppen zugeführt werden. 

Fehlentwicklungen im Kassenfinanzausgleich zeigen sich auch bei der so genannten Manipulationsbremse, die in Verbindung mit dem Vollmodell in den Morbi-RSA eingeführt wurde. Die Manipulationsbremse verfehlt das politische Ziel, Manipulation bei der Kodierung von Krankheiten vorzubeugen oder zu verhindern. Vielmehr führt sie zu einer systematischen Benachteiligung von Krankenkassen mit einer hohen Morbidität, so ein Ergebnis des Gutachtens des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesamt für Soziale Sicherung. Greift die Manipulationsbremse, so fließen die Zuweisungen an die Kassen nicht länger auf Grundlage einer spezifischen Krankheitslast der Versicherten. Stattdessen werden die freigewordenen Mittel nach den allgemeinen, nicht an der Krankheitslast orientierten Kriterien umverteilt. Davon profitieren Kassen mit gesünderen Versicherten und geringerer Krankheitslast.

Diese Fehlentwicklung muss kurzfristig korrigiert werden, indem die Manipulationsbremse im Morbi-RSA zurückgenommen wird. Notwendig ist eine faire Verteilung der Beitragsmittel, damit Krankenkassen unabhängig von der Zusammensetzung ihrer Versichertenstruktur ausreichend finanzielle Mittel für die Versorgung erhalten.

 

Keine Beitragsmittel für staatliche Aufgaben verwenden

Vor dem Hintergrund der angespannten finanziellen Lage der gesetzlichen Krankenversicherung muss konsequent zwischen steuerfinanzierten und beitragsfinanzierten Leistungen unterschieden werden. Die Finanzierung GKV-fremder Leistungen aus Steuermitteln ist daher dringend geboten: Beitragsmittel der gesetzlich Versicherten dürfen nicht für staatliche Aufgaben zweckentfremdet werden. So liegt etwa die Pauschale, die der Bund an die gesetzliche Krankenversicherung für die gesundheitliche Versorgung von Bürgergeldbeziehern zahlt, seit Jahren weit unter den tatsächlichen Leistungsausgaben für diese Versichertengruppe. Auch ist die Finanzierung zum Beispiel der gematik, von Ausbildungskosten für Gesundheitsberufe sowie der Krebsregister nicht Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung, sondern die der öffentlichen Hand.

Auch die Bereitstellung der Krankenhausstrukturen ist Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge und liegt damit nicht in der finanziellen Verantwortung der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler. So ist es die verfassungsrechtliche und gesetzliche Pflicht der Bundesländer, die Kosten für die Investitionen der Krankenhäuser zu tragen. Dennoch kommen die Länder dieser Verpflichtung seit Jahrzehnten nicht ausreichend nach. Die Bundesländer müssen deshalb endlich die Investitionsmittel für Krankenhäuser signifikant erhöhen.

Bei der Umsetzung der Krankenhausreform und des darin vorgesehenen Krankenhaus-Transformationsfonds werden die gesetzliche Krankenversicherung – und damit die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler – künftig dauerhaft an der Finanzierung der Krankenhausstrukturen beteiligt. So wird die gesetzliche Krankenversicherung verpflichtet, innerhalb der nächsten zehn Jahre bis zu 25 Milliarden Euro aus Beitragsgeldern zur Weiterentwicklung der Krankenhausstrukturen aufzubringen. Diese systemwidrige Zweckentfremdung von Versichertengeldern muss in der kommenden Legislaturperiode rückgängig gemacht werden.

Der seit Jahren unveränderte Bundeszuschuss für versicherungsfremde Leistungen muss die wachsende Ausgabendynamik in der gesetzlichen Krankenversicherung abbilden. Der Gesetzgeber darf die Höhe des Steuerzuschusses nicht willkürlich bestimmen, sondern muss sich an festen Kriterien wie der Ausgabenentwicklung der gesetzlichen Krankenversicherung orientieren. Hierzu könnten die vorangegangen drei Jahre als Orientierung dienen.

 

Verantwortungsvoller Umgang mit Beitragsgeldern – Ausgabendynamik begrenzen

Die Ausgabensteigerungen im Krankenhausbereich haben sich dramatisch entwickelt. Allein im Jahr 2023 hat die gesetzliche Krankenversicherung 94 Milliarden Euro nur für Krankenhausleistungen ihrer Versicherten aufgebracht. Auch im Jahr 2024 hat sich der rasante Ausgabenanstieg fortgesetzt mit Kosten von inzwischen deutlich mehr als 100 Milliarden Euro. Prognosen zeigen einen ähnlichen Anstieg für 2025. Wesentlicher Treiber der Ausgabenentwicklung sind einerseits die gestiegenen Sachkosten. Andererseits führt die zunehmende Selbstkostendeckung bei der Krankenhausfinanzierung zu höheren Kosten, vor allem durch die Einführung der Pflegebudgets im Jahr 2020. 

Auch mit der Umsetzung der Krankenhausreform ist ein weiterer Kostenschub zu erwarten. Die Gründe dafür liegen zum Beispiel in der Einführung neuer Personalbemessungsinstrumente oder der vollständigen Finanzierung von Tarifsteigerungen. Durch die Selbstkostendeckung werden die Kliniken aus der Verpflichtung zum wirtschaftlichen Handeln entlassen, die finanziellen Konsequenzen tragen die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler. Um eine immer stärkere Belastung der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler zu verhindern, sind dringend effizienzsteigernde und ausgabenstabilisierende Maßnahmen nötig sowie die Abkehr vom Trend zur Selbstkostendeckung.

Eine kurzfristige Maßnahme zur Entlastung der Beitragszahlerinnen und Beitragszahlern der gesetzlichen Krankenversicherung stellt eine Absenkung der Mehrwertsteuer auf Arzneimittel und Hilfsmittel von 19 auf den ermäßigten Steuersatz von sieben Prozent dar. Jährlich zahlen Versicherte rund sechs Milliarden Euro Mehrwertsteuer an den Staat. Im europäischen Vergleich weist Deutschland damit einen der höchsten Steuersätze in diesem Bereich auf, in einigen Ländern sind Arzneimittel sogar vollständig von der Mehrwertsteuer befreit. Überdies würde die Vereinheitlichung des Mehrwertsteuersatzes für alle Hilfsmittel zur Entbürokratisierung beitragen.

Die gesetzliche Krankenversicherung verzeichnet seit Langem erhebliche Steigerungen bei den Arzneimittelausgaben. Treiber des Ausgabenanstiegs sind dabei vor allem patentgeschützte Arzneimittel und innovative Therapien. Auch der Wegfall des erhöhten Herstellerabschlags seit Anfang 2024 spielt eine wesentliche Rolle.

Um die finanzielle Stabilität der Krankenkassen kurzfristig zu sichern und eine weitere Belastung der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler durch steigende Arzneimittelausgaben zu vermeiden, sollte der Herstellerabschlag wieder auf zwölf Prozent angehoben werden. Damit werden auch die Unternehmen der pharmazeutischen Industrie angemessen an der Finanzierung des Gesundheitssystems beteiligt.

Die Budgetsystematik in der vertragsärztlichen Versorgung hat sich bewährt und sichert medizinische Qualität und Wirtschaftlichkeit. Eine Abschaffung der Budgetierung ist der falsche Weg, da sie das einzige Instrument zur wirksamen Mengenbegrenzung ist. Beim Wegfall der Budgetierung ist mit einer medizinisch nicht begründbaren Leistungsausweitung und erheblichen Mehrkosten für die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler der gesetzlichen Krankenversicherung zu rechnen. 

Notwendig ist darüber hinaus, den extrabudgetären Anteil der Vergütung von niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten zu verringern. Die Vergütung ärztlicher Leistungen innerhalb der Budgets muss der Regelfall sein. Inzwischen machen extrabudgetäre Leistungen jedoch mehr als 40 Prozent der ärztlichen Vergütung aus, mit steigender Tendenz. Der ursprüngliche Gedanke der extrabudgetären Vergütung war, bestimmte Leistungen vorübergehend durch einen finanziellen Anreiz zu fördern. Leistungen, die auf Dauer im Versorgungsalltag etabliert sind, sollten in die Gesamtbudgets überführt werden.

 

Einheitliche Aufsicht für die gesetzliche Krankenversicherung schaffen

Die unterschiedliche Aufsichtspraxis der Behörden von Bund und Ländern wird in allen Bereichen der Krankenversicherung deutlich und hat massive wettbewerbliche Auswirkungen auf die Krankenkassenlandschaft. So entscheiden Bundesaufsicht und Landesaufsichten in den Bereichen des Haushalts-, Vertrags- und Leistungsrechts der gesetzlichen Krankenversicherung regelmäßig uneinheitlich und teilweise widersprüchlich. Eine einheitliche Bundesaufsicht für alle Kassen durch das Bundesamt für Soziale Sicherung (BAS) ist aber Voraussetzung für einen fairen Wettbewerb unter den gesetzlichen Krankenkassen. Sichergestellt werden muss ein einheitliches Aufsichtshandeln nicht nur im Bereich der Haushalts- und Finanzaufsicht, sondern auch über das Vertrags- und Versorgungsmanagement der Krankenkassen
Die unterschiedliche Auslegung der Datenschutzregelungen durch Bundes- und Landesaufsichten hat ungleiche Wettbewerbsbedingungen für gesetzliche Krankenkassen auch bei Digitalangeboten zur Folge. Die Bundesregierung hat das Problem erkannt, jedoch zuletzt mit dem Gesundheitsdatennutzungsgesetz nicht gelöst. Eine gemeinsame Aufsicht ist notwendig, um künftig ein einheitliches Handeln der zuständigen Datenschutzbehörden zu gewährleisten. Bislang stimmen diese ihr Aufsichtshandeln nur teilweise miteinander ab. Wichtig ist, dass die Krankenkassen mit den Daten vollumfänglich für das Gesundheitswohl der Patientinnen und Patienten agieren können. Versicherten muss ermöglicht werden, auf Wunsch ihre Daten für die Forschung zur Verfügung zu stellen.

 

Hier geht es zu weiteren Forderungen: 
I. Gesundheitssystem dauerhaft stabilisieren
II. Selbstverwaltetes Gesundheitssystem stärken 
III. Gesundheitsversorgung patientenorientiert gestalten
IV. GKV-Finanzen konsolidieren 
V. Pflegeversicherung zukunftsfest machen