Das deutsche Gesundheitswesen muss strukturell neu ausgerichtet werden – stärker integriert und patientenorientiert, um die Versorgungsqualität nachhaltig zu verbessern. Eine enge Vernetzung besonders zwischen ambulantem und stationärem Bereich ist dabei zentral, um Doppelstrukturen abzubauen und Fehlanreize zu vermeiden. Im Krankenhausbereich bedarf es klarer Vorgaben für eine bundesweit einheitlich hohe Qualität.
Die Digitalisierung spielt eine entscheidende Rolle für die Verbesserung der Prozesse. Ziel ist es, die elektronische Patientenakte als zentrale Anwendung für alle Leistungserbringer einzurichten und damit Behandlungen einfacher zu koordinieren. Außerdem müssen telemedizinische Angebote ausgebaut werden, um gerade in ländlichen Gebieten die Versorgung für Patientinnen und Patienten besser zugänglich zu machen.
Digitalisierung der Gesundheitsversorgung beschleunigen
Um den Zugang von Patientinnen und Patienten zu Facharztterminen zu erleichtern, sollte eine bundeseinheitliche und tagesaktuelle Terminvermittlungsplattform aufgebaut werden, an die die Leistungserbringer einen bestimmten Teil ihrer Mindestsprechstundentermine melden. Die bestehenden Angebote wie regionale Terminservicestellen der Kassenärztlichen Vereinigungen, privatwirtschaftliche Lösungen oder Anwendungen der Krankenkassen würden verpflichtend an diese Plattform angeschlossen. Vorteile der Anbindung von Arztpraxen an die Plattform über die Praxisverwaltungssysteme wären unkomplizierte Überweisungen, Terminumbuchungen oder Absagen in Echtzeit.
Die Plattform sollte von der gemeinsamen Selbstverwaltung betrieben werden, ohne die Einbindung privatwirtschaftlicher Drittanbieter. Der datenschutzgerechte und diskriminierungsfreie Zugang der Patientinnen und Patienten zum Terminangebot der Leistungserbringer muss dabei vollständig gesichert sein.
Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) können die medizinische Versorgung sinnvoll ergänzen. Versicherten fehlen jedoch häufig ausreichende Informationen zum Umgang damit. Deshalb müssen im DiGA-Verzeichnis des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) die für Versicherte wesentlichen Informationen übersichtlicher dargestellt werden.
Mit Blick auf die hohen Preise für DiGA wäre ein Erprobungszeitraum von 14 Tagen notwendig, in dem Versicherte eine DiGA testen können. Eine Vergütung würde erst bei fortlaufender Nutzung der Anwendung gezahlt. Ziel ist ein angemessenes Preisniveau für DiGA bereits bei ihrer Markteinführung.
Klare Rahmenbedingungen für nichtärztliche Berufe schaffen
Integrierte Versorgung konsequent weiterentwickeln
Die medizinische Behandlung muss sowohl nach dem medizinischen Bedarf als auch nach den Bedürfnissen von Patientinnen und Patienten erfolgen. Wichtig ist eine frühzeitige Erkennung von Gesundheitsrisiken und eine konsequente Steuerung der Patientinnen und Patienten in die für sie richtige Behandlung.
Im Notfall ist eine standardisierte Ersteinschätzung notwendig, um Patientinnen und Patienten gezielt in die medizinisch notwendige Behandlungsebene zu steuern und die Notfallkapazitäten im Krankenhaus effektiv zu nutzen. Um die Versorgung chronisch Erkrankter verlässlich zu steuern, müssen evidenzbasierte Behandlungspfade aufgebaut werden. Zudem braucht es klare Kriterien für die Entscheidung über eine stationäre oder ambulante Behandlung bei planbaren Eingriffen. Grundlage dafür ist die Nutzung einer umfassenden Datenbasis.
Im internationalen Vergleich weist Deutschland einen hohen Anteil an stationär durchgeführten medizinischen Behandlungen auf, die ambulant erfolgen könnten. Das hohe Ambulantisierungspotenzial muss konsequent genutzt, der bestehende Katalog ambulant durchführbarer Operationen und der Hybrid-DRG-Leistungskatalog deutlich erweitert werden. Weniger unnötige Krankenhausaufenthalte liegen nicht nur im Interesse der Patientinnen und Patienten. Dies trägt gleichzeitig dazu bei, personelle Ressourcen auf Seiten der Leistungserbringer und finanzielle Ressourcen auf Seiten der Kostenträger zu schonen, die an anderer Stelle effektiver und effizienter eingesetzt werden können.
Die Bedeutung Medizinischer Versorgungszentren (MVZ) für die flächendeckende medizinische Versorgung hat in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Um kooperative, interdisziplinäre Strukturen unter einem Dach aufzubauen, werden Investitionen und, abhängig vom jeweiligen Versorgungsbereich, eine hohe Anschubfinanzierung benötigt. Hierbei kommt investorenfinanzierten MVZ eine wichtige Rolle zu.
Notwendig ist dabei eine wirksame Regulierung, die Monopole verhindert und gleichzeitig einen fairen Wettbewerb um die beste Versorgung sichert. Dazu müssen die Betreiber eines MVZ auf den Praxisschildern für Patientinnen und Patienten ersichtlich sein und die notwendigen Informationen für ein öffentliches Transparenzregister zusammengeführt werden. Die Deckelung der Marktanteile sollte sich an den bereits etablierten Regelungen des Kartell- und Wettbewerbsrechts orientieren.
Krankenhausstrukturen qualitäts- und bedarfsorientiert reformieren
Bund und Länder haben den Reformbedarf im stationären Bereich endlich erkannt. Nur wenn die Krankenhauslandschaft in Deutschland dem Bedarf und den Entwicklungen in der Medizin angepasst wird, lassen sich Über- und Fehlversorgung vermeiden sowie die finanziellen und personellen Ressourcen sinnvoll einsetzen. Notwendig ist eine stärkere Bedarfs- und Qualitätsorientierung vor allem durch bundeseinheitliche Qualitätsvorgaben. Nur so entstehen zukunftsfähige und finanzierbare Versorgungsstrukturen.
Die kürzlich verabschiedete Krankenhausreform erreicht diese Ziele jedoch absehbar nicht. Während die ursprünglichen Reformvorschläge noch verbindliche und strikte Qualitätsanforderungen etwa im Rahmen von Versorgungsstufen vorsahen, sind im Gesetzgebungsverfahren zu viele Abstriche gemacht worden. Gleichzeitig führt die Reform für die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler zu erheblichen Kosten – ohne dass es zu notwendigen Strukturanpassungen kommt.
Entscheidend für gute Behandlungsergebnisse ist nicht die Nähe zum nächstgelegenen Krankenhaus, sondern die technische Ausstattung sowie erfahrenes und ausreichendes Personal. Deshalb sollten grundsätzlich nur solche Krankenhäuser Patientinnen und Patienten behandeln, die dafür technisch und personell ausgestattet sind. Notwendig sind verbindliche Versorgungsstufen mit klaren und detaillierteren Qualitätsanforderungen in Verbindung mit Leistungsgruppen, die als Basis für die Krankenhausplanung dienen. Damit könnten Krankenhäuser nur die Leistungen erbringen, für die sie entsprechend ausgestattet sind. Dies verbessert die Patientensicherheit und bündelt die begrenzten personellen und finanziellen Ressourcen.
Im Rahmen einer gestuften Versorgung ist gleichzeitig eine ausdifferenzierte Leistungserbringung notwendig: Insbesondere die Behandlungen, die eine qualitative Expertise und ein multiprofessionelles Team erfordern, sollten an den entsprechenden Krankenhausstandorten konzentriert werden. Nur an diesen Standorten finden Diagnostik, Therapiefestlegung sowie notwendige Eingriffe statt. Sobald die individuellen Behandlungsbedarfe festgelegt und notwendige Interventionen durchgeführt wurden, kann eine weitere Versorgung in Wohnortnähe und damit eine Verlegung der Patientinnen und Patienten erfolgen. Die behandelnden Ärztinnen und Ärzte stehen dabei in engem Kontakt und Austausch zur weiteren stationären Versorgung – telemedizinische Angebote können dabei unterstützen.
Der Erfolg einer Krankenhausstrukturreform steht und fällt mit einem länderübergreifenden einheitlichen Rahmen für mehr Qualität und damit Patientensicherheit in der stationären Versorgung. Besonderes Augenmerk fällt dabei nun auf die von Bund und Ländern zu beschließenden Verordnungen zu Leistungsgruppen und Mindestvorhaltezahlen. Denn die Qualität der Krankenhausversorgung darf nicht zwischen den Bundesländern variieren und muss gleichbleibend hoch sein. Daher bedarf es einheitlicher Vorgaben seitens des Bundes auch bei der Zuordnung von Leistungsgruppen zu den Krankenhausstandorten. Die Bundesländer müssen diese verpflichtend anwenden. Abweichungen müssen auf ein Minimum begrenzt, befristet und mit entsprechenden Zielvorgaben erfolgen. Gleichzeitig dürfen sie nur im Einvernehmen mit den Kostenträgern im jeweiligen Bundesland Anwendung finden. Schließlich sollten alle Ausnahmeregelungen in den Bundesländern im Transparenzregister veröffentlicht und regelmäßig aktualisiert werden. Ziel muss sein, dass die Patientinnen und Patienten ausreichend Transparenz über die für sie notwendigen Versorgungsangebote erhalten.
Strukturvorgaben zur Qualitätssicherung sollten dabei in bewährter Weise evidenzbasiert vom G-BA erlassen und nicht Gegenstand der politischen Auseinandersetzung zwischen Bund und Ländern werden. So wird eine bundesweit einheitliche Mindestqualität bei der Leistungserbringung sichergestellt. Der G-BA muss dabei zwingend an der Festlegung der Mindestqualitätsvorgaben zu den Leistungsgruppen beteiligt sein.
Arzneimittelversorgung – krisenfest und bezahlbar halten
Trotz zahlreicher politischer Initiativen in den letzten Jahren kommt es immer wieder zu Lieferschwierigkeiten auch bei versorgungsrelevanten Medikamenten. Um die Versorgungssicherheit vor dem Hintergrund zunehmender geopolitischer Risiken zu erhöhen, bedarf es entschlossener Maßnahmen auf nationaler und europäischer Ebene. Dazu zählen die Stärkung der Arzneimittelproduktion insbesondere für versorgungskritische Arzneimittel, die Diversifizierung der Lieferketten sowie ein einheitlicher Rahmen für die Einfuhr und Zulassung von Arzneimitteln aus Drittstaaten.
Im Bereich der gesetzlichen Krankenkassen müssen die erfolgreich etablierten Rabattverträge als wettbewerbliche Liefersicherungsverträge genutzt werden. Denn Arzneimittel-Rabattverträge sind das beste Mittel, um Lieferung und Bedarfsmenge zu planen, Lieferverpflichtungen zu verankern sowie die Herstellerketten-Resilienz zu berücksichtigen.
Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen durchlaufen seit dem Jahr 2011 das Verfahren nach dem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG). Der gute Zugang zu neuen Arzneimitteln in Deutschland zeigt, dass sich das System bewährt hat.
Eine große Herausforderung stellt jedoch die immer größer werdende Zahl hochpreisiger Arzneimittel im Bereich neuer Therapien dar, etwa in der Onkologie. Das AMNOG bedarf daher einer Weiterentwicklung: So sollten künftig die Evidenz und der Preis eines neuen Arzneimittels Kriterien dafür sein, wie intensiv dessen Einführung in Deutschland gesteuert wird. Die Markteinführung neuer Arzneimittel mit schwacher Evidenz und hohem Preis erfordert dabei besondere Aufmerksamkeit. Bei Arzneimitteln mit deutlich eingeschränkter Evidenz müssen zügig weitere Daten zu Risiken und Nutzen gewonnen werden. Bei hochpreisigen Medikamenten sollte die Verordnung auf besonders qualifizierte Schwerpunktpraxen oder Krankenhäuser beschränkt werden – bei gleichzeitiger Anwendungsforschung. Diese anwendungsbegleitende Datenerhebung soll insbesondere auch bei Arzneimitteln zum Einsatz kommen, die ihr Produktversprechen nicht halten und daher neu bewertet werden müssen.
Das bisher nicht genutzte Instrument der Kosten-Nutzen-Bewertung sollte als optionale Ergänzung zur frühen Nutzenbewertung auf Antrag der Krankenkassen drei bis fünf Jahre nach Markteinführung durchgeführt werden können. Wegen des hohen Aufwandes sollte die Kosten-Nutzen-Bewertung jedoch nur bei bedeutsamen Wirkstoffen mit einer möglichen Umsatzschwelle Anwendung finden.
Hilfsmittelversorgung qualitätsorientiert ausrichten
Um auch in Zukunft eine bedarfsgerechte und qualitativ hochwertige Hilfsmittelversorgung zu gewährleisten, bedarf es einer stärkeren Qualitätsorientierung. Dazu muss es den Krankenkassen wieder ermöglicht werden, die Versorgung auch im Rahmen von Ausschreibungen sicherzustellen. Damit kann die Krankenkasse den Versicherten mit Blick auf individuellen Bedarf und Kosten ein bestmögliches Versorgungsangebot unterbreiten.
Die Versicherten sollen gleichzeitig von einer guten und hochwertigen Versorgung profitieren, ohne durch Mehrkosten oder Aufzahlungen belastet zu werden. Im Versorgungsprozess ist deshalb eine größere Transparenz für die Krankenkassen notwendig, insbesondere bei der Beratung durch die Leistungsanbieter zu etwaigen Mehrkosten. Denn zu einer guten Qualität gehört auch eine umfassende und kompetente Beratung.
Prävention und Gesundheitsförderung stärken
Mit dem Ziel, Krankheiten vorzubeugen, den Umgang mit Erkrankungen zu erlernen und die Gesundheit der Bevölkerung zu erhalten und zu verbessern ist in Deutschland ein breites Angebot von Maßnahmen zur Prävention und Gesundheitsförderung aufgebaut worden, unter wesentlicher Beteiligung der gesetzlichen Krankenkassen. Es sollte erhalten und zielgerichtet weiterentwickelt werden. Dabei müssen Aufgabenbereiche sowie Finanzierungsverantwortung klar berücksichtigt werden.
Die Nutzung digitaler Versorgungdaten kann Aufschluss über das Gesundheitsrisiko von Versicherten geben. Krankenkassen können ihren Versicherten damit mehr passgenaue und auf ihre individuellen Risiken ausgerichtete Informationen geben und ihnen zugleich gezielte Präventionsangebote unterbreiten.
Patientinnen und Patienten, die an schwerwiegenden Erkrankungen leiden oder schwerwiegenden Gesundheitsgefährdungen ausgesetzt sind, stehen bei der Bewältigung ihrer alltäglichen gesundheitlichen Situation vor hohen Anforderungen. Wichtig ist, dass Betroffene in diesen Situationen unterstützt werden, sei es, um sich einen Überblick über bestehende Hilfeangebote zu verschaffen, sei es, um sich im Geflecht der Zuständigkeiten der verschiedenen Leistungsträger und der jeweiligen Leistungsvoraussetzungen zurechtzufinden. Die Versicherten sollten bei entsprechendem Bedarf gegenüber ihrer Krankenkasse einen Anspruch auf eine breit angelegte Beratung haben.
Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung muss es dabei sein, den Versicherten über eine individuelle Versorgungsberatung Unterstützung und Hilfestellung bei der Inanspruchnahme notwendiger medizinischer, pflegerischer, gesundheitsfördernder und sozialer Hilfen zu geben. Der neue krankenversicherungsrechtliche Beratungsanspruch sollte dabei auch Ansätze aufgreifen, die sich bei dem in der sozialen Pflegeversicherung etablierten Beratungsanspruch (§ 7a SGB XI) bereits bewährt haben.
Die Förderung von öffentlicher Gesundheit und Krankheitsverhütung ist eine wesentliche Aufgabe der öffentlichen Daseinsvorsorge. Der Öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD) mit den Gesundheitsämtern ist dabei der zentrale Akteur. Angesichts der Corona-Pandemie haben Bund und Länder 2020 einen „Pakt für den ÖGD“ geschlossen. Insgesamt hat der Bund dabei etwa vier Milliarden Euro bereitgestellt. Mit diesen Mitteln wurden Personal und Strukturen aufgebaut und die Digitalisierung beschleunigt.
Es wäre kontraproduktiv, wenn der Pakt im Jahr 2026 auslaufen und damit Fördermittel wegfallen würden. Es reicht nicht aus, für einen begrenzten Zeitraum Fördermittel bereitzustellen, wenn die damit aufgebaute Infrastruktur und der Personalstamm anschließend nicht erhalten werden können. Der Staat muss sich zum ÖGD bekennen und Steuermittel bereitstellen, um den ÖGD langfristig und nachhaltig zu stärken.
Hier geht es zu weiteren Forderungen:
I. Gesundheitssystem dauerhaft stabilisieren
II. Selbstverwaltetes Gesundheitssystem stärken
III. Gesundheitsversorgung patientenorientiert gestalten
IV. GKV-Finanzen konsolidieren
V. Pflegeversicherung zukunftsfest machen