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Tabletten, Pillen, Salben & Co – Wie entsteht eigentlich ein neues Arzneimittel?

Lesedauer unter 4 Minuten

Es gibt tausende Medikamente, die tagtäglich für verschiedenste Krankheiten und Therapien verschrieben und verabreicht werden. Bis aber neue Arzneimittel auf dem Markt verfügbar sind, vergeht meistens viel Zeit. 13 Jahre dauert es durchschnittlich von der Idee bis zur Zulassung. Viele Präparate bleiben bei diesem komplexen Prozess aus hunderten Einzelschritten, Rückschlägen und hohem Forschungsbudget auf der Strecke. Dieser Beitrag beschreibt, wie neue Arzneien entstehen und welche Studien und Tests sie durchlaufen müssen. Zudem erfahren Leserinnen und Leser, was es kosten kann, bis Medikamente zugelassen sind und in Arztpraxen oder Kliniken eingesetzt werden können. 

Die Entwicklung neuer Wirkstoffe benötigt meistens enorme Investitionen. Bis zu zwei Milliarden Dollar müssen aufgewendet werden, um das finale Ziel der Marktzulassung zu erreichen. Deshalb sind fast ausschließlich Pharmaunternehmen finanziell in der Lage, neue Medikamente zu entwickeln. „Grundlagenwissen stammt dabei aber häufig aus der Forschung an Universitäten und klinischen Instituten“, sagt Heidi Günther, Apothekerin bei der BARMER. Erst nach Markteinführung haben Unternehmen dann die Möglichkeit, die Entwicklungskosten zu refinanzieren. Von etwa 10.000 Substanzen, die bei der Entwicklung eines neuen Arzneimittels hergestellt und untersucht werden, schaffen es im Schnitt neun aus dem Reagenzglas in eine klinische Studie. Und gerade einmal eine einzige Substanz gelangt als zugelassenes Medikament in die Patientenversorgung.

Vorarbeiten durch Forschung

Die Herstellung eines neuen Arzneimittels erfordert ein hohes Maß an interdisziplinärer Teamarbeit. Vertreterinnen und Vertreter von Chemie, Biologie, Biochemie, Medizin und Pharmazie suchen zunächst nach Ansätzen, an denen ein Arzneimittel oder eine Arzneimittelkombination wirken könnte. Im nächsten Schritt werden zahlreiche Substanzen nach in Frage kommenden Wirkstoffen durchsucht, also nach Molekülen, die im Körper eine heilende Wirkung erzielen sollen. „Dazu muss der Wirkstoff an einem Zielmolekül, dem sogenannten Target andocken können, also zum Beispiel an einem Enzym oder Rezeptor. Es kann auch ein Eiweiß im Stoffwechselsystem sein“, erläutert Günther. Analyse- und Synthesetechniken helfen bei der Entwicklung. Die Recherche und Datenanalyse ist eine Sisyphusarbeit mit vielen Härtetests. Dabei können künstliche Intelligenz oder Roboter zum Einsatz kommen. Zeitraubende Misch- und Messarbeiten können mit moderner Technik schneller bewältigt werden.

Langwieriges Procedere

Wurde eine geeignete Substanz ausfindig gemacht, verändern Forscherinnen und Forscher diese chemisch so, dass sie sich als Medikament eignet. Wichtig ist dabei, dass die fragliche Verbindung im menschlichen Körper gut aufgenommen und später ausgeschieden werden kann. Zudem darf sie nicht giftig sein. Es folgen Tests im Labor und an Tieren, meist Ratten und Mäuse. Bereits zu diesem Zeitpunkt melden Pharmafirmen vielversprechende Kandidaten oft schon als Patent an.

Die vorklinische Entwicklung

Die Wirkstoffe, die das Rennen bis hierher gemacht haben, werden nach definierten Kriterien weiter getestet. „Untersucht wird etwa im Labor, an Zellkulturen und mit Hilfe von Tierexperimenten, ob die jeweiligen Stoffe Krebs verursachen, schwangere Frauen, deren ungeborene Kinder oder das Erbgut schädigen können und andere unerwünschte oder gar gefährliche Effekte haben“, erläutert Heidi Günther.

Klinische Entwicklung umfasst die Erprobung am Menschen

Die folgende klinische Entwicklung von neuen Medikamenten umfasst drei Phasen. In Phase 1 wird das Arzneimittel an einer niedrigen Zahl von gesunden, freiwilligen Probanden erprobt. Geprüft wird dabei insbesondere die Verträglichkeit der jeweiligen Substanz. Zudem testen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, ob sich die Ergebnisse der vorherigen Tests und Tierversuche bestätigen, was Einnahme, Verteilung und Umwandlung im menschlichen Körper und das Ausscheiden angeht. „Untersucht wird ebenfalls, welche Darreichungsform geeignet ist, also ob das Medikament später als Tablette, Kapsel, Injektions- oder Infusionslösung, Salbe, Creme, Wirkstoffpflaster oder als wasserlösliches Granulat produziert wird“, sagt Günther.

Wachsende Testgruppen

Danach wird das Präparat kranken Freiwilligen verabreicht. „Solche sogenannte Phase 2-Tests umfassen etwa 100 bis 500 erkrankte Personen. Forscherinnen und Forscher untersuchen, wie das Medikament genau wirkt, ob und wenn ja welche Nebenwirkungen auftreten und welche Dosierung die richtige ist.“ An der Phase 3 können dann einige tausend Patientinnen und Patienten teilnehmen. Falls zu starke Nebenwirkungen auftreten oder lediglich eine geringe Wirksamkeit des neuen Mittels festgestellt wird, kann die Untersuchungsreihe bei Bedarf abgebrochen werden.

Zum Schluss erfolgt die Zulassung

Waren die Studien erfolgreich und die Marktreife ist aus Sicht des Herstellers gegeben, kann bei der zuständigen nationalen oder direkt bei einer europäischen Behörde die Zulassung beantragt werden. Dafür müssen strenge Auflagen erfüllt werden. Neben dem eigentlichen Antrag müssen Informationen zur Reinheit und zur Haltbarkeit des Arzneimittels zusammengestellt, sowie sämtliche Ergebnisse von vorklinischen, klinischen Untersuchungen und technischen Qualitätstests zur Verfügung gestellt werden. Dabei geht Sicherheit vor Geschwindigkeit. „Es gibt aber Ausnahmen, etwa eine beschleunigte Zulassung bei hoher Dringlichkeit. Voraussetzung ist, dass der Nutzen eines Präparats höher eingeschätzt wird als die Risiken“, sagt Günther. Wurden alle Rückfragen geklärt, erhält das Unternehmen etwa 13 Monate nach dem Antrag die Marktzulassung für das neue Medikament. Anschließend dürfen Kliniken und Praxen das neue Arzneimttel verwenden.