Dr. Ursula Marschall, leitende Medizinerin bei der Barmer:
Der Bereich der geschlechtsmedizinischen Medizin befasst sich mit den biologischen Unterschieden zwischen Mann und Frau und deren Auswirkungen im Bereich der Medizin. Das ist deswegen notwendig, weil die gleiche Krankheit sich bei Männern und Frauen unterschiedlich äußern kann, beispielsweise hinsichtlich der Häufigkeit, dem Verlauf, der Ausprägung und der Symptome. Ein klassisches Beispiel ist der Herzinfarkt. Als Symptome gelten Brustschmerz, ein Ziehen in den linken Arm und Beklemmung. Dabei sind das lediglich die typischen Hinweise auf einen Herzinfarkt beim Mann, bei einer Frau können zusätzlich Schmerzen im Rücken und Bauch oder Übelkeit auf einen Infarkt hinweisen. Diese Beschwerden gelten als atypisch, und werden, wenn überhaupt, oft erst später einem Herzinfarkt zugeordnet. Ein Beispiel, bei dem Männer schlechter versorgt werden, ist die Osteoporose, denn sie gilt immer noch als typische Frauenkrankheit und wird bei Männern häufig später diagnostiziert als bei Frauen. Auch im Bereich der Arzneimitteltherapie gibt es Unterschiede zwischen den Geschlechtern, denn Männer und Frauen reagieren nicht immer gleich auf Medikamente. Trotzdem werden die Präparate vorrangig an Männern erforscht, für Frauen resultiert daraus häufig ein größeres Risiko für Nebenwirkungen. Frauen erhalten meist die gleichen Arzneimittel wie Männer, bestenfalls in einer anderen Dosierung. Als Ursache für diese Unterschiede gelten zum Einen die unterschiedlichen Hormonprofile von Mann und Frau, aber zunehmend auch das Zusammenspiel verschiedener Faktoren wie physiologische Unterschiede, psychische und psychosoziale Faktoren.