Heidi Günther, Apothekerin bei der Barmer:
Die Funktion des Taschentuchs variierte je nach Epoche im Laufe der letzten Jahrhunderte. Es wurde nicht immer zum Naseschnäuzen genutzt, sondern hatte auch verschiedene kulturelle Bedeutungen als Statussymbol oder einfach nur zur modischen Zierde. Als Vorläufer der Taschentücher gelten die sogenannten Schweißtücher im alten Rom. Im elften Jahrhundert waren die Stofftücher ein Liebespfand von heimlichen Geliebten an Ritter, die in den Kampf zogen. Erst im 18. Jahrhundert wurde das Taschentuch auch wirklich zum Naseputzen eingesetzt, wenn auch nur von der vornehmen Gesellschaft. Alle anderen schnäuzten sich weiterhin in gewöhnliche Stofffahnen oder in die Finger und wischten sie dann am Ärmel ab. Mit der Einfuhr von günstiger Baumwolle und der Erfindung von mechanischen Webstühlen wurden Taschentücher nach 1800 auch für das gemeine Volk erschwinglich. Seitdem wurden zum Naseputzen kochfeste Tücher aus Leinen oder Baumwolle genutzt. 1894 erhielt der Papierfabrikant G. Krum ein Patent auf ein sehr dünnes Papier, das mit Glycerin getränkt war. Doch erst Oskar Rosenfelder verhalf dem Taschentuch zu seinem Siegeszug. Er ließ sich 1929 in Berlin das Papiertaschentuch aus reinem Zellstoff, überzogen mit einer dünnen Schicht Glycerin, patentieren, das dann unter dem Namen Tempo bekannt wurde. Die Erfindung war damals eine Revolution, weil den Frauen dadurch das ständige Waschen der Taschentücher abgenommen wurde, was wiederum ihren Alltag erheblich erleichterte. Etwa zur gleichen Zeit kamen weitere Wegwerfprodukte wie der Teebeutel oder später auch die Bierdose auf den Markt, die in Massen produziert wurden und für alle erschwinglich waren.