Wenn während einer Prüfung erlerntes Wissen innerhalb kürzester Zeit abgerufen werden muss, bedeutet dies für die meisten Menschen in erster Linie Stress. Menschen, die unter Prüfungsangst leiden, empfinden die Situation allerdings ungleich schlimmer. Die vermehrte Ausschüttung der Stresshormone Adrenalin und Noradrenalin führen nicht, wie sonst, zu einer schnellen und konzentrierten Reaktion, sondern zu einer Blockade und einer stark verringerten Leistungsfähigkeit. Der hohe Adrenalinspiegel rät dann eher zur Flucht, ein Nachdenken ist kaum mehr möglich. Prüfungsangst kann die eigenen Pläne nachhaltig durchkreuzen.
Aus medizinischer Sicht gehört die Prüfungsangst zu den spezifischen Phobien. Während Personen ohne Prüfungsangst sich hauptsächlich auf die bevorstehende Aufgabe konzentrieren, fokussieren Personen mit Prüfungsangst einen Teil ihrer Aufmerksamkeit auf sich selbst und nur einen Teil auf die Aufgabe. „Die Betroffenen haben in erster Linie ein diffuses Gefühl der Angst sowie Furcht vor einer Bewertung ihrer Persönlichkeit, und nicht vor der Bewertung der abgefragten Leistung. Menschen mit Prüfungsangst können diese beiden Dinge nicht auseinanderhalten, und setzen ein schlechtes Abschneiden in der Prüfung mit einem grundsätzlichen Versagen, quasi einer Ablehnung, gleich und fühlen sich stark bedroht“, erklärt Andrea Jakob-Pannier, Psychologin bei der Barmer. Die Inhalte der Prüfung werden dann nicht mehr realistisch eingeschätzt, und die eigenen Einflussmöglichkeiten unterschätzt. Die Angst vor einem Versagen scheint dann größer als die Aussicht auf Erfolg. Die Ursachen finden sich beispielsweise in der Kindheit. Negative Folgen kann es etwa haben, wenn die Eltern sehr leistungsorientiert waren, und auf schlechte Noten oder sonstigen Misserfolg des Kindes nicht tröstend, sondern tadelnd oder sogar mit Strafen reagiert haben. Als Erwachsener übernehmen manche Betroffenen dieses Verhalten für sich selbst und machen das eigene Selbstwertgefühl von der erbrachten Leistung abhängig.
Die körperlichen Symptome für Prüfungsangst sind vielfältig. „Es kann schon Wochen vor der eigentlichen Prüfung beispielsweise zu Durchfall, Erbrechen, Kopfschmerzen, Herzrasen, Konzentrationsstörungen, Schwindel und Schlafstörungen kommen. Das Lernen wird dadurch noch schwerer, eine gute Vorbereitung ist kaum möglich“, so Jakob-Pannier. Häufig schieben die Betroffenen das Lernen dann auf und flüchten sich in andere Tätigkeiten. Das Wissen, dass sie jetzt eigentlich lernen sollten, und das Gefühl, schlecht vorbereitet zu sein, verstärkt die Angst noch weiter. Ein Teufelskreislauf entsteht, der bis zu Panikattacken führen kann. Dann ist in Besuch beim Arzt hilfreich, um die Symptome abzuklären und kurzfristige Hilfsangebote in Anspruch zu nehmen.
Früh genug mit den Vorbereitungen beginnen
„Für Menschen mit Prüfungsangst ist ein gutes Zeitmanagement besonders wichtig. Wie viel Stoff muss gelernt werden? Wie viel Zeit nimmt das in Anspruch? Habe ich alle Unterlagen zusammen, die ich benötige? Das sind Fragen, die im Vorfeld geklärt werden sollten“, so die Expertin. Dann kann ein Zeitplan erstellt werden, der nach und nach abgearbeitet wird. Erfolgserlebnisse über die erreichten Ziele motivieren, am nächsten Tag weiter zu lernen. Auch das Lernen in Lerngruppen ist häufig eine große Hilfe. Als Teil einer solchen Gruppe kann man seinen Leistungsstand besser objektiv einschätzen und eventuell auch eine Prüfungssituation durch Abfragen simulieren. Dadurch verliert die Prüfung im Idealfall ihren Schrecken. Auch das Erlernen einer Entspannungsmethode kann helfen. Hierzu gibt es hilfreiche Online-Trainings und regionale Angebote. Studenten, die allein mit ihrer Prüfungsangst nicht zurechtkommen, können sich auch an die psychologische Beratungsstelle der Universität wenden. Für alle anderen gibt es psychologische oder allgemeine Sozialberatungsstellen, die helfen können, die eigenen Einflussmöglichkeiten auf den Verlauf einer Prüfung wieder zu erkennen, und die Stresssituation mit einem neuen Selbstbewusstsein zu bewältigen.