Dr. Ursula Marschall, leitende Medizinerin bei der Barmer:
Unter Dyspraxie versteht man eine häufige Entwicklungsstörung in der Motorik, die schon im Kindesalter große Auswirkungen auf das tägliche Leben hat. Schätzungsweise fünf bis sechs Prozent aller Kinder leiden unter Dyspraxie. Die Symptome sind teilweise sehr unterschiedlich, betreffen aber vor allem die Grob- und die Feinmotorik. Kinder mit Dyspraxie können beispielsweise schlechter ihre Balance halten, haben Schwierigkeiten beim Werfen und Fangen und können ihre eigene Kraft nur schlecht einschätzen und entsprechend dosieren. Im Schulunterricht fallen die Kinder auch auf, weil ihre Handschrift nur schwer lesbar ist, oder Bastel- oder Handarbeiten nicht gelingen. Auch tägliche Handgriffe wie das Schließen von Knöpfen oder das Binden einer Schleife funktioniert nur schwer oder gar nicht. Weil die Dyspraxie eher unbekannt ist, gelten die betroffenen Kinder in ihrem sozialen Umfeld oft als verhaltensauffällig, ungeschickt, dumm oder unaufmerksam. Viele Kinder leiden daher auch unter einem geringen Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen. Dabei handelt es sich bei der Dyspraxie nicht um eine Verhaltensauffälligkeit oder Intelligenzschwäche, sondern um eine neurobiologische Störung im Gehirn, die nicht heilbar ist. Bis eine Dyspraxie klar diagnostiziert ist, dauert es oft lange, denn häufig wird aufgrund der Hyperaktivität zunächst eine ADHS in Erwägung gezogen. Die korrekte Diagnose ist recht aufwändig. Sie beinhaltet eine umfangreiche Untersuchung bei einem Kinderarzt, der auf Erkrankungen aus dem neurologischen Fachgebiet spezialisiert ist. Steht die Diagnose, ist eine professionelle Aufklärung der Eltern, Lehrer und Erzieher von großer Bedeutung, denn Kinder mit Dyspraxie benötigen Verständnis, Geduld und Trost. Eine Physio- oder Ergotherapie kann helfen, mit den Defiziten besser umzugehen.