Digitale Medien erleichtern Alltag und Beruf. Praktisch alles Wissen der Welt lässt sich vom Sofa aus recherchieren. Der Austausch mit anderen Menschen via Internet hat das soziale Netzwerken auf eine völlig neue Ebene gehoben. Und spielen kann man mit Freunden wie Fremden jeden Tag, rund um die Uhr an jedem Ort der Welt. Wie so oft kommen die zahlreichen Vorteile aber auch im Falle der Digitalisierung nicht ohne Nebenwirkungen daher. Menschen, für die die digitalen Möglichkeiten immer mehr zum zentralen Lebensinhalt werden, entwickeln unter Umständen einen „pathologischen Computer- oder Internetgebrauch“, sprich eine Online-Sucht. Die Sucht nach Computerspielen als offiziell anerkannte Krankheit ist noch jung, die Weltgesundheitsorganisation (WHO) nahm sie erst im Sommer 2018 in ihren Katalog der Krankheiten auf.
Die Online-Sucht ist heimtückisch, da die Grenze zwischen normalem Surfen im Netz und einer ausgeprägten Abhängigkeit fließend verläuft. Sie auszumachen ist nicht leicht, aber es gibt Anhaltspunkte. „Ausschlaggebend für eine Online-Sucht ist nicht allein, wie viel Zeit jemand an Smartphone, Tablet oder Computer verbringt. Ernst wird es, wenn Betroffene andere Interessen, etwa Freunde, Familie und Hobbys vernachlässigen“, sagt Dr. Ursula Marschall, leitende Medizinerin bei der Barmer. Dieses Verhalten kenne man von Abhängigen „klassischer“ Drogen. Es falle den Betroffenen sehr schwer, vom Objekt der Begierde abzulassen, obwohl sie um die schädlichen Folgen wissen. „Süchtige gewöhnen sich an einen höheren Dopaminpegel, einem Botenstoff im Gehirn, und brauchen ständig Nachschub des Glückshormons. Werden Computer- oder Internet-Süchtige zum Verzicht gezwungen, stellen sich ähnliche Entzugserscheinungen wie bei anderen Drogen ein. Sie können unruhig, gereizt und auch aggressiv werden“, so die Expertin.
Ist mein Kind abhängig?
Besonders gefährdet, online- oder computersüchtig zu werden, sind Jugendliche und junge Erwachsene. Bei den 14- bis 24-Jährigen geht das Bundesgesundheitsministerium von immerhin 2,4 Prozent Betroffenen aus. Wie es scheint, hat die soziale Herkunft keinen Einfluss auf das Risiko, an der Sucht zu erkranken. Auch das Geschlecht spielt dabei keine Rolle. Abhängige Mädchen nutzen Computer, Tablet oder Smartphone ähnlich exzessiv wie Jungen, allerdings auf andere Weise. Sie verbringen sehr viel Zeit in sozialen Netzwerken, während sich Jungen eher in Online-Spielen verlieren.
„Verbote sind wenig hilfreich und üben schlimmstenfalls einen zusätzlichen Reiz aus. So geben Eltern ungewollt die Kontrolle ab, wenn der Nachwuchs heimlich den Zugang zum Netz sucht. Am besten ist es, so früh wie möglich mit den Kindern feste Zeiten zum Spielen oder Surfen zu vereinbaren“, so Marschall. Dies fördere auch den selbstkritischen Umgang mit dem eigenen Online-Verhalten der Kinder. Besorgte Eltern können mit einem Online-Test der Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung herausfinden, ob ihre Kinder gefährdet sind. Dort gibt es auch Informationen, welche Beratungsstellen oder Ärzte bei Bedarf helfen können.