Der Bundestag hat gestern über zwei Gesetzentwürfe debattiert, deren Ziel es ist, die Zahl der Organspender in Deutschland zu erhöhen. Nach dem Entwurf einer Gruppe Abgeordneter um Jens Spahn (CDU) und Professor Doktor Karl Lauterbach (SPD) kann dies durch eine doppelte Widerspruchslösung erreicht werden. Der zweite Gesetzentwurf der Parlamentariergruppe um Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und Katja Kipping (DIE LINKE) setzt hingegen auf eine bewusste und freiwillige Entscheidung.
Berlin, 27.06.2019 – Obgleich im Jahr 2018 erstmals seit 2010 wieder eine Steigerung der Organspenderzahlen verzeichnet werden konnte – so spendeten 955 Menschen ihre Organe an schwerkranke Patienten – warten derzeit noch immer 9.400 Patienten in Deutschland auf eine Organtransplantation. Nach heutiger Rechtslage wird nur derjenige zum Spender, der zu Lebzeiten einer Organspende zugestimmt hat (Entscheidungslösung). Liegt diese Zustimmung, etwa in Form eines Organspendeausweises nicht vor, werden die Angehörigen nach einer Entscheidung gefragt. Die Angehörigen sind dabei ebenso wie die behandelnden Ärzte an die zu Lebzeiten getroffene Entscheidung des Verstorbenen gebunden.
Zwei unterschiedliche Gesetzentwürfe werden diskutiert
Bereits am 28.11.2018 wurde im Bundestag darüber debattiert, wie die geltende Rechtslage geändert werden kann, damit sich mehr Menschen als bisher zur Organspende bereit erklären. Seitdem wurden zwei fraktionsübergreifende Gesetzentwürfe zur Erhöhung der Bereitschaft der Organspende vorgelegt. Über beide wurde am gestrigen Mittwoch in 1. Lesung intensiv im Bundestag diskutiert.
In zwei Punkten sind sich die Abgeordneten einig: Zum einen, dass die Organspenderzahlen gegenüber der Anzahl an Patienten die auf ein Organ warten, deutlich zu niedrig sind. Des Weiteren würden durch das Gesetz zur Verbesserung der Strukturen bei der Organspende, welches am 01.04.2019 in Kraft getreten ist, die Strukturen in den Entnahmekrankenhäusern im Sinne einer Erhöhung der Organspenderzahlen verbessert.
Uneinigkeit besteht allerdings darüber, wie die Entscheidung der Menschen für oder gegen eine Organspende zukünftig organisiert werden soll. Gemäß dem Entwurf für eine doppelte Widerspruchslösung gilt jede Person als Spender, sofern sie sich nicht zu Lebzeiten dagegen entschieden hat oder ein der Organ- oder Gewebeentnahme entgegenstehender Wille vorliegt. Spender würden automatisch registriert und könnten so besser identifiziert werden, so Doktor Georg Nüßlein (CSU). Gemäß SPD-Fraktionsvize Professor Doktor Karl Lauterbach werde die Widerspruchslösung in 20 von 28 EU-Staaten bereits erfolgreich praktiziert. Seiner Meinung nach wäre es für jeden zumutbar, sich mit dem Thema der Organspende auseinanderzusetzen und gegebenenfalls zu widersprechen. Zudem werde ausreichend über die Organspende aufgeklärt, da jede Person ab Vollendung des 16. Lebensjahres dreimal innerhalb von sechs Monaten nach Inkrafttreten des Gesetzes und auch über diesem Zeitraum hinaus Informationen zur Organspende erhalte solle, so Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU).
Der Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft bei der Organspende plädiert hingegen für eine bewusste und vor allem freiwillige Entscheidung. Laut Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) werde durch eine Widerspruchslösung das in Deutschland geltende Prinzip der Zustimmung umgekehrt. Ihr Kernargument ist, dass in der Verfassung das Recht auf körperliche Unversehrtheit gelte. Regelmäßige Informationen durch die Ausweisstellen und Beratungsangebote der Hausärzte würden eine selbstbestimmte Entscheidung der Bürger unterstützen, so Stephan Pilsinger (CSU). Zudem sieht der Entwurf vor, dass die Bevölkerung eigenständig ihre Erklärung in ein hierfür eingerichtetes bundesweites Online-Register abgeben kann. Pilsinger betonte, dass die Entnahmekrankenhäuser die Erklärungen so jederzeit abrufen könnten.
Die AfD sprach sich in einem eigenen Antrag dafür aus, dass das Vertrauern der Bevölkerung in die Organspende gestärkt werden müsse. Dafür müssten einheitliche Standards und deren Kontrolle sowie die Übertragung der Aufsicht auf eine unabhängige staatliche Institution eingeführt werden. Nur so könnten die Spenderzahlen erhöht werden.
Pflicht der Krankenkassen zur neutralen Information
Die gesetzlichen Krankenkassen haben derzeit den Auftrag, ausgewogen, ergebnisoffen und neutral über das Thema der Organspende zu informieren. „Trotz aller Bemühungen gelingt es offensichtlich nicht, nach den Skandalen der Vergangenheit das Vertrauen in das System der Organspende dauerhaft zu erneuern. Das ist für Tausende von Patientinnen und Patienten auf der Warteliste, die dringend auf Spenderorgane warten, eine unerträgliche Belastung“, so Professor Doktor Christoph Straub, Vorstandsvorsitzender der Barmer. Es bleibe eine Daueraufgabe, das Thema Organspende ins Bewusstsein der Menschen zu rücken. Ein neues Organspenderecht könne langfristig neues Vertrauen schaffen.
Der Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages plant, am 25.09.2019 in einer Expertenanhörung über die konkurrierenden Vorschläge zur Reform der Organspende zu beraten.