Gesetzgebung

Reform des EU-Arzneimittelrechts

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Termine Gesetzgebung

  
10.04.2024Beschluss EP-Position zum Pharmapaket
19.03.2024Annahme Änderungsanträge zum Pharmapaket im Ausschuss für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit des EP
13.06.2023Beschluss des Rates zur Annahme der Empfehlungen zur Bekämpfung antimikrobieller Resistenzen
26.04.2023

Vorschlag der EU-Kommission für eine neue Richtlinie und eine neue Verordnung

Vorschlag für eine Empfehlung des Rates zur Bekämpfung von Antibiotikaresistenzen

Wesentliche Inhalte 

Überarbeitung des europäischen Rechtsrahmens für Arzneimittel u. a. mit folgenden Kernelementen:

  • Stärkung der Verfügbarkeit und Sicherstellung des Zugangs zu sicheren, wirksamen und erschwinglichen Arzneimitteln
  • Bewahrung eines innovationsfreundlichen Umfelds für Forschung, Entwicklung und Herstellung von neuen Arzneimitteln in der EU
  • Behebung von Arzneimittelengpässen und Gewährleistung der Versorgungssicherheit
  • Einführung von Investitionsanreizen zur Schaffung eines Binnenmarktes für Arzneimittel
  • Bekämpfung von antimikrobiellen Resistenzen

So positioniert sich die Barmer

Mit einem umfangreichen Reformpaket hat die EU-Kommission kürzlich Vorschläge für eine lang erwartete Revision der seit 20 Jahren geltenden europäischen Arzneimittelgesetzgebung vorgelegt. Ziel der Initiative ist es, allen EU-Bürgerinnen und EU-Bürgern in einem europäischen Binnenmarkt für Arzneimittel den Zugang zu neuen und bezahlbaren Arzneimitteln zu erleichtern.
Um die Verfügbarkeit von Arzneimitteln zu erhöhen, soll die Wettbewerbsfähigkeit und Autonomie der europäischen Pharmaindustrie gestärkt und auf diese Weise systembedingten Lieferengpässen entgegengewirkt werden. Das umfassende Legislativpaket  beinhaltet ebenfalls Vorschläge zur Überarbeitung der Vorschriften für Arzneimittel gegen seltene Erkrankungen sowie für Kinderarzneimittel. Die EU-Kommission schlägt gleichermaßen eine Ratsempfehlung zur Bekämpfung antimikrobieller Resistenzen vor.
Das Arzneimittelpaket ist ein zentraler Baustein der Europäischen Gesundheitsunion, die von der EU-Kommission im Zuge der Corona-Pandemie für einen besseren Gesundheitsschutz und zur Stärkung der Widerstandsfähigkeit der europäischen Gesundheitssysteme ins Leben gerufen wurde. Rat und Europäisches Parlament werden in den kommenden Monaten die Vorschläge der Kommission beraten. 

Mit der Einführung neuer Patentschutzzeiten und einem differenzierten Anreizsystem für pharmazeutische Unternehmen strebt die EU-Kommission einen verbesserten Zugang der Bürgerinnen und Bürger zu Arzneimitteln in der EU an. Geplant ist, dass Pharmahersteller nicht mehr pauschal zehn Jahre Marktexklusivität für ein innovatives Arzneimittel erhalten, sondern nur noch acht Jahre. Unter bestimmten Bedingungen kann die Exklusivitätsdauer verlängert werden, etwa für Arzneimittel, die EU-weit auf den Markt gebracht werden (+ zwei Jahre), einen ungedeckten medizinischen Bedarf decken (+ sechs Monate) oder strenge vergleichende klinische Studien durchlaufen (+ sechs Monate). Im Ergebnis können Unternehmen damit Schutzfristen von bis zu zwölf Jahren erzielen, gegenüber elf Jahren nach derzeitigem Recht. Hersteller von Kinderarzneimitteln und Arzneimitteln gegen seltene Erkrankungen können ebenfalls einen längeren Markenschutz beantragen.

Position der Barmer
Die vorgesehene Änderung bei der Marktexklusivität bedeutet eine wichtige Anpassung des europäischen Arzneimittelrechts an veränderte und immer schneller werdende Innovationszyklen in der Pharmaindustrie. Die beabsichtigten Ausnahmeregelungen, beispielsweise für Arzneimittel, die einen ungedeckten medizinischen Bedarf decken, setzen sinnvolle Anreize zur Verbesserung der Verfügbarkeit von Arzneimitteln in der EU.

Derzeit sind Investitionen in die Forschung und Entwicklung neuer Antibiotika für Pharmaunternehmen aufgrund der strengen Indikationsstellung und der damit verbundenen geringen Absatzchancen oftmals nicht gewinnbringend. Daher schlägt die EU-Kommission die Einführung so genannter übertragbarer Gutscheine („Voucher“) vor, mit denen Antibiotikahersteller ein zusätzliches Jahr an Patentschutz gewinnen können. Die Gutscheine können entweder für ein anderes patentgeschütztes Arzneimittel des eigenen Unternehmens eingesetzt oder einmalig an einen anderen pharmazeutischen Hersteller verkauft werden. Mit diesem Anreizsystem soll das derzeit zu beobachtende Marktversagen im Bereich der Reserveantibiotika gestoppt werden.

Position der Barmer
Die Entwicklung von Reserveantibiotika zur Behandlung von Infektionen durch multiresistente bakterielle Krankheitserreger muss gezielt gefördert werden. Das vorgeschlagene Gutscheinsystem wird allerdings zu hohen Kosten und Wettbewerbsverzerrungen auf dem Pharmamarkt führen. Die Entwicklung neuer Antibiotika ist ein komplexer, multinationaler und globalisierter Prozess. Zur Förderung der Entwicklung von neuen Antibiotika erscheint daher die direkte Finanzierung etwa von universitären Forschungsvorhaben zielführender.

Zur Bekämpfung von Arzneimittelengpässen strebt die EU-Kommission eine verbesserte Zusammenarbeit zwischen nationalen Behörden und der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) an. Damit sollen drohende Engpässe bei kritischen Arzneimitteln früher erkannt und abgemildert werden. Weiterhin sehen die Neuregelungen eine stärkere Einbindung der Pharmaindustrie vor: Diese muss Arzneimittelengpässe früher melden und Pläne zur Vorbeugung erstellen. Als eine zentrale Maßnahme sieht die EU-Kommission die Einführung einer „Liste kritischer Arzneimittel“ vor, auf deren Basis Hersteller dazu verpflichtet werden können, Notfallvorräte anzulegen.

Position der Barmer
Zur Vermeidung von Lieferengpässen ist eine enge Zusammenarbeit auf nationaler und europäischer Ebene wichtig. Zudem muss darauf geachtet werden, dass nationale und europäische Vorhaben in diesem Bereich eng abgestimmt werden, insbesondere vor dem Hintergrund der derzeit laufenden Beratungen zum Gesetzentwurf gegen Arzneimittel-Lieferengpässe. Dringlich ist daneben mehr Transparenz über die Verfügbarkeit kritischer Arzneimittel, damit schneller auf mögliche Engpässe reagiert und Maßnahmen zur Versorgungssicherheit eingeläutet werden können.