Gesetzgebung

Gesetz zur Reform der Notfallversorgung (NotfallGesetz – NotfallG)

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Termine Gesetzgebung

zustimmungsfrei 

17.07.2024Kabinettsbeschluss
07.06.2024Referentenentwurf
15.01.2024Eckpunkte

07.09.2023 

Stellungnahme der Regierungskommission 
„Reform der Notfall- und Akutversorgung: Rettungsdienst und Finanzierung“

13.02.2023 

Stellungnahme der Regierungskommission 
„Reform der Notfall- und Akutversorgung: Integrierte Notfallzentren und integrierte Leitstellen” 

Wesentliche Inhalte des Vorhabens

  • Aufbau von Akutleitstellen der Kassenärztlichen Vereinigungen (116 117) und Vernetzung mit den Rettungsleitstellen (112) 
  • Ausbau der notdienstlichen Akutversorgung, Anpassung Sicherstellungsauftrag Kassenärztliche Vereinigungen
  • Flächendeckende Einrichtung Integrierter Notfallzentren

So positioniert sich die Barmer

Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) plant eine stärkere Vernetzung der Notfallstrukturen aus vertragsärztlichem Notdienst, den Notaufnahmen der Krankenhäuser und den Rettungsleitstellen in den Ländern mit dem Ziel, Patientinnen und Patienten im Notfall schnellstmöglich in die medizinisch geeignete Versorgungebene steuern zu können. Dafür liegt nun ein Referentenentwurf des BMG für ein Gesetz zur Reform der Notfallversorgung vor, der sich in weiten Teilen an den bereits im Januar 2024 veröffentlichten Eckpunkten orientiert. Aktuell befindet sich der Entwurf in der Ressortabstimmung.
Schwerpunkte des Gesetzentwurfs bilden die Vernetzung der Notrufnummern 116 117 und 112, die Versorgung von Patientinnen und Patienten mit ambulantem Behandlungsbedarf vorrangig in den Strukturen der vertragsärztlichen Versorgung sowie die flächendeckende Einrichtung von Integrierten Notfallzentren. 

Position der Barmer
Die im Referentenentwurf angestrebte Vernetzung der Versorgungsbereiche ist ein überfälliger Schritt hin zu einer integrierten Notfallversorgung. Zwingend notwendig wäre jedoch, die Weiterentwicklung der Notfallversorgung mit der Reform der rettungsdienstlichen Strukturen und vor allem der Reform der Krankenhausstrukturen zu verbinden. 
Die Schätzungen des BMG sowohl hinsichtlich der Mehrausgaben in Höhe von 150 Millionen Euro als auch der Einsparungen für die GKV von einer Milliarde Euro erscheinen nicht realistisch. Denn der Aufbau neuer Notfallstrukturen wird zunächst den Einsatz weit höherer Finanzmittel erfordern, und Einsparungen wären erst langfristig zu erwarten. 

Zur Entlastung besonders der Notaufnahmen der Krankenhäuser soll die Erstversorgung von Patientinnen und Patienten mit akutem ambulantem Behandlungsbedarf ausgebaut werden. So sieht der Gesetzentwurf vor, dass die Kassenärztlichen Vereinigungen neben den Terminservicestellen zusätzlich Akutleitstellen einrichten, die die Steuerung der Patientinnen und Patienten in den richtigen Versorgungsbereich übernehmen sollen. Die Akutleitstellen müssen rund um die Uhr sowohl telefonisch unter der Rufnummer 116 117 als auch digital erreichbar sein. Mit Hilfe eines bundesweit einheitlichen standardisierten Ersteinschätzungsverfahrens sollen Hilfesuchende in die medizinisch gebotene Versorgungsebene vermittelt werden, wenn möglich auf dem Wege eines Akuttermins in der vertragsärztlichen Regelversorgung, alternativ in ein telefonisch oder videogestütztes ärztliches Versorgungsangebot. Bei lebensbedrohlichen Notfällen leitet die Akutleitstelle den Anrufer an die Rettungsleitstelle weiter. Grundlage dafür ist eine verpflichtende Kooperation der KV mit der Rettungsleitstelle, wenn diese einen Antrag stellt.

Im Rahmen der notdienstlichen Akutversorgung werden die KVen zudem verpflichtet, rund um die Uhr einen aufsuchenden Dienst anzubieten. Möglich ist dabei der Einsatz von qualifiziertem nichtärztlichem Personal – bei ärztlicher Anordnung und Verantwortung – oder die Einbindung des Rettungsdienstes. Weiterhin sieht der Entwurf die Beteiligung der KVen an der flächendeckenden Einrichtung von Integrierten Notfallzentren (INZ) vor, wo möglich, auch von INZ für Kinder und Jugendliche.

Position der Barmer
Der Ausbau der notdienstlichen Akutversorgung ist ein richtiger Ansatz, denn Patientinnen und Patienten mit ambulantem Behandlungsbedarf sollten vorrangig in den vertragsärztlichen Strukturen versorgt werden. Neben einer Stärkung der ambulanten Versorgung im Notfall ist die Integration der Sektoren im Bereich der Notfallversorgung dringend notwendig. Damit werden die Notfallaufnahmen der Krankenhäuser entlastet, um Notfälle mit schwerwiegenden Erkrankungen zu behandeln. Es ist jedoch fraglich, ob ausreichend Personal und der Wille vorhanden sind, um die umfangreichen zusätzlichen Aufgaben erfüllen zu können. Umso wichtiger ist die Einbindung von qualifiziertem nicht-ärztlichem Personal oder dem Rettungsdienst.

Mit den INZ soll eine sektorenübergreifende Versorgungstruktur geschaffen werden, jeweils bestehend aus einer Notdienstpraxis der KV, der Notaufnahme des Krankenhauses sowie einer zentralen Ersteinschätzungsstelle in Trägerschaft des Krankenhauses. An welchen Klinikstandorten die INZ errichtet werden, bestimmt der erweiterte Landesausschuss. Mindestvoraussetzung soll dabei die G-BA Notfallstufe der Basisnotfallversorgung sein. Werden Krankenhäuser vom Landesausschuss ausgewählt, so sind sie zur Zusammenarbeit mit den KVen verpflichtet. Im Rahmen einer Kooperationsvereinbarung von KV und Krankenhaus müssen sowohl ein gemeinsames Organisationsgremium für die operative Zusammenarbeit im INZ sowie ein sektorenübergreifendes Qualitätsmanagement eingerichtet werden. 
Die Richtlinie des G-BA für das standardisierte digitale Ersteinschätzungsverfahren wird neu gefasst: So sollen Hilfesuchende mit ambulantem Behandlungsbedarf entweder in die Notdienstpraxis oder in eine eng an das Integrierte Notfallzentrum angebundene vertragsärztliche Kooperationspraxis gesteuert werden. Außerhalb der Öffnungszeiten werden die Patienten zur Erstbehandlung in die Notaufnahme des Krankenhauses geleitet. Für Notdienstpraxen werden Mindestöffnungszeiten vorgeschrieben.
Die finanziellen Mittel für die Errichtung und den Betrieb der Akutleitstellen sowie für die Förderung der INZ sollen zu gleichen Teilen von KVen und Kassen aufgebracht werden, auch die private Krankenversicherung wird beteiligt.

Position der Barmer
Die sektorenübergreifende Zusammenarbeit der Versorgungsbereiche im INZ ist für eine gezielte Steuerung der Notfallpatienten notwendig. Dafür ist die Verpflichtung zur Zusammenarbeit zwischen Krankenhäusern und Kassenärztlichen Vereinigungen fundamental wichtig. Die Zuständigkeiten für die Versorgungsbereiche und die Regeln für die Kooperation innerhalb des INZ werden klar benannt, damit können zusätzliche Schnittstellen oder Sektoren vermieden werden. Bei Krankenhausstandorten ohne Basisnotfallstufe muss die Notfallversorgung durch die Kassenärztlichen Vereinigungen sichergestellt werden.
Bezüglich der Finanzierung der notdienstlichen Versorgung muss Transparenz für die Krankenkassen über Art und Höhe der Ausgaben geschaffen werden. 

Wesentliches Element der geplanten sektorenübergreifenden Weiterentwicklung der Notfallversorgung ist – neben der Einrichtung von INZ – die Vernetzung der Notrufnummern von Kassenärztlichen Vereinigungen (116 117) und Rettungsleitstellen (112). Das BMG plant dazu ein gemeinsames Gesundheitsleitsystem auf der Grundlage einer Kooperationsvereinbarung zwischen den Kassenärztlichen Vereinigungen als Trägern der Akutleitstellen und den Trägern der Rettungsleitstellen. Allerdings räumt es in der Begründung des Entwurfs ein, dass der Bundesgesetzgeber nur die Kassenärztlichen Vereinigungen zur Zusammenarbeit verpflichten kann, nicht jedoch den Rettungsdienst in den Ländern. So werden die Kassenärztlichen Vereinigungen zur Zusammenarbeit verpflichtet, wenn die Rettungsleitstellen dies beantragen.

Grundlage für die Zusammenarbeit im Rahmen des Gesundheitsleitsystems soll die digitale Vernetzung der beiden Leitstellen sein. Die Rettungsleitstellen müssen über eine digitale standardisierte Notrufabfrage verfügen. In Abstimmung mit dem bundesweit einheitlichen Ersteinschätzungsverfahren der Kassenärztlichen Vereinigungen sollen übereinstimmende Bewertungen des Gesundheitszustandes der Hilfesuchenden ermöglicht werden. Die erhobenen Daten müssen medienbruchfrei an die jeweils andere Leitstelle übergeben werden können, sodass eine unmittelbare Weiterleitung und Bearbeitung des Akutfalls gewährleistet ist.

Position der Barmer
Durch das Notfallgesetz müssen bundeseinheitliche Vorgaben für die Qualität der Versorgung geschaffen werden. Die Länder sind aufgefordert, diese in ihrer länderspezifischen Gesetzgebung zum Rettungsdienst zu verankern. 
Die Vernetzung der Rufnummern 116 117 und 112 zu einem Gesundheitsleitsystem ist eine grundlegend wichtige Entscheidung. Durch eine qualitativ hochwertige Ersteinschätzung können Patientinnen und Patienten unmittelbar in die richtige Versorgungsebene geleitet werden. Um ein übergreifendes Versorgungsnetzwerk zu schaffen, sollte die Planung der Notfallversorgung über die Grenzen der Stadt- oder Landkreise sowie über Ländergrenzen hinweg erfolgen.