Frau mit Depression auf Sofa

Mitbetroffenheit bei Depressionen: Wenn die Not der anderen zur eigenen wird

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Wenn nahe Verwandte wie zum Beispiel das eigene Kind, die Partnerin oder der Partner unter Depressionen leiden, ist man schnell selbst involviert. Natürlich versuchen Angehörige und Freunde, die betroffene Person nach Kräften zu unterstützen. Doch inwiefern beeinflusst das Leid des geliebten Menschen die eigene Psyche oder die Beziehung? Wir klären auf und geben Tipps zur Selbstfürsorge.

Verwandte, Freunde und Bekannte können die Betroffene oder den Betroffenen beispielsweise dabei unterstützen, einen Online- oder Vor-Ort-Termin für eine psychotherapeutische Sprechstunde zu bekommen. In der Sprechstunde erhalten sie Rat von Expertinnen und Experten sowie eine Einschätzung, ob eine Psychotherapie hilfreich sein könnte, wie notwendig und wie dringend sie ist. Auch können sie helfen, digitale Gesundheitsanwendungen für die geistige Gesundheit zu finden und zu nutzen. Zudem geben die nahestehenden Menschen sensibel Zuspruch und übernehmen Aufgaben, die sonst die oder der andere erledigt hätte.

Helfen kostet Kraft

Allerdings kann die Hilfe auch für die Helferin oder den Helfer zur Kraftanstrengung werden, mit Konsequenzen für das eigene geistige Wohlbefinden. „Eine Depression kann mehrere Monate anhalten oder auch ein Jahr und länger. Für die zur Seite stehenden Verwandten, die Partnerin oder den Partner oder auch die Eltern kann das eine erhebliche Belastung sein. Obwohl sie nicht im Zentrum der Erkrankung stehen, geht diese doch nicht spurlos an ihnen vorbei“, sagt Andrea Jakob-Pannier, Psychologin bei der BARMER. Beim Deutschland-Barometer Depression 2018 der Deutschen Depressionshilfe fühlten sich 73 Prozent der Angehörigen der oder dem Erkrankten gegenüber schuldig. Sie sahen sich für die Erkrankung und Genesung verantwortlich. Da viele Komponenten bei der Entstehung einer depressiven Erkrankung eine Rolle spielen, kann die Erkrankung eines Angehörigen dafür ein mitauslösender oder verstärkender Faktor sein. Wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass Angehörige einer depressiven Person selbst depressiv werden, lässt sich schwer sagen und hängt von verschiedenen Faktoren ab. Kinder depressiver Eltern haben eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für Depressionen und andere Verhaltensauffälligkeiten. Darüber hinaus können etwa die genetische Veranlagung, das allgemein empfundene Stresslevel sowie die verfügbaren eigenen Ressourcen eine Depression begünstigen oder unwahrscheinlicher machen, zum Beispiel das unterstützende soziale Netzwerk oder die eigene Kommunikationsfähigkeit.

Anzeichen einer Mitbetroffenheit und Auswirkungen der depressiven Erkrankung in einer Beziehung

Verschiedene Anzeichen können auf eine Überlastung, eine Depression oder eine Mitbetroffenheit hindeuten. Dazu zählen zum Beispiel allgemeines Desinteresse oder weniger Freude an den Dingen des Alltags, Gefühle von Niedergeschlagenheit, Schwermut und Hoffnungslosigkeit sowie Schlafstörungen. Da nicht jedes Stimmungstief eine Depression ist, bietet sich ein Depressions-Selbsttest an, den beispielsweise die Stiftung Deutsche Depressionshilfe anbietet. Auch andere Anzeichen können darauf hindeuten, dass man durch die Erkrankung der Partnerin, des Partners oder des Kindes belastet ist. Die zuvor gesunde Partnerin oder der Partner, der Elternteil oder das Kind zeigt dann zum Beispiel das übermäßige Bedürfnis, den depressiven Menschen zu kontrollieren, um ihn aus seiner Situation zu befreien. Eigene Bedürfnisse treten in den Hintergrund, weil die ganze Aufmerksamkeit auf die depressive Person gerichtet ist. „Sowohl einige Partnerinnen und Partner als auch Eltern versetzt das Gefühl, für das Wohlbefinden des depressiven Angehörigen verantwortlich zu sein, in Dauerstress. Dies strengt permanent an, schadet der psychischen Gesundheit und kann zu eigenen depressiven Symptomen führen. Im schlimmsten Fall droht ein Teufelskreis zu entstehen, der die Beziehung stark belasten kann“, sagt Jakob-Pannier. In der Umfrage der Deutschen Depressionshilfe gaben 50 Prozent der Befragten an, durch eine Depression Probleme in der Partnerschaft bekommen zu haben. Bei knapp einem Viertel führte sie zur Trennung.

Vorbeugung und Umgang mit der eigenen Belastung

Um einer Überlastung vorzubeugen, muss auf die eigene psychische Gesundheit geachtet werden. „Es ist wichtig, sich bewusst zu machen, dass man nicht die Verantwortung für die Depression des Partners trägt. Dem Partner einfühlsam beiseite zu stehen ist richtig, aber die medizinische Behandlung und psychologische Therapie muss den Profis überlassen werden. Auch Grenzen zu setzen und sich selbst zu schützen ist entscheidend. Angehörige sollten versuchen, ihr Leben trotz der widrigen Umstände so gut es geht zu leben, also weiterhin Freunde zu treffen und manchmal abends auszugehen, auch ohne die betroffene Person. Die Beziehung sollte auf Gegenseitigkeit und Unterstützung ausgerichtet sein statt auf übermäßige Abhängigkeit“, sagt Jakob-Pannier.

Unbedingt Hilfe suchen

Der wichtigste Schritt sowohl bei einer Depression als auch bei einem Überlastungszustand ist es, sich frühzeitig professionelle Hilfe zu suchen. Anlaufstellen sind zum Beispiel die Telefonseelsorge unter der Rufnummer 0800 1110111 oder die Nummer gegen Kummer, die für Eltern unter 0800 1110550 und für Kinder und Jugendliche unter 116 111 zu erreichen ist. Bei Verdacht auf eine Depression kann man sich direkt an eine Psychotherapeutin oder einen Psychotherapeuten wenden. Termine für ein psychotherapeutisches Erstgespräch vermittelt auch der Terminservice der Kassenärztlichen Bundesvereinigung unter der Rufnummer 116 117. Unter Umständen lehnt die Partnerin oder der Partner die Idee einer Psychotherapie zunächst ab. Hier kann es helfen, sie oder ihn mit zeitlichem Abstand immer wieder dazu zu ermuntern, die Depressionen mit professioneller Hilfe zu behandeln, Unterstützung bei der Terminvereinbarung anzubieten und die oder den Betroffenen bei dem Termin zu begleiten.

Depressionen als Krankheit verstehen

Darüber hinaus ist es sinnvoll, sich grundsätzlich über die Erkrankung von Depressionen zu informieren. „Das Krankheitsbild einer Depression zu verstehen verringert die Gefahr von Missverständnissen und beiderseitig verletzten Gefühlen. Und auch wenn es schwerfällt, hilft es sehr, sich in Geduld mit der Partnerin, dem Partner oder dem Kind zu üben. Eine Depression verschwindet nicht von einem Tag auf den anderen, sondern in Trippelschritten. Hier ist Durchhaltevermögen gefragt“, so Jakob-Pannier. Die Unterstützung von Selbsthilfegruppen ist ebenfalls sehr nützlich, um sich mit anderen in ähnlichen Situationen auszutauschen. Sie sind unter anderem zu finden auf den Internetseiten des Bundesverbands der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen e. V. oder unter nakos.de. Darüber hinaus bietet diskussionsforum-depression.de ein Forum für Betroffene und Angehörige, um sich digital zu vernetzen und sie damit bei der Bewältigung ihrer Depression unterstützen. Junge Menschen zwischen 14 und 25 Jahren können sich unter fideo.de über die Erkrankung Depression informieren und mit anderen Betroffenen austauschen.