Ohne Frage kann das Familienleben sehr belastend sein. Doch wenn die Kinder groß sind und ausziehen, bringt das den Eltern manchmal nicht die gewünschte Erleichterung. Stattdessen machen sich Trauer und Leere breit – ein neuer Lebensabschnitt beginnt. Wie kann man sich darauf vorbereiten? Wie gestalten Eltern die neuen Freiräume am besten?
Jahre lang war das Haus voller Trubel, und plötzlich ist es still. Die Kinder sind ausgezogen. Aufgaben und Pflichten, aber auch Freuden und Konflikte, die bislang den Alltag bestimmt haben, sind mit einem Mal verschwunden. Und auch wenn sich die Eltern jahrelang diese Ruhe herbeigesehnt haben, ist sie plötzlich unangenehm und belastend. „Manchen Müttern und Vätern fällt diese Umstellung besonders schwer“, weiß Andrea Jakob-Pannier, Psychologin bei der BARMER. In der Wissenschaft ist dieser Prozess bekannt als sogenanntes Empty-Nest-Syndrom. Dies bezeichnet genau diesen Gefühlsspagat, wenn das einzige oder letzte Kind aus dem elterlichen Zuhause auszieht. Die Eltern fühlen sich einsam und müssen ihre neue Rolle erst akzeptieren. „In dieser Lebenssituation auch Trauer zu empfinden, ist völlig normal“, so Jakob-Pannier. Sollte dieser Zustand jedoch länger anhalten, ist es ratsam, sich Hilfe zu holen.
Als Paar zusammenwachsen
Wichtig ist es, die neue Situation auch eine Chance zu betrachten und sich möglichst langfristig darauf vorzubereiten, betont die Psychologin. Bislang drehte sich der gesamte Alltag um das Kind. Nun können die Eltern auch wieder ein Paar sein. Man kann sich gemeinsame Hobbys suchen und Interessen entdecken. „Wichtig ist, dass die Erfahrungen mit dem Empty-Nest-Syndrom sehr individuell sind. Es gibt kein richtig und kein falsch, jeder muss seinen eigenen Weg finden. Besonders schön ist es jedoch, wenn die Eltern wieder als Paar zusammenfinden und ihre Beziehung neu definieren“, sagt Jakob-Pannier.
Freundschaften wiederbeleben
Doch wichtig ist es auch, die eigenen vier Wände zu verlassen. Dafür ist es schön, Freundschaften wiederzubeleben oder auch ein Ehrenamt zu beginnen. Im Vordergrund sollte aber die Selbstfürsorge stehen. Sie bildet einen wichtigen Pfeiler bei der Bewältigung von Einsamkeit. Dazu gehören ausreichend Schlaf genauso wie eine gesunde Ernährung und körperliche Aktivität. Mit einem gemeinsamen Tanzkurs kann man zum Beispiel gleich mehrere Punkte verbinden, vielleicht sogar gemeinsam mit Freunden. Auch eine gemeinsame Reise kann eine gute Hilfe gegen das Empty-Nest-Syndrom sein. Ein anderer wichtiger Aspekt ist, dass Eltern ihr ganzes Leben lang Eltern bleiben, also auch dann den Kontakt nicht abreißen lassen, wenn die Kinder ausgezogen sind. Auch darin sieht Jakob-Pannier vor allem eine Chance, sich nicht einsam zu fühlen. „Kontakt halten, gemeinsame Zeit mit den Kindern verbringen, als Ratgeber und praktischer Helfer weiter ansprechbar zu sein – all das lässt Einsamkeit gar nicht erst aufkommen.“
Hilfe suchen
Wenn das Ausziehen der Kinder mit einem weiteren Einschnitt im Leben zusammenfällt, wie zum Beispiel dem Renteneintritt, kann das für das betroffene Elternteil manchmal Stress verursachen. „In jedem Alter sind Stressbewältigungsstrategien sehr hilfreich, wie autogenes Training, Yoga und progressive Muskelentspannung“, betont Jakob-Pannier. Sollten länger anhaltende Angst, depressive Symptome oder psychosomatische Beschwerden hinzukommen, ist es ratsam, sich psychologische Unterstützung zu suchen. Auch digitale Angebote können helfen, mehr Entspannung in den Alltag zu bringen und besser mit Stress umzugehen. Die BARMER fördert hierzu verschiedene Online-Kurse zur Stärkung der psychischen Gesundheit. Es gibt aber auch Selbsthilfegruppen für die sogenannten Empty-Nester. Diese finden sich oft vor Ort, aber auch online gibt es inzwischen viel Unterstützung von anderen Betroffenen.