Cybermobbing betrifft viele Kinder und Jugendliche aus Mecklenburg-Vorpommern. Mindestens jede/ jeder zweite Jugendliche im Land hat bereits Erfahrungen mit Cybermobbing gemacht, sei es als Opfer, Täter oder Beobachter. Das ist ein Ergebnis der aktuellen BARMER Jugendstudie. Was Mobbing im Internet mit einer Krankenkasse zu tun hat, welche Entwicklungen hier durch Corona zu erwarten sind und was Eltern tun können, wenn ihre Kinder von Cybermobbing betroffen sind, erklärt BARMER-Landeschef Henning Kutzbach im Interview.
Warum beschäftigt sich eine Krankenkasse mit dem Thema Cybermobbing?
Henning Kutzbach: Cybermobbing ist zu einer bedeutenden Gesundheitsgefahr geworden. Aus vorherigen Studien wissen wir, dass Mobbing bei den Betroffenen zu Depressionen und Suchtverhalten führen kann. Wir als BARMER befürworten eine verantwortungsvolle und gesunde Digitalisierung und wollen diese vorantreiben. Deshalb müssen wir uns auch den damit verbundenen Problemen stellen und alles Erforderliche tun, um Cybermobbing und seine Folgen einzudämmen.
Welche Gesundheitsfolgen gibt es denn im Umgang mit digitalen Medien? Welche gesundheitlichen Auswirkungen kann Cybermobbing haben?
Fast alle der 12- bis 19-Jährigen (97 Prozent) besitzen ein Smartphone. Studien belegen, dass Jugendliche pro Woche etwa 58 Stunden online sind. Ausreichend Zeit also, um sich Fotos und Nachrichten zu senden, zu zocken oder – leider auch – Cybermobbing zu betreiben. Der ständige Zugriff auf Handys bzw. digitale Medien kann zu Suchtverhalten führen. Zahlreiche Studien zeigen, dass Handyaktivität dazu führt, dass der Botenstoff Dopamin im Gehirn ausgeschüttet wird, wodurch wir uns motiviert und glücklich fühlen. Wenn der Dopamin-Spiegel sinkt, ist man schnell verleitet, wieder aufs Handy zu schauen. Dadurch kann eine Suchtspirale in Gang gesetzt werden. Der übermäßige Gebrauch von Smartphone und Co. kann zudem moderne Krankheiten wie etwa den „Handynacken“ verursachen oder auch Übergewicht durch Bewegungsmangel begünstigen.
Mobbing ist ein Thema, was ja auch außerhalb digitaler Medien stattfindet. Im Rahmen von Online-Medien spricht man dann von Cybermobbing. Problematisch ist, dass Mobbing online zeit- und ortsunabhängig stattfinden kann und nicht beispielsweise auf den Schulalltag begrenzt ist. So haben Mobbing-Opfer oftmals keine Möglichkeit, sich der Schikane zu entziehen. Für die Betroffenen ist es psychisch sehr belastend, da es quasi keinen Rückzugsort mehr gibt.
Eine weitere Schwierigkeit besteht darin, dass Cybermobbing anonym stattfinden kann, Opfer damit keinen Täter anklagen können. Die Anonymität im Netz führt oftmals auch dazu, dass die Kommunikation noch aggressiver ist. Bei vielen Tätern ist hier die Hemmschwelle niedriger, weil man dem Opfer nicht gegenübersteht.
Cybermobbing führt bei den Opfern vorrangig zu Stress. Diese Stressbelastung kann sich negativ auf das seelische und körperliche Wohlbefinden auswirken. Diese kann sich u.a. in Angespanntheit, Nervosität, Übelkeit, Kopfschmerzen, Schlafstörungen oder Alpträume äußern. Auch psychische Erkrankungen wie Depressionen oder Angststörungen können ausgelöst werden. Im schlimmsten Fall kann es zum Suizid kommen.
Corona und Cybermobbing – Welche Entwicklung erwarten Sie hier?
Die Frage, ob es durch Corona mehr oder weniger Cybermobbing gibt, lässt sich sicher nicht abschließend beantworten bzw. war das auch nicht explizit Teil unserer Studie. Da durch die Hygiene-Auflagen Unterricht vermehrt digital stattgefunden hat und stattfinden wird, lässt sich vermuten, dass es auch immer mehr Cybermobbing gibt bzw. geben wird. Alleine schon deshalb, weil Jugendliche viel mehr Zeit online verbringen. Hier ist es natürlich auch an den Schulen, ihren Schülerinnen und Schülern einen sensiblen Umgang mit digitalen Medien beizubringen. Als Krankenkasse unterstützen wir die Schulen in der Region mit verschiedenen Präventionsangeboten. U.a. können interessierte Schulen mit uns einen Gesundheitstag machen, bei dem es z.B. um das Thema gesunder Umgang mit neuen Medien geht.
Was raten Sie Betroffenen? Gibt es Tipps für Eltern?
Das Wichtigste ist, dass sich von Cybermobbing betroffene Kinder oder Jugendliche jemandem anvertrauen. Oftmals haben Opfer das Gefühl, an Mobbing selbst Schuld zu sein. Eltern sollten aufmerksam werden, wenn sich ihr Kind plötzlich zurückzieht, keine Freunde mehr trifft oder nicht mehr in den Sportverein geht. Möchte das Kind über sein Problem reden, ist es wichtig, dass Eltern signalisieren, dass sie Rückhalt geben und gemeinsam eine Lösung gefunden wird. Eine häufige Reaktion bei Cybermobbing ist, dass Betroffene sich nicht trauen, darüber zu sprechen. Unter anderem aus Scham und auch aus Angst, ihr Handy abgeben zu müssen. Eltern sollten die Schule, die Eltern der Täter und – wenn diese Maßnahmen nicht helfen – durchaus auch die Polizei kontaktieren. Cybermobber dürfen nicht aus Rücksicht auf ihre Identität geschützt werden!
Es gibt zudem zahlreiche kostenlose Hilfsangebote, an die sich Mobbingopfer und auch ihre Eltern wenden können. Dazu gehört z.B. krisenchat.de, Cybermobbing-Hilfe e.V. oder die Nummer gegen Kummer. Kostenlose Anlaufstellen bei Cybermobbing haben wir hier zusammengestellt: www.barmer.de/a005559.
Was tun Sie als Krankenkasse gegen Cybermobbing?
Die BARMER will junge Menschen und ihre Eltern auf die Gefahren von Cybermobbing aufmerksam machen und zeigen, was sie dagegen unternehmen können. Um erfolgreich gegen Cybermobbing vorzugehen, sind aktuelle und präzise Informationen über die Verbreitung von Cybermobbing unerlässlich. Deshalb hat die BARMER auch die Studie durchführen lassen.
Die BARMER kooperiert zudem mit mehreren zivilgesellschaftlichen Organisationen, um gemeinsam mehr gegen Cybermobbing zu erreichen. Dazu gehört z.B. der Verein Cybermobbing-Hilfe e. V. oder auch krisenchat.de. Letzteres ist ein Portal, dass für Kinder und Jugendliche kostenlose Beratung in Notsituationen anbietet, rund um die Uhr per SMS oder WhatsApp, ohne Anmeldung und Registrierung. Hier helfen geschulte ehrenamtliche Krisenberater aus Psychotherapie, Psychologie, Sozialpädagogik oder soziale Arbeit schnell weiter.
Im Auftrag der BARMER hat das Sinus-Institut im Oktober 2021 eine Online-Befragung unter Jugendlichen zwischen 14 und 17 Jahren durchgeführt. Themen der repräsentativen Befragung waren:
- Zukunftsoptimismus und Lebenszufriedenheit
- Persönliches Befinden in der Corona-Pandemie
- Konsequenzen der Corona-Krise für das eigene Leben
- Cybermobbing
- Klimawandel & Gesundheit
- Digitales Gesundheitsinformationsverhalten
(Bundesweit wurden mehr als 2.000 Jugendliche befragt).
Die gesamte Studie ist hier abrufbar.
- Cybermobbing ist im Jugendalltag weit verbreitet: Ob als Täter, Opfer oder Beobachter haben über die Hälfte (51 Prozent) der Jugendlichen aus Mecklenburg-Vorpommern Erfahrungen mit Cybermobbing gemacht.
- Fast 40 Prozent der befragten Jugendlichen aus MV gaben an, dass sie schon einmal bei jemand anderem mitbekommen, dass er*sie von Cybermobbing persönlich betroffen war.
- Mehr als sechs Prozent sagten, dass sie schon einmal selbst Opfer von Cybermobbing gewesen sind.
- Fünf Prozent gaben an, dass sie selbst schon einmal jemanden online gemobbt haben.
- Laut Aussage der Jugendlichen findet Cybermobbing am häufigsten via WhatsApp (69 Prozent) statt, gefolgt von Facebook (28 Prozent) und Instagram (24 Prozent).
- Cybermobbing tritt am häufigsten in Form von Beleidigungen (bei 79 Prozent der Fälle) auf, gefolgt von dem Streuen von Gerüchten (44 Prozent) sowie dem Ausschluss aus WhatsApp-Gruppen, Freundeskreisen etc. (30 Prozent).
- In knapp 89 Prozent der Fälle, in denen Jugendliche aus MV Opfer von Online-Mobbing wurden, waren die Eltern ihre erste Anlaufstelle (bundesweit höchster Wert!), um Hilfe zu bekommen.
- Bei der Frage, was getan werden sollte, um Cybermobbing zu vermeiden, sagten mehr als 50 Prozent der Befragten, dass das Thema noch stärker in der Schule behandelt werden sollte.
- Tipps zum Umgang mit Cybermobbing: www.barmer.de/a005348
- Hilfs- und Informationsangebote bei Cybermobbing: www.barmer.de/a005559