Im Krankheitsfall ist eine Orientierung im hochkomplexen deutschen Gesundheitssystem nicht immer leicht. Patientinnen und Patienten nutzen bereits ein breites Angebot an öffentlich zugänglichen Informationen, doch häufig erreicht es gerade diejenigen nicht, die es am dringendsten brauchen. Ein umfassendes Versorgungsmanagement kann hier helfen. Im Sinne der Patientinnen und Patienten benötigen die Krankenkassen deshalb mehr Möglichkeiten für die gezielte, individuelle Beratung und Unterstützung.
Die gesetzlichen Krankenkassen verfügen über eine große Expertise in der gesundheitlichen Versorgung. Im Rahmen des Versorgungsmanagements können Krankenkassen die Patientinnen und Patienten darin unterstützen, die für sie optimale Versorgungsform zu finden. Damit kann einer Verschlechterung ihrer gesundheitlichen Situation entgegengewirkt und ihre Gesundheitskompetenz gestärkt werden.
Den Krankenkassen sollte daher ermöglicht werden, ihre Versicherten aktiv über die individuelle Inanspruchnahme medizinischer, pflegerischer, gesundheitsfördernder und sozialer Hilfen zu informieren und zu beraten. Hierzu muss Rechtssicherheit im Versorgungsmanagement geschaffen werden, so dass eine personalisierte langfristige Unterstützung durch die Kassen möglich wird.
Das Barmer-Modellprojekt „Corona-Lotse“ hat diesen Gedanken zu Beginn der Corona-Pandemie aufgegriffen: Ziel war es, Versicherten, die auf Grund ihres Alters oder ihrer Vorerkrankungen zur COVID-19-Risikogruppe gehören, zu gesundheitlichen Risiken und über mögliche Verhaltensanpassungen zu informieren. Auch aktive Unterstützungsleistungen, wie die Organisation der Medikamentenversorgung oder die Vermittlung von Angeboten etwa für die Tagespflege oder Krankengymnastik konnten über den „Corona-Lotsen“ zur Verfügung gestellt werden und wurden von den Versicherten gerne angenommen.
Besonders Menschen mit komplexem Behandlungsbedarf, wie etwa geriatrische Patientinnen und Patienten, sind häufig auf Unterstützung angewiesen, um im für sie unübersichtlichen Gesundheitssystem die notwendigen Versorgungsleistungen zu erhalten. Dabei müssen alle Möglichkeiten für eine kontinuierliche Versorgung der Patientinnen und Patienten genutzt werden. Das setzt die Zusammenarbeit der verschiedenen Gesundheitsberufe zwischen den unterschiedlichen Sektoren im Gesundheitswesen voraus. Diese Unterstützung können Case Manager leisten, indem sie die Versorgungsleistungen für Patientinnen und Patienten koordinieren und diese engmaschig betreuen. Das Case Management umfasst aber auch die Förderung der gesundheitlichen Eigenkompetenz und Eigenverantwortung. Bislang besteht allerdings kein gesetzlicher Anspruch auf ein Case Management.
Qualifizierte Fachkräfte in einer Praxis, einem Ärztenetz oder in einer Krankenkasse müssen als Case Manager im Rahmen der Delegation den individuellen Unterstützungsbedarf der Patientinnen und Patienten koordinieren und sie zielgerichtet an andere Leistungserbringer weiterleiten dürfen. Hierzu ist eine enge Abstimmung unter ärztlichen und nichtärztlichen Leistungserbringern notwendig.
Die so genannten U- und J-Untersuchungen zur Früherkennung von Krankheiten zählen zu den wichtigsten gesundheitlichen Präventionsmaßnahmen im Kindes- und Jugendalter. Aufgrund der Regelmäßigkeit und der hohen Teilnahmebereitschaft bieten diese Untersuchungen einen guten Ansatzpunkt für Präventionsmaßnahmen. Um gesundheitlich gefährdete Kinder und Jugendliche frühzeitig zu erreichen, sollten Ärztinnen und Ärzte zur Ausstellung eines Präventionsrezeptes verpflichtet werden, wenn sie gesundheitliche Auffälligkeiten feststellen. Die Krankenkassen können dann die Betroffenen zielgerichtet unterstützen.
Gesundheitskompetenz muss schon im Kindesalter erlernt werden. Deshalb ist es sinnvoll, das Thema verbindlich in den Schullehrplänen zu verankern. Die Verpflegung in Kita und Schule trägt wesentlich zur Gesamtenergie- und Nährstoffaufnahme von Kindern und Jugendlichen bei. Das gemeinsame Essen in Kita und Schule bietet eine gute Gelegenheit, ein gesundes Essverhalten zu erlernen und damit Übergewicht oder Mangelernährung sowie möglichen Folge- und Begleiterkrankungen vorzubeugen. Dazu gehört auch, verpflichtende Standards für eine gesunde Kita- und Schulverpflegung zu etablieren.
Mit der deutschlandweit größten Ernährungsinitiative für Kinder „Ich kann kochen!“, fördert die Barmer in Kooperation mit der Sarah Wiener Stiftung seit 2016 das Thema gesunde Ernährung bei Kindern.
Mit der Einrichtung eines digitalen Krebs-Früherkennungspasses kann ein niedrigschwelliges Angebot für gesetzlich Versicherte geschaffen werden, verstärkt Maßnahmen der Krebsvorsorge und -früherkennung in Anspruch zu nehmen. Perspektivisch sollten auch von der Ständigen Impfkommission empfohlene Impfungen in den Früherkennungspass einbezogen werden.
Bei der Nutzung des digitalen Früherkennungspasses würden die Versicherten mittels einer App ihrer Krankenkasse an Krebsvorsorge- und Früherkennungsuntersuchungen erinnert werden und Einladungen zu den anstehenden Untersuchungen erhalten. Wichtig ist dabei die Verknüpfung mit der elektronischen Patientenakte. Nehmen Versicherte die gesetzlichen Vorsorge- und Früherkennungsuntersuchungen regelmäßig wahr, könnte dies zudem durch einen Bonus honoriert werden.