Aktuelle Gesetzgebung

Gesetz zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung (Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz – GVWG)

Lesedauer unter 8 Minuten

Abgeschlossen und in Kraft getreten

Termine Gesetzgebung



20.07.2021Inkrafttreten
25.06.2021 2. Durchgang Bundesrat
11.06.20212./3. Lesung Bundestag
07.06.2021Anhörung im Gesundheitsausschuss
12.04.2021Anhörung im Gesundheitsausschuss
26.02.20211. Lesung Bundestag
12.02.20211. Durchgang Bundesrat
16.12.2020Kabinettsbeschluss
23.10.2020Referentenentwurf

Wesentliche Inhalte des Gesetzes

  • Verschärfung von Mindestmengenregelungen im Krankenhaus, Ausnahmen nur noch im Einvernehmen mit den Krankenkassen
  • Stärkung von Qualitätsverträgen zwischen Kassen und Krankenhäusern
  • Neuregelungen zum Pflegebudget bei der Personalbemessung und den Pflegpersonaluntergrenzen
  • Bereinigung der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung aus dem TSVG
  • Folgegutachten Morbi-RSA zu Auslandsversicherten und Krankengeld
  • Ersteinschätzungsverfahren für die ambulante Notfallversorgung im Krankenhaus
  • Einschränkung der Datenerhebung der Krankenkassen bei Arbeitsunfähigkeit
  • Bundesweite Modellvorhaben zur Genomsequenzierung bei seltenen Erkrankungen
  • Ergänzender Bundeszuschuss an den Gesundheitsfonds (7 Mrd. Euro für 2022), kann per Rechtsverordnung  mit Zustimmung des Bundestag bis Jahresende erhöht werden 
  • Reform der Pflegeversicherung: unter anderem Anhebung Beitragssatz SPV Kinderlose, Bund übernimmt Rentensicherungsbeiträge für Pflegende, gestaffelte Begrenzung der Eigenanteile für stationär Pflegebedürftige, pauschale Beteiligung der GKV an Kosten für medizinische Behandlungspflege

So positioniert sich die Barmer

Trotz großer Differenzen haben sich die Koalitionsfraktionen auf weitreichende Änderungen für die Pflegeversicherung geeinigt. Besonders den Neuregelungen im Bereich der Pflegefinanzierung gingen langwierige Verhandlungen der Ressorts für Gesundheit, Finanzen sowie Arbeit und Soziales voraus. Viele der jetzt beschlossenen Regelungen waren bereits Bestandteil eines Arbeitsentwurfs für eine Pflegereform des Bundesgesundheitsministeriums. Sie wurden in Form von Änderungsanträgen in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht. Eingang in das GVWG haben so unter anderem die pauschale Übernahme von Kosten für medizinische Behandlungspflege durch die GKV ab dem 01.01.2022 oder der neue Leistungsanspruch auf Übergangspflege im Krankenhaus gefunden. Weitere zentrale Regelungen sind:

Abrechnung mit den Pflegekassen nur bei tariflicher Entlohnung

Pflegeeinrichtungen sollen in Zukunft nur noch dann zugelassen werden, wenn sie ihre Pflegekräfte nach Tarif bezahlen. Deshalb dürfen die Pflegekassen ab 01.09.2022 Versorgungsverträge nur noch mit solchen Pflegeeinrichtungen abschließen, die ihren Pflege- und Betreuungskräften eine Entlohnung zahlen, die in Tarifverträgen oder kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen vereinbart ist. Diese Regelung war bis zuletzt strittig zwischen BMG und BMAS. Laut Bundesgesundheitsminister Spahn wird die Neuregelung vor allem in den östlichen Bundesländern zu höheren Einkommen der Beschäftigten in der Altenpflege führen.

Position der Barmer

Die Regelung setzt einen starken Anreiz, attraktivere Löhne in der Altenpflege zu zahlen. Dies ist auch deshalb notwendig, um eine Abwanderung der Fachkräfte in die besser bezahlte Krankenpflege zu verhindern.


Bundeszuschuss zur sozialen Pflegeversicherung

Ab dem Jahr 2022 wird sich der Bund an den Aufwendungen der Sozialen Pflegeversicherung beteiligen. Dazu wird er jährlich einen pauschalen Zuschuss in Höhe von einer Milliarde Euro an den Pflege-Ausgleichsfonds zahlen. Der Zuschuss fällt weit geringer aus als noch im Arbeitsentwurf des BMG zur Pflegereform im März 2021 geplant. Hier waren insgesamt über fünf Milliarden Euro an Steuermitteln vorgesehen. Darin enthalten waren 2,6 Milliarden Euro für die Übernahme der Rentenversicherungsbeiträge für Pflegende – eine Regelung, die im Finanzierungspaket nicht mehr enthalten ist. Verzichtet wird auch auf die ursprünglich geplante Beteiligung der Länder an der Übernahme eines Teils der Investitionskosten

Position der Barmer

Der regelmäßige Bundeszuschuss an die Pflegeversicherung ist wichtig, jedoch viel zu niedrig, um damit zum Beispiel die Rentenversicherungsbeiträge für Pflegende finanzieren zu können. Deshalb muss die nächste Bundesregierung die Einnahmebasis der Pflegeversicherung verbreitern. Um die Finanzierung der Pflegeversicherung zu sichern und die Pflegebedürftigen finanziell zu entlasten, ist die vollständige Übernahme der Investitionskosten in der Pflege durch die Bundesländer zwingend notwendig.


Entlastung von Eigenanteilen ab dem ersten Tag in der Pflegeeinrichtung
Künftig erhalten Pflegebedürftige, die in einem Pflegeheim leben, zu ihrem pflegebedingten Eigenanteil einen gestaffelten Leistungszuschlag. Der Eigenanteil für die reinen Pflegekosten soll für bis zu 12 Monate um fünf Prozent verringert werden. Die Pflegekasse zahlt den Abschlag dabei direkt an das Pflegeheim. Im zweiten Jahr beträgt die Entlastung 25 Prozent, im dritten Jahr 45 Prozent und nach dem 36. Monat 70 Prozent. Ursprünglich war die Entlastung erst ab dem zweiten Jahr geplant. Die Regelungen werden zum 01.01.2022 verpflichtend für die Pflegekassen und damit sechs Monate später als ursprünglich vorgesehen.

Position der Barmer

Die gestaffelte Entlastung der Pflegebedürftigen bei den pflegebedingten Eigenanteilen ist im Sinne der Betroffenen und ihrer Angehörigen nachvollziehbar. Auf die Pflegekassen kommen dadurch in den nächsten Jahren jedoch Ausgaben in Milliardenhöhe zu, die nicht ausreichend gegenfinanziert sind.


Regelungen zur Dynamisierung der Pflegeleistungen

Zur Dynamisierung der Pflegeleistungen werden ab dem 01.01.2022 die ambulanten Pflegesachleistungen einmalig um fünf Prozent und die Leistungen der Kurzzeitpflege einmalig um zehn Prozent erhöht. In diesem Zusammenhang wies Bundesgesundheitsminister Spahn darauf hin, dass auch die Begrenzung der Eigenanteile in stationären Pflegeeinrichtungen als Dynamisierung der Leistungen anzusehen sei und deshalb in die Gesamtrechnung zur Finanzierung der Pflegereformmaßnahmen einfließe.
In ihrem Arbeitsentwurf für eine Pflegereform hatte die Koalition noch eine Dynamisierung aller Pflegeleistungen in Höhe von fünf Prozent in Aussicht gestellt. Obwohl die Dynamisierung aller Leistungen nun nicht umgesetzt wird, führt das BMG den Betrag von 1,8 Milliarden Euro als größten Block zur Gegenfinanzierung für die beschlossenen Reformschritte an.

Position der Barmer

Die mit dem GVWG beschlossene Anpassung einzelner Leistungsbeträge in der Pflegeversicherung ist nicht ausreichend. Außerdem kann die Gegenfinanzierung dieser Maßnahmen durch eine nicht zur Umsetzung gekommene Dynamisierung aller Leistungen nicht überzeugen.
Notwendig ist eine sichere Finanzierung der Pflegeversicherung. Der dafür notwendige Steuerzuschuss sollte verstetigt werden und im Gleichschritt mit den Ausgaben der Sozialen Pflegeversicherung regelmäßig steigen.

Vor dem Hintergrund der angespannten Finanzlage der Krankenkassen und der Zusage der Bundesregierung, die Sozialversicherungsbeiträge insgesamt nicht über 40 Prozent steigen zu lassen („Sozialgarantie“), wollen die Koalitionspartner den durchschnittlichen Zusatzbeitragssatz der gesetzlichen Krankenkassen weiterhin bei 1,3 Prozent stabilisieren. Dazu soll im Jahr 2022 ein ergänzender Bundeszuschuss in Höhe von sieben Milliarden Euro an den Gesundheitsfonds gezahlt werden. Dieser kann durch eine Verordnung des BMG nach Zustimmung des Bundesfinanzministeriums und mit Beschluss des Bundestages erhöht werden.
Weiterhin ist eine Entlastung des Gesundheitsfonds für das Jahr 2022 vorgesehen: Verfügt dieser nach Ablauf des Geschäftsjahrs 2021 über Finanzmittel, die die Mindestreserve überschreiten, so werden diese in die Einnahmen des Gesundheitsfonds für das Jahr 2022 überführt und damit zur Minderung der prognostizierten Finanzierungslücke der GKV im Jahr 2022 verwendet.

Position der Barmer

Es ist notwendig, dass der Bundestag noch vor der Bundestagwahl im September 2021 über eine Erhöhung des ergänzenden Bundeszuschusses für 2022 entscheidet. Ansonsten können die Krankenkassen eine rechtzeitige Aufstellung der Haushalte nicht gewährleisten.

Bereits im Referentenentwurf des Gesetzes war vorgesehen, die bestehenden Mindestmengen-Regelungen für bestimmte Leistungen im Krankenhaus zu verschärfen. So sollten sämtliche Ausnahmeregelungen, die die Länder anwenden können, gestrichen werden. Dies hat in der Vergangenheit dazu geführt, dass Krankenhäuser weiterhin Leistungen erbringen durften, obwohl sie die entsprechende Mindestmenge nicht erreicht hatten. In einem Änderungsantrag wurde diese Regelung nun verändert: So können die Länder weiterhin Ausnahmen von den Mindestmengenvorgaben des Gemeinsamen Bundesausschusses vorsehen, wenn sonst die flächendeckende Versorgung der Bevölkerung gefährdet würde. Über Ausnahmen von der Mindestmengenregelung entscheidet künftig die Landesbehörde auf Antrag des Krankenhauses im Einvernehmen mit den Landesverbänden der Krankenkassen und den Ersatzkassen. Die Aussetzung von Mindestmengenvorgaben ist jeweils auf ein Jahr befristet und muss danach neu beraten werden.

Position der Barmer

Damit die bundesweiten Qualitätsvorgaben in der Krankenhausversorgung stringent umgesetzt werden, wäre die ursprünglich vorgesehene Streichung aller Ausnahmetatbestände von den Mindestmengenregelungen konsequenter gewesen.
Dass die Landesbehörden zukünftig nur im Einvernehmen mit den Krankenkassen Ausnahmeentscheidungen gewähren können, ist dennoch sinnvoll. Die Kostenträger erhalten damit ein verbindliches Mitspracherecht im Rahmen der Krankenhausplanung. Auch wenn dieses Mitspracherecht nur auf die Mindestmengenregelung begrenzt ist, handelt es sich um einen Schritt in die richtige Richtung und um eine Hürde, Ausnahmeentscheidungen nicht willkürlich anzuwenden.

Mit einer weiteren Regelung werden die Krankenkassen verpflichtet, ab 01.01.2023 in jedem Bundesland mindestens ein Modellvorhaben durchzuführen, mit dem die eigenverantwortliche Ausübung von Heilkunde durch Pflegekräfte erprobt werden soll. Damit kommt der Gesetzgeber einer Forderung der Konzertierten Aktion Pflege nach. Die Pflegekräfte müssen dafür eine geeignete Zusatzqualifikation besitzen, die bereits im Pflegeberufegesetz beschrieben wird.
Der GKV-Spitzenverband und die für die Wahrnehmung der Interessen von Pflegediensten maßgeblichen Spitzenorganisationen auf Bundesebene sowie die Kassenärztliche Bundesvereinigung vereinbaren dazu bis 31.03.2022 einen Rahmenvertrag. Darin wird ein Katalog ärztlicher Tätigkeiten festgelegt, welche von Pflegekräften selbständig durchgeführt werden können. Erklärtes Ziel der Regelung ist dabei, die Versorgung im Rahmen der Heilkundeübertragung wirtschaftlich zu gestalten und einen Schwerpunkt auf interprofessionelle Zusammenarbeit zu legen.
Die Modellvorhaben werden auf jeweils vier Jahre befristet. Wird ein Projekt als erfolgreich betrachtet, so soll der verpflichtende Evaluationsbericht seine Übernahme in die Regelversorgung empfehlen. Dazu ist zunächst ein Vertrag der Besonderen Versorgung nach § 140a SGB V vorgesehen.

Position der Barmer

Die Übertragung heilkundlicher Tätigkeiten auf nichtärztliche Gesundheitsberufe sowie die interprofessionelle Zusammenarbeit spielen eine wichtige Rolle für die medizinische Versorgung in vernetzten und sektorenübergreifenden Strukturen. Die Delegation sollte dort weiterentwickelt werden, wo dies sinnvoll für die Versorgung von Patientinnen und Patienten ist. Ihr sind jedoch insbesondere haftungsrechtliche Grenzen gesetzt.
Bei einer positiven Evaluation der Modellprojekte stellt sich das gleiche Problem wie bei Innovationsfondsprojekten: Die Überführung in die Regelversorgung darf nicht ausschließlich über Selektivverträge (nach § 140a SGB V) erfolgen, vielmehr sollten dabei auch kollektivvertragliche Regelungen in Betracht gezogen werden.

Mit dem GVWG ist auch ein vollständiger Ausgleich der tatsächlichen Leistungsausgaben der einzelnen Krankenkassen für das Kinderkrankengeld vorgesehen. Ziel der Regelung ist es, Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Kassen in diesem Leistungsbereich zu vermeiden.
Durch eine letzte Änderung im GVWG wurde der Ausgleich nun auf das Ausgleichsjahr 2021 vorgezogen – im Gesetzentwurf war dafür ursprünglich das Jahr 2023 vorgesehen.
Die Anpassung wird auch damit begründet, dass der Anspruch auf Kinderkrankengeld aufgrund der Corona-Pandemie für das Kalenderjahr 2021 stark ausgeweitet wurde. Es kann zum Beispiel auch dann an Eltern gezahlt werden, wenn Kinder wegen Aufhebung der Schulpräsenzpflicht zuhause betreut werden müssen. 

Position der Barmer

Die vorgezogene Regelung zum Kinderkrankengeld ist sinnvoll. Damit können Wettbewerbsverzerrungen unter den Kassen, die durch eine ungleiche Inanspruchnahme des Kinderkrankengeldes entstehen können, bereits für das laufende Jahr verhindert werden.