Keine Frage, Bluttransfusionen können Leben retten und verlängern. Doch diese zweifellos positive Wirkung und die recht unproblematische Verfügbarkeit von relativ sicheren Blutprodukten hat hierzulande zu einem nahezu verschwenderischen Umgang damit geführt. Dabei gibt es längst ein sinnvolles, aber viel zu wenig bekanntes Versorgungskonzept: das Patient Blood Management.
In keinem anderen Land der Welt werden pro Kopf so viele Bluttransfusionen verbraucht, wie in Deutschland. Während hierzulande im Durchschnitt 57,5 Einheiten Blut pro 1.000 Einwohner übertragen werden, kommen Länder mit einem vergleichbaren Gesundheitssystem wie etwa Belgien oder Norwegen mit zwei Drittel des Blutes aus, in den Niederlanden reicht mit 27,1 Einheiten sogar knapp die Hälfte. Mit einem konsequenten Management der wertvollen Ressource Blut, dem sogenannten Patient Blood Management (PBM), könnte Deutschland ähnliche Werte erreichen, glaubt Dr. Ursula Marschall. Für die leitende Medizinerin bei der Barmer geht es dabei in erster Linie nicht um ökonomische Aspekte, sondern um die Sicherheit der Patienten. „Auch wenn Blutprodukte in Deutschland grundsätzlich unbedenklich sind, darf man nicht vergessen, dass jede Transfusion eine Art Mini-Transplantation ist, inklusive aller damit verbundenen Risiken und Nebenwirkungen“, so Marschall. So kann es beispielweise zu einer Überforderung des Immunsystems, allergischen Reaktionen oder – trotz aller Sicherheitsmaßnahmen – zur Übertragung von Bakterien und Viren kommen. Außerdem zeigen Studien, dass Patienten, die Blutspenden erhalten haben, anfälliger für einen Herzinfarkt, einen Schlaganfall oder eine Lungenembolie sind.
So wenig fremdes Blut wie nötig
Die Weltgesundheitsorganisation fordert deshalb bereits seit 2010 ein Patient Blood Management (übersetzt: Patienten-Blut-Management), um unnötige Transfusionen zu vermeiden. Das entsprechende Konzept umfasst insgesamt mehr als 100 Einzelmaßnahmen, die sich auf drei Säulen verteilen: Die frühe Untersuchung und Behandlung einer gegebenenfalls vorhandenen Anämie (Blutarmut) vor geplanten Eingriffen mit hohem Transfusionsrisiko; Minimierung des Blutverlustes und vermehrte Nutzung fremdblutsparender Maßnahmen, sowie ein ressourcenschonender, rationaler Einsatz von Blutkonserven.
Das A und O ist eine optimale OP-Vorbereitung. „Erfahrungen zeigen, dass es in vielen Fällen möglich ist, die körpereigenen Blutreserven im Vorfeld einer Operation gezielt zu stärken“, so Marschall. So würden etwa 30 Prozent aller Patienten an einer Blutarmut (Anämie) leiden, die Hälfte von ihnen bedingt durch Eisenmangel. Dieser ließe sich durch intravenöse Eisengaben kurzfristig und relativ leicht beheben. Ähnliches gilt auch für Vitamin-B-12- und Folsäure-Mangel. Außerdem kann Wundblut aufbereitet und dem Patienten zurückgegeben werden, wodurch sich die Patienten aus eigener Kraft erholen können. Unter der Federführung des Universitätsklinikums Frankfurt wurde in Deutschland im Jahr 2014 das Patient Blood Management Netzwerk gegründet. Doch noch setzen längst nicht alle Krankenhäuser das Konzept um. Patienten, die bei geplanten Operationen ihre eigene Sicherheit erhöhen möchten, sollten sich im Vorfeld darüber informieren, ob das von ihnen favorisierte Krankenhaus mit PBM arbeitet.