Dresden, 07. September 2022 – Männer und Frauen werden nicht nur unterschiedlich krank, sie bleiben auch unterschiedlich gesund. So haben Männer in jungen Jahren vierfach höhere Fehlzeiten im Job aufgrund von Handverletzungen und ebenso signifikant höhere Fehlzeiten bei Erkrankung der Herzkranzgefäße im Alter. Dagegen weisen junge Frauen im Schnitt rund 60 Prozent mehr Fehltage wegen psychischer Störungen auf als ihre männlichen Altersgenossen. Das geht aus dem aktuellen Gesundheitsreport der BARMER hervor, der in diesem Jahr die Gesundheit der Versicherten geschlechtersensibel auswertet und dabei die Unterschiede in der Gesundheit von Frauen und Männern in den Fokus rückt. „Noch immer werden die Themen Gesundheit und Prävention eher bei den Frauen verortet. Ein Grund könnte sein, dass diese eher medizinische und psychologische Unterstützung in Anspruch nehmen. Allerdings orientiert sich die medizinische Versorgung zumeist noch an Standardmodellen, die mit Männern mittleren Alters durchgeführt wurden. Beides sollte sich im Sinne einer guten Versorgung ändern“, fordert Dr. Fabian Magerl, Landesgeschäftsführer der BARMER in Sachsen.
Geschlechtssensible Sichtweisen sind wichtig
Geschlechtsspezifische Unterschiede sind relevant für Prävention, Diagnostik und Behandlung von Erkrankungen. Frauen und Männer erkranken unterschiedlich und fehlten unterschiedlich häufig und lange im Beruf. Bereits bei den Angeboten zur Prävention in Unternehmen sei es wichtig, die geschlechtsspezifischen Bedürfnisse stärker zu berücksichtigen und zielgenauere Angebote zu schaffen. „Männer werden oft als schwieriges Klientel, Vorsorgemuffel oder gar Gesundheitsidioten angesehen. In dieser Perspektive fehlt eine geschlechtersensible Sichtweise, denn die Realität sieht vielfältiger aus. Männerspezifische Interessen und Zugangsweisen zur Gesundheit sind nicht selbsterklärend, ihre speziellen Bedarfe oft leider noch zu unerkannt“, beschreibt Dipl.-Soziologe Stefan Beier, Bildungsreferent Männergesundheit und Männerberatung bei der Landesfachstelle Männerarbeit Sachsen e.V., die aktuelle Situation. Er ist parallel auch als Körper- und Bewegungstherapeut, Männercoach und Paarberater tätig. Dem stimmt auch der Vorsitzende des nationalen Projekts „Geschlecht in der Medizin“ der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland (bvmd), Sebastian Paschen, zu. Er beschreibt die Situation aus seiner Sicht: „Wir Studierende sehen bereits während des Medizinstudiums viel Aufklärungsbedarf. Leider ist das Thema der geschlechtersensiblen Medizin in der aktuellen Ärztlichen Approbationsordnung, also der Gesetzesgrundlage für die Zulassung von Ärztinnen und Ärzten, nicht verpflichtend verankert und muss daher auch nicht zwingend vermittelt werden. Das muss sich schnellstmöglich ändern. Dafür setzen wir uns ein.“
Geschlechtstypische Erkrankungen
„Laut dem Gesundheitsreport der BARMER erscheinen bei jüngeren sächsischen Männern insbesondere Hand-, Fuß- und Knieverletzungen auffällig zu sein, was mit einer häufigeren Tätigkeit von Männern in handwerklichen Berufen, aber auch einem möglicherweise anderem Risikoempfinden zusammenhängen könne“, sagt Dr. Magerl. Sogar altersgruppenübergreifend seien für beschäftigte Männer im Freistaat, im Vergleich zu Frauen, fast 50 Prozent mehr verletzungsbedingte Fehlzeiten registriert worden. Dem gegenüber stehen bei Frauen deutlich mehr Fehltage aufgrund von psychischen Erkrankungen. „Ein Grund dafür könnte sein, dass Frauen häufiger als Männer in Berufen mit engerem Kontakt zu Menschen, beispielsweise in der Kranken- und Altenpflege sowie der Kinderbetreuung, beschäftigt sind. Sie helfen, pflegen und betreuen junge, alte oder kranke Menschen. Auch tragen Frauen in den Familien oftmals noch immer die Hauptlast bei der Kinderbetreuung. Vor allem berufstätige Frauen haben dadurch eine Doppelbelastung. Das kostet auch seelisch sehr viel Kraft“, führt der BARMER-Landeschef aus. Allerdings würden Frauen oftmals auch frühzeitiger als Männer professionelle Hilfe in Anspruch nehmen.
Kreislauferkrankungen: Gesundheitskiller bei Männern
Waren es in den jungen und mittleren Berufsjahren Verletzungen, die bei den Männern für deutlich mehr Fehltage im Job sorgten als bei Frauen, so seien es gegen Ende des Erwerbslebens die Krankheiten des Kreislaufsystems, bei denen Männer deutlich vorne lägen. Hier handle es sich unter anderem um hohen Blutdruck, Herzrhythmusstörungen, Herzschwäche und um Erkrankung der Herzkranzgefäße. „Männer wissen meist sehr genau, was gesund ist und was nicht und handeln doch oft nicht danach. Sie erfüllen damit alte Männlichkeitsnormen und bekommen gesellschaftliche Anerkennung. Es fordert einigen Mut, stattdessen einen Weg der Selbstsorge zu gehen. Viele Herz-Kreislauferkrankungen oder Muskel-Skelett-Beschwerden könnten wir so vermeiden", sagt Stefan Beier. Nach Auswertungen des BARMER Gesundheitsreports treten diese Erkrankungen mit fortschreitendem Lebensalter zwar bei beiden Geschlechtern gehäufter auf. Allerdings führten im Jahr 2021 Kreislauferkrankungen bei sächsischen Männern im höheren Erwerbsalter (ab 50 Jahre) mit durchschnittlich etwa 2,5 Tagen zu doppelt so vielen Fehltagen pro Beschäftigten wie bei Frauen. Deutlich höhere Fehlzeiten seien bei Männern insbesondere bei den Einzeldiagnosen „Chronische ischämische Herzkrankheit“ sowie „Akuter Myokardinfarkt“ verzeichnet worden.
Spezifische Angebote für Menschen aller Geschlechter
Geschlechtsspezifisch unterschiedliche Symptome zeigen sich bei vielen Erkrankungen. Verspüren Männer bei einem Herzinfarkt häufig ein Druck- oder Engegefühl in der Brust und Schmerzen im linken Arm, gehören bei Frauen eher Übelkeit und Rückenschmerzen zu den typischen Begleiterscheinungen beziehungsweise Vorboten. Häufig führte das noch immer zu einer verzögerten Notfallbehandlung, weil ein möglicher Infarkt lange unerkannt bleibt. „Die Medizin tickt noch immer sehr männlich. In der Forschung, der Lehre, den medizinischen Leitlinien und somit der Versorgung von Patientinnen und Patienten müssen Unterschiede zwischen Menschen aller Geschlechter noch besser berücksichtigt werden. Immerhin geht es um eine geschlechtsadäquate und damit bestmögliche Versorgung Aller“, sagt Sebastian Paschen. Geschlechtsspezifische Unterschiede beeinflussen, wie Erkrankungen entstehen, verlaufen, diagnostiziert und behandelt werden. „Für uns ist klar. Die Zukunft liegt in Präventionsangeboten und einer Gesundheitsversorgung, die die Unterschiede zwischen den Geschlechtern noch besser berücksichtigen muss. Für eine bestmögliche Behandlung aller“, fasst Dr. Magerl zusammen. So unterstütze seine Kasse im Rahmen des Betrieblichen Gesundheitsmanagements Unternehmen bei der Analyse der betrieblichen Gesundheitssituation und berate zu passgenauen und zielgruppenspezifischen Gesundheitsmodulen, die die Beschäftigten bedarfsorientiert erreichen. Gleichzeitig schaue die BARMER bei der Weiterentwicklung der Angebote darauf, wie Menschen noch individueller angesprochen werden könnten und habe bereits im vergangenen Jahr eine Kampagne für gendersensible Medizin, unter dem #Ungleichbehandlung initiiert.
Weitere Informationen
Kampagne Ungleichbehandlung: www.barmer.de/a006985
Gesundheitsförderung im Betrieb (BGM): www.barmer.de/f000004
Gesundheitsreport 2022: www.barmer.de/p006263 Allgemeine Auswertungen zum Arbeitsunfähigkeitsgeschehen in Sachsen: www.barmer.de/p018856
Service für Redaktionen:
Interaktive Grafiken mit aktuellen Ergebnissen zu Arbeitsunfähigkeiten (differenzierbar nach Diagnosegruppen, Jahren, Geschlecht, Alters- und Berufsgruppen sowie Bundesländern) unter: https://www.bifg.de/Y925XN